Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 B 46/09
Gründe
- 1
-
Die auf die Grundsatz- (1.) und Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
- 2
-
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
- 3
-
Die Grundsatzrüge setzt nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Dass die durch die Beschwerde aufgeworfenen Fragen eine derartige Bedeutung haben, kann dem Beschwerdevorbringen nicht entnommen werden.
- 4
-
a) Das Verwaltungsgericht hat für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren im Sinne des § 80 Abs. 2 VwVfG und im Wesentlichen auch für die Erstattungsfähigkeit der Kosten von in Auftrag gegebenen Privatgutachten nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auf eine vom Standpunkt einer verständigen Partei in ihren persönlichen Verhältnissen aus vorzunehmende Würdigung der im jeweiligen Einzelfall gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse abgestellt und sich dabei auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats berufen. Daran anknüpfend hält der Kläger für grundsätzlich bedeutsam die Frage, "auf welche Merkmale es für die Ausfüllung der 'jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse' des Einzelfalls und der 'persönlichen Verhältnisse des Widerspruchsführers' ankommt", und ferner die Frage, "ob ein Widerspruchsführer auch dann in der Lage ist, das Verfahren zur Anfechtung eines Musterungsbescheides ohne sachkundige Hilfe Dritter - eines Anwaltes und/oder eines medizinischen Gutachters - alleine zu führen".
- 5
-
Diese Fragestellungen rechtfertigen nicht die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Denn die Beurteilungskriterien, die sich für das Merkmal der Notwendigkeit sowohl im Hinblick auf die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Sinne des § 80 Abs. 2 VwVfG als auch hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in verallgemeinerungsfähiger Weise aufstellen lassen, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt und bedürfen aus Anlass des zur Entscheidung stehenden Falles keiner Ergänzung oder Weiterentwicklung.
- 6
-
b) Danach ist gemäß § 80 Abs. 2 VwVfG bzw. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren - anders als die von Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO) - nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (Urteil vom 17. Dezember 2001 - BVerwG 6 C 19.01 - Buchholz 448.0 § 20b WPflG Nr. 3 S. 8; Beschlüsse vom 14. Januar 1999 - BVerwG 6 B 118.98 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 42 S. 1, vom 21. August 2003 - BVerwG 6 B 26.03 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 51 S. 23 f., vom 25. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 39.06 - juris Rn. 4, vom 1. Februar 2007 - BVerwG 6 B 85.06 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 52 S. 1 und vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 14.09 - juris Rn. 5). Die Besonderheiten des Musterungsverfahrens gebieten keine andere Betrachtungsweise. Denn bei der in diesem Verfahren zu treffenden Feststellung, ob der Wehrpflichtige in gesundheitlicher Hinsicht den Anforderungen des Grundwehrdienstes zu entsprechen vermag, handelt es sich ungeachtet aller im Detail schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Abgrenzungskriterien nicht um eine Fragestellung von schon im Ansatz besonderem Schwierigkeitsgrad (Beschluss vom 14. Januar 1999 a.a.O. S. 2 f.).
- 7
-
Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe bei seiner Beurteilung, ob im konkreten Fall die Hinzuziehung des Bevollmächtigten des Klägers notwendig war, angewandt. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, inwieweit ein Revisionsverfahren zu einer weitergehenden Klärung der allgemeinen Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren beitragen könnte. Soweit sich die Beschwerde auf den zu § 109a Abs. 1 OWiG ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1994 - 2 BvR 1883/93 - (NJW 1994, 1855 <1856>) und im Zusammenhang damit auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung des gesetzlichen Zwecks der jeweiligen Kostennorm beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass die insoweit angesprochenen Kriterien im Rahmen der dargestellten Maßstäbe für eine Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten nach § 80 Abs. 2 VwVfG Berücksichtigung finden können (vgl. Beschluss vom 14. Januar 1999 - BVerwG 6 B 118.98 - juris Rn. 16, insoweit in Buchholz a.a.O. nicht abgedruckt). Die konkrete Anwendung dieser Maßgaben ist eine Frage der Rechtsfindung im Einzelfall und entzieht sich der grundsätzlichen Klärung.
- 8
-
c) Wie sich aus der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter ergibt, können zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und deshalb erstattungsfähig auch die Kosten eines in Auftrag gegebenen Privatgutachtens sein, wenn dessen Einholung zur Vorbereitung des Verfahrens oder zur Erlangung der erforderlichen Sachkunde geboten war. Die Frage, ob die Einholung eines ärztlichen Privatgutachtens in diesem Sinne notwendig ist, hängt wiederum von den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und entzieht sich - generell und so auch im Musterungsverfahren - einer rechtsgrundsätzlichen Beantwortung (vgl. Beschlüsse vom 15. März 1994 - BVerwG 8 B 207.93 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 35, vom 3. April 1996 - BVerwG 8 B 158.95 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 37 und vom 14. Januar 1999 a.a.O. S. 3). Ein Revisionsverfahren könnte auch insoweit zu keiner weiteren allgemeinen Klärung führen.
- 9
-
2. Schließlich bleiben auch die mit der Beschwerde geltend gemachten beiden Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ohne Erfolg (a) und b)).
- 10
-
a) Die Beschwerde rügt zu Unrecht, das angefochtene Urteil sei nicht in sich nachvollziehbar und widerspruchsfrei begründet.
- 11
-
Die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt, dass in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden, die das Gericht bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat. Dies setzt voraus, dass das Gericht zum einen seinen rechtlichen Prüfungsmaßstab offenlegt und zum anderen in tatsächlicher Hinsicht angibt, von welchem Sachverhalt es ausgeht und - sofern es den Tatsachenbehauptungen eines Beteiligten widerspricht - warum es dessen Vortrag nicht folgt und auf Grund welcher Erkenntnisse es eine ihm ungünstige Tatsachenlage als erwiesen ansieht. Aus den Entscheidungsgründen muss sowohl für die Beteiligten als auch für das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts das Gericht dem Vortrag eines Beteiligten, jedenfalls soweit es sich um einen zentralen Punkt seiner Rechtsverfolgung handelt, nicht folgt. Die Begründungspflicht ist immer dann verletzt, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonstwie unbrauchbar sind (vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2006 - BVerwG 9 B 6.06 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 S. 8, vom 30. Juni 2009 - BVerwG 9 B 23.09 - juris Rn. 3 und vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 5 B 51.09 - juris Rn. 24). Ausgehend hiervon lässt das Beschwerdevorbringen eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erkennen.
- 12
-
Der zunächst als wehrdienstfähig gemusterte Kläger wurde wegen einer im Widerspruchsverfahren, in dem er sich von seinem Prozessbevollmächtigten vertreten ließ und mehrere fachärztliche Privatgutachten in Auftrag gab, erstmals vorgetragenen Wespengiftallergie als nicht wehrdienstfähig eingestuft. Das Verwaltungsgericht hat hierzu den Standpunkt eingenommen, dass der Kläger auch ohne rechtlichen Beistand und ohne Einholung von ärztlichen Privatgutachten in der Lage gewesen wäre, gegenüber der Musterungsbehörde vorzubringen, dass sich bei ihm als Kind nach einem Insektenstich ausgeprägte anhaltende Schwellungen entwickelt hätten, wie er es im Rahmen der von ihm privat veranlassten fachärztlichen Untersuchung als Vorgeschichte angegeben habe. Es sei nicht erkennbar, dass dann auf Grund einer behördlichen Nachuntersuchung nicht ebenfalls seine Wehrdienstuntauglichkeit festgestellt worden wäre.
- 13
-
Die Beschwerde geht fehl, wenn sie die Begründung des erstinstanzlichen Urteils sowohl für die Konstellation, dass das Verwaltungsgericht angenommen habe, der Kläger habe die bei ihm aufgetretenen Schwellungen nach einem Insektenstich nicht als Ausdruck einer Allergie erkennen können und auch tatsächlich nicht erkannt, als auch für den Fall der gegenteiligen Einschätzung des Gerichts für widersprüchlich hält. Denn das Verwaltungsgericht hat sich weder auf den einen noch auf den anderen Standpunkt gestellt, sondern die Frage, ob der Kläger die ihm bekannten Symptome als Allergie habe deuten können, als unerheblich erachtet. Es hat allein darauf abgestellt, ob der Kläger die Symptome als solche hätte vortragen können.
- 14
-
Soweit die Beschwerde weitergehend geltend machen will, das Verwaltungsgericht habe angenommen, der Kläger habe bereits die rechtliche Relevanz seiner gesundheitlichen Probleme infolge von Insektenstichen für den Ausgang des Musterungsverfahrens nicht erkennen können, trifft auch dies nicht zu. Für unerheblich hat das Verwaltungsgericht insoweit lediglich den Umstand gehalten, ob der Kläger die mögliche Relevanz seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten erst durch den Rat seines Prozessbevollmächtigten tatsächlich erkannt habe. Es hat sich aber nicht auf den Standpunkt gestellt, dass der Kläger nach seinen persönlichen Verhältnissen diese Relevanz nicht selbst habe erkennen können. Im Gegenteil ist das Gericht bei seiner Einschätzung, es komme nur darauf an, dass der Kläger die ihm bekannte Vorgeschichte aus seiner Kindheit sowohl ohne rechtlichen Beistand als auch ohne Einschaltung eines Privatgutachters habe vortragen können, ersichtlich von der Annahme ausgegangen, dass ein Wehrpflichtiger im Allgemeinen selbst um seine gesundheitlichen Leiden weiß und ihm bewusst sein muss, dass es im Musterungsverfahren um die Feststellung geht, ob er den Anforderungen des Grundwehrdienstes in gesundheitlicher Hinsicht gewachsen ist (vgl. dazu allgemein: Beschluss vom 14. Januar 1999 a.a.O. S. 3; Urteil vom 17. Dezember 2001 a.a.O. S. 11).
- 15
-
b) Auch mit seiner Rüge, das Verwaltungsgericht habe seine sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebende Aufklärungspflicht verletzt, kann der Kläger nicht durchdringen.
- 16
-
Der Umfang, in dem das Tatsachengericht den Sachverhalt aufzuklären hat, richtet sich nach seiner eigenen materiellrechtlichen Rechtsauffassung, die auf die Verfahrensrüge hin nicht zu überprüfen ist. Die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist deshalb nur begründet, wenn die Vorinstanz einen Sachverhalt nicht aufgeklärt hat, auf den es von seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung aus entscheidungserheblich ankam (Urteil vom 24. Oktober 1984 - BVerwG 6 C 49.84 - BVerwGE 70, 216 <221 f.> insoweit in Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 4 nicht abgedruckt; Beschluss vom 18. Dezember 2008 - BVerwG 6 B 70.08 - juris Rn. 10). Vor diesem Hintergrund liegt entgegen dem Vorbringen der Beschwerde eine Verletzung der Aufklärungspflicht nicht darin, dass das Verwaltungsgericht von einer Beweiserhebung über die Behauptung des Klägers, dass "1. Personen mit allergischer Veranlagung gegebenenfalls die Symptome einer Insektengiftallergie unterhalb der Schwelle zum anaphylaktischen Schock regelmäßig oder mindestens ganz überwiegend nicht als Ausdruck einer Allergie erkennen und nicht erkennen können, und 2. auch der Kläger diese nicht als solche erkannt hat", abgesehen hat. Denn nach der materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kam es - wie bereits dargelegt - für die Fragen der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Sinne des § 80 Abs. 2 VwVfG und der Notwendigkeit der Aufwendungen für die Einholung ärztlicher Privatgutachten im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht darauf an, ob der Kläger sein Gesundheitsleiden als Allergie erkennen konnte und erkannt hat, sondern darauf, ob er von sich aus dessen Symptome im Musterungsverfahren hätte geltend machen können.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 86 1x
- 2 BvR 1883/93 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 132 2x
- § 14 KDVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 80 Erstattung von Kosten im Vorverfahren 14x
- § 109a Abs. 1 OWiG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 2x
- VwGO § 108 3x
- VwGO § 133 1x
- § 20b WPflG 1x (nicht zugeordnet)