Urteil vom Bundesgerichtshof (Senat für Anwaltssachen) - AnwZ (Brfg) 56/15

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 11. September 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist seit 1979 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im Jahr 1995 verlieh ihm die Beklagte die Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Verwaltungsrecht" zu führen.

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Mit Schreiben vom 28. Januar 2014 forderte die Beklagte den Kläger auf, zehn Stunden Fortbildung für die vorgenannte Fachanwaltsbezeichnung nachzuweisen. Der Kläger teilte ihr daraufhin mit, er habe bisher für das Jahr 2013 eine Fortbildung nicht durchgeführt, da er aufgrund beruflicher Belastungen nicht die erforderliche Zeit habe aufwenden können; zugleich kündigte er einen Verzicht auf das Führen seiner Fachanwaltsbezeichnung zum 30 Juni 2014 an. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, die Fachanwaltsbezeichnung werde grundsätzlich zu dem Zeitpunkt widerrufen, zu welchem der Verzicht auf diese erklärt werde.

3

Mit Schreiben vom 1. August 2014 forderte die Beklagte den Kläger erneut zum Nachweis der vorbezeichneten Fortbildung auf. Der Kläger kam dieser Aufforderung nicht nach und erklärte mit Schreiben vom 25. August 2014 den Verzicht auf den Titel "Fachanwalt für Verwaltungsrecht" mit Wirkung zum 31. August 2014. Mit Bescheid vom 28. August 2014 widerrief die Beklagte daraufhin die Befugnis des Klägers zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung wegen des von diesem erklärten Verzichts.

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Auf die hiergegen erhobene Anfechtungsklage des Klägers hat der Anwaltsgerichtshof den vorstehend genannten Widerrufsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das erforderliche Rechtsschutzinteresse des Klägers sei - entgegen der Auffassung der Beklagten - trotz des von diesem erklärten Verzichts vorhanden. Die Klage sei auch begründet. Der angegriffene Widerrufsbescheid sei rechtswidrig. Es fehle bereits an einem zu widerrufenden Grundverwaltungsakt. Der Kläger habe gegenüber der Beklagten - als der zuständigen Behörde - wirksam aufgrund der ihm zustehenden Dispositionsbefugnis auf das Recht zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung verzichtet. Hierdurch sei diese den Kläger begünstigende Rechtsposition erloschen.

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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage erstrebt. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 2, 3 VwGO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

I.

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Der Anwaltsgerichtshof hat mit Recht den angegriffenen Widerrufsbescheid der Beklagten vom 28. August 2014 aufgehoben.

8

1. Die Klage ist, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend angenommen hat, als Anfechtungsklage (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 Abs. 1 VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Anwaltsgerichtshof hat mit Recht auch das - von der Beklagten in Zweifel gezogene - Rechtsschutzbedürfnis des Klägers bejaht. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nach den hier gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO maßgeblichen Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung nur ausnahmsweise dann, wenn die Rechtsstellung des Klägers selbst bei einem Erfolg der Klage nicht verbessert würde, die Klage also nutzlos wäre; nutzlos ist eine Klage nur, wenn sie dem Kläger offensichtlich keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen - auch ideellen - Vorteil bringen könnte (BVerwG, NVwZ 2016, 316 Rn. 19 mwN; BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2003 - 6 C 18.02, juris Rn. 17).

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So liegt der Fall hier indes nicht. Denn die vom Kläger erstrebte gerichtliche Aufhebung des Widerrufsbescheids bringt ihm jedenfalls den - von ihm auch angestrebten - Vorteil, nicht mit einem Rechtsanwalt gleichbehandelt zu werden, dessen Fachanwaltsbezeichnung wegen einer Verfehlung gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO widerrufen worden ist. Eine solche Gleichbehandlung hat im Übrigen auch die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung als "nicht wünschenswert" angesehen.

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2. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit Recht auch als begründet angesehen und den angefochtenen Widerrufsbescheid aufgehoben. Denn dieser ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - materiell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte war zu einem Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung weder gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO noch aufgrund einer analogen Anwendung der vorbezeichneten Bestimmung in Verbindung mit der Vorschrift über den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach erfolgtem Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO) berechtigt. Für eine solche Analogie fehlt es bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Die dem Kläger verliehene Befugnis, die Bezeichnung "Fachanwalt für Verwaltungsrecht" zu führen, hat bereits durch dessen gegenüber der Beklagten wirksam erklärten Verzicht ihre Wirksamkeit verloren, indem sie sich "auf andere Weise" im Sinne des nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO anwendbaren § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt hat. Eines zusätzlichen rechtsgestaltenden Aktes in Gestalt eines Widerrufs bedurfte es hierzu nicht.

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a) Gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO kann die Erlaubnis des Rechtsanwalts zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung von dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer widerrufen werden, wenn eine in der Berufsordnung vorgeschriebene Fortbildung unterlassen wird. Die Voraussetzungen für einen solchen Widerruf sind hier nicht erfüllt. Der Kläger hat zwar unstreitig die ihm nach § 15 Abs. 1 FAO obliegende Fortbildungspflicht für das Jahr 2013 nicht erfüllt. Auf diesen - im angegriffenen Widerrufsbescheid nicht erwähnten - Umstand hat die Beklagte den Widerruf der Erlaubnis des Klägers zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung indes nicht gestützt. Er vermag - wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend angenommen hat - an der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Widerrufsbescheids auch schon deshalb nichts zu ändern, weil es sich hier unstreitig um eine erstmalige Verletzung der Fortbildungspflicht des Klägers handelt und die Beklagte die in einem solchen Fall nach der Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschluss vom 5. Mai 2014 - AnwZ (Brfg) 76/13, NJW-RR 2014, 1083 Rn. 10 mwN) vor einem Widerruf erforderliche Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht vorgenommen hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten war diese Ermessensausübung hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil ihr Ermessen aufgrund der vom Kläger in allgemeiner Form geäußerten Zweifel, ob die Fachanwaltsbezeichnung angesichts der großen Zahl inzwischen vorhandener Fachanwälte noch Sinn ergebe, auf Null reduziert gewesen wäre.

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b) Der Anwaltsgerichtshof ist ebenfalls zutreffend zu der Beurteilung gelangt, dass die Beklagte auch nicht aufgrund einer analogen Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO berechtigt war, nach dem vom Kläger erklärten Verzicht auf die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung diese zusätzlich noch zu widerrufen. Die von der Beklagten vertretene gegenteilige Auffassung, wonach der Gesetzgeber bei der Schaffung der Widerrufsvorschrift des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO den Fall des Verzichts auf die Fachanwaltsbezeichnung - anders als beim Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO) - schlicht nicht bedacht habe und daher eine im Wege der analogen Anwendung der vorbezeichneten Bestimmungen zu schließende planwidrige Regelungslücke vorliege, trifft nicht zu.

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aa) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft der Rechtsanwaltskammer gegenüber schriftlich verzichtet hat. Eine solche Regelung enthält § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO für den hier in Rede stehenden Fall des Verzichts auf die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung hingegen nicht.

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Allerdings hat der Senat für die in § 43c Abs. 4 Satz 1 BRAO vorgesehene Möglichkeit der Rücknahme der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung entschieden, dass diese Bestimmung nicht als abschließende Regelung anzusehen ist, die eine Rücknahme bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 VwVfG über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechts in jedem Fall ausschließt. § 43c Abs. 4 Satz 1 BRAO lässt vielmehr Raum für die entsprechende (vgl. § 2 Abs. 3 VwVfG) Anwendung des § 48 VwVfG auf andere Fälle der rechtswidrigen Erlaubniserteilung (Senatsbeschluss vom 21. Mai 2004 - AnwZ (B) 36/01, NJW 2004, 2748 unter 1; Feuerich/Weyland/Vossebürger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl., § 43c BRAO Rn. 44).

15

Es kann dahin gestellt bleiben, ob Gleiches auch für den Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO und eine mögliche entsprechende Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 49 Abs. 2 VwVfG über den Widerruf eines - wie hier - rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes gilt (vgl. Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Aufl., § 43c BRAO Rn. 39; Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 43c BRAO Rn. 50; vgl. auch Hartung/Scharmer, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 43c BRAO Rn. 67; aA Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung mit Berufs- und Fachanwaltsordnung, 6. Aufl., § 25 FAO Rn. 2 mwN). Denn im vorliegenden Fall liegen - wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat - lediglich die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG vor, wonach der Widerruf erfolgen darf, wenn er durch Rechtsvorschrift - hier § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO als maßgebliche spezielle Regelung - zugelassen ist, nicht hingegen diejenigen der weiteren in § 49 Abs. 2 Satz 1 VwVfG genannten Widerrufsgründe.

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bb) Die Frage, ob - wie die Beklagte anders als der Anwaltsgerichtshof meint - im Fall eines Verzichts des Rechtsanwalts auf die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung der Vorstand der Rechtsanwaltskammer berechtigt oder gar verpflichtet ist, diese zu widerrufen, ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden. Allerdings verliert der Rechtsanwalt die ihm verliehene Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung im Falle eines Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 14 Abs. 2 BRAO) mit der Bestandskraft dieses Widerrufs und dem damit einhergehenden Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 13 BRAO), ohne dass es hierfür eines rechtsgestaltenden Aktes in Form eines Widerrufs der Erlaubnis nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO bedarf (Senatsurteile vom 2. Juli 2012 - AnwZ (Brfg) 57/11, NJW-RR 2013, 177 Rn. 4 f. mwN; vom 11. Januar 2016 - AnwZ (Brfg) 49/14, AnwBl. 2016, 437 Rn. 5). In Fortführung dieser Grundsätze entscheidet der Senat die eingangs genannte Rechtsfrage dahin, dass auch im Falle eines Verzichts des Rechtsanwalts auf die ihm verliehene Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung diese bereits hierdurch ihre Wirksamkeit verliert, ohne dass es eines Widerrufs nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO bedarf.

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cc) Eine Berechtigung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer zum Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung folgt - wie der Anwaltsgerichtshof mit Recht angenommen hat - auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO.

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(1) Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380, 389 f.; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, BGHZ 183, 169 Rn. 23; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32; jeweils mwN; vom 4. Dezember 2014 - III ZR 61/14, NJW 2015, 1176 Rn. 9; Beschlüsse vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, WM 2004, 1594 unter III 3 b bb (2), insoweit in BGHZ 157, 97 nicht abgedruckt; vom 25. August 2015 - X ZB 5/14, GRUR 2015, 1253 Rn. 19; jeweils mwN). Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben (BGH, Urteile vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, aaO S. 390; vom 17. November 2009 - XI ZR 36/09, aaO; vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, aaO; Beschlüsse vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, aaO; vom 25. August 2015 - X ZB 5/14, aaO), wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ergibt (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rn. 15 mwN) und aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann (BGH, Urteil vom 13. April 2006 - IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178, Rn. 18).

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(2) Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich weder aus der Bundesrechtsanwaltsordnung selbst noch aus den Gesetzesmaterialien ein Regelungsplan des Gesetzgebers, wonach das im Falle eines Verzichts des Rechtsanwalts auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO bestehende Erfordernis eines zusätzlich zur Verzichtserklärung auszusprechenden Widerrufs auch für den Fall des Verzichts des Rechtsanwalts auf die ihm verliehene Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung gelten solle.

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(a) Eine Vorschrift über den Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung wurde in die Bundesrechtsanwaltsordnung erstmals im Zusammenhang mit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und der Rechtsanwälte vom 29. Januar 1991 (BGBl. I S. 150; im Folgenden: BRAO a.F.) - als § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. - eingefügt. Nach dieser Vorschrift konnte die Erlaubnis widerrufen werden, wenn eine nach § 42d Abs. 1 BRAO a.F. durch Rechtsverordnung vorgeschriebene Fortbildung trotz Aufforderung des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer unterlassen wurde. In der ursprünglichen Fassung des zunächst mit der Bezeichnung "Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung" (BT-Drucks. 11/6007) eingebrachten Gesetzentwurfs waren diese Vorschriften noch nicht enthalten. Erst im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurden auf Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages die Vorschriften über die Fachanwaltsbezeichnung (§§ 42a bis 42d sowie § 210 BRAO a.F.) einschließlich der eingangs genannten Bestimmung des § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. in den Gesetzentwurf eingefügt und die Bezeichnung des Gesetzes wie oben genannt geändert (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drucks. 11/8307, S. 4, 13 bis 15, 17 und 19 f.). Der Gesetzentwurf ist in dieser Fassung vom Bundestag angenommen (BT-Plenarprotokoll 11/233, S. 18628 ff.) und nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates (BR-Plenarprotokoll 625, S. 674, sowie BR-Drucks. 834/90 [Beschluss]) wie oben angeführt verkündet worden.

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(b) Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. weitere Widerrufsgründe als den darin genannten Grund des Unterlassens der vorgeschriebenen Fortbildung erwogen und namentlich einen der Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO entsprechenden Widerrufsgrund in seinen Regelungsplan der Vorschriften über die Fachanwaltsbezeichnung aufgenommen gehabt hätte, sind weder dem Gesetz noch den vorgenannten Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Vielmehr bestätigen diese die bereits aus dem Wortlaut des § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. folgende Erkenntnis, dass es dem Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Widerrufsmöglichkeit lediglich um die Sanktionierung einer unterlassenen Fortbildung und die damit verbundenen Verfahrensfragen ging (so auch BVerfG, NJW 2015, 394 Rn. 22).

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Nach dem Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages sollte die- auf Beratungen der Berichterstatter des Rechtsausschusses und Gesprächen mit den Sachverständigen der betroffenen Berufsverbände (Bundesnotarkammer, Bundesrechtsanwaltskammer, Deutscher Anwaltsverein) sowie mit Vertretern des Bundesjustizministeriums und mehrerer Bundesländer zurückgehende - Einfügung der Regelungen über das Führen von Fachanwaltsbezeichnungen dazu dienen, in Vorwegnahme der in der nächsten Legislaturperiode zu beschließenden Berufsrechtsnovelle baldmöglichst eine rechtlich einwandfreie Grundlage für die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen zu schaffen (BT-Drucks. 11/8307, S. 16 f., 19). In der Einzelbegründung zu § 42c BRAO a.F. heißt es zum Widerrufsgrund lediglich:

"Die Vorschrift befasst sich mit der Rücknahme und dem Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung." (BT-Drucks. 11/8307, S. 19)

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Anhaltspunkte für einen über die in § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. genannten Widerrufsvoraussetzungen hinausgehenden Regelungsplan des Gesetzgebers ergeben auch die oben genannten weiteren Materialien des Gesetzgebungsverfahrens nicht (vgl. insbesondere BT-Plenarprotokoll 11/233, S. 18629, 18636, sowie Protokoll der 625. Sitzung des Bundesrates, S. 674).

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(c) Auch im Rahmen der im Jahre 1994 erfolgten Novellierung der Bundesrechtsanwaltsordnung ist ein solcher Regelungsplan des Gesetzgebers nicht zutage getreten. Durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) wurden die §§ 42a-42d BRAO a.F. in dem neuen § 43c BRAO zusammengefasst. An die Stelle des bisherigen § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. trat § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO in der bis heute geltenden Fassung, wonach die Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung widerrufen werden kann, wenn eine in der Berufsordnung vorgeschriebene Fortbildung unterlassen wird. Eine inhaltliche Änderung der Vorschrift sollte nach dem Willen des Gesetzgebers damit nicht verbunden sein (BT-Drucks. 12/4993, S. 29). Dem entsprechend heißt es in der Begründung des Entwurfs des vorgenannten Gesetzes:

"Mit der Regelung in § 43c wird die Entscheidung des Gesetzgebers aufrechterhalten, dass die Rechtsanwaltskammer die Befugnis aussprechen kann, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen. […]. Aus den bisherigen Vorschriften der §§ 42a bis d werden die Normen mit statusbildendem Charakter aufgegriffen, ohne dass inhaltliche Änderungen gegenüber dem geltenden Recht vorgesehen wären. Absatz 1 erhält die grundsätzliche Möglichkeit der Vergabe einer Fachanwaltsbezeichnung, […]. Die Grundzüge des Verfahrens der Erteilung der Befugnis zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung regelt Absatz 2 […], während Absatz 4 die Voraussetzungen für Rücknahme und Widerruf vorsieht." (BT-Drucks. 12/4993, aaO).

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Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke ergeben sich auch weder aus dem auf § 14 BRAO bezogenen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Drucks. 12/4993, S. 24 f.) noch sonst aus den Materialien des weiteren Gesetzgebungsverfahrens, welches der Gesetzentwurf hinsichtlich der beiden vorbezeichneten Bestimmungen unverändert durchlaufen hat (vgl. insbesondere Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drucks. 12/7656, S. 8; BT-Plenarprotokoll 12/230, S. 20019 f.).

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(d) Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht zudem, dass die Bundesrechtsanwaltsordnung bereits seit ihrem Erlass im Jahre 1959 (vgl. den Gesetzentwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung vom 8. Januar 1958, BT-Drucks. 3/120, S. 10, 62 f. [§ 26 Abs. 1 Nr. 5 BRAO-E]) - wie zuvor auch schon die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 (RGBl. S. 177; vgl. hierzu BT-Drucks. 3/120, S. 62) - eine Regelung enthält, wonach ein Verzicht des Rechtsanwalts auf die Zulassung zur Anwaltschaft möglich ist und im Falle eines solchen Verzichts ein Widerruf (gemäß der damaligen Regelung: eine Zurücknahme) der Anwaltszulassung zu erfolgen hat.

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Da dem Gesetzgeber mithin bei der Einführung der Vorschriften über die Fachanwaltsbezeichnung bereits seit mehr als 100 Jahren vor Augen stand, dass ein Rechtsanwalt auf eine ihm verliehene Rechtsposition wirksam verzichten und das Gesetz für diesen Fall zusätzlich einen Widerruf jener Rechtsposition durch die zuständige Behörde vorsehen kann, liegt die Annahme der Beklagten fern, der Gesetzgeber habe dies bei den Vorschriften über die Fachanwaltsbezeichnung übersehen. Insofern verfängt auch die Auffassung der Beklagten nicht, ein Widerruf der Fachanwaltsbefugnis sei aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der Anfechtbarkeit der Verzichtserklärung (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 25. Januar 1971 - AnwZ (B) 11/70, juris Rn. 8, 10 ff.; Feuerich/Weyland/Vossebürger, aaO, § 14 BRAO Rn. 43 ff.; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 14 BRAO Rn. 25; jeweils mwN) erforderlich. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst davon abgesehen, eine der speziellen Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO vergleichbare Regelung in § 42c Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F. beziehungsweise in § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO aufzunehmen. Ihm ging es, wie bereits erwähnt, bei der Schaffung der auf die Fachanwaltsbezeichnung bezogenen Widerrufsmöglichkeit lediglich um die Sanktionierung einer unterlassenen Fortbildung und die damit verbundenen Verfahrensfragen (vgl. BVerfG, NJW 2015, 394 Rn. 22).

28

(e) Die Schaffung einer Widerrufsregelung auch für den Fall des Verzichts des Rechtsanwalts auf die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung war für den Gesetzgeber - was zusätzlich gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht - rechtlich auch nicht erforderlich. Denn bereits der Verzicht des Rechtsanwalts auf diese Befugnis führt, ohne dass es darüber hinaus eines rechtgestaltenden Aktes in Form eines Widerrufs der Erlaubnis bedarf, zu ihrem Erlöschen, indem sie sich als Verwaltungsakt "auf andere Weise" im Sinne des nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO anwendbaren § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt und damit ihre Wirksamkeit verliert.

29

Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Er verliert folglich seine Wirksamkeit, wenn eine der vorgenannten Voraussetzungen eingetreten ist (vgl. BVerwG, NVwZ 1998, 729, 730; BVerwGE 139, 337 Rn. 13). Zu den von der Rechtsprechung gebildeten Fallgruppen der Erledigung des Verwaltungsakts "auf andere Weise" im Sinne der letzten Variante des § 43 Abs. 2 VwVfG zählt der - hier in Rede stehende - einseitige Verzicht (vgl. nur BVerwG, NVwZ-RR 2015, 254 Rn. 3; CR 2010, 97 Rn. 18; VGH Mannheim, NVwZ 2014, 1597, 1598; jeweils mwN; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., § 43 Rn. 209; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 16. Aufl., § 43 Rn. 45).

30

In Rechtsprechung und Literatur ist die Möglichkeit des Verzichts des Bürgers auf eine durch Verwaltungsakt vermittelte begünstigende öffentlich-rechtliche Rechtsposition anerkannt (vgl. nur BVerwG, CR 2010; VGH Kassel, NVwZ-RR 1995, 495; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, aaO, § 53 Rn. 29 ff.; Kopp/Ramsauer, aaO, § 53 Rn. 50 ff.; Nebendahl/Rönnau, NVwZ 1988, 873, 875 ff. mwN). Ein solcher Verzicht setzt die Dispositionsbefugnis des Verzichtenden voraus (BVerwG, CR 2010, aaO; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, aaO Rn. 36 f.; Nebendahl/Rönnau, aaO); die Dispositionsbefugnis kann ausnahmsweise fehlen, wenn gesetzliche Bestimmungen die Verzichtsbefugnis einschränken oder wenn der Fortbestand der betroffenen Rechtsposition auch öffentlichen oder anderweitigen privaten Interessen dient (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, aaO Rn. 37; Nebendahl/Rönnau, aaO S. 876 f.; vgl. auch BVerwG, CR 2010, aaO). Der Verzicht muss eindeutig und unmissverständlich gegenüber der zuständigen Behörde erklärt werden und wird mit dem Zugang bei dieser wirksam (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, aaO Rn. 33 f.; Nebendahl/Rönnau, aaO S. 879; vgl. auch BT-Drucks. 3/120, S. 62 f.). Ab dem Zugang entfaltet der Verzicht Bindungswirkung und kann vom Verzichtenden nicht mehr widerrufen werden (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2013, 304 Rn. 24 ff.; Kopp/Ramsauer, aaO Rn. 51).

31

Der auf diese Weise wirksam erklärte Verzicht führt - wenn nicht das Gesetz, wie etwa in § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO, weitergehende Anforderungen beinhaltet - unmittelbar zum Verlust beziehungsweise zum Erlöschen der von ihm betroffenen öffentlich-rechtlichen Rechtsposition (vgl. BVerwGE 84, 209, 211 f.; BVerwG, NVwZ-RR 2013, aaO Rn. 28; OVG Saarlouis, NVwZ 1984, 657, 658; Kopp/Ramsauer, aaO Rn. 50; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, aaO Rn. 29) mit der Folge, dass der diese Rechtsposition vermittelnde Verwaltungsakt "auf andere Weise" gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt ist und damit - ohne weiteren rechtsgestaltenden Akt, wie hier etwa in Gestalt eines Widerrufs der Fachanwaltsbefugnis - seine äußere und innere Wirksamkeit verliert (vgl. Senatsurteile vom 2. Juli 2012 - AnwZ (Brfg) 57/11, NJW-RR 2013, 177 Rn. 4 f. mwN; vom 11. Januar 2016 - AnwZ (Brfg) 49/14, AnwBl. 2016, 437 Rn. 5; BVerwG, NVwZ 1998, aaO; BVerwGE 139, aaO Rn. 13, 15).

32

(3) Da es mithin bereits an einer planwidrigen Regelungslücke in § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO fehlt, kommt es auf die weitere Annahme der Beklagten nicht entscheidend an, es bestehe, jedenfalls was das öffentliche Interesse betreffe, hinsichtlich des Verzichts auf die Fachanwaltsbefugnis eine mit dem Verzicht auf die Anwaltszulassung vergleichbare Interessenlage.

33

dd) Für den Streitfall ergibt sich aus dem Fehlen der Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 4 in Verbindung mit § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, dass die Beklagte mangels einer Rechtsgrundlage nicht berechtigt war, die Fachanwaltsbefugnis des Klägers nach erfolgtem Verzicht zu widerrufen. Die Fachanwaltsbefugnis ist vielmehr gemäß den vorstehend genannten Grundsätzen des § 43 Abs. 2 VwVfG durch den Verzicht des Klägers, den der Anwaltsgerichtshof zutreffend als wirksam und insbesondere auch als von der erforderlichen Dispositionsbefugnis des Klägers getragen angesehen hat, erloschen.

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Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt ein Recht zum Widerruf der Fachanwaltsbefugnis des Klägers schließlich auch nicht etwa "spiegelbildlich" aus ihrem Recht zur Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung (§ 43c Abs. 1, 2 BRAO). Da der Gesetzgeber die Voraussetzungen für einen solchen Widerruf in § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO gesetzlich geregelt hat und die Voraussetzungen dieser Bestimmung hier weder in direkter Anwendung noch in analoger Anwendung in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO erfüllt sind, kann der Beklagten - wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat - durch das Gericht keine weitergehende Widerrufsbefugnis zuerkannt werden. Ob im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen - etwa wenn der Rechtsanwalt trotz des von ihm erklärten Verzichts das Erlöschen der Fachanwaltsbezeichnung in Zweifel zieht oder die Fachanwaltsbezeichnung weiterhin führt - ausnahmsweise durch einen Verwaltungsakt klarstellend festgestellt werden darf, dass die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung durch den ausgesprochenen Verzicht erloschen ist, bedarf keiner Entscheidung.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.

Kayser                     Seiters                       Bünger

                 Kau                         Wolf

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