Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 1 K 732/14

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Über das Vermögen der Klägerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts -AG- X vom 12. Februar 2009 (Az. xxx) das Insolvenzverfahren eröffnet und  Herr B zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte -Bekl- meldete daraufhin Abgabenforderungen i.H.v. 57.388,49 EUR zur Tabelle an, die zwar (zunächst) bestritten, aber zwischenzeitlich festgestellt worden sind.
Am 2. Juli 2009 hatte der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht mitgeteilt, dass das Vermögen der Klägerin aus ihrer selbständigen (gewerblichen) Tätigkeit (M) nicht zur Insolvenzmasse gehöre und dass Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten.
Der Bekl meldete am 30. Juli 2009 Abgabenforderungen in Höhe von 3.325 EUR (Schätzung Umsatzsteuer -USt- 2009, fällig am 12. Februar 2009) zur Tabelle nach.
Am 21. September 2009 zeigte der Insolvenzverwalter dem AG X die Masseunzulänglichkeit an. Das AG X beschloss, die nachträglich angemeldeten Forderungen im schriftlichen Verfahren zu prüfen. Die Restschuldbefreiung wurde am 13. April 2015 erteilt.
Aus der vom Insolvenzverwalter freigegebenen gewerblichen Tätigkeit ergaben sich Erstattungsansprüche aus den USt-Voranmeldungen für die Monate März 2010 bis Juli 2010, Oktober 2010, Dezember 2010 sowie für das 3. Quartal 2012 und aus der Jahressteuererklärung für USt 2011 in Höhe von insgesamt 5.690,74 EUR.
Diese rechnete der Bekl mit Steuerrückständen aus den USt-Voranmeldungen für September 2004 bis Dezember 2004, 3. Quartal 2005 und USt 4. Quartal 2008, der USt-Festsetzung für 2005, der Festsetzung von Zinsen zur USt sowie den Vorauszahlungen wegen Einkommensteuer -ESt- für das 2. Quartal 1994 auf.
Der Bekl informierte die Klägerin über die jeweilige Aufrechnung gemäß § 226 Abgabenordnung -AO- schriftlich. Er teilte ihr hierzu jeweils schriftlich mit, in welcher Höhe sie, die Insolvenzschuldnerin, gegen das Land Baden-Württemberg, vertreten durch den Bekl, noch Geldforderungen habe. Der Beklagte bezeichnete unter „a)“ die jeweilige Geldforderung konkret, so z.B. mit Schreiben vom 25. Mai 2010 die „Umsatzsteuer 03/10“ in Höhe von „293,09 EUR“. Sodann erklärte der Bekl „die Aufrechnungen gegen die unter a) bezeichneten Ansprüche mit den folgenden Geldbeträgen, die Sie [die Klägerin] dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch das o.a. Finanzamt schulden“. Sodann bezeichnete der Bekl diese Geldbeträge konkret, so z.B. mit Schreiben vom 25. Mai 2010 „41180/18506 Umsatzsteuer 09/04 75,05 EUR“ und „41180/18506 Umsatzsteuer 10/04 218,04 EUR“.  Der Bekl teilte der Klägerin die Umbuchungen mit.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein.
Sodann teilte der Bekl der Klägerin mit, dass gegen die Umbuchungsmitteilungen der Einspruch nicht statthaft sei.
10 
Auf Antrag der Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, erließ der Bekl am 20. März 2013 einen Abrechnungsbescheid.
11 
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein.
12 
Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Bundesfinanzhof -BFH- habe mit Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11 (Bundessteuerblatt -BStBl.- II 2013, 36) seine Rechtsprechung geändert. Eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen sei danach nicht zulässig. Im Übrigen bestreite sie, dass die zur Begründung der Verrechnung angeführten Steuerschulden entstanden seien.
13 
Die Klägerin beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 20. März 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 aufzuheben und den aufgerechneten Betrag in Höhe von 5.690,74 EUR zu erstatten;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
14 
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
15 
Der Bekl verweist im Wesentlichen auf den Beschluss des BFH vom 22. Januar 2013 VII S 35/12 (PKH), Juris. Entscheidend sei, dass im Streitfall das Vermögen der Klägerin aus ihrer selbständigen (gewerblichen) Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehören soll.
16 
Die Berichterstatterin erörterte mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage am 8. Juli 2015.
17 
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

18 
Die Klage ist unbegründet.
19 
1. Nachdem das Einverständnis der Beteiligten vorliegt, hält es das Gericht für sachgerecht, ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- zu entscheiden.
20 
2. Der Abrechnungsbescheid vom 20. März 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Er ist rechtmäßig. Die Aufrechnungsvoraussetzungen sind in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) zu Recht bejaht worden (a.). Es bestehen keine Aufrechnungsverbote (b.). Mit der Aufrechnung ist der USt-Erstattungsanspruch der Klägerin erloschen (c.).
21 
a. Der Bekl ist berechtigt, den durch die freigegebene Tätigkeit erworbenen USt-Vergütungsanspruch (aa.) mit „vorinsolvenzlichen“ Steuerschulden (bb.) zu verrechnen. Die allgemeinen Voraussetzungen einer Aufrechnung liegen vor (cc.).
22 
aa. Mit der Freigabe durch den Insolvenzverwalter entstand insolvenzfreies Vermögen gemäß § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung -InsO-. Die Klägerin ist Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz -UStG-. Da der Insolvenzverwalter der Klägerin als Insolvenzschuldnerin die gewerbliche Tätigkeit durch Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ermöglicht hat, treffen die umsatzsteuerlichen Folgen zumindest ab dem Zeitpunkt der Freigabe das insolvenzfreie Vermögen. Ein durch diese Tätigkeit erworbener USt-Vergütungsanspruch fällt nicht in die Insolvenzmasse. Aus § 35 Abs. 2 InsO ergibt sich, dass das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört (BFH, Beschluss vom 6. März 2014 VII S 47/13 (PKH), Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2014, 1013).
23 
bb. Den Ansprüchen der Klägerin wegen USt aus diesem Vermögen (so die Forderungen aus den USt-Voranmeldungen für März 2010, April 2010, Juni 2010, Mai 2010, Juli 2010, Oktober 2010, Dezember 2010 und 3. Quartal 2012 sowie USt 2011) standen Steuerforderungen des Bekl (so wegen USt-Voranmeldungen für September 2004, Oktober 2004, November 2004, Dezember 2004, 3. Quartal 2005, 4. Quartal 2008, USt 2004, USt 2005, Zinsen zur USt und ESt-Vorauszahlungen 2. Quartal 1994 - also Besteuerungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) gegenüber. Steuerforderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen „vorinsolvenzliches“ Vermögen dar. Es handelt sich um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Denn maßgeblich zur Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten ist der Zeitpunkt, zu dem der den Steueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Nicht maßgeblich ist lediglich der Zeitpunkt der Steuerentstehung, so z.B. nach § 13 UStG (BFH, Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36; BFH, Beschluss vom 11. Juli 2013 XI B 41/13; BFH/NV 2013, 1739). Der Bekl durfte mit diesen „vorinsolvenzlichen“ Forderungen aufrechnen (BFH, Beschlüsse vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336 und vom 23. August 2011 VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115).
24 
cc. Die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§§ 226 Abs. 1 AO, 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, 94 InsO zur Aufrechnung während des Insolvenzverfahrens) lagen vor. Die zur Aufrechnung gestellte Geldforderung war wirksam, fällig und erzwingbar sowie die Hauptforderung erfüllbar. Die Anspruchsvoraussetzungen lagen jeweils im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vor. Im Erhebungsverfahren, zu dem die Aufrechnung gehört, ist grundsätzlich nur zu prüfen, ob eine Steuerfestsetzung gegen den Abrechnungsschuldner vorliegt und ob sie wirksam ist. Im Streitfall wurden die Steuern festgesetzt und wirksam zur Insolvenztabelle angemeldet und gemäß § 201 Abs. 2 S. 1 InsO gegenüber der Klägerin wirksam. Alleiniger Rechtsträger blieb der Insolvenzschuldner (vgl. BFH, Urteil vom 26. November 2014 VII R 32/13, BStBl. II 2015, 561). Der Bekl hat ferner zu Recht die Aufrechnung gegenüber der Klägerin als Insolvenzschuldnerin erklärt. Denn die Hauptforderung, gegen die jeweils aufgerechnet wird, fällt nicht unter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Sie gehört zum insolvenzfreien Vermögen i.S.d. § 35 Abs. 2 InsO (BFH, Urteil vom 26. November 2014 VII R 32/13, BStBl. II 2015, 561).
25 
b. Insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote stehen nicht entgegen.
26 
aa. Aufrechnungen werden nicht von den allgemeinen Vollstreckungsverboten in §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO erfasst.
27 
bb. Einer Aufrechnung steht auch nicht die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung zweier Vermögensmassen entgegen. Denn diese begründet kein allgemeines Verbot, Ansprüche der einen Vermögensmasse gegen Forderungen, die in die andere fallen, zu verrechnen (BFH, Beschlüsse vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336 und vom 23. August 2011 VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115).
28 
cc. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO erklärt eine Aufrechnung nur dann für unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Der Bekl ist indes den von der Klägerin erworbenen USt-Vergütungsanspruch nicht zur Insolvenzmasse schuldig geworden. Denn der Insolvenzverwalter hat die von der Klägerin während des Insolvenzverfahrens ausgeführte gewerbliche Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben. Deshalb fällt der Vergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse (vgl. BFH, Beschluss vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336).
29 
c. Infolge der Aufrechnung sind die USt-Erstattungsansprüche der Klägerin gem. § 47 AO erloschen.
30 
3. Aus den genannten Gründen kann dahin gestellt bleiben, ob der Bekl zum Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung aufrechnen kann (bejahend vgl. BFH-Beschluss vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336; Schleswig-Holstein, Finanzgericht -FG-, Urteil vom 23. Oktober 2013 4 K 186/11, Entscheidungen der FG -EFG- 2014, 1028; Revision eingelegt Az. beim BFH VII R 10/14). Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens entfallen die insolvenzrechtlichen Beschränkungen und der Bekl kann grundsätzlich nicht befriedigte Steuerforderungen geltend machen und verrechnen (Sächsisches FG, Urteil vom 18. Oktober 2013 4 K 579/13, Juris).
31 
4. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens gem. § 135 Abs. 1 FGO.
32 
5. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da der BFH mit Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10 (BStBl. II 2011, 996; bezogen auf die Verrechnung von Insolvenzforderungen mit Masseverbindlichkeiten) die Auffassung vertreten hat, dass ein Unternehmen nach Verfahrenseröffnung trotz Grundsatz der Unternehmereinheit aus mehreren Unternehmensteilen besteht, zwischen denen einzelne, umsatzsteuerliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Auch mit Urteil vom 24. Februar 2015 VII R 27/14 (BFH/NV 2015, 908) sprach sich der BFH für eine Trennung der insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche (bezogen auf die Einkommensteuer und die Verrechnung von Masseverbindlichkeiten) aus. Infolgedessen ist nicht ausgeschlossen, dass im Streitfall (zwischenzeitlich) die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung der Vermögensmassen einer Aufrechnung entgegensteht.

Gründe

18 
Die Klage ist unbegründet.
19 
1. Nachdem das Einverständnis der Beteiligten vorliegt, hält es das Gericht für sachgerecht, ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- zu entscheiden.
20 
2. Der Abrechnungsbescheid vom 20. März 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Er ist rechtmäßig. Die Aufrechnungsvoraussetzungen sind in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) zu Recht bejaht worden (a.). Es bestehen keine Aufrechnungsverbote (b.). Mit der Aufrechnung ist der USt-Erstattungsanspruch der Klägerin erloschen (c.).
21 
a. Der Bekl ist berechtigt, den durch die freigegebene Tätigkeit erworbenen USt-Vergütungsanspruch (aa.) mit „vorinsolvenzlichen“ Steuerschulden (bb.) zu verrechnen. Die allgemeinen Voraussetzungen einer Aufrechnung liegen vor (cc.).
22 
aa. Mit der Freigabe durch den Insolvenzverwalter entstand insolvenzfreies Vermögen gemäß § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung -InsO-. Die Klägerin ist Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz -UStG-. Da der Insolvenzverwalter der Klägerin als Insolvenzschuldnerin die gewerbliche Tätigkeit durch Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag ermöglicht hat, treffen die umsatzsteuerlichen Folgen zumindest ab dem Zeitpunkt der Freigabe das insolvenzfreie Vermögen. Ein durch diese Tätigkeit erworbener USt-Vergütungsanspruch fällt nicht in die Insolvenzmasse. Aus § 35 Abs. 2 InsO ergibt sich, dass das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört (BFH, Beschluss vom 6. März 2014 VII S 47/13 (PKH), Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2014, 1013).
23 
bb. Den Ansprüchen der Klägerin wegen USt aus diesem Vermögen (so die Forderungen aus den USt-Voranmeldungen für März 2010, April 2010, Juni 2010, Mai 2010, Juli 2010, Oktober 2010, Dezember 2010 und 3. Quartal 2012 sowie USt 2011) standen Steuerforderungen des Bekl (so wegen USt-Voranmeldungen für September 2004, Oktober 2004, November 2004, Dezember 2004, 3. Quartal 2005, 4. Quartal 2008, USt 2004, USt 2005, Zinsen zur USt und ESt-Vorauszahlungen 2. Quartal 1994 - also Besteuerungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) gegenüber. Steuerforderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen „vorinsolvenzliches“ Vermögen dar. Es handelt sich um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Denn maßgeblich zur Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten ist der Zeitpunkt, zu dem der den Steueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Nicht maßgeblich ist lediglich der Zeitpunkt der Steuerentstehung, so z.B. nach § 13 UStG (BFH, Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36; BFH, Beschluss vom 11. Juli 2013 XI B 41/13; BFH/NV 2013, 1739). Der Bekl durfte mit diesen „vorinsolvenzlichen“ Forderungen aufrechnen (BFH, Beschlüsse vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336 und vom 23. August 2011 VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115).
24 
cc. Die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§§ 226 Abs. 1 AO, 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, 94 InsO zur Aufrechnung während des Insolvenzverfahrens) lagen vor. Die zur Aufrechnung gestellte Geldforderung war wirksam, fällig und erzwingbar sowie die Hauptforderung erfüllbar. Die Anspruchsvoraussetzungen lagen jeweils im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vor. Im Erhebungsverfahren, zu dem die Aufrechnung gehört, ist grundsätzlich nur zu prüfen, ob eine Steuerfestsetzung gegen den Abrechnungsschuldner vorliegt und ob sie wirksam ist. Im Streitfall wurden die Steuern festgesetzt und wirksam zur Insolvenztabelle angemeldet und gemäß § 201 Abs. 2 S. 1 InsO gegenüber der Klägerin wirksam. Alleiniger Rechtsträger blieb der Insolvenzschuldner (vgl. BFH, Urteil vom 26. November 2014 VII R 32/13, BStBl. II 2015, 561). Der Bekl hat ferner zu Recht die Aufrechnung gegenüber der Klägerin als Insolvenzschuldnerin erklärt. Denn die Hauptforderung, gegen die jeweils aufgerechnet wird, fällt nicht unter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Sie gehört zum insolvenzfreien Vermögen i.S.d. § 35 Abs. 2 InsO (BFH, Urteil vom 26. November 2014 VII R 32/13, BStBl. II 2015, 561).
25 
b. Insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote stehen nicht entgegen.
26 
aa. Aufrechnungen werden nicht von den allgemeinen Vollstreckungsverboten in §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO erfasst.
27 
bb. Einer Aufrechnung steht auch nicht die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung zweier Vermögensmassen entgegen. Denn diese begründet kein allgemeines Verbot, Ansprüche der einen Vermögensmasse gegen Forderungen, die in die andere fallen, zu verrechnen (BFH, Beschlüsse vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336 und vom 23. August 2011 VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115).
28 
cc. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO erklärt eine Aufrechnung nur dann für unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Der Bekl ist indes den von der Klägerin erworbenen USt-Vergütungsanspruch nicht zur Insolvenzmasse schuldig geworden. Denn der Insolvenzverwalter hat die von der Klägerin während des Insolvenzverfahrens ausgeführte gewerbliche Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben. Deshalb fällt der Vergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse (vgl. BFH, Beschluss vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336).
29 
c. Infolge der Aufrechnung sind die USt-Erstattungsansprüche der Klägerin gem. § 47 AO erloschen.
30 
3. Aus den genannten Gründen kann dahin gestellt bleiben, ob der Bekl zum Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung aufrechnen kann (bejahend vgl. BFH-Beschluss vom 1. September 2010 VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336; Schleswig-Holstein, Finanzgericht -FG-, Urteil vom 23. Oktober 2013 4 K 186/11, Entscheidungen der FG -EFG- 2014, 1028; Revision eingelegt Az. beim BFH VII R 10/14). Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens entfallen die insolvenzrechtlichen Beschränkungen und der Bekl kann grundsätzlich nicht befriedigte Steuerforderungen geltend machen und verrechnen (Sächsisches FG, Urteil vom 18. Oktober 2013 4 K 579/13, Juris).
31 
4. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens gem. § 135 Abs. 1 FGO.
32 
5. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da der BFH mit Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10 (BStBl. II 2011, 996; bezogen auf die Verrechnung von Insolvenzforderungen mit Masseverbindlichkeiten) die Auffassung vertreten hat, dass ein Unternehmen nach Verfahrenseröffnung trotz Grundsatz der Unternehmereinheit aus mehreren Unternehmensteilen besteht, zwischen denen einzelne, umsatzsteuerliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Auch mit Urteil vom 24. Februar 2015 VII R 27/14 (BFH/NV 2015, 908) sprach sich der BFH für eine Trennung der insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche (bezogen auf die Einkommensteuer und die Verrechnung von Masseverbindlichkeiten) aus. Infolgedessen ist nicht ausgeschlossen, dass im Streitfall (zwischenzeitlich) die insolvenzrechtliche strukturelle Unterscheidung der Vermögensmassen einer Aufrechnung entgegensteht.

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