Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 B 6/16

Gründe

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Die Klägerin vergibt sogenannte Mikro-Darlehen an Privatpersonen. Auf ihre Anfrage hatte die Beklagte ihr mit Schreiben vom 23. September 2011 bestätigt, dass sie keiner Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz - KWG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. September 1998 (BGBl. I S. 2776), zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2029) bedürfe, soweit sie ausschließlich Darlehen mit qualifizierter Nachrangabrede begebe. Nach einer entsprechenden Erklärung der Klägerin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 27. Oktober 2011 mit, sie schließe den Vorgang ab, da die Klägerin kein erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft ausüben wolle. In der Folgezeit änderte die Beklagte ihre Auffassung. Mit Schreiben vom 9. November 2012 äußerte sie gegenüber der Klägerin, das Geschäft sei erlaubnispflichtig und bei dem Schreiben vom 23. September 2011 habe es sich weder um eine Entscheidung nach § 4 KWG noch um einen Verwaltungsakt gehandelt. Die unter anderem auf die Feststellung gerichtete Klage, dass ein wirksamer Verwaltungsakt über die Erlaubnisfreiheit der Vergabe von Nachrangdarlehen an Privatpersonen vorliegt, blieb erfolglos. Nach Auffassung der Vorinstanz ist das Schreiben vom 27. Oktober 2011 zwar als verbindliche Feststellung der Erlaubnisfreiheit der Geschäfte der Klägerin zu werten. Dieser Verwaltungsakt sei jedoch angesichts der im Schreiben vom 9. November 2012 enthaltenen gegenteiligen Feststellung der Erlaubnispflicht dieser Geschäfte konkludent zurückgenommen worden.

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Die Beschwerde hat weder mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) noch mit der Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) Erfolg.

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1. Der Beschwerdebegründung sind keine Verfahrensmängel zu entnehmen, auf denen das angegriffene Urteil beruhen kann.

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Die Beschwerde rügt als verfahrensfehlerhaft, der Verwaltungsgerichtshof sei zu Unrecht von der Bestandskraft des seiner Ansicht nach vorliegenden Rücknahmebescheides vom 9. November 2012 ausgegangen, weil er die am 28. März 2013 erhobene Klage unzutreffend nicht als Widerspruch oder Klage gegen diesen Bescheid gewertet habe (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2012 - 9 B 7.12 - DÖD 2012, 190 zu einer gegen § 88 VwGO verstoßenden Auslegung des Klagebegehrens). Diese Rüge genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Ausweislich des Tatbestandes des angegriffenen Urteils hat die Klägerin am 28. März 2013 (unter anderem) beantragt festzustellen, dass die Vergabe von Nachrangdarlehen an Privatpersonen keine erlaubnispflichtige Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG darstellt. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt an, dass es der Klägerin um die Klärung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage geht, ob die Erlaubnispflicht der von ihr beabsichtigten Geschäftstätigkeit bereits durch Verwaltungsakt verbindlich verneint wurde; daher sei die Feststellungsklage mit § 43 Abs. 2 VwGO vereinbar. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass diese Annahme nach den erkennbaren Umständen nicht dem tatsächlichen Rechtsschutzbegehren der Klägerin entsprochen hätte und der Feststellungsantrag als Antrag auf Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 9. November 2012 hätte gedeutet werden müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2012 - 9 B 7.12 - DÖD 2012, 190 zu § 88 VwGO). Eine Umdeutung der beim Verwaltungsgericht eingereichten Feststellungsklage in einen Widerspruch gegen diesen Rücknahmebescheid wäre ohnehin nicht in Betracht gekommen.

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Auch die weiteren Verfahrensrügen können nicht durchdringen. Soweit die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof sei "unzutreffend" von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom 27. Oktober 2011 ausgegangen und habe den Ablauf der Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG "rechtsfehlerhaft" bestimmt, macht sie keinen Verfahrensmangel geltend, sondern lediglich eine abweichende materiell-rechtliche Rechtsauffassung. Das Verwaltungsverfahrensrecht zählt nicht zum Prozessrecht, sondern zum materiellen revisiblen Recht. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof mit Blick auf die von ihm angenommene bestandskräftige Rücknahme des Bescheides vom 27. Oktober 2011 keine Aussage zu dessen Rechtmäßigkeit und damit zu der Frage getroffen, ob die Beklagte zunächst zu Recht von einer fehlenden Erlaubnispflicht der von der Klägerin beabsichtigten Geschäftstätigkeit ausgegangen ist.

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Der Beschwerde kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe das Schreiben der Beklagten vom 9. November 2012 verfahrensfehlerhaft als verbindlichen, auf die Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 27. Oktober 2011 gerichteten Bescheid ausgelegt, obwohl dieser Verwaltungsakt im Schreiben vom 9. November 2012 nicht einmal erwähnt werde. Die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nur dann verfahrensfehlerhaft (Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 2 VwGO), wenn sie entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht, von aktenwidrigen Tatsachen ausgeht, gegen Denkgesetze verstößt oder sonst von objektiver Willkür geprägt ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 17. Mai 2011 - 8 B 88.10 - juris Rn. 8 und vom 15. September 2014 - 8 B 18.14 - juris Rn. 7). Solche Mängel sind weder hinreichend dargetan noch sonst erkennbar. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs liegt in der mit Schreiben vom 9. November 2012 getroffenen Feststellung der Erlaubnispflicht der Geschäfte der Klägerin zugleich konkludent die Aufhebung der gegenteiligen Feststellung der Erlaubnisfreiheit mit Bescheid vom 27. Oktober 2011. Eine solche Schlussfolgerung ist weder denklogisch ausgeschlossen noch objektiv willkürlich. Der Verwaltungsgerichtshof verweist vielmehr zutreffend darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einem objektiven Widerspruch der Regelungsgehalte regelmäßig von der konkludenten Aufhebung der früheren Regelung auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2010 - 3 C 23.09 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 25 Rn. 17 m.w.N.). Soweit die Beschwerde annimmt, dem Schreiben vom 9. November 2012 könne keine verbindliche Feststellung der Erlaubnispflicht der Geschäfte der Klägerin entnommen werden, setzt sie der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichtshofs lediglich ihre abweichende Einschätzung entgegen, ohne einen Verfahrensmangel im oben genannten Sinne aufzuzeigen.

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2. Auch die Grundsatzrügen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

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Das gilt einmal hinsichtlich der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage:

"Kann eine Behörde einen Verwaltungsakt zurücknehmen, obwohl sie davon ausging, diesen Verwaltungsakt niemals erlassen zu haben und sie demzufolge den aus ihrer Sicht niemals erlassenen Verwaltungsakt gar nicht zurücknehmen will?".

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Die Beschwerde legt bereits nicht hinreichend dar, inwiefern sich diese Frage fallübergreifend beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 S. 14). Sie zeigt auch nicht in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs auf, welcher Klärungsbedarf mit der Frage bezeichnet wird. Ein solcher Klärungsbedarf ist außerdem auch nicht erkennbar. Die Anforderungen an die Auslegung öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen, zu denen auch Verwaltungsakte zählen, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt; auf diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in dem angegriffenen Urteil zutreffend Bezug genommen. Danach sind solche Erklärungen in entsprechender Anwendung des § 133 BGB nach ihrem objektiven Erklärungswert unter Berücksichtigung der Begleitumstände auszulegen; abzustellen ist auf den erklärten Willen, wie ihn der Adressat von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung verstehen konnte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 C 23.13 - Buchholz 451.505 Einzelne Stützungsregelungen Nr. 7 Rn. 18). Ausgehend davon kann auch die aufgeworfene Frage ohne Weiteres für den Fall bejaht werden, dass der subjektive Erklärungswille der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde nicht mit dem objektiven Erklärungsgehalt desselben übereinstimmt.

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Die Frage,

"Ist die Einlegung einer Feststellungsklage als konkludenter Widerspruch gegen die konkludente Rücknahme eines konkludent erlassenen Verwaltungsakts auszulegen, mit der Folge, dass der Rücknahmebescheid nicht in Bestandskraft erwachsen ist?",

kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Auch insoweit fehlt es an der Darlegung der Verallgemeinerungsfähigkeit der mit der Frage bezeichneten Rechtsproblematik. Zudem ist die Frage so nicht klärungsfähig, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht angenommen hat, dass der nach seiner Auffassung mit dem Schreiben vom 9. November 2012 zurückgenommene Verwaltungsakt vom 27. Oktober 2011 konkludent erlassen worden war. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar dargetan, dass überhaupt ein Fall denkbar ist, in dem ein Gericht die bei ihm eingelegte Feststellungsklage als konkludent erklärten Widerspruch werten kann, obwohl letzterer bei der Behörde zu erheben ist (§ 70 VwGO).

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Die Frage nach einer Erlaubnispflicht der Vergabe von Nachrangdarlehen an Privatpersonen kann die Zulassung der Revision mangels Entscheidungserheblichkeit nicht rechtfertigen. Wie bereits ausgeführt, hat der Verwaltungsgerichtshof sie mit Blick auf die von ihm angenommene Bestandskraft der Rücknahme des Bescheides vom 27. Oktober 2011 offen gelassen. Bei der Prüfung des hilfsweise gestellten Antrags auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass die Vergabe von Nachrangdarlehen an Privatpersonen keine erlaubnispflichtige Tätigkeit darstellt, hat der Verwaltungsgerichtshof sie ebenfalls nicht entschieden, sondern bereits ein Rechtsschutzinteresse verneint. Insoweit hat die Beschwerde keine Zulassungsgründe geltend gemacht.

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Die Frage der Erlaubnisfreiheit der Vergabe von Nachrangdarlehen im Bereich der Unternehmensfinanzierung war ausweislich der im Tatbestand des angegriffenen Urteils wiedergegebenen Klageanträge nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Soweit sie im Klageantrag Ziffer 2 enthalten sein sollte, ist anzumerken, dass dieser Teil des Klagegegenstandes abgetrennt wurde.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

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