Beschluss vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZR 259/15

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15. Mai 2014 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 31.503,56 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin, eine juristische Person mit Sitz in Luxemburg, 128.570 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil - nachdem die Klage in Höhe von 117.917,81 € (Hauptforderung 100.000 €, Zinsen: 17.917,81 €) übereinstimmend für erledigt erklärt worden war - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 21.503,58 € nebst Zinsen zu zahlen. In Höhe von 7.066,42 € hat es die Klage abgewiesen. Weiter hat es die Widerklage der Beklagten über 100.000 € nebst Zinsen abgewiesen. Dabei hatte das Berufungsgericht am 23. April 2014 verhandelt und das Urteil erlassen, ohne zu wissen, dass über das Vermögen der Klägerin (fortan: Schuldnerin) schon am 26. August 2013 in Luxemburg das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Unter Hinweis auf den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO möchte die Beklagte die Zulassung der Revision und die Aufhebung des angefochtenen Urteils erreichen.

II.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und grundsätzlich zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Ob sie sich gegen die richtige Partei richtet, nämlich gegen die Insolvenzverwalterin an Stelle der Schuldnerin, kann der Senat dahinstehen lassen. Sie hat jedenfalls keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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1. Allerdings hätte wegen der Unterbrechung des Verfahrens (§ 240 ZPO; Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 15 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rats vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren) infolge der am 26. August 2013 in Luxemburg erfolgten Insolvenzeröffnung am 23. April 2014 weder mündlich verhandelt noch am 15. Mai 2014 ein Urteil verkündet werden dürfen; auf eine Kenntnis des Gerichts vom Unterbrechungsgrund kommt es nicht an. Obwohl die Prozesshandlungen der Parteien unwirksam sind (§ 249 Abs. 2 ZPO), ist das Urteil nicht nichtig, sondern mit dem gegebenen Rechtsmittel anfechtbar. Das aufgrund einer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers durchgeführten mündlichen Verhandlung erlassene Berufungsurteil ist zugunsten und zuungunsten einer Partei ergangen, die nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war; ein solcher Verfahrensfehler begründet den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2007 - X ZR 20/05, BGHZ 172, 250 Rn. 7 mwN).

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Auch ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) geboten, wenn einer der absoluten Revisionsgründe des § 547 Nrn. 1 bis 4 ZPO mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht wird und dieser tatsächlich vorliegt (BGH, aaO Rn. 8). Denn das Gesetz qualifiziert die absoluten Revisionsgründe als besonders schwerwiegende Verfahrensfehler. Das zeigt sich auch daran, dass die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO mit den Nichtigkeitsgründen des § 579 Abs. 1 ZPO übereinstimmen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens und die Beseitigung eines rechtskräftigen Urteils rechtfertigen, weil es der Gesetzgeber für unzumutbar hält, von der unterlegenen Partei zu verlangen, sich mit dem Urteil abzufinden (BGH, aaO Rn. 11). Das Bundesverfassungsgericht hat es als einen aus rechtsstaatlicher Sicht auf Dauer schwer hinzunehmenden Zustand bezeichnet, dass auch ein offenkundiger Verfahrensfehler oder ein absoluter Revisionsgrund nach § 72 aF ArbGG die Zulassung der Revision im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht rechtfertigt (BVerfG, NJW 2001, 2161, 2163). Deswegen hat der Gesetzgeber mit dem Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG geändert und bestimmt, dass die Revision zuzulassen ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nrn. 1 bis 5 ZPO oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung entspricht diese Regelung der Erweiterung der Zulassungsgründe, wie sie im Bereich der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I, S. 1887) bereits eingeführt wurde (BR-Drucks. 663/04, S. 47). Auch § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG und § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kennen, worauf die amtliche Begründung weiter hinweist, einen entsprechenden - sogar noch weiter gefassten - Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (BGH, aaO Rn. 14).

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2. Doch gebietet der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO die Revisionszulassung nur, wenn der Beschwerdeführer in dem Berufungsverfahren nicht nach den Vorschriften vertreten war.

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a) Für die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gilt, dass sie nur von der Partei erhoben werden kann, die in dem vorangegangenen Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war (BGH, Urteil vom 20. September 1974 - IV ZR 55/73, BGHZ 63, 78, 79; Beschluss vom 11. Mai 1988 - IVb ZB 191/87, FamRZ 1988, 1158, 1159; vom 17. Dezember 2015 - IX ZA 37/15, Rn. 3; vgl. BFH/NV 1991, 747; BFH/NV 1993, 314, 315; BVerwG, Buchholz 303 § 579 ZPO Nr. 1).

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§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG, wonach die Revision unter anderem dann zuzulassen ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 4 ZPO geltend gemacht wird und vorliegt, wird so verstanden, dass dieser Zulassungsgrund nur von der Partei geltend gemacht werden kann, um deren Vertretung es dabei geht (BAG, NZA 2010, 1309 Rn. 10 f; BVerwG, PersV 2011, 395, 396; BAG, Beschluss vom 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12, nv Rn. 31). So hat es der Bundesfinanzhof auch für § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO aF gesehen (BFH/NV 1991, 747; Beschluss vom 16. Januar 1991 - IV R 128/89, nv).

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b) Für § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO in Verbindung mit § 547 Nr. 4 ZPO gilt nichts anderes. Eine Partei kann sich nicht darauf berufen, dass die Gegenseite nicht ordnungsgemäß vertreten war.

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§ 547 Nr. 4 ZPO bezweckt den Schutz desjenigen Beteiligten, der im Vorprozess nicht ordnungsgemäß vertreten war; ihm sollen aus dem Prozessablauf keine Nachteile entstehen, die er selbst nicht veranlasst hat. Dieser Zweck begrenzt den Anwendungsbereich der Vorschrift. Da für den Prozessgegner eine derartige Situation nicht besteht, ist er nicht in den Schutzbereich der Vorschrift einbezogen. Dies zeigt sich schon darin, dass der nicht ordnungsgemäß vertretene Beteiligte die Prozessführung genehmigen und dadurch auf die Geltendmachung des Verfahrensmangels verzichten kann; dem Prozessgegner steht dieses Recht nicht zu. Wäre auch er befugt, den Mangel geltend zu machen, könnte der im Vorprozess nicht ordnungsgemäß vertretene Beteiligte dem Revisionsverfahren des Prozessgegners jederzeit die Grundlage entziehen, indem er die Prozessführung genehmigt (BFH/NV 1991, 747; BAG, NZA 2010, 1309 Rn. 11; BVerwG, aaO S. 396). Dies gilt auch für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Eine Beschwer durch eine mangelhafte Vertretung der Gegenseite ist auch dann ausgeschlossen, wenn und soweit die Gegenseite im Rechtsstreit erfolgreich geblieben ist. Auf dem Vertretungsmangel kann die Entscheidung nicht beruhen (BAG, aaO).

10

Zwar kann nach einem Urteil des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 1995 (VIII ZR 224/94, NJW 1995, 2563) die Rechtsfolge der Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 249 ZPO jede Partei geltend machen, wenn trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei mündlich verhandelt und darauf ein Urteil verkündet worden sei. Diese Folge beruht letztlich aber darauf, dass der Mangel des § 547 Nr. 4 ZPO im Rahmen einer zulässigen Revision von Amts wegen geprüft wird (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2006 - II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 7; vgl. BFH, Beschluss vom 16. Januar 1991 - IV R 128/89, nv Rn. 13; Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 547 Rn. 5). Zu einer solchen Prüfung des Verfahrensverstoßes von Amts wegen kommt es danach erst dann, wenn die Revision statthaft, also insbesondere zugelassen ist (§§ 542, 543 ZPO; vgl. MünchKomm-ZPO/Krüger, 5. Aufl., § 547 Rn. 2; BFH, Beschluss vom 16. Januar 1991, aaO).

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