Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Strafsenat) - 1 StR 431/15
Tenor
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Auf die Revision des Angeklagten Ga. wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. März 2015, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen in Tatmehrheit mit versuchter Steuerhinterziehung verurteilt wird.
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Die weitergehende Revision des Angeklagten Ga. und die Revision des Angeklagten S. gegen das vorbezeichnete Urteil werden als unbegründet verworfen.
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Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten Ga. wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat das Landgericht gemäß § 111i Abs. 2 StPO festgestellt, dass gegen den Angeklagten Ga. wegen entgegenstehender Ansprüche des Steuerfiskus nicht auf den Verfall von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 1.917.251,63 Euro erkannt worden ist.
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Mit ihren Revisionen, die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt sind, beanstanden die Angeklagten ihre Verurteilung. Die Rechtsmittel haben im Ergebnis keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Im Fall I.5 der Urteilsgründe belegen die Urteilsfeststellungen allerdings nur eine versuchte Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO). Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
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Der Erörterung bedarf im Hinblick auf die vom Landgericht vorgenommene „Schadensbestimmung“ lediglich die Verurteilung der Angeklagten im Tatkomplex I der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung durch Einreichung unzutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen zugunsten der G. I. S. GmbH (im Folgenden: G. GmbH).
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1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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a) Der Angeklagte Ga. war faktischer Geschäftsführer der im Mai 2009 gegründeten G. GmbH. Die Funktion des formellen Geschäftsführers übernahm Ende August 2009 der Angeklagte S. ; er wurde am 2. Dezember 2009 wieder abberufen. Gemäß dem vom Angeklagten Ga. entwickelten Tatplan erwarb die G. GmbH in großem Umfang Flachbildschirmfernseher ohne Belastung mit Umsatzsteuer und veräußerte sie unter offenem Ausweis von Umsatzsteuer an Firmen im Inland weiter. Die hierbei eingenommene Umsatzsteuer sollte ihr dabei als „Gewinn“ verbleiben und nicht an das Finanzamt abgeführt werden. Der nicht mit Umsatzsteuer belastete Erwerb der Waren gelang dadurch, dass der Angeklagte Ga. für deren Einkauf als Vertreter eines Unternehmens mit Sitz in Lettland und später einer Gesellschaft mit Sitz in Estland tätig wurde, die als vermeintliche Erwerber auftraten. Hierdurch erreichte er, dass die tatsächlich vorliegenden Inlandslieferungen von den Verkäufern als umsatzsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a UStG) behandelt wurden. Die Bruttoerlöse aus dem anschließenden Weiterverkauf an Abnehmer im Inland nahm der Angeklagte S. in bar entgegen.
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Zwar wurden in den Umsatzsteuervoranmeldungen der G. GmbH für die Monate August bis Dezember 2009 die Verkaufserlöse zutreffend oder annähernd zutreffend erklärt; um die eingenommenen Umsatzsteuerbeträge nicht an das Finanzamt abführen zu müssen, wurden ihnen aber ungerechtfertigte Vorsteuerbeträge gegenübergestellt. Damit wurde die an das Finanzamt abzuführende Umsatzsteuer durch die Geltendmachung von nicht vorhandenen Vorsteuern im Wesentlichen wieder „ausgeschöpft“ (UA S. 10).
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b) Hinsichtlich der eingereichten unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen hat das Landgericht die Angeklagten im Tatkomplex I der Urteilsgründe jeweils wegen Steuerhinterziehung durch aktives Tun gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verurteilt. Soweit der Angeklagte S. vor seiner Abberufung als Geschäftsführer pflichtwidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht hatte, hat ihn das Landgericht wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) verurteilt.
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c) Den als „Schaden“ bezeichneten Hinterziehungsumfang der Taten hat das Landgericht im Tatkomplex I der Urteilsgründe danach bestimmt, in welcher Höhe die eingenommene Umsatzsteuer „zu Unrecht einbehalten“ und nicht an das Finanzamt „abgeführt“ worden sei. Ergänzend hat das Landgericht diesem „Schaden“ – in Klammern gesetzt – einen „rechnerischen Schaden“ gegenübergestellt, „der aufgrund der unzutreffenden Erklärung entstanden wäre, wenn die hiernach nachzufordernde Umsatzsteuer gezahlt worden wäre“ (UA S. 11). Da die Angeklagten aber, wie von vornherein beabsichtigt, keine Umsatzsteuer abführten, ist nach Auffassung des Landgerichts ein „Schaden“ in voller Höhe der „einbehaltenen“ Umsatzsteuer entstanden.
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2. Die auf diese Weise für die durch unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen begangenen Taten der Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) vorgenommene Bestimmung des Verkürzungsumfangs hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn sie knüpft statt an die Steuerverkürzung an die unterlassene Abführung „einbehaltener“ Umsatzsteuer an. Mit Ausnahme des Falles I.5 der Urteilsgründe hat jedoch auch im Tatkomplex I der Urteilsgründe der Schuldspruch Bestand.
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a) Im Fall I.5 der Urteilsgründe hält der Schuldspruch wegen vollendeter Steuerhinterziehung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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aa) Taterfolg der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO ist – im Gegensatz zum Vergehen der gewerbs- oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gemäß § 26c UStG – nicht die Nichtentrichtung geschuldeter Umsatzsteuer. Vielmehr besteht er im Verkürzen von Steuern oder im Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile für sich oder einen anderen. Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Bei Steueranmeldungen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO) – wie hier den Umsatzsteuervoranmeldungen (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG) – tritt der Taterfolg der Steuerverkürzung dann ein, wenn sie unter den Voraussetzungen des § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen. Bei einer auf Steuervergütung gerichteten Umsatzsteuervoranmeldung ist dies erst dann der Fall, wenn das Finanzamt der Anmeldung zustimmt, was allerdings keiner Form bedarf (§ 168 Satz 2 und 3 AO).
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bb) Für die vom Angeklagten Ga. für Dezember 2009 für die G. GmbH eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung (Fall I.5 der Urteilsgründe) belegen die Urteilsfeststellungen nicht, dass sie einer Steuerfestsetzung gleichsteht. Denn in dieser Anmeldung übersteigt die geltend gemachte Vorsteuer die sich aus den erklärten Ausgangsumsätzen ergebende Umsatzsteuer; es ergibt sich mithin ein Vergütungsbetrag. Eine Zustimmung des Finanzamts zu dieser Umsatzsteuervoranmeldung oder eine Auszahlung geltend gemachten Vergütungsbetrages hat das Landgericht nicht festgestellt. Damit fehlt es insoweit an einem Taterfolg (vgl. § 370 Abs. 4 AO), weil die eingereichte Steueranmeldung nicht die Wirkung einer Steuerfestsetzung hat (vgl. § 168 AO), sodass keine Steuerverkürzung eingetreten ist, und die beantragte Steuervergütung ebenfalls nicht erfolgt ist.
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Insoweit hat sich der Angeklagte Ga. somit lediglich wegen versuchter Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO) strafbar gemacht. Der Senat ändert daher den Schuldspruch im Fall I.5 der Urteilsgründe auf versuchte Steuerhinterziehung ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte gegen diesen Tatvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
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b) In den übrigen Fällen des Tatkomplexes I der Urteilsgründe wird der Schuldspruch von den Feststellungen getragen. Insoweit blieben die unberechtigt geltend gemachten Vorsteuerbeträge hinter den angemeldeten Umsatzsteuerbeträgen für Ausgangsumsätze zurück; damit hatten die Umsatzsteuervoranmeldungen jeweils die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 Satz 1 AO). Da der Vorsteuerabzug unberechtigt war, weil die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht angefallen waren, wurde Umsatzsteuer in Höhe dieser Vorsteuerbeträge verkürzt.
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3. Der Strafausspruch hat insgesamt Bestand.
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a) Allerdings hat das Landgericht den Verkürzungsumfang der durch Einreichung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen begangenen Steuerhinterziehungen nicht rechtsfehlerfrei bestimmt. Zwar hat es den zutreffenden Hinterziehungsumfang – in Klammern gesetzt – als „rechnerischen Schaden“ angegeben. Jedoch hat es für die Strafzumessung nicht hieran angeknüpft, sondern den Umfang der „nicht abgeführten“ Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt waren hingegen allein die Angaben in den Umsatzsteuervoranmeldungen. In diesen wurden aber die Umsätze zutreffend bzw. annähernd zutreffend angemeldet. Damit ergab sich durch die Einreichung der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen eine Steuerverkürzung jeweils nur in dem Umfang, in dem ein ungerechtfertigter Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist, in den Fällen I.2 und 4 der Urteilsgründe zuzüglich der Umsatzsteuer auf die verschwiegenen Teile der Ausgangsumsätze. Im Hinblick darauf, dass der vom Landgericht angenommene „Schaden“ die durch den nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzug bewirkte Steuerverkürzung bei den jeweiligen Taten lediglich um zwei bis drei Prozent übersteigt, kann der Senat jedoch ausschließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht.
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b) Obwohl das Landgericht im Fall I.5 der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft von einer vollendeten Steuerhinterziehung ausgegangen ist, beruht die für diese Tat verhängte Einzelstrafe hierauf nicht.
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Der Senat schließt bei dieser Sachverhaltskonstellation aus, dass das Landgericht von der bei Versuchstaten nach § 23 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB möglichen Strafrahmenverschiebung Gebrauch gemacht und eine niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn es erkannt hätte, dass in diesem Fall die Steueranmeldung nicht gemäß § 168 Satz 1 AO die Wirkung einer Steuerfestsetzung hatte. Denn indem der Angeklagte Ga. einen – im Verhältnis zur geschuldeten Umsatzsteuer geringen – Vergütungsbetrag anmeldete, erstrebte er nicht nur in dieser Höhe einen ungerechtfertigten Steuervorteil, sondern verhinderte er zugleich die bei zutreffenden Angaben gemäß § 168 Satz 1 AO sofort eintretende Festsetzung der Zahllast für die geschuldete Umsatzsteuer (vgl. Jäger in Klein, AO, 12. Aufl., § 370 Rn. 196). Die durch diese Tat bewirkte Gefährdung des Steueraufkommens übersteigt sogar noch diejenige, die bestehen würde, wenn der Angeklagte Ga. „lediglich“ eine Zahllast von Null angemeldet und hierdurch eine vollendete Steuerhinterziehung begangen hätte. Eine Steuerverkürzung und damit eine Tatvollendung in Form der nicht rechtzeitigen Festsetzung der Steuer (vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO) wird in solchen Fällen – anders als bei Unterlassungstaten – (bislang) nur deswegen nicht angenommen, weil bei Veranlagungssteuern die Fälligkeit der Steuer erst nach einem Verwaltungsakt des Finanzamts oder einer diesem gleichstehenden Steueranmeldung (§ 168 Satz 1 AO) eintritt (vgl. Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 AO Rn. 56).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO. Angesichts des nur geringfügigen Teilerfolgs zum Schuldspruch ist es nicht unbillig, dem Angeklagten Ga. die Kosten ungeschmälert aufzuerlegen.
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Raum Jäger Cirener
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Mosbacher Bär
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- § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 2x (nicht zugeordnet)
- § 6a UStG 1x (nicht zugeordnet)
- § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG 1x (nicht zugeordnet)
- § 150 Abs. 1 Satz 3 AO 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 111i Insolvenzverfahren 1x
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- § 370 Abs. 2 AO 2x (nicht zugeordnet)
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