Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 B 51/10

Gründe

I.

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Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Abstellraums in einen Schlafraum. Das Oberverwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage bestätigt: Zwar halte das Garagengebäude, in dem sich der streitgegenständliche Raum befinde, nicht den Mindestabstand zur Grenze des Grundstücks der Kläger ein. Die Kläger könnten sich auf diesen Verstoß gegen § 6 BauO NRW jedoch nicht berufen, weil die Voreigentümerin sich mit der Wohnnutzung ausdrücklich einverstanden erklärt und damit auf ihr Abwehrrecht verzichtet habe (UA S. 10). Die Vereinbarung zwischen der Voreigentümerin und der Beigeladenen führe dazu, dass die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte gegen Treu und Glauben verstoße. Diese Rechtsfolge treffe auch den Rechtsnachfolger. Eines Zugangs der Vereinbarung bei der Baugenehmigungsbehörde bedürfe es nicht, denn diese sei nicht zwingend Adressat der die Geltendmachung materieller Abwehrpositionen ausschließenden Willenserklärung (UA S. 15).

II.

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Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die von den Klägern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

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Die Kläger möchten in einem Revisionsverfahren geklärt wissen,

ob die Vereinbarung zwischen einem Grundstückseigentümer und dem Eigentümer des Nachbargrundstücks, in der letzterer sich mit einem gegen nachbarschützendes Recht verstoßenden Bauwerk auf dem Grundstück des Grundstückseigentümers einverstanden erklärt und damit auf sein Abwehrrecht verzichtet hat, auch den Rechtsnachfolger im Eigentum des Nachbargrundstücks in der Weise bindet, dass dieser - ohne dass die Einverständnis- und Verzichtserklärung der zuständigen Bauaufsichtsbehörde zugegangen wäre - nach Treu und Glauben kein Abwehrrecht gegen die nachbarrechtswidrige Bebauung geltend machen kann (S. 19 der Beschwerdebegründung) und

ob der Verzicht auf öffentlich-rechtliche Abwehrrechte aus nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts zu seiner Wirksamkeit des Zugangs bei der Bauaufsichtsbehörde bedarf (S. 26 der Beschwerdebegründung).

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Diese Fragen könnten, soweit sie entscheidungserheblich wären, in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden; insoweit handelt es sich nicht um Fragen des revisiblen Rechts. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts verstößt die Baugenehmigung, deren Aufhebung die Kläger begehren, allein gegen die Abstandsvorschrift des § 6 BauO NRW. Ob ein Nachbar die Aufhebung einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift erteilten Baugenehmigung verlangen kann, ergibt sich aus dem nicht revisiblen Landesrecht. Das gilt auch für die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Berufung auf § 6 BauO NRW gegen Treu und Glauben verstößt, weil ein Voreigentümer des Nachbarn in einer Vereinbarung mit dem Bauherrn auf seine Rechte verzichtet hat. Verwaltungsrechtliche Grundsätze - wie der hier in Rede stehende Grundsatz von Treu und Glauben - gehören nicht schon deshalb dem revisiblen Recht an, weil ihnen in der Rechtsordnung allgemeine Geltung zukommt. Sie teilen vielmehr den Rechtscharakter des Rechts, das sie ergänzen (Beschlüsse vom 19. September 2000 - BVerwG 4 B 65.00 - BRS 63 Nr. 131 - juris Rn. 3 und vom 12. März 2008 - BVerwG 4 B 21.08 - BRS 73 Nr. 185 Rn. 3).

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2. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.

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2.1 Die Kläger rügen zunächst einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO. Das Oberverwaltungsgericht habe seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen; es habe sich den sich aufdrängenden Zweifeln an dem Wahrheitsgehalt der Behauptungen der Beigeladenen und der entsprechenden Zeugenaussage der Voreigentümerin verschlossen (S. 4 der Beschwerdebegründung).

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Mit den im Einzelnen dargelegten Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts (S. 4 bis 13 der Beschwerdebegründung) wird ein Verfahrensmangel nicht bezeichnet. Die Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich regelmäßig dem sachlichen Recht zuzuordnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO daher grundsätzlich - und so auch hier - nicht begründet werden (stRspr, vgl. Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 - juris Rn. 10). Dass die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts "aktenwidrig" seien (S. 12 der Beschwerdebegründung), ist nicht schlüssig vorgetragen (zu den Anforderungen insoweit vgl. Beschluss vom 18. September 2008 - BVerwG 4 BN 21.08 - juris Rn. 11).

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2.2 Den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) sehen die Kläger durch die Ablehnung ihrer in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge Nr. 2, 3 und 5 verletzt.

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2.2.1 Den Antrag Nr. 2, durch Einholung eines graphologischen Gutachtens Beweis darüber zu erheben, dass das Datum "Essen, den 25.01.1995" auf der als Kopie vorliegenden Einverständniserklärung der Frau K. nicht zur gleichen Zeit in die Urkunde eingesetzt worden ist, wie die Aussage "Nachtrag: Auch einverstanden mit den Räumen unter der Garage als Wohnräume", hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, weil das mutmaßliche Beweisergebnis nicht entscheidungserheblich sei. Dieses könne sich nicht zugunsten der Kläger auswirken, da die Wirksamkeit der Einverständniserklärung der Voreigentümerin nicht von der Dokumentation des Datums abhänge, an dem sie ihr Einverständnis erklärt habe. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn die Einverständniserklärung zu einem Zeitpunkt abgegeben worden wäre, in dem Frau K. schon nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks gewesen sei. Dafür gebe es jedoch ebenso wenig Anhaltspunkte wie für die Annahme, die Einverständniserklärung stamme nicht von ihr. Soweit die Kläger dies gleichwohl behaupteten, fehle es an einem ihre Behauptungen stützenden Tatsachenvortrag.

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Die Kläger machen geltend, dass das Oberverwaltungsgericht mit diesen Ausführungen die Darlegungs- und Beweislast verkannt und die Substantiierungspflichten überspannt habe (S. 14 der Beschwerdebegründung).

12

Dieser Vorwurf ist nicht berechtigt. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht den Klägern die Darlegungs- und Beweislast für den Zeitpunkt der Erklärung der Voreigentümerin auferlegt. Die Überzeugung, dass die Voreigentümerin sich vor Veräußerung ihres Grundstücks mit der Nutzungsänderung einverstanden erklärt hat, hat es vielmehr auf der Grundlage des erhobenen Beweises, nämlich der Zeugenaussage der Voreigentümerin, gewonnen. Nur vor diesem Hintergrund hat es die Dokumentation des Datums der Erklärung nicht als entscheidungserheblich angesehen und für die Behauptung der Kläger, die Zeugin sei im Zeitpunkt ihrer Einverständniserklärung schon nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks gewesen, einen substantiierten Tatsachenvortrag verlangt. Eine Überspannung der Substantiierungsanforderungen liegt darin nicht.

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2.2.2 Die Anträge, durch erneute Vernehmung der Frau K. als Zeugin Beweis darüber zu erheben, dass Frau K. die auf den 25. Januar 1995 datierte Unterschrift nicht geleistet habe, bevor die Kläger Eigentümer des Grundstücks geworden seien (Beweisantrag Nr. 3), und die Zeugenvernehmung der Frau K. zu wiederholen, damit sich das Gericht ein eigenes Bild von ihrer Verlässlichkeit als Zeugin mache (Beweisantrag Nr. 5), hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, weil sie unsubstantiiert und als Ausforschungsbeweisanträge unzulässig seien (UA S. 13).

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Beweisanträge unsubstantiiert und als Ausforschungsbegehren unzulässig, wenn sie dazu dienen sollen, Behauptungen und Vermutungen zu stützen, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben werden; einem Prozessbevollmächtigten ist es verwehrt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, deren Wahrheitsgehalt nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben könnte (Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 4 BN 6.07 - BRS 71 Nr. 49 Rn. 10 m.w.N.).

15

Gemessen hieran war die Ablehnung der Beweisanträge gerechtfertigt. Da die Zeugin im Rahmen der Beweisaufnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht unmissverständlich erklärt hatte, dass sie ihre Zustimmung zur Nutzungsänderung zu einem Zeitpunkt abgegeben hatte, als ihr Haus noch nicht verkauft war, und das Oberverwaltungsgericht ebenso wenig wie die Vorinstanz Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit hatte, war eine tatsächliche Grundlage für die Behauptung der Kläger, die Zeugin habe die Unterschrift nicht geleistet, bevor die Kläger Eigentümer des Grundstücks geworden seien, nicht erkennbar.

16

Die Ablehnung des Beweisantrags Nr. 5 verletzt auch nicht - wie die Kläger meinen - den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gemäß § 96 Abs. 1 VwGO. Ein bereits in erster Instanz gehörter Zeuge ist nicht stets in der Berufungsinstanz erneut zu vernehmen. Vielmehr darf das Berufungsgericht sein Urteil grundsätzlich ohne erneute Vernehmung auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stützen. Das folgt aus § 98 VwGO i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO, wonach die erneute Zeugenvernehmung in seinem Ermessen steht (Beschluss vom 11. November 1991 - BVerwG 7 B 123.91 - juris Rn. 3). Die Beschwerde legt keine Gründe dar, aus denen sich ergäbe, dass die im Protokoll des Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 2008 festgehaltenen Aussagen der Zeugin im Berufungsverfahren ausnahmsweise nicht verwertbar waren. Ob das Berufungsgericht - wie die Kläger meinen - die Glaubwürdigkeit eines Zeugen nur dann ohne nochmalige Vernehmung bejahen oder verneinen darf, wenn diese Beurteilung in gleichartigen Erwägungen der Vorinstanz eine Stütze findet (S. 17 der Beschwerdebegründung), kann dahingestellt bleiben. Denn auch diese Voraussetzung ist erfüllt. Bereits das Verwaltungsgericht war auf der Grundlage der Aussage der Zeugin zu der Überzeugung gelangt, sie habe der Nutzungsänderung zugestimmt und zwar zu einem Zeitpunkt, als das Grundstück noch nicht an die Kläger verkauft war (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 11. September 2008 - UA S. 7). Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin hatte mithin auch das Verwaltungsgericht nicht.

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