Beschluss vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZB 56/19

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 9. September 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

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Die weitere Beteiligte zu 2 (nachfolgend: Gläubigerin) ist Inhaberin mehrerer im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin festgestellter Forderungen. Sie hat Einsicht in die Insolvenzakten und die Forderungstabelle beantragt. Das Amtsgericht - Rechtspfleger - hat den Antrag abgelehnt. Das Landgericht hat dem Begehren auf die Beschwerde der Gläubigerin durch Beschluss des Einzelrichters stattgegeben. Dagegen richtet sich die von dem Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthaft und auch sonst zulässig (vgl. die in vorliegender Sache ergangene einstweilige Anordnung, BGH, Beschluss vom 29. November 2019 - IX ZB 56/19, ZInsO 2020, 85 Rn. 6 ff). Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat. Der angefochtene Beschluss unterliegt indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist.

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Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er - wie hier - mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2011 - VIII ZB 81/11, NJW-RR 2012, 125 Rn. 9 mwN; vom 18. September 2018 - VI ZB 34/17, NJW-RR 2018, 1460 Rn. 5; vom 19. Dezember 2018 - VII ZB 45/18, WM 2019, 271 Rn. 7 ff; vom 27. Juni 2019 - IX ZB 5/19, WM 2019, 1461 Rn. 5).

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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Antrag der Gläubigerin auf Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO, § 4 InsO nicht rechtsmissbräuchlich sein dürfte.

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a) Es ist allgemein anerkannt, dass kraft der Verweisung des § 4 InsO auf § 299 Abs. 1 ZPO die Verfahrensbeteiligten eines Insolvenzverfahrens einen Anspruch auf Akteneinsicht haben (OLG Celle, ZVI 2004, 114, 115; MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl., § 4 Rn. 57; Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Aufl., § 299 Rn. 18; Thole, ZIP 2012, 1533, 1534; Swierczok/Kontny, NZI 2016, 566, 567).

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Im eröffneten Verfahren ist jedenfalls ein Gläubiger, dessen Forderung - wie die der Gläubigerin - mangels Bestreitens zur Tabelle festgestellt wurde, als Verfahrensbeteiligter zur Einsicht berechtigt (vgl. LG Karlsruhe, NZI 2003, 327 f; LG Düsseldorf, ZIP 2007, 1388; MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, aaO § 4 Rn. 61; Schmidt/Stephan, InsO, 19. Aufl., § 4 Rn. 31; großzügiger für ein Einsichtsrecht bereits nach Anmeldung der Forderung: Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl., § 4 Rn. 47). Das Einsichtsrecht erstreckt sich auf von dem Verwalter gemäß §§ 174 ff InsO hinsichtlich Forderungsanmeldungen geführte Akten, die sich - wie im Streitfall - bei Gericht befinden (MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, aaO § 4 Rn. 58; Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl., § 4 Rn. 29; HK-InsO/Sternal, 9. Aufl., § 4 Rn. 13).

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b) Der verfahrensbeteiligte Gläubiger braucht - anders als ein Dritter gemäß § 299 Abs. 2 ZPO - ein rechtlich geschütztes Interesse an der Akteneinsicht nicht darzulegen (OLG Celle, ZVI 2004, 114, 115). Eine Beschränkung des Einsichtsrechts ist gegenüber Verfahrensbeteiligten nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Einsicht den Verfahrenszweck gefährden würde, weil ein Missbrauch der aus der Akte gewonnenen Erkenntnisse im konkreten Einzelfall droht (OLG Celle, aaO; MünchKomm-InsO/Ganter/Bruns, aaO § 4 Rn. 57; Uhlenbruck/Pape, aaO; HmbKomm-InsO/Rüther, 7. Aufl., § 4 Rn. 44; Thole, ZIP 2012, 1533, 1534).

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aa) Ein Missbrauch kann entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (Schuster/Friedrich, ZIP 2009, 2418, 2421) nicht allein aus der Erwägung hergeleitet werden, dass die Gläubigerin ihr Akteneinsichtsrecht möglicherweise dazu nutzen will, Erkenntnisse über sonstige Gläubiger zu gewinnen, um diesen ein Angebot auf den Kauf ihrer Forderungen zu unterbreiten. Es steht den einzelnen Gläubigern frei, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen wirtschaftlichen Interessen eine Abwägung zu treffen, ob sie sich zum Verkauf ihrer Forderungen entschließen oder einer Befriedigung im Insolvenzverfahren den Vorzug geben. Der Umstand, dass möglicherweise eine den Kaufpreis übersteigende Quote auf abgetretene Forderungen entfällt, berührt keine Belange des Insolvenzverfahrens und kann für sich genommen einen Missbrauch des Einsichtsrechts nicht begründen. Der Verwalter hat die Interessen der Gläubiger im Verfahren wahrzunehmen, aber keinen Einfluss darauf, ob Gläubiger am Verfahren teilnehmen oder nicht. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kaufpreis die spätere Quote überschreitet oder Gläubiger einer Kürzung der Quote mit Rücksicht auf die sofortige Befriedigung ihrer Forderung den Vorzug geben. Schließlich werden keine verfahrensfremden Ziele verfolgt, wenn den Gläubigern die Alternative einer Befriedigung ihrer Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens angeboten wird. Diese Vorgehensweise kann dazu beitragen, Gläubiger vor Schäden im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen zu schützen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2006 - IV AR(VZ) 1/06, WM 2006, 1435 Rn. 19 ff).

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bb) Zudem sind Forderungsabtretungen gemäß § 399 BGB rechtlich wirksam, sofern kein Abtretungsverbot eingreift. Deswegen muss es grundsätzlich hingenommen werden, wenn Forderungen auch nach Verfahrenseröffnung abgetreten werden und neue Gläubiger am Verfahren beteiligt sind. Akteneinsicht kann nicht allein deswegen verweigert werden, um die vom Gesetz gebilligte Abtretung von Forderungen zu vereiteln oder mindestens zu erschweren. Im Streitfall ist nicht zu befürchten, dass die Gläubigerin die Daten der Mitgläubiger für gewerbliche Interessen missbraucht.

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