Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 1. Kammer) - 1 BvR 1574/17

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung des Beschwerdeführers in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten aufzeigt.

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1. Das gilt zunächst hinsichtlich der Rüge von Art. 3 Abs. 1 GG in Form des Willkürverbots.

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Ein Fachgericht verstößt nicht bereits dann gegen den Gleichheitssatz, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht; dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf (vgl. für viele BVerfGE 83, 82 <84>; stRspr).

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Soweit der Beschwerdeführer die vom Landessozialgericht herangezogenen Maßstäbe für die Prüfung des von ihm angebrachten Befangenheitsgesuchs als willkürlich kritisiert, ergibt sich eine unzureichende Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung schon daraus, dass er die vom Landessozialgericht formulierten Obersätze nur verkürzt zitiert und ihnen einen Gehalt zuschreibt, den diese nicht haben.

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Auch auf der Ebene der Subsumtion wird ein Verstoß der angegriffenen Ent-scheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht nachvollziehbar, wobei die Begründung der Verfassungsbeschwerde wiederholt die vermeintliche Willkürlichkeit der angegriffenen Entscheidung und die behauptete Willkür bei der Entscheidung über einen Terminsverlegungsantrag, den der Beschwerdeführer als zentralen Grund für das Befangenheitsgesuch angeführt hat, nicht auseinanderhält.

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Konkret hält er insbesondere die Ansicht des Landessozialgerichts für unvertretbar, er habe die höchstrichterliche Rechtsprechung und die gesetzlichen Vorgaben aus § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 227 Abs. 1 und Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) verkannt, weil, so gibt er das Landessozialgericht wieder, "die Rechtsprechung zum unbestimmten Rechtsbegriff des 'erheblichen Grundes' aus § 224 Abs. 2 ZPO 'nicht vergleichbare Fragen' zu demjenigen aus § 227 Abs. 1 ZPO behandle". Damit weiche das Landessozialgericht im Übrigen von "der unbestrittenen Meinung in Rechtsprechung und Literatur" ab.

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Auch insoweit ist die Verfassungsbeschwerde ungeachtet des Umstandes, dass die Abweichung von anderen Entscheidungen oder auch einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als solche nicht genügt, um einen Willkürvorwurf zu begründen, nicht ausreichend substantiiert. Zum einen gibt der Beschwerdeführer erneut die Ausführungen des Landessozialgerichts ungenau wieder. Zum anderen hätte er sich näher damit auseinandersetzen müssen, dass bei einem offenen Rechtsbegriff wie dem des erheblichen Grundes die der Entscheidung des Landessozialgerichts zugrunde liegende Auffassung zumindest gut vertretbar ist, dass die Gründe etwa für die erste Verlängerung einer Begründungsfrist weniger gewichtig sein müssen als für die Verlegung eines Verhandlungstermins, da die Auswirkungen auf das Gericht und die anderen Beteiligten deutlich unterschiedlich sind. Insofern steht gar nicht in Frage, dass das Gesetz in § 224 Abs. 2 ZPO und § 227 Abs. 1 ZPO die gleiche Begrifflichkeit verwendet, sondern es geht um die nähere Ausformulierung eines offenen Rechtsbegriffs im Hinblick auf unterschiedliche Stadien des Verfahrens und die dabei zu berücksichtigenden, durchaus differenziert zu betrachtenden Umstände. Wenn das Ausgangsgericht vor diesem Hintergrund in der in keiner Weise konkretisierten Behauptung eines anderen Termins keinen ausreichenden Grund für die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung gesehen hat, ist das wiederum zumindest gut vertretbar und auch vom Standpunkt des Betroffenen kein ausreichender Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit; umso weniger wird die angegriffene Entscheidung über das Befangenheitsgesuch dadurch willkürlich, dass das Landessozialgericht dies gerade so gesehen hat.

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Der Willkürvorwurf ist schließlich auch insoweit nicht hinreichend substantiiert, als der Beschwerdeführer ihn aus der Gestaltung des Verfahrens bei der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch herzuleiten sucht: Vom Inhalt der dienstlichen Äußerungen abgelehnter Richter ist den Beteiligten des Rechtsstreits Kenntnis zu geben; mehr ist entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 28 <36>) und der Literatur, auf die er sich beruft, nicht zu entnehmen. Namentlich ist aus dem damit verbundenen Zweck, der Wahrung rechtlichen Gehörs, keineswegs zwingend zu folgern, dass dies gerade durch die Übermittlung von Ausfertigungen der dienstlichen Äußerungen geschehen müsste; vielmehr ist ausreichend, dass der Betroffene genaue Kenntnis vom Inhalt der Äußerungen erhält. Es kann daher offenbleiben, ob der Willkürvorwurf überhaupt ein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Rüge einer Verfahrensgestaltung sein kann, bei der es um die Sicherung (oder Verletzung) des vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht gerügten Rechts auf rechtliches Gehör geht.

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Hinsichtlich der Frage, ob die abgegebenen dienstlichen Stellungnahmen inhaltlich ausreichend waren, scheitert der Willkürvorwurf schon daran, dass das Landessozialgericht sich in der angegriffenen Entscheidung mit diesem Gesichtspunkt auseinandergesetzt und eine weitere Aufklärung der tatsächlichen Umstände für entbehrlich erachtet hat. Umso weniger stellt sich die Abgabe einer eher formelhaften dienstlichen Äußerung unter diesen Umständen als ein die Besorgnis der Befangenheit begründendes Verhalten dar, so dass die Ablehnung des Befangenheitsantrags nicht deswegen als willkürlich anzusehen ist, weil dieser Gesichtspunkt bei der Entscheidung "missachtet" worden sei.

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2. Weiter ist ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren durch die Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs nicht hinreichend substantiiert dargetan. Der Beschwerdeführer leitet dies aus der Ablehnung des Vertagungsantrags her und geht davon aus, dass dies auf die angegriffene Entscheidung über das Befangenheitsgesuch durchschlage. Schon dieser mittelbare Wirkmechanismus wird aber nur behauptet. Überdies war die Ablehnung des Vertagungsantrags - wie oben dargelegt - zumindest gut vertretbar und überdies zwischenzeitlich überholt, nachdem der Termin zur mündlichen Verhandlung wegen des Ablehnungsgesuchs doch noch aufgehoben wurde.

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3. Schließlich macht der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) geltend. Diese soll sich daraus ergeben, dass aufgrund der gängigen Regelungen zur Geschäftsverteilung in der Sozialgerichtsbarkeit systematisch, aber auch im konkreten Fall Richter zur Entscheidung über die Hauptsache berufen sind, die nach Auffassung des Beschwerdeführers wegen einer Vorbefassung mit der Sache im Rahmen eines vorangegangenen Eilverfahrens als ausgeschlossen im Sinne von § 60 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 41 ZPO zu gelten hätten.

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Insoweit setzt sich der Beschwerdeführer aber weder mit der in diesem Kontext vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbesondere den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2001 - 1 BvR 730/01 -, juris) und dem dort entwickelten Maßstab, der sich auf eine Willkürkontrolle bei der Auslegung von § 41 ZPO beschränkt, noch mit der einfach-rechtlichen Lage ausreichend auseinander. Keiner der in § 41 ZPO (für die Sozialgerichtsbarkeit in Verbindung mit § 60 Abs. 1 SGG) aufgeführten Tatbestandsvarianten erfasst das Verhältnis von Hauptsache- und Eilverfahren. Da die Ausschlussregelungen als Ausnahmetatbestände gefasst sind (vgl. für die entsprechende Regelung in § 18 BVerfGG: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. April 2017 - 1 BvR 610/17 -, NJW 2017, S. 2098), spricht schon dies gegen eine analoge Anwendung. Im Übrigen erklärt das Gesetz wegen des Zwecks des Eilrechtsschutzes, den Rechtsschutz in der Hauptsache nicht aus zeitlichen Gründen ineffektiv werden zu lassen, und des daraus resultierenden prozessualen Zusammenhangs im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausdrücklich das Gericht der Hauptsache für zuständig (vgl. § 86b Abs. 1 SGG für die Anfechtungssachen und § 86b Abs. 2 SGG für die Vornahmesachen), was eine Entscheidung auch durch den gleichen Spruchkörper zumindest nahelegt. Dagegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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4. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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