Beschluss vom Bundesgerichtshof (5. Zivilsenat) - V ZB 138/17
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. April 2017 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.
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Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 20.000 €.
Gründe
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I.
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Gegen das ihnen am 8. November 2016 zugestellte Urteil des Landgerichts haben die Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 9. März 2017 die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der bis zum 8. Februar 2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden war. Die Kläger haben unter Vorlage der Berufungsbegründung am 13. März 2017 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, in der Kanzlei ihres damaligen Prozessbevollmächtigten habe die sonst zuverlässige und regelmäßig kontrollierte Mitarbeiterin, der die Fristenerfassung obliege, irrtümlich anstelle des 8. Februar 2017 den 8. Februar 2018 als Tag des Fristablaufs in den elektronisch geführten Fristenkalender notiert. Deswegen sei ihrem Prozessbevollmächtigten die Akte nicht vor Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung vorgelegt und die Frist versäumt worden.
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Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
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II.
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Das Berufungsgericht meint, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO lägen nicht vor. Die Kläger hätten ein Verschulden ihres damaligen Prozessbevollmächtigten, das ihnen gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, nicht ausgeräumt. Sie hätten nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass eine konkrete Wiedervorlage der Akte verfügt worden sei oder die allgemeine Anweisung bestanden habe, eine angemessene Vorfrist einzutragen. Beides hätte jeweils gesondert dazu geführt, dass die Frist zur Berufungsbegründung eingehalten worden wäre. Dass die Vorfrist ebenfalls irrtümlich unzutreffend eingetragen worden wäre, könne nicht unterstellt werden. Ein Verschulden des damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger bestehe auch darin, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht in der Handakte notiert worden sei.
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III.
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Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Sie ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Zulässig ist sie aber gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Dies ist nicht der Fall. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Kläger jedenfalls im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
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2. Ob das Berufungsgericht das von den Klägern als übergangen gerügte Vorbringen in dem Wiedereinsetzungsantrag zur Kenntnis genommen hat, in der Kanzlei ihres damaligen Prozessbevollmächtigten seien bei Eintragung der Rechtsmittelbegründungsfrist auf den 8. Februar 2018 in dem elektronischen Fristenkalender automatisch Wiedervorlagefristen für Januar 2018 notiert worden, kann offen bleiben. Es fehlt nämlich bereits an der Entscheidungserheblichkeit dieses Vorbringens. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags, dass sich der Fehler der Kanzleimitarbeiterin zugleich auf die Vorfristen ausgewirkt habe, beruht die Fristversäumung auf einem den Klägern gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden (§ 233 Satz 1 ZPO) ihres Prozessbevollmächtigten. Das Verschulden liegt in einer unzureichenden Organisation der Kontrolle von Fristeingaben in den elektronischen Fristenkalender. Die Kläger haben weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter bei der elektronischen Kalenderführung durch eine ordnungsgemäße Organisation dafür Sorge getragen hat, dass Rechtsmittelbegründungsfristen nicht versäumt werden.
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a) aa) Die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten (vgl. Senat, Beschluss vom 2. März 2000 - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957 mwN; BGH, Beschluss vom 27. Januar 2015 - II ZB 23/13, WM 2015, 780 Rn. 9; Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 10; Beschluss vom 17. April 2012 - VI ZB 55/11, NJW-RR 2012, 1085 Rn. 8; Beschluss vom 21. Dezember 2010 - IX ZB 115/10, HFR 2011, 706 Rn. 9; Beschluss vom 2. Februar 2010 - XI ZB 23/08 und XI ZB 24/08, NJW 2010, 1363 Rn. 12). Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten. Dazu zählen nicht nur Datenverarbeitungsfehler der EDV, sondern auch Eingabefehler, insbesondere durch Vertippen. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt, der laufende Fristen in einem elektronischen Fristenkalender erfasst, durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Kontrolle der Fristeingabe gewährleisten muss.
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bb) Das Notieren einer Vorfrist in dem elektronischen Fristenkalender ist zur Kontrolle der Richtigkeit der eingegebenen Berufungsbegründungsfrist nicht geeignet. Sie unterliegt derselben spezifischen Fehleranfälligkeit wie die Eingabe des Fristablaufs selbst. Das gilt auch und gerade dann, wenn die Vorfrist von dem EDV-Programm automatisch notiert wird, da sie dann zwangsläufig falsch ist, wenn auch das Ende der Berufungsbegründungsfrist falsch eingegeben wurde. Ebensowenig gewährleistet das Notieren des Fristablaufs in der Handakte, dass der Prozessbevollmächtigte Fehler bei der Eingabe der Fristen in den elektronischen Fristenkalender rechtzeitig erkennt, da er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in den Handakten beschränken darf (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2014 - VIII ZB 55/13, juris Rn. 7; Beschluss vom 27. November 2013 - XII ZB 116/13, FamRZ 2014, 284 Rn. 7; Beschluss vom 12. November 2013 - II ZB 17/12, WM 2014, 422 Rn. 15; Beschluss vom 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Rn. 6).
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cc) Die Kontrolle der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender kann durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. Werden die Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert, ist darin nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Juni 2009 - V ZB 191/08, NJW 2009, 3036 Rn. 13 mwN; BGH, Beschluss vom 17. April 2012 - VI ZB 55/11, NJW-RR 2012, 1085 Rn. 8; Beschluss vom 2. Februar 2010 - XI ZB 23/08 und XI ZB 24/08, WM 2010, 567 Rn. 12).
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dd) Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Kläger eine entsprechende Anweisung bestand, lässt sich der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages nicht entnehmen.
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b) Die Fristversäumnis beruht auch auf dem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger. Hätte in seiner Kanzlei - wie geboten - die Anweisung bestanden, durch Fertigung eines Kontrollausdrucks die korrekte Eintragung des Fristablaufs und der Vorfrist zu prüfen, wäre der Tippfehler bei der Eingabe der Jahreszahl (2018 statt 2017) festgestellt worden.
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c) Eines vorherigen Hinweises an die anwaltlich vertretenen Kläger auf den vorerwähnten Mangel des Wiedereinsetzungsantrags bedurfte es nicht. Eine Hinweispflicht besteht nur bezogen auf erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 31; Beschluss vom 30. September 2010 - V ZB 173/10, juris Rn. 7 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die organisatorischen Maßnahmen bei der elektronischen Kalenderführung stellt, sind bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 mwN).
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IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Stresemann
Schmidt-Räntsch
Kazele
Haberkamp
Hamdorf
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Referenzen
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- ZPO § 85 Wirkung der Prozessvollmacht 2x
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