Beschluss vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 3 V 4722/09

Tatbestand

 
I. Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung des Bescheids vom 11. Februar 2009 über die Aufhebung / Ablehnung der Gewährung von Kindergeld für ihren am .... 1984 geborenen Sohn B, der sich seit März 2010 im 10. Fachsemester seines Studiums der Rechtswissenschaften befindet. Sie begründet die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit mit dem Argument, die Herabsetzung der Altersgrenze für den Kindergeldbezug für in Ausbildung befindliche Kinder auf 25 Jahre gemäß §§ 63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 40 Satz 7 EStG n.F. sei verfassungswidrig und zudem gemeinschaftsrechtswidrig.
Nach dem Abitur leistete der Sohn der Antragstellerin vom 4. August 2003 bis zum 31. Mai 2004 (10 Monate) Zivildienst. Von September 2003 bis Mai 2004 (9 Monate) erhielt die Antragstellerin in dieser Zeit kein Kindergeld.
Im Wintersemester 2004/05 nahm Sohn B das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Y auf. Er studierte dort zunächst 4 Semester. Von Oktober 2006 bis September 2007 absolvierte er mit Förderung durch ein Stipendium aus dem ...-Programm der Europäischen Gemeinschaft (EG) ein Auslandsstudienjahr in Z (Schweiz). Im Oktober 2007 setzte er sein Jurastudium an der Universität Q im 5. Fachsemester fort. Er befindet sich derzeit ausweislich der Studienbescheinigung vom 28. Februar 2010 im 10. Fachsemester (März bis September 2010). Nach § 3 Abs. 6 der VO des Justizministeriums Baden-Württemberg über die Ausbildung und Prüfung der Juristen (Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung - JAPrO) vom 8. Oktober 2002 beträgt die Regelstudienzeit einschließlich der Ersten juristischen Prüfung 9 Semester.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2009 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin, dass die Zahlung des Kindergelds an sich zum 1. März 2009 aufzuheben wäre, die Ableistung des gesetzlichen Zivildienstes aber zu einer Verlängerung der Kindergeldgewährung um den tatsächlichen Nichtgewährungszeitraum von 9 Monaten führe.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2009 setzte der Antragsgegner Kindergeld für die Zeit bis zum 30. November 2009 unter Vorbehalt des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen wie z.B. Ausbildung und Einhaltung des Grenzbetrags fest. Für die Zeit ab dem 1. Dezember 2009 lehnte der Antragsgegner die Zahlung von Kindergeld unter Hinweis auf §§ 63 Abs. 1, 32 Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 EStG und unter irriger Bezugnahme auf die frühere Altersgrenze von 27 Jahren ab.
Hiergegen ließ die Antragstellerin Einspruch einlegen, der durch Einspruchsentscheidung vom 9. März 2009 unter korrigierender Bezugnahme auf die Altersgrenze von 25 Jahren zurückgewiesen wurde. Die am 14. April 2009 (= Dienstag nach dem Osterwochenende) eingegangene Klage wird unter dem Aktenzeichen 3 K 1763/09 geführt.
Mit Schreiben vom 4. November 2009 beantragte die Antragstellerin wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Aussetzung der Vollziehung. Ausweislich der betreffenden Gehaltsmitteilung hat der Antragsgegner die Kindergeldzahlung ab Dezember 2009 eingestellt. Mit Schriftsatz vom 23. November 2010 reichte der Prozessbevollmächtigte und Ehemann der Antragstellerin den Antrag auf gerichtliche Vollziehungsaussetzung ein.
Die Antragstellerin macht geltend, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil er auf einer in unzulässiger Weise rückwirkenden und daher verfassungswidrigen Gesetzesvorschrift beruhe. Sie verweist insoweit auf anhängige Revisionsverfahren (z.B. III R 17/09, III R 27/09, III R 35/09, III R 83/09). Ferner liege mit Blick auf mehrere Artikel des Grundgesetzes (GG) ein Verstoß gegen materielles Verfassungsrecht vor (insbesondere Hinweise auf Art. 3, 6, 12, 20 GG - Verstoß gegen Gleichheitssatz, Willkürverbot, Rechtsstaatsprinzip in Gestalt von Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutzprinzip, Schutz von Ehe und Familie).
Die gesetzliche Regelung erfülle nach der Absenkung der Altersgrenze nicht mehr die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Bereich des Familienleistungsausgleichs aufgestellt habe. Auch bei der Anhörung vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags sei hierauf hingewiesen worden.
10 
Gesetzgeberisches Motiv der Absenkung der Altersgrenze seien nicht Überlegungen zur Beschleunigung der Studiendauer, sondern finanzpolitische Erfordernisse gewesen. Der Gesetzgeber habe hierbei insbesondere auch übersehen, dass ein Auslandsstudienjahr einen staatlich anerkannten, gesetzlich geförderten und wegen der dem Unterhaltspflichtigen hieraus entstehenden Belastungen auch in gleichem Maße kindergeldrechtlich relevanten Verzögerungstatbestand darstelle, der in das Gesetz hätte mit aufgenommen werden müssen.
11 
Im Klageverfahren beantragt die Antragstellerin / Klägerin für den Fall, dass das Gericht eine verfassungskonforme bzw. gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht für möglich halte, Vorlagen an das BVerfG bzw. in erster Linie an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).
12 
In gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht macht die Antragstellerin geltend, die nationalen Vorschriften des Kindergeldrechts verstießen mit Blick auf das ...-Programm gegen das höherrangige EG-Recht sowie insbesondere auch gegen den Grundsatz EG-freundlichen Verhaltens (Hinweis insbesondere auf Art. 5 des EG-Vertrags). Es bedürfe einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung bzw. gegebenenfalls eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. Die Klärung der gemeinschaftsrechtlichen Vorfrage habe systematischen Vorrang vor der Klärung der Verfassungsmäßigkeit.
13 
Wegen der Einzelheiten der umfangreichen Antragsbegründung wird auf die Schriftsätze sowie auf die vom Prozessbevollmächtigten ausdrücklich in Bezug genommenen Schriftsätze im Klageverfahren 3 K 1763/09 verwiesen. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners sei der Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auch nicht unstatthaft.
14 
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Vollziehung des Bescheides vom 11. Februar 2009 über die Aufhebung / Ablehnung der Gewährung von Kindergeld für den Sohn B in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. März 2009 ab dem 1. Dezember 2009 auszusetzen bzw. aufzuheben, hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
15 
Ferner ersucht er unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit um eine Entscheidung des Vorsitzenden.
16 
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
17 
Der Antrag sei weder zulässig noch begründet.
18 
Der Bescheid über die Ablehnung der Kindergeldgewährung für die Zeit ab Dezember 2009 sei nicht vollziehbar und deshalb nicht aussetzungsfähig. Ungeachtet dessen sei der Antrag aber auch unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestünden. Insbesondere griffen die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht durch.
19 
Wegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners im Einzelnen sowie bezüglich aller weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird auf die Gerichtsakten 3 V 4722/09 und 3 K 1763/09 verwiesen.
20 
Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung ein Ausdruck aus der elektronischen Akte des Antragsgegners vorgelegen.

Entscheidungsgründe

 
21 
II. Der am Maßstab des § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO zu messende Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung ist überwiegend unbegründet.
22 
Der Senat geht zu Gunsten der Antragstellerin zwar zunächst davon aus, dass der Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung als solcher statthaft ist und der Statthaftigkeit nicht bereits die fehlende Vollziehbarkeit der angefochtenen Bescheide entgegensteht.
23 
Nach der gebotenen summarischen Prüfung sieht der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO jedoch nur bezüglich des Anspruchsmonats Dezember 2009 (Rechtsprechungshinweise siehe Gerichtsbescheid vom 29. März im Klageverfahren 3 K 1763/09), nicht dagegen für den Anspruchszeitraum ab Januar 2010. Soweit der Kläger ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit aus gemeinschaftsrechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen Argumenten ableitet, folgt der Senat diesen nicht (vgl. insoweit im Einzelnen ebenfalls den Gerichtsbescheid im Verfahren 3 K 1763/09) und vermag insoweit im derzeitigen Verfahrensstadium auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit zu erkennen.
24 
Anhaltspunkte für eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung, die sich aus einer unbilligen Härte im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO ergeben könnte, sind von Antragstellerseite weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
25 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, die Nichtzulassung der Beschwerde auf §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO. Der Senat misst der Frage, ob im Hinblick auf die Herabsetzung der Altersgrenze für den Kindergeldbezug die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung zu gewähren ist, keine grundsätzliche oder rechtsfortbildende Bedeutung bei. Darüber hinaus ist dem Senat nicht bekannt, dass ein anderes Gericht bzw. ein anderer Senat in einem mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Verfahren die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung gewährt hätte.
26 
Der Senat hielt die Streitsache nach umfassender Würdigung des Verfahrens schließlich auch nicht für derart eilbedürftig, dass es einer Eilentscheidung des Senatsvorsitzenden gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO bedurft hätte, um über den Antrag der Antragstellerin in angemessener Frist zu entscheiden.

Gründe

 
21 
II. Der am Maßstab des § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO zu messende Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung ist überwiegend unbegründet.
22 
Der Senat geht zu Gunsten der Antragstellerin zwar zunächst davon aus, dass der Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung als solcher statthaft ist und der Statthaftigkeit nicht bereits die fehlende Vollziehbarkeit der angefochtenen Bescheide entgegensteht.
23 
Nach der gebotenen summarischen Prüfung sieht der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO jedoch nur bezüglich des Anspruchsmonats Dezember 2009 (Rechtsprechungshinweise siehe Gerichtsbescheid vom 29. März im Klageverfahren 3 K 1763/09), nicht dagegen für den Anspruchszeitraum ab Januar 2010. Soweit der Kläger ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit aus gemeinschaftsrechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen Argumenten ableitet, folgt der Senat diesen nicht (vgl. insoweit im Einzelnen ebenfalls den Gerichtsbescheid im Verfahren 3 K 1763/09) und vermag insoweit im derzeitigen Verfahrensstadium auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit zu erkennen.
24 
Anhaltspunkte für eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung, die sich aus einer unbilligen Härte im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO ergeben könnte, sind von Antragstellerseite weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
25 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO, die Nichtzulassung der Beschwerde auf §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO. Der Senat misst der Frage, ob im Hinblick auf die Herabsetzung der Altersgrenze für den Kindergeldbezug die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung zu gewähren ist, keine grundsätzliche oder rechtsfortbildende Bedeutung bei. Darüber hinaus ist dem Senat nicht bekannt, dass ein anderes Gericht bzw. ein anderer Senat in einem mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Verfahren die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung gewährt hätte.
26 
Der Senat hielt die Streitsache nach umfassender Würdigung des Verfahrens schließlich auch nicht für derart eilbedürftig, dass es einer Eilentscheidung des Senatsvorsitzenden gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO bedurft hätte, um über den Antrag der Antragstellerin in angemessener Frist zu entscheiden.

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