Beschluss vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZB 102/15

Tenor

Auf die Rechtsmittel der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 werden der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg vom 2. Dezember 2015 und der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 26. Mai 2015 aufgehoben.

Der weitere Beteiligte zu 3 ist aus seinem Amt als Insolvenzverwalter zu entlassen. Die Anordnung der Entlassung wird dem Insolvenzgericht übertragen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der weitere Beteiligte zu 3.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die C.          GmbH (fortan: Schuldnerin) beantragte am 26. Juli 2013 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Auf Vorschlag der Schuldnerin wurde der weitere Beteiligte zu 3 am 29. Juli 2013 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Bei der Ausfüllung des ihm überlassenen Fragebogens zu seiner Unabhängigkeit gab er an, dass die Schuldnerin im Jahr 1997 unter Mitwirkung seines Hauses gegründet worden sei, seither aber zur Schuldnerin sowie deren Gesellschaftern und Organen keine Mandatsverhältnisse mehr bestanden hätten. Am 1. Oktober 2013 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 3 (fortan auch: Verwalter) zum Insolvenzverwalter bestellt. Zum 1. Januar 2014 verkaufte er das Unternehmen der Schuldnerin. Gegen Ende des Jahres 2014 wurde bekannt, dass der Verwalter in den Jahren 1998 bis 2003 aufgrund eines Treuhandvertrags mit dem Geschäftsführer der Schuldnerin für diesen Geschäftsanteile an der Schuldnerin hielt, dass er den Geschäftsführer Ende der 90er Jahre geduzt hatte und dass er bis 2001 für diesen als Steuerberater tätig gewesen war. Der Verwalter versicherte nunmehr an Eides statt, dass - gerechnet ab seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter - seit mehr als zehn Jahren zwischen ihm und der Schuldnerin oder deren Organen kein geschäftlicher oder persönlicher Kontakt mehr bestanden habe.

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Am 17. April 2015 beantragte die Gläubigerversammlung, den Verwalter zu entlassen. Das Insolvenzgericht hat den Antrag abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerinnen zu 1 und 2 hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie den Entlassungsantrag weiter.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der weitere Beteiligte zu 3 ist aus seinem Amt als Insolvenzverwalter zu entlassen.

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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Entlassung des Verwalters nach § 59 Abs. 1 InsO lägen nicht vor. Es könne nicht festgestellt werden, dass die erforderliche Unabhängigkeit des Verwalters nicht gegeben sei. Er habe zwar seine Pflichten in erheblichem Umfang verletzt, indem er den genauen Umfang seiner Vorbefassung verschwiegen habe. Bei Kenntnis der früheren Tätigkeit des Verwalters für die Schuldnerin, deren ehemaligen Geschäftsführer und dessen Ehefrau wäre er nicht zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Dies führe jedoch nicht automatisch zu seiner Entlassung. Vielmehr ergebe die gebotene Gesamtschau, dass es zum jetzigen Zeitpunkt sachlich vertretbar sei, ihn im Amt zu belassen.

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2. Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 ist infolge ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht uneingeschränkt statthaft (§§ 6, 59 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Ansicht des Verwalters hat das Beschwerdegericht die Zulassung nicht beschränkt. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Zulassung erfolge im Hinblick auf die Frage, ob sich die Ermessensausübung im Rahmen des § 59 InsO auf eine Pflicht zur Entlassung des Insolvenzverwalters reduziere, wenn festgestellt werde, dass der Insolvenzverwalter bei Offenbarung von Umständen, die zumindest die Besorgnis seiner fehlenden Unabhängigkeit begründen könnten, nicht bestellt worden wäre. Gleichfalls sei ungeklärt, welche Auswirkungen das Verschweigen offenbarungspflichtiger Umstände habe, wenn dadurch die Entscheidung der Gläubigerversammlung, ob ein anderer Insolvenzverwalter zu wählen sei als der vom Amtsgericht bestimmte (§ 57 Abs. 1 Satz 1 InsO), nicht auf einer ausreichenden Grundlage erfolgen könnte und welche Auswirkungen dies auf das Entlassungsverfahren habe. Mit diesen Ausführungen hat das Beschwerdegericht ersichtlich nur die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begründen und nicht die Zulassung auf einen Teil des Streitstoffs beschränken wollen.

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3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag der Gläubigerversammlung auf Entlassung des Verwalters zu Unrecht abgelehnt.

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a) Das Insolvenzgericht kann den Insolvenzverwalter aus seinem Amt entlassen, wenn hierfür ein wichtiger Grund besteht (§ 59 Abs. 1 Satz 1 InsO).

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aa) Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn feststeht, dass ein Verbleiben des Verwalters im Amt unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen Interessen die Belange der Gläubigergesamtheit und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigen würde. Die Ausübung des Insolvenzverwalteramtes ist durch Art. 12 GG geschützt. Eingriffe sind nur zulässig, soweit sie durch höherwertige Interessen des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, nicht weiter gehen, als es erforderlich ist, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - IX ZB 308/04, WM 2006, 440, 441). Hat der Verwalter eine ihm obliegende Pflicht verletzt, ist er zu entlassen, wenn es in Anbetracht der Erheblichkeit der Pflichtverletzung, insbesondere ihrer Auswirkungen auf den Verfahrensablauf und die berechtigten Belange der Beteiligten, sachlich nicht mehr vertretbar erscheint, ihn in seinem Amt zu belassen. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom Tatrichter zu treffen; ihm steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005, aaO; vom 9. Juli 2009 - IX ZB 35/09, NZI 2009, 604 Rn. 9; vom 17. März 2011 - IX ZB 192/10, NZI 2011, 282 Rn. 18; vom 19. Januar 2012 - IX ZB 25/11, NZI 2012, 247 Rn. 8; vom 25. September 2014 - IX ZB 11/14, NZI 2015, 20 Rn. 8).

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bb) Besteht ein wichtiger Grund, muss dies gleichwohl nicht stets zur Entlassung des Insolvenzverwalters führen. Die Entscheidung über die Entlassung steht im Ermessen des Insolvenzgerichts. Die Ausübung des Ermessens kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und rechtsfehlerfrei gewürdigt worden sind und von dem Ermessen gemäß dem Gesetzeszweck unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2016 - XII ZR 5/15, BGHZ 209, 105 Rn. 22; Beschluss vom 22. Juni 2016 - XII ZB 490/15, NJW-RR 2016, 967 Rn. 6; vom 8. Dezember 2016 - I ZB 118/15, WM 2017, 236 Rn. 16).

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b) Einer Überprüfung nach diesen Maßstäben halten die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht stand. Nach den getroffenen Feststellungen liegt ein wichtiger, die Entlassung des Verwalters rechtfertigender Grund vor. Das dem Tatrichter bei seiner Entscheidung über den Entlassungsantrag der Gläubigerversammlung eingeräumte Ermessen konnte ohne Rechtsfehler nur dahin ausgeübt werden, dass die Entlassung angeordnet wurde.

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aa) Der weitere Beteiligte zu 3 hätte nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden dürfen, wenn bereits damals seine nachträglich aufgedeckten früheren Verbindungen zur Schuldnerin und ihrem Geschäftsführer bekannt gewesen wären. Dies übersieht das Beschwerdegericht, wenn es meint, der weitere Beteiligte zu 3 wäre dann - lediglich - im Rahmen der nach § 56 InsO zu treffenden Ermessensentscheidung nicht zum Zuge gekommen. Zum Insolvenzverwalter darf nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nur eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person bestellt werden. Die vorausgesetzte Unabhängigkeit fehlt nicht erst dann, wenn eine Abhängigkeit der zu bestellenden Person von Beteiligteninteressen positiv feststeht. Wegen der überragenden Bedeutung der Person des Insolvenzverwalters für die ordnungsgemäße Abwicklung des Insolvenzverfahrens und seiner den Interessen sowohl der Gläubiger wie auch des Schuldners verpflichteten Stellung ist eine Bestellung bereits dann ausgeschlossen, wenn objektive Umstände feststehen, die aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers oder Schuldners berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit oder Unparteilichkeit der in Aussicht genommenen Person begründen (Graf-Schlicker, InsO, 4. Aufl., §§ 56, 56a Rn. 67; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 14. Aufl., § 56 Rn. 42 mwN). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der künftige Verwalter an der Schuldnerin beteiligt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1991 - IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 277; Beschluss vom 13. Oktober 2016 - IX AR (VZ) 7/15, NZI 2016, 913 Rn. 23) oder wenn er mit ihr unmittelbar oder mittelbar durch Mandatsverhältnisse verbunden war oder ist (vgl. Uhlenbruck/Zipperer, aaO Rn. 44 mwN; BGH, Beschluss vom 17. März 2016 - IX AR (VZ) 1/15, NZI 2016, 508 Rn. 26 f; vom 13. Oktober 2016, aaO). Solche Umstände lagen hier vor. Der weitere Beteiligte zu 3 hatte nicht nur an der Gründung der Schuldnerin im Jahr 1997 als Berater mitgewirkt. Er hielt darüber hinaus in den Jahren 1998 bis 2003, als der Geschäftsführer der Schuldnerin zeitweise eine Freiheitsstrafe wegen Abgabenhinterziehung verbüßte, als Treuhänder für diesen Gesellschaftsanteile und war noch im Jahr 2001 für diesen als Steuerberater tätig.

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bb) Der weitere Beteiligte zu 3 hat einen wesentlichen Teil dieser Umstände vorsätzlich gegenüber dem Insolvenzgericht verschwiegen. Während des Eröffnungsverfahrens übersandte ihm das Insolvenzgericht den Fragebogen des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte (BAKinso) zur Unabhängigkeit des Verwalters und machte ihm dabei die Bedeutung auch von Umständen, die lediglich die Besorgnis der Unparteilichkeit begründeten, deutlich. Dennoch gab der weitere Beteiligte zu 3 bei der Rückgabe des Fragebogens lediglich an, dass die Schuldnerin im Jahr 1997 unter seiner Mitwirkung gegründet und in diesem Zusammenhang eine Vergütung bezahlt worden sei. Seither hätten zur Schuldnerin, ihren Gesellschaftern und Organen keinerlei mittelbare oder unmittelbare Mandatsverhältnisse mehr bestanden. Die weiteren Verbindungen räumte er erst ein, als sie von der weiteren Beteiligten zu 1 nach seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter aufgedeckt worden waren.

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cc) Damit steht fest, dass der weitere Beteiligte zu 3 das Insolvenzgericht vorsätzlich über Umstände getäuscht hat, die seine Bestellung zum Insolvenzverwalter ausschlossen. Dadurch hat er seine Bestellung in einem Insolvenzverfahren erschlichen, das eine hohe Vergütung versprach. Allein für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren ist zugunsten des weiteren Beteiligten zu 3 eine Vergütung einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer in Höhe von 234.044,52 € festgesetzt worden, nachdem er zeitweise für diesen Verfahrensabschnitt eine Vergütung von mehr als 2,8 Mio. € beantragt hatte.

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Dieses Verhalten erfüllt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 59 Abs. 1 InsO und führt, auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes des Insolvenzverwalteramtes durch Art. 12 GG, zwingend zur Entlassung des weiteren Beteiligten zu 3 aus seinem Amt. Zwar ist grundsätzlich bei der Ermessensentscheidung über eine Entlassung auch die Tätigkeit des Verwalters im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen. Ob und in welchem Umfang ein Verbleib des Verwalters im Amt die weitere ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens und die berechtigten Belange der Gläubiger gefährden würde, kann im Lichte des bisherigen Verfahrensverlaufs anders zu beurteilen sein als zum Zeitpunkt der Bestellung des Verwalters. Deshalb kann auch von Bedeutung sein, ob während des bisherigen Insolvenzverfahrens Handlungen des Verwalters festzustellen sind, die als Anzeichen einer tatsächlich bestehenden Abhängigkeit gewertet werden könnten. Unter den gegebenen Umständen kann aber auch bei pflichtgemäßer Amtsführung des Insolvenzverwalters ermessensfehlerfrei nur auf seine Entlassung erkannt werden. Zu den persönlichen Anforderungen an den Insolvenzverwalter gehören neben der fachlichen Qualifikation auch seine persönliche Integrität, insbesondere seine Ehrlichkeit (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 129; vom 17. März 2011 - IX ZB 192/10, NZI 2011, 282 Rn. 20; vom 9. Juni 2011 - IX ZB 248/09, ZIP 2011, 1526 Rn. 6; vom 14. Juli 2016 - IX ZB 52/15, NZI 2016, 892 Rn. 8). Wer, wie der weitere Beteiligte zu 3, das Insolvenzgericht und die Verfahrensbeteiligten vorsätzlich über Umstände täuscht, die von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der Unparteilichkeit und deshalb auch für seine Bestellung zum Insolvenzverwalter sind, und damit im eigenen wirtschaftlichen Interesse eine Gefährdung der erfolgreichen Abwicklung des Insolvenzverfahrens in Kauf nimmt, erweist sich in einem solchen Maß als ungeeignet, dass es sachlich nicht mehr vertretbar ist, ihn nach der Aufdeckung der Verbindungen in seinem Amt zu belassen.

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4. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts war danach aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind und die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Er überträgt die Anordnung der gebotenen Entlassung des weiteren Beteiligten zu 3 gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Insolvenzgericht, weil es sachgerecht ist, sogleich mit der Entlassung des bisherigen Verwalters einen neuen Insolvenzverwalter zu bestellen.

Kayser     

      

Gehrlein     

      

Pape   

      

Grupp     

      

Möhring     

      

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