Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Strafsenat) - 1 StR 571/17
Tenor
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 28. Juni 2017 wird verworfen.
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Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die Einziehung zahlreicher näher bezeichneter Gegenstände angeordnet.
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Mit seiner Revision macht der Angeklagte die Verletzung von Verfahrensrecht geltend und erhebt die Sachrüge. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Näherer Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
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1. Die Rüge, an dem angefochtenen Urteil hätten mit den beiden berufsrichterlichen Mitgliedern der erkennenden Strafkammer zwei Richter mitgewirkt, bezüglich derer auf die Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 1 und 2 StPO) gestützte Ablehnungsgesuche zu Unrecht verworfen worden seien (§ 338 Nr. 3 StPO), dringt nicht durch.
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Die Revision trägt bereits nicht sämtliche Verfahrenstatsachen vor, derer es bedurft hätte, um das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, allein aufgrund ihres Vortrags - dessen Richtigkeit unterstellt - über Erfolg oder Misserfolg der Rüge zu entscheiden (zum Maßstab siehe nur KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN). Welche Tatsachen vorgetragen werden müssen, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, richtet sich dabei nach dem konkret geltend gemachten Verfahrensverstoß, mithin nach der Angriffsrichtung der Rüge. Auf der Grundlage des erfolgten Revisionsvortrags lägen zudem die Voraussetzungen der Besorgnis der Befangenheit der beiden abgelehnten Richter nicht vor, was der Senat nach Beschwerdegrundsätzen geprüft hat (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 1 StR 602/14, NStZ 2016, 164, 166 Rn. 30).
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a) Der Verfahrensbeanstandung liegt nach dem Revisionsvorbringen folgendes Geschehen zugrunde:
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Das Verfahren war ursprünglich außer gegen den Angeklagten auch gegen zwei mittlerweile rechtskräftig Verurteilte geführt worden. Am dritten Hauptverhandlungstag, dem 6. März 2017, war dieses Verfahren nach einem entsprechenden Antrag des Angeklagten gegen ihn abgetrennt und ausgesetzt worden. Das Landgericht verurteilte anschließend unter Mitwirkung der beiden im hiesigen Verfahren abgelehnten Richter die im Ausgangsverfahren verbliebenen (damaligen) Angeklagten teils ausschließlich, teils auch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen. In dem Urteil vom 6. März 2017 sind einzelne von der Revision mitgeteilte Passagen enthalten, die sich auf die Rolle des hiesigen Angeklagten als Haupttäter im Hinblick auf die Strafbarkeit seiner früheren Mitangeklagten beziehen.
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Der Angeklagte sieht in der Vorbefassung der beiden berufsrichterlichen Mitglieder des jetzt erkennenden Gerichts aufgrund der im Urteil gegen die beiden früheren Mitangeklagten - aus seiner Sicht - denknotwendigen Festlegung auf seine Täterschaft die Besorgnis der Befangenheit begründet. Er hat deshalb vor Beginn der neuen, allein noch ihn betreffenden Hauptverhandlung ein Ablehnungsgesuch gegen die beiden Richter gestellt. Dieses ist durch Beschluss des Landgerichts vom 30. März 2017 ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter zurückgewiesen worden.
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b) Die Revision trägt keine Tatsachen vor, bei deren Vorliegen die Besorgnis der Befangenheit gegen die die beiden abgelehnten Richter begründet wäre.
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aa) Eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, soweit sie nicht gesetzliche Ausschlussgründe erfüllt, ist regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters i.S.v. § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 - 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 Rn. 19 und vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/14, NJW 2014, 2372, 2373 Rn. 12 jeweils mwN). Das gilt auch dann, wenn Verfahren gegen einzelne Angeklagte zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennt werden und in dem abgetrennten Verfahren ein Schuldspruch ergeht, zu dem sich das Gericht im Ursprungsverfahren gegen den oder die früheren Angeklagten später ebenfalls noch eine Überzeugung zu bilden hat (BGH, Urteile vom 29. Juni 2006 - 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864, 2866 Rn. 20 und vom 30. Juni 2010 - 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 23 f.; Beschluss vom 10. Januar 2012 - 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 Rn. 20; siehe auch Beschluss vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 221).
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Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies wird etwa angenommen, wenn Äußerungen in früheren Urteilen unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über einen der jetzigen Angeklagten enthalten oder wenn ein Richter sich bei seiner Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 - 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 f. Rn. 20 und vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/14, NJW 2014, 2372, 2373 Rn. 12 jeweils mwN; siehe auch Urteil vom 30. Juni 2010 - 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 24 sowie Beschluss vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 222).
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bb) Da nach der Angriffsrichtung der Rüge die Befangenheit der beiden abgelehnten Berufsrichter ausschließlich aus der behaupteten Festlegung auf die Täterschaft des Angeklagten in dem gegen die beiden früheren Mitangeklagten ergangenen Urteil vom 6. März 2017 abgeleitet wird, hängt der Erfolg der Rüge nach den vorgenannten Maßstäben allein vom Vorliegen „besonderer Umstände“ ab. Denn die Beteiligung an dem vorangegangenen Urteil als solche ist aus den dargelegten normativen Erwägungen von vornherein nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
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An dem gebotenen Vortrag von Tatsachen, die „besondere Umstände“ in dem vorgenannten Sinne enthalten, mangelt es jedoch. Tatsächliches Geschehen, das außerhalb des Urteils gegen die früheren Mitangeklagten selbst derartige Umstände enthält, teilt die Revision nicht mit. Aus der Begründung des genannten Urteils werden lediglich solche Passagen vorgetragen, die von vornherein keine die Besorgnis der Befangenheit aufgrund Vorbefassung ausnahmsweise stützenden „besonderen Umstände“ ergeben. Die zitierten Urteilspartien (S. 16 und 17 der Revisionsbegründungsschrift vom 11. September 2017) beinhalten ausschließlich für die Begründung der Schuldsprüche gegen die früheren Mitangeklagten wegen Beilhilfe zu Haupttaten des Angeklagten erforderliche Feststellungen. Das ist jedoch stets zur Begründung von Befangenheit ungeeignet (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juni 2006 - 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864, 2866 Rn. 20 f. und vom 30. Juni 2010 - 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46 Rn. 23 f.; Beschluss vom 10. Januar 2012 - 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520 f. Rn. 20; siehe auch Beschluss vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 221). Umstände, die als unnötige oder unsachliche Werturteile gedeutet werden könnten, enthält der Revisionsvortrag nicht.
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Im Übrigen genügt in Konstellationen wie der vorliegenden eine lediglich auszugsweise Wiedergabe eines in einem anderen Verfahren ergangenen Urteils regelmäßig den Anforderrungen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, weil die sonstigen Urteilspartien Inhalte aufweisen können, die für die Beurteilung des Vorliegens „besonderer Umstände“ zu berücksichtigen wären.
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c) Angesichts des vorstehend Dargelegten hätte die erhobene Verfahrensrüge auf der Grundlage des Revisionsvorbringens auch in der Sache keinen Erfolg. Es fehlt an vorgetragenen tatsächlichen Umständen, aus denen die Besorgnis der Befangenheit der beiden abgelehnten Berufsrichter hätte resultieren können.
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2. Soweit die Revision die Beweiswürdigung des Landgerichts im Hinblick auf die Verwertung des Inhalts von sog. Hintergrund- bzw. Raumgesprächen rügt (S. 18-21 der Revisionsbegründungsschrift vom 11. September 2017), die durch Vorspielen der Aufzeichnung von Telekommunikationsüberwachung in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, legt der Senat die Beanstandung in Übereinstimmung mit der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als Verfahrensrüge aus, weil die prozessuale Unverwertbarkeit einer Information geltend gemacht wird. Die Rüge ist allerdings ebenfalls nicht in einer zulässigen Weise ausgeführt.
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a) Es liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
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In der Hauptverhandlung wurden von der Revision näher bezeichnete, überwachte Telefongespräche durch Vorspielen der Aufzeichnung und deren Übersetzung eingeführt. Dies umfasste auch Gespräche, die einer der an der überwachten Telekommunikation Beteiligten mit einer weiteren Person, die sich in demselben Raum wie er befand, während des Telefonats geführt hatte. Der Verwertung der aus dem Raumgespräch stammenden Informationen ist seitens der Verteidigung widersprochen worden. Durch Einfügen einer Ablichtung des als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommenen Widerspruchsschreiben trägt die Revision weiter Folgendes vor: „Grundlage für die TKÜ waren die entsprechenden Beschlüsse des Ermittlungsrichters im Ermittlungsverfahren. Diese Beschlüsse enthalten allerdings keine Befugnis, außerhalb der Telefongespräche geführte Unterhaltungen abzuhören und aufzuzeichnen, wobei noch nicht einmal die Identität der beteiligten Personen bekannt war oder ist“.
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b) Die Rüge ist nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise erhoben worden. Der Vortrag verhält sich weder zu den tatsächlichen Umständen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der betroffenen Anordnungsentscheidungen für die Telekommunikationsüberwachung ergibt, noch beinhaltet er Tatsachen, aus denen sich die Rechtzeitigkeit des erforderlichen Verwertungswiderspruchs ergibt.
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aa) Der Senat hält jedenfalls für die hier vorliegende Konstellation an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Verwertbarkeit von sog. Hintergrund- oder Raumgesprächen bei Überwachung der Telekommunikation fest. Danach darf bei durch § 100a StPO gerechtfertigter Aufzeichnung eines Telefongesprächs das gesamte während des Telefonats aufgezeichnete Gespräch einschließlich der Hintergrundgeräusche und -gepräche verwertet werden (BGH, Beschluss vom 24. April 2008 - 1 StR 169/08, NStZ 2008, 473 f. mwN; siehe auch KK-StPO/Bruns, 7. Aufl., § 100a Rn. 54). Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich - wie hier - um Gespräche handelt, bei denen einer der Teilnehmer der aufgrund gerichtlicher Anordnungsbeschlüsse überwachten Telefongesprächen eine dritte Person in die Kommunikation mit dem telefonischen Gesprächspartner einbezieht. Denn bei einer solchen Fallgestaltung sind die fraglichen Inhalte des Hintergrund- bzw. Raumgesprächs selbst Gegenstand der Telekommunikation (vgl. zu diesem Aspekt Prittwitz StV 2009, 437, 442; SK-StPO/Wolter/Greco, 5. Aufl., Band II, § 100a Rn. 26). Dass es sich vorliegend so verhält, entnimmt der Senat der Darstellung des Inhalts der fraglichen Telefongespräche und der währenddessen geführten Hintergrundgespräche in den Gründen des angefochtenen Urteils (UA S. 48 f.).
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Die von der Revision geltend gemachte Unverwertbarkeit allein aufgrund des Umstands, dass es sich um Informationen aus einem bei einer Telekommunikationsüberwachung mitgehörten Raumgespräch handelt, ist damit ausgeschlossen. Sie könnte sich allenfalls aus solchen Gründen ergeben, die allgemein zur Unverwertbarkeit aus Telekommunikationsüberwachung stammenden Informationen führen. Dazu fehlt es jedoch an dem erforderlichen Tatsachenvortrag. Insbesondere trägt die Revision, obwohl nach ihrem Vorbringen ermittlungsrichterliche Anordnungsentscheidungen zur Überwachung der Telekommunikation getroffen worden waren, keine Verfahrenstatsachen vor, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob im Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Beschlüsse die Voraussetzungen für eine solche Überwachung vorgelegen haben (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 7. März 2006 - 1 StR 534/05, StV 2008, 63, 64 und vom 24. Oktober 2006 - 3 StR 370/06, NStZ 2007, 117).
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bb) Richtet sich nach dem vorstehend Ausgeführten die Unverwertbarkeit des Inhalts eines „Hintergrundgesprächs“ der hier vorliegenden Art nach den für ein Verwertungsverbot im Rahmen von Telekommunikationsüberwachung allgemein geltenden Voraussetzungen, bedarf es auch für die vorliegende Fallgestaltung der rechtzeitigen Erhebung eines Verwertungswiderspruchs (zum Widerspruchserfordernis bei Geltendmachen der Unverwertbarkeit aus TKÜ stammenden Informationen siehe nur Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 100a Rn. 39 mwN). Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher dargelegt, trägt die Revision aber keine Tatsachen vor, aus denen sich die rechtzeitige Erhebung des Widerspruchs vor dem durch § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt (dazu BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 225 f.) ergibt.
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3. Das Urteil enthält auch keine zu Lasten des Angeklagten wirkenden sachlich-rechtlichen Mängel.
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Raum
Jäger
Cirener
Radtke
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Referenzen
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