Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 B 4/15

Gründe

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Auf die Beschwerde des Klägers ist der Rechtsstreit nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung der Berufungsentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Die Berufungsentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO entschieden hat.

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1. Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen verspäteter Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Er war 2010 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Justizvollzugsobersekretärsanwärter ernannt worden. Im Rahmen der nachfolgenden Sicherheitsüberprüfung stellte sich heraus, dass der Kläger bei seiner Bewerbung ein nach § 153a StPO eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung, der Bedrohung und des Verstoßes gegen das Waffengesetz verschwiegen hatte. Der Beklagte teilte ihm daraufhin mit, dass wegen der wahrheitswidrigen Angaben und der dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Straftat eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe nicht erfolgen werde. Nachdem der Kläger die Laufbahnprüfung für den allgemeinen Vollzugsdienst bestanden hatte, erhob er eine auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe gerichtete Klage.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Einzelrichterentscheidung (§ 6 Abs. 1 VwGO) abgewiesen. Nach Zustellung des Urteils ist der Einzelrichter auf Antrag des Klägers für befangen erklärt worden, weil er einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte abgelehnt und dabei nicht offengelegt hatte, dass die Akte dem Gericht tatsächlich vorgelegen hatte. Der Kläger ist anschließend unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Justizvollzugsobersekretär ernannt worden und hat im Berufungsverfahren Schadensersatz wegen verspäteter Beförderung beansprucht. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung durch Beschluss nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen.

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2. Der mit der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt vor, weil die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO nicht gegeben waren. Die Berufungsentscheidung verstößt damit gegen das Gebot, über die Berufung aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 VwGO) und verletzt zugleich den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 24 m.w.N.).

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a) Der Anwendungsbereich des § 130a VwGO ist auf einfach gelagerte Streitsachen beschränkt, die einer erneuten mündlichen Erörterung nicht bedürfen (BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2012 - 2 B 32.12 - juris Rn. 5). Auch wenn § 130a VwGO keine ausdrücklichen Einschränkungen enthält, hat das Berufungsgericht bei seiner Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass sich die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der Ausgestaltung des Prozessrechts als gesetzlicher Regelfall und Kernstück auch des Berufungsverfahrens erweist (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 VwGO). Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis liegt die Vorstellung zugrunde, dass die gerichtliche Entscheidung grundsätzlich das Ergebnis eines diskursiven Prozesses zwischen Gericht und Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung sein soll. Davon geht auch § 104 Abs. 1 VwGO aus, der dem Vorsitzenden des Gerichts die Pflicht auferlegt, in der mündlichen Verhandlung die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu erörtern. Das Rechtsgespräch erfüllt zudem den Zweck, die Ergebnisrichtigkeit der gerichtlichen Entscheidung zu fördern (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 23). Dies gilt umso mehr, je größer die tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Streitsache sind. Mit dem Grad der Schwierigkeiten wächst das Gewicht der Gründe, die gegen eine Anwendung des § 130a VwGO sprechen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211; Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - IÖD 2012, 20 Rn. 6 und vom 3. Dezember 2012 - 2 B 32.12 - juris Rn. 5).

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Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK, der aus dieser Verfahrensgarantie im Einzelfall die Notwendigkeit herleitet, auch in der zweiten Instanz mündlich zu verhandeln. Der Gerichtshof stellt bei Verfahrensordnungen, in denen im Berufungsrechtszug auch Tatfragen zu entscheiden sind, darauf ab, ob im konkreten Fall zentrale strittige Tatfragen zur Entscheidung anstehen und ob für die tatsächliche Feststellung die Entscheidungsfindung allein aufgrund der Aktenlage sachgerecht möglich ist (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 29. Oktober 1991 - Nr. 22/1990/213/275 „Helmers“ - NJW 1992, 1813 <1814> m.w.N.). Diese Anforderungen sind bei konventionskonformer Anwendung im Rahmen der Ermessensausübung nach § 130a VwGO vom Berufungsgericht zu berücksichtigten und gestatten es in diesen Fällen nicht, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen (BVerwG, Beschlüsse vom 12. März 1999 - 4 B 112.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 35 S. 6 ff. und vom 3. Dezember 2012 - 2 B 32.12 - juris Rn. 5). Das gilt auch in der vorliegenden Streitigkeit aus dem Beamtenverhältnis. Die Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gelten auch für Beamte, sofern ihnen nach innerstaatlichem Recht die Möglichkeit eingeräumt ist, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen (EGMR, Urteil vom 19. April 2007 - Nr. 63235/00 „Eskelinen“ - Rn. 62; hierzu auch bereits BVerwG, Beschlüsse vom 3. Dezember 2012 - 2 B 32.12 - juris Rn. 6 und vom 6. Juni 2014 - 2 BN 1.13 - DokBer 2015, 15 Rn. 5 zu § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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b) Ein Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 130a VwGO kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn bereits der Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht fehlerbehaftet und deshalb nicht geeignet war, dem Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs Genüge zu tun.

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Hat das Verwaltungsgericht in verfahrensfehlerhafter Weise von einer mündlichen Verhandlung ganz abgesehen (BVerwG, Beschluss vom 22. November 1984 - 9 CB 171.83 - Buchholz 312 EntlG Nr. 40 S. 29) oder einen Termin ohne Beteiligung des nicht ordnungsgemäß geladenen Klägers durchgeführt (BVerwG, Beschluss vom 8. April 1998 - 8 B 218.97 - Buchholz 340 § 15 VwZG Nr. 4 S. 4 f.), ist der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in wenigstens einer mündlichen Verhandlung noch nicht erfüllt. Für eine Entscheidung im Beschlusswege nach § 130a VwGO ist daher kein Raum. Entsprechendes gilt, wenn - wie hier - zwar eine mündliche Verhandlung unter Beteiligung des Klägers stattgefunden hat, diese jedoch den Anforderungen an den gesetzlichen Richter nicht entsprach. Auch in dieser Konstellation ist dem Kläger noch keine Möglichkeit eingeräumt worden, seine Sicht der Dinge vor dem für die Entscheidung seines Rechtsstreits zuständigen Spruchkörper vorzutragen und damit Einfluss auf die Gerichtsentscheidung zu nehmen.

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Zwar ist der Beschluss über die Befangenheit des Einzelrichters hier erst nach Durchführung der mündlichen Verhandlung ergangen, sodass der Termin selbst formal noch nicht von einem unzuständigen Gericht abgehalten worden ist. Angesichts des Umstands, dass der Grund für die angenommene Befangenheit des Einzelrichters aber (maßgeblich) in seinem Verhalten im Termin zur mündlichen Verhandlung gesehen wurde und liegt, kann diese Verhandlung vor einem tatsächlich schon im Verhandlungstermin als befangen zu betrachtenden Richter den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht sicherstellen. Das Oberverwaltungsgericht hätte dem Kläger daher - wie von ihm mehrfach, ausdrücklich und unter Hinweis auf sein noch nicht erfülltes rechtliches Gehör beantragt - jedenfalls im Berufungsverfahren Gelegenheit geben müssen, seine Erwägungen in einer mündlichen Verhandlung vor dem zur Entscheidung berufenen Spruchkörper darzutun.

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Anlass zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte hier überdies deshalb bestanden, weil das Oberverwaltungsgericht in seinen Hilfserwägungen zur Unbegründetheit des Schadensersatzbegehrens das Vorbringen des Klägers als unglaubhaft bewertet hat. Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Beteiligten/Zeugen oder an der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen setzen aber regelmäßig voraus, dass sich das Gericht einen unmittelbaren persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. März 2013 - 2 B 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 11 m.w.N.).

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c) Auf diesem Fehler kann die angegriffene Entscheidung auch beruhen, ohne dass es darauf ankommt, was der Kläger im Verhandlungstermin noch hätte vortragen wollen und ob dies erheblich gewesen wäre (sog. "absoluter Revisionsgrund", vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1999 - 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203 <215>). Die Sache ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

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3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat die Beschwerde dagegen nicht aufgezeigt.

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Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, sondern ergibt sich aus dem Gesetz und der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass über eine Berufung nicht im Beschlusswege nach § 130a VwGO entschieden werden kann, wenn die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vor einem bereits in diesem Termin als befangen zu betrachtenden Richter stattgefunden hat. Dies ist im Rahmen der Verfahrensrüge bereits ausgeführt worden.

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Die weiter bezeichnete Frage, ob die Umstellung einer in der Hauptsache erledigten Klage auf ein Schadensersatzverlangen nur und ausnahmslos dann sachdienlich im Sinne von 91 Abs. 1 VwGO ist, wenn ein entsprechendes Verlangen zuvor außerprozessual geltend gemacht wurde, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen und ist daher nicht entscheidungserheblich. Selbst bei Annahme einer zulässigen Klageänderung fehlt es jedenfalls an einer vorgerichtlichen Befassung des Dienstherrn mit dem Schadensersatzbegehren des Klägers (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juni 2001 - 2 C 48.00 - BVerwGE 114, 350 <354 f.> und vom 30. Oktober 2013 - 2 C 23.12 - BVerwGE 148, 217 Rn. 20). Die Klage bleibt daher - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - in jedem Falle unzulässig.

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Entsprechendes gilt für die weiter aufgeworfene Frage, ob ein einmaliges Fehlverhalten eines Beamten auf Widerruf, das zu Beginn des Beamtenverhältnisses lag und dem Dienstherrn bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt war, noch die fehlende charakterliche Eignung begründen kann, um den Beamten nach Bestehen der Laufbahnprüfung aus dem Dienst zu entlassen. Abgesehen davon, dass es vorliegend nicht um die Entlassung aus einem bestehenden Beamtenverhältnis, sondern um die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe geht, war dem Dienstherrn wegen der wahrheitswidrigen Angabe des Klägers das gegen ihn geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei der Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf sowie die Tatsache seiner Falschangabe hierzu gerade nicht bekannt.

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4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, weil für eine erfolgreiche Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision Gerichtsgebühren nicht anfallen (vgl. § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5500 ff. des Kostenverzeichnisses Anlage 1 zum GKG).

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