Beschluss vom Bundessozialgericht - B 3 P 26/17 B

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. Juni 2017 Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 16.6.2017 einen Anspruch der bei der Beklagten versicherten Klägerin auf Leistungen nach der Pflegestufe I (auch) für den Zeitraum vom 1.2.2013 bis 31.5.2014 verneint. Zur Begründung hat es ergänzend zu den Gründen im angefochtenen Gerichtsbescheid ausgeführt, der Hilfebedarf der Klägerin sei konstant hoch geblieben, während er bei einem gesunden Kind mit zunehmendem Alter abgenommen hätte. Bei der auf die Antragstellung folgenden Begutachtung im April 2013 sei die Klägerin rund ein Jahr und sechs Monate alt gewesen, bei der Begutachtung im Juli 2014 fast drei Jahre alt, sodass der für ein gesundes gleichaltriges Kind in Ansatz zu bringende Mittelwert anfangs 196 Minuten, später 159 Minuten betragen habe. Daraus erkläre sich im Wesentlichen der erst später gestiegene Hilfebedarf. Dies beruhe auf einem geklärten Sachverhalt, sodass weitere Ermittlungen nicht veranlasst seien.

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Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und beantragt zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).

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II. 1. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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Es kann offenbleiben, ob die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage wäre, die Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes ganz oder zumindest teilweise selbst aufzubringen. PKH kann ihr jedenfalls nicht bewilligt werden, weil die von ihr erhobene Nichtzulassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg bietet.

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2. Die bereits eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, für die die Klägerin PKH begehrt, ist unzulässig, weil die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht dargetan sind (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde ist deshalb ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1, § 169 SGG).

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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

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a) Die Klägerin rügt eine Verletzung des § 103 SGG. Sie bezieht sich darauf, dass ein "Beweisantrag" gestellt worden sei, der ausweislich des Protokolls bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhalten worden sei. Diesem sei das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.

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Ein Beweisantrag muss grundsätzlich - jedenfalls bei einem rechtskundig vertretenen Beteiligten - in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, dh er muss sich nicht nur auf ein Beweismittel beziehen, sondern auch das Beweisthema möglichst konkret angeben und zumindest umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll. Ein Beweisantrag hat insofern eine Warnfunktion. Das LSG soll darauf hingewiesen werden, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Kommt diese Warnfunktion nicht unmissverständlich zum Ausdruck, handelt es sich demgegenüber lediglich um eine Beweisanregung (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 18a, 18b).

9

Die durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausweislich des vorliegenden Protokolls ausdrücklich keinen Beweisantrag gestellt, sondern lediglich eine Beweisanregung gegeben. Sie hat zu Protokoll erklärt: "Ich rege daher an, dass das Gericht ein weiteres Gutachten in Auftrag gibt."

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Die Klägerin hat in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nicht dargelegt, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt zu haben, sondern ausgeführt, ein Beweisantrag sei bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhalten worden. Sie legt jedoch nicht dar, auf welchen konkreten Beweisantrag sie sich dabei bezieht. Es wird kein konkreter Schriftsatz aufgeführt, in welchem ein solcher formeller Beweisantrag enthalten sein könnte. Sie beschränkt sich in ihren Ausführungen vielmehr darauf, dass es erhebliche Zweifel an dem durch das SG eingeholten Gutachten gegeben habe, die durch ein weiteres Gutachten hätten geklärt werden können. Ein konkreter Beweisantrag ist damit nicht dargelegt.

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Nur am Rande sei daher darauf hingewiesen, dass der Beschwerdebegründung auch kein hinreichend konkretes Beweisthema entnommen werden kann und auch nicht hinreichend dargelegt ist, dass sich das LSG aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht zur weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen. Soweit die Klägerin ausführt, ihr Wasch- und Pflegeaufwand sei im streitigen Zeitraum wegen ihrer Schluckstörung, der Mundtrockenheit und des häufigen Erbrechens höher, fehlt jegliche Darstellung, inwieweit die von der Gutachterin dazu getroffenen Feststellungen unzureichend sein könnten. Denn diese Besonderheiten sind tatsächlich von der kritisierten Gutachterin gesehen und gewürdigt worden. Vor diesem Hintergrund hätte es Darlegungen dazu bedurft, aus welchen Gründen die von der Gutachterin getroffene Würdigung nicht nachvollziehbar sei. Soweit die Klägerin ausführt, die Gutachterin habe festgestellt, die Klägerin habe mit Hilfe von Nachstellschritten Treppensteigen können, obwohl dies nicht der Fall gewesen sei, fehlt es an Vortrag dazu, weshalb dies bei einem Kind im Alter von eineinhalb Jahren den Pflegebedarf erhöht. Weitere konkrete Einwendungen gegen das Gutachten, die dessen Nachvollziehbarkeit tatsächlich infrage stellen könnten, werden nicht vorgetragen. Die pauschale Behauptung, die Gutachten seien falsch und zum Teil in sich widersprüchlich, kann den Anforderungen nicht gerecht werden.

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Vor diesem Hintergrund mangelt es auch an hinreichenden Darlegungen dazu, dass das Berufungsgericht der Beweisanregung ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Denn ohne konkrete Kritikpunkte ist die Begründung des LSG, dass sich aufgrund der rapiden Entwicklung von Kleinkindern deren Pflegebedarf rasch ändern kann, auch wenn die gesundheitliche Situation unverändert bleibt, nachvollziehbar.

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b) Eine Verletzung des § 103 SGG wird auch nicht durch den Hinweis auf den Zeitraum, der für die Erstellung des Gutachtens benötigt worden sei und die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob sich die Gutachterin noch an alle relevanten Punkte habe erinnern können, hinreichend dargelegt. Diesbezüglich fehlt es insbesondere an Vorbringen dazu, dass die Entscheidung des LSG auf "diesem Mangel" beruhen kann, dh es hätte Darlegungen zur mangelnden oder zumindest eingeschränkten Verwertbarkeit des Gutachtens bedurft. Es mangelt aber bereits an Ausführungen dazu, welcher Zeitrahmen für die Erstellung eines Gutachtens angemessen sein soll, ob und ggf in welchem Rahmen der Gutachterin vom Gericht Fristen zur Erstellung des Gutachtens gesetzt worden sind, und es fehlt insbesondere an jeglicher Auseinandersetzung mit der Frage der Verwertbarkeit ggf verspätet erstellter Gutachten. Dazu ist auf die Regelungen nach § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 4 ZPO hinzuweisen. Danach haben Beteiligte dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs 1, 4 ZPO gilt entsprechend. Zu den Voraussetzungen dieser Regelungen fehlen jegliche Darlegungen. Ist aber das Gutachten mangels rechtzeitig dagegen erhobener Einwendungen ggf uneingeschränkt verwertbar, kommt ein Verfahrensmangel, der mit der Verwertung des Gutachtens begründet wird, nicht in Betracht.

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c) Die Rüge der Klägerin, die Begründung der Ablehnung der beantragten PKH in der mündlichen Verhandlung vermöge nicht zu tragen, kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel nur auf die Verletzung von Verfassungsrecht und insbesondere des Willkürverbots nach Art 3 Abs 1 GG gestützt werden (vgl allgemein BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21). Auch dazu fehlt es an hinreichendem Vortrag. Insbesondere begründet die Klägerin in der Nichtzulassungsbeschwerde nicht, aus welchem Grund die Erfolgsaussichten der Berufung im Zeitpunkt der Beantragung von PKH günstiger gewesen sein könnten als im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Berufungsgericht.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

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Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

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