Beschluss vom Bundessozialgericht (8. Senat) - B 8 SO 96/17 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. September 2017 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Übernahme von Renovierungskosten für seine Wohnung als Leistung der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII.

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Nachdem die Beklagte dem Kläger Renovierungskosten in Höhe von 2076,05 Euro bewilligt hatte (Bescheid vom 3.7.2014), lehnte sie die Übernahme weiterer Kosten ab (Bescheid vom 31.8.2016; Widerspruchsbescheid vom 8.11.2016). In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg, in dem insgesamt elf Verfahren des Klägers gemeinsam verhandelt wurden, erklärte der nicht anwaltlich vertretene Kläger im Verfahren S 48 SO 452/16 "Der Außendienst wird von mir nach wie vor abgelehnt"; im Verfahren S 48 SO 473/16 und S 48 SO 475/16 führte er jedoch ua aus, er lehne die Mitarbeiter des Außendienstes der Stadt E…., die im Jahr 2014 bei ihm gewesen seien, komplett ab. Andere Außendienstmitarbeiter der Stadt E.…. könnten jedoch seine Wohnung betreten, und zwar lediglich Diele und Küche, um dort die nicht fertiggestellte Renovierung in Augenschein zu nehmen. Er beantrage ausdrücklich, so wie beschrieben zu verfahren. Die Klage ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 13.12.2016; Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28.9.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klage sei wegen Rechtsmissbrauchs bereits unzulässig, weil der Kläger die Bedarfsfeststellung durch den Außendienst der Beklagten verweigere bzw an der Ermittlung seines Bedarfs nicht mitwirke.

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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Die Entscheidung beruhe auf einer Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG sei ohne Begründung seinem Beweisantrag nicht gefolgt. Er habe hinsichtlich des geltend gemachten Bedarfs an weiteren Renovierungskosten vor dem SG die Einholung eines Zeugenbeweises beantragt; ausgeschlossen habe er nur die Außendienstmitarbeiter, die bereits 2014 Zutritt zu seiner Wohnung hatten. Das LSG sei bei seiner Entscheidung nicht davon ausgegangen, dass dieser Antrag von ihm nicht weiter verfolgt werde, sondern habe seine Erklärung schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen und sei seinem Beweisantrag mithin ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, obwohl es sich zur Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Auch habe das LSG den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art 103 Abs 1 Grundgesetz ), weil es sich mit seinem Vorbringen vor dem SG nicht auseinandergesetzt habe. Ein weiterer Verfahrensmangel liege im Fehlen wesentlicher Entscheidungsgründe und dem dadurch begründeten Verstoß gegen § 136 SGG. Zwar verweise das LSG zur Begründung seiner Entscheidung auf die Gründe des Urteils des SG. Dort werde aber die Klage als unbegründet abgewiesen, weil der Kläger einer Bedarfsfeststellung durch Außendienstmitarbeiter des Beklagten widersprochen habe. Die weitere Erklärung, nur bestimmten Mitarbeitern den Zutritt zu verweigern, werde jedoch nicht gewürdigt. Es werde mithin von einem falschen Tatbestand ausgegangen. Ein vorrangiges Korrekturinstrument, zB der Tatbestandsberichtigung, habe ihm nicht zur Verfügung gestanden. Es sei möglich, dass das LSG ohne diese Verfahrensmängel zu einer für ihn günstigeren Entscheidung gelangt wäre, so dass die Entscheidung des LSG auf dem Mangel beruhe. Denn entweder das LSG selbst oder die Beklagte hätten die erforderlichen Ermittlungen durchführen müssen und damit den Bedarf feststellen und ein Leistungsanspruch bejahen können.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

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Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Wer sich - wie hier - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss daher ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG Beschluss vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten sind zwar weniger strenge Anforderungen an die Form und den Inhalt eines Beweisantrags zu stellen. Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (BSG Beschluss vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B; BSG Beschluss vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - juris RdNr 7).

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Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Es ist bereits fraglich, ob der Vortrag, das LSG hätte Beweis zum "Bedarf an weiteren Renovierungskosten" erheben müssen, den Anforderungen genügt, die an die ordnungsgemäße Begründung eines Verstoßes gegen § 103 SGG zu stellen sind. Der Maßstab für die hinreichende Bezeichnung eines Verstoßes gegen § 103 SGG im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht identisch mit dem, der an die Bezeichnung eines Beweisantrags eines nicht vertretenen Klägers vor dem SG oder LSG zu stellen ist. Denn mit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist gerade der Umstand der fehlenden Vertretung beendet und der Kläger damit in die Lage versetzt, jedenfalls in dieser Lage des Verfahrens einen substantiierten Beweisantrag zu formulieren. Insoweit ist erforderlich, dass die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt behauptet und zumindest hypothetisch umrissen wird, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt das Gericht in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160a RdNr 96 mwN). Der Vortrag des Klägers enthält jedoch keine in diesem Sinne bestimmte Tatsachenbehauptung; vielmehr wird nur ein "Bedarf an Renovierungskosten" geltend gemacht. Auch das hypothetische Beweisergebnis wird nicht hinreichend mitgeteilt. Schließlich ist den Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar zu entnehmen, wie der Beweisantrag nach der Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aufrecht erhalten wurde (zur Erforderlichkeit, auch im Falle eines unvertretenen Beteiligten den Beweisantrag nach Zugang der Anhörungsmitteilung innerhalb der vom LSG gesetzten Frist erkennbar aufrecht zu erhalten: vgl BSG Beschluss vom 27.7.2016 - B 1 KR 38/16 B - RdNr 5 mwN). Letztlich kann dies alles jedoch dahinstehen, denn jedenfalls fehlt es an Vortrag dazu, auf welcher rechtlichen Grundlage der geltend gemachte Anspruch vom LSG hätte bejaht werden müssen. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um nachvollziehbar darzustellen, warum das Ergebnis der Beweisaufnahme im Wege des Augenscheins für die vom LSG zu treffende Entscheidung erheblich ist. Allein die Behauptung, das LSG hätte nach einer Beweiserhebung den Bedarf festgestellt und einen Leistungsanspruch bejaht, genügt hierfür nicht.

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Soweit der Kläger zudem die Verletzung des § 103 Abs 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) rügt, trägt er in der Sache nichts anderes vor, als er schon im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des § 103 SGG vorgebracht hat. Eine auf die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gerichtete Rüge kann jedoch nicht auf dem Umweg über andere Verfahrensvorschriften zum Erfolg gelangen (vgl nur BSG vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B).

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Nicht hinreichend dargelegt ist auch der behauptete Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG (Fehlen von Entscheidungsgründen) mit der Begründung, das LSG sei in den Gründen der Entscheidung nicht auf seine Bereitschaft eingegangen, andere Außendienstmitarbeiter in die Wohnung zu lassen. Gemäß § 202 SGG iVm § 547 Nr 6 Zivilprozessordnung (ZPO) liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen des Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist. Um die Nichtzulassungsbeschwerde hierauf stützen zu können, muss ein Beschwerdeführer darlegen, dass die Entscheidung entweder überhaupt keine Begründung enthält oder dass die Gründe in so extremem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion (Unterrichtung der Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen) nicht erfüllen können (BSG Beschluss vom 5.10.2010 - B 8 SO 62/10 B - juris RdNr 7; Bundesverwaltungsgericht Buchholz 310 § 138 Ziff 6 VwGO Nr 32). Die Begründungspflicht ist nicht schon dann verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (vgl BSG, aaO; BSG SozR 4-4300 § 223 Nr 1; BSG Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B). Vom Fehlen der Entscheidungsgründe ist hiernach nur auszugehen, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (BSG Beschluss vom 5.10.2010 - B 8 SO 62/10 B - juris RdNr 7; BVerwG aaO; BVerwGE 117, 228 ff), oder wenn die angeführten Gründe verworren sind oder nur nichtssagende Redensarten enthalten oder zu einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und für die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts erheblichen Rechtsfrage nur angeführt wird, dass diese Auffassung nicht zutreffe (BSG Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B - mit Anm M. Krasney, jurisPR-SozR 18/2004 Anm 4).

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Der Kläger behauptet in der Sache tatsächlich nicht, dass die Entscheidung des LSG keine Begründung enthalte. Er hält die Begründung lediglich für fehlerhaft bzw unvollständig, weil die Ausführungen des Gerichts zum tatsächlichen Geschehen unvollständig seien. Dies reicht nach der Rechtsprechung des BSG (BSG SozR 4-4300 § 223 Nr 1; BSG Beschluss vom 12.2.2004 - B 4 RA 67/03 B) für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) aber nicht aus. Entscheidungsgründe fehlen nicht schon dann, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz fasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abgehandelt hat (BSG Beschluss vom 13.7.2017 - B 10 ÜG 1/17 B - juris RdNr 9). Ebenso wenig ist die Begründungspflicht bereits dann verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (BSG aaO; BSG Beschluss vom 14.2.2006 - B 9a SB 22/05 B). Auch dass die Begründung des angefochtenen Urteils den Tenor der LSG-Entscheidung nicht trage, behauptet der Kläger nicht. Dass er sie für inhaltlich unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz - wie dargelegt - nicht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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