Urteil vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 K 787/09

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 62 v.H. und die Beklagte zu 38 v.H. zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Ausweislich der Haushaltsbescheinigung vom 13. Januar 1993 der Stadt D., welche der Kläger seinem Antrag auf Kindergeld vom 18. Januar 1993 beigefügt hatte, gehörten zu dem Haushalt des Klägers unter der Anschrift ...weg  in D. unter anderem die Kinder seiner damaligen Lebensgefährtin B.,  nämlich C., geb. ... 1983,  E., geb. ... 1983,    und  N.,  geb.   ...  1985. Mit Beschluss vom 11. August 1992 des Amtsgericht L. war der Kindsmutter die elterliche Sorge entzogen und dem Kläger als Vormund übertragen worden. In dem Antrag auf Kindergeld vom 18. Januar 1993 hatte der Kläger Frau B. als seine Ehefrau bezeichnet. Von ihr befindet sich ein Schreiben vom  21. September 1992 in der Verwaltungsakte, in dem sie von dem Kläger als ihrem „Mann“ spricht. Auch in weiteren Schriftsätzen hält der Kläger daran fest, mit Frau B. verheiratet zu sein. Zum Erhalt des Kinderzuschlags reichte er mit Schreiben vom  8. März 1994 seinen Einkommensteuerbescheid 1991 vom 21. Februar 1994 ein, in dem eine Einzelveranlagung durchgeführt und fünf ganze und ein halber Freibetrag für Kinder berücksichtigt worden waren. In seiner Einkommensteuererklärung 1991 vom   26. Februar 1993 war ebenfalls B. als Ehefrau angeführt worden, die auch mit unterschrieben hatte. Die damals zuständige  Kindergeldkasse zahlte das Kindergeld für die o.g. Kinder daraufhin nicht mehr wie bisher der Kindsmutter, sondern antragsgemäß ab 1993 dem Kläger.

2

In den folgenden Jahren überprüfte die Kindergeldkasse den Anspruch entsprechend der damals geltenden Vorschriften.

3

Auf Nachfrage der Kindergeldkasse teilte der Kläger unter seiner o.g. Anschrift mit Schreiben vom 20. März 1995 mit, dass er als selbstständig Tätiger aus geschäftlichen Gründen seinen ersten Wohnsitz jeweils an dem Ort habe, an dem er tätig sei. Auf weitere Nachfrage, warum er zur Einkommensteuer 1992 einzelveranlagt worden sei, antwortete er am 22. Juni 1995, dass das Finanzamt die Grundtabelle angewandt habe, weil die Ehe in Deutschland bisher nicht anerkannt worden sei. Gegen die Nichtdurchführung der Zusammenveranlagung habe er Einspruch eingelegt.

4

In den Verwaltungsakten befindet sich ein Datenabgleich vom 21. November 1996 mit den Daten des Klägers und der o.g. Kinder, auf dem handschriftlich vermerkt ist „kein Familienverband“. Mit Schreiben vom 7. Februar 1997 reichte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 1994 vom 2. September 1996 ein, in dem er mit B. zusammenveranlagt wurde. Die Zusammenveranlagung wurde auch für 1995 durchgeführt, wie sich aus dem Bescheid vom 4. Mai 1998, den der Kläger mit Schreiben vom   27. Mai 1998 einreichte, ergibt. Eine Anfrage der Familienkasse, warum bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1995 nur halbe Kinderfreibeträge berücksichtigt worden seien, beantwortete der Kläger mit der Vorlage eines geänderten Einkommensteuerbescheids, in dem ihm wieder fünf ganze Kinderfreibeträge gewährt wurden.

5

Nach Geburt eines weiteren Kindes reichte der Kläger einen Antrag auf Kindergeld vom 25. August 1998 ein, dem die Geburtsurkunde für M., geb. ... 1998, beigefügt war. In diesem Antrag  war als Ehegatte O. mit einer Eheschließung in 1995 angegeben. Sie hatte den Antrag auch mitunterschrieben. Die Kinder C., E., N., Y. und Z. waren wiederum als im selben Haushalt (...weg ... in D.) lebend eingetragen und in der Rubrik „Kindschaftsverhältnis“ hatte der Kläger „Vormund“ angegeben.

6

Mit Verfügung vom 16. September 1998 änderte die Familienkasse daraufhin die Festsetzung dahingehend, dass M. als zusätzliches Kind aufgenommen wurde und für sie eine Nachzahlung für zwei Monate erfolgte.

7

Mit Schreiben vom 29. September 1998 teilte der Kläger auf Nachfrage der Familienkasse mit, dass sich B. in ... (Frankreich) befinden würde, ihre Adresse sei ihm nicht bekannt.

8

Nachdem die Behörde durch den automatischen Meldedatenabgleich erfahren hatte, dass der Kläger am 7. Dezember 1998 nach Ö., ...str. 12, verzogen war, forderte sie ihn auf, einen Antrag auf Kindergeld (deklariert als „Fragebogen“) auszufüllen, was er mit Datum vom 15. März 1999 auch tat. Ausweislich der Haushaltsbescheinigung der Stadt Ö. vom selben Tag, welche der Kläger seinem Antrag auf Kindergeld beigefügt hatte, gehörten zu seinem Haushalt unter der Anschrift Ö., ...str. 12, weiterhin die  Kinder C., E., N., Y., Z. und M.

9

Im Juli 2003 teilte das Einwohnermeldeamt Ö. der Familienkasse mit, dass C. bis zum 14. Juni 2000 mit Hauptwohnung in der ...str. 12 gemeldet gewesen sei, danach in D., H. Ch. 49. Ein entsprechendes Anhörungsschreiben  ließ der Kläger unbeantwortet.

10

Mit Bescheid vom 28. Januar 2004 hob die Familienkasse bei dem Arbeitsamt M. die Festsetzung des Kindergeldes für C. deshalb ab Juli 2000 auf und forderte überzahltes Kindergeld in Höhe von 357,90 € zurück. Der Einspruch dagegen wurde mangels Begründung zurückgewiesen. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

11

Mit Schreiben vom 3. September 2008 informierte die Familienkasse F. die Beklagte, dass alle drei Kinder, C., E. und N., spätestens ab Januar 1998 nicht mehr im Haushalt des Klägers gelebt hätten. Sie stützte sich dabei auf die schriftliche Aussage einer Frau U., die in Ö.., ...weg 1, wohnte und ausgesagt hatte, dass die Zwillinge C. und E. zusammen mit ihrer Mutter bis Oktober 1992 im ...weg 8 gelebt hätten und dann auf die Komoren verzogen seien. N. habe bis 1997 im ...weg 8 bei dem Kläger gelebt. Ab etwa 1995 bis mindestens Ende 2001 habe der Kläger zusammen mit einer Philippinin und den Kindern Y. und Z. im ...weg 8 gewohnt. Der Kläger habe zudem vorher und wohl auch zu der Zeit, als er den ...weg 8 bewohnt habe, auch ein Haus im ...weg 14 bewohnt. Ferner verwies die Familienkasse F. auf eine Bescheinigung der ...Schule vom 29. August 2008, wonach C. 1990-1993 bis zu seinem angeblichen Aufenthalt in  Ungarn, E. 1990-1992 bis zu ihrem angeblichen Aufenthalt auf den Komoren und N. 1996-1997 bis zu seinem angeblichen Aufenthalt auf den Komoren die Grundschule (mit Eingangsstufe) besucht hätten.

12

Im Anhörungsverfahren verwies der Kläger darauf, dass die Vorhaltungen bereits mit der vorher zuständigen Familienkasse ausdiskutiert worden seien. C. habe ihn seinerzeit mit einem Stuhl niedergeschlagen, da müsse dieser ja wohl noch zum Haushalt gehört haben.

13

Mit Bescheid vom 22. Januar 2009 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 1998 bis August 2000 für die Kinder C., E. und N. nach § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf, weil sie nicht bzw. nicht mehr in den Haushalt des Klägers aufgenommen waren, und forderte überzahltes Kindergeld in Höhe von 16.642,38 € zurück. Die Berechnung des Rückzahlungsbetrages ergibt sich aus dem Anhörungsschreiben vom 16. Dezember 2008. Auf den sich in Blatt 427 der Verwaltungsakte befindenden Entwurf wird Bezug genommen.

14

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Einspruchs bezog sich der Kläger auf seinen vorherigen Vortrag. Außerdem sei er bis zu deren Volljährigkeit Vormund der Kinder gewesen. C. habe ihn im gemeinsamen Haushalt mit einem Stuhl niedergeschlagen. Die Unterlagen, die sein Vorbringen belegen würden, müsse er erst beschaffen und werde sie nach und nach einreichen.

15

Nachdem auch nicht in der vom Kläger in Aussicht gestellten Frist von sechs Wochen Belege eintrafen, wies die Beklagte den Einspruch zurück.

16

Dagegen hat der Kläger Klage erhoben. Er habe die Kinder auf Bitten ihrer Mutter und seiner damaligen Lebensgefährtin B. nach der Ankunft in Deutschland 1989 in seinen Haushalt aufgenommen, wo sie bis August 2000 gelebt hätten. Das Familiengericht L./Hessen habe ihm das alleinige Sorgerecht erteilt. Die Kindsmutter sei 1992 verschwunden und erst 2000 wieder aufgetaucht. Er habe die beiden Jungen in seinem Hotel „Hotel ...“ in Ö. untergebracht und auch selber dort gewohnt.  Er habe sich dort täglich deutlich mehr als 12 Stunden aufgehalten und sich in dieser Zeit um die dort untergebrachten Kinder gekümmert. N. habe von dort aus vom 9. September 1998 bis 21. Juni 2000 die Gesamtschule in Ö. besucht, was die Bescheinigung der ...Schule vom 27. April 2010 belege. Ein weiterer Beweis für sein Vorbringen sei die Haushaltsbescheinigung der Gemeinde Ö. vom 15. März 1999. Eine Unterbringung in dem Haus im ...weg sei wegen der Auseinandersetzungen mit den dort lebenden Kindern nicht möglich gewesen.  Der Akte des Ausländeramtes in D. könne entnommen werden, dass er umfangreiche Anstrengungen unternommen habe, mit N. und C. zurecht zu kommen. Aus dieser Akte gehe auch hervor, dass er sich zwar um die Kinder gekümmert habe, jedoch dabei an seine Grenzen gestoßen sei und um Hilfe gebeten habe. Der Umstand der materiellen Sorge gehe allein daraus hervor, dass er für ihre Unterbringung und Verpflegung gesorgt habe.

17

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22. Januar 2009 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2009 aufzuheben, soweit er den Zeitraum 1999 und 2000 betrifft.

18

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Der Kläger könne nur dann für die Kinder als Pflegekinder Kindergeld beanspruchen, falls er nachweise, dass er sie in seinen Haushalt aufgenommen habe. Die Aussage der Zeugin U. und die Bescheinigung über den Besuch der Grundschule sprächen allerdings dagegen.

20

Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2013 den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des Jahres 1998 aufgehoben hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich des Streitjahres 1998 übereinstimmend für erledigt erklärt. Bezüglich des Kindes E. hat der Kläger in  der mündlichen Verhandlung vom            22. Januar 2013 eingeräumt, dass sie sich im Streitzeitraum nicht in seinem Haushalt, sondern wieder auf den Komoren befand.

21

Dem Gericht haben die die aufgeführten Kinder betreffenden Kindergeldakten, zwei Bände Akten des Amtsgerichts L. (Hessen) –Familiengericht-, die Ausländerakte C.  des L-Kreises und die Ausländerakte N. der Stadt F. vorgelegen.

Entscheidungsgründe

22

I. Die Klage ist unzulässig, soweit sich der Kläger gegen die Aufhebung der Festsetzung für Juli und August 2000 für C. wendet. Es handelt sich insoweit nur um eine wiederholende Verfügung, denn die Kindergeldfestsetzung wurde bereits mit Bescheid vom    28. Januar 2004 bestandskräftig ab Juli 2000 aufgehoben, weil C. zum 14. Juni 2000 nach D., H. Ch. 49, umgemeldet worden war. Das Kindergeld für dieses Kind und diesen Zeitraum wurde auch nicht in die Berechnung des  Rückforderungsbetrages in  dem angefochtenen Bescheid einbezogen. Unerheblich ist, dass der Einspruch auch insoweit als unbegründet und nicht als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die Beklagte hat im Änderungsbescheid vom 22. April 2013 diesbezüglich eine Klarstellung vorgenommen.

23

II. Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.

24

Der Senat ist überzeugt, dass der Kläger die Kinder C., E. und N. im Zeitraum Januar 1999 bis einschließlich Juni 2000 nicht in seinem Haushalt aufgenommen, der damals für die Kindergeldfestsetzung zuständigen Familienkasse insoweit vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben gemacht hatte und dadurch eine unrichtige Kindergeldfestsetzung bzw. deren Bestand zu seinen Gunsten erwirkt hat.

25

Die Beklagte hat die bisherige Kindergeldfestsetzung zu Gunsten des Klägers für die Kinder C., E. und N. zu Recht gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG ab Januar 1999 aufgehoben, weil der Kläger die Kinder nicht mehr in seinem Haushalt aufgenommen hatte.

26

1. Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist die Festsetzung des Kindergelds mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG.

27

Im Streitfall ergibt sich der Kindergeldanspruch des Klägers für die nicht-leiblichen Kinder C., E. und N. für frühere Zeiträume allein aus den Vorschriften der §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.  Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld auch für Pflegekinder. Dies sind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG Personen, mit denen der Berechtigte durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht.

28

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kann ein Pflegekind deshalb nur dann kindergeldrechtlich bei der Pflegeperson berücksichtigt werden, wenn es in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen worden ist (Schmidt, Kommentar zum EStG, 32. Auflage,     § 32 Rn 15 m.w.N.).

29

Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt (BFH-Beschluss vom 14. Januar 2011 III B 96/09, BFH/NV 2011, 788). Er entspricht im Wesentlichen dem gleichlautenden Begriff in § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG (zu normspezifischen Besonderheiten des § 64 EStG vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BFHE 208, 220, BStBl II 2008, 762). Danach liegt eine Haushaltsaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist (BFH-Beschluss vom 24. Oktober 2006 III S 3/06 (PKH), BFH/NV 2007, 238). Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 20. Juni 2001 VI R 224/98, BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt (BFH-Beschluss vom 18. Februar 2008 III B 69/07, BFH/NV 2008, 948), müssen aber alle gegeben sein (Dürr in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 32 Rz 31). Das örtliche Merkmal der Haushaltsaufnahme bezieht sich auf eine bestimmte gemeinsame Familienwohnung als ortsbezogener Mittelpunkt der gemeinschaftlichen Lebensinteressen (BFH-Beschluss vom 16. April 2008 III B 36/07, BFH/NV 2008, 1326). Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein behindertes Kind trotz dauernder Heimunterbringung weiterhin zum Haushalt der            (Pflege-)Eltern gehören, wenn es dort in einem zeitlich bedeutsamen Umfang betreut wird (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. BFH-Urteile vom 14. November 2001 X R 24/99, BFHE 197, 296, BStBl II 2002, 244; vom 26. August 2003 VIII R 91/98, BFH/NV 2004, 324).

30

Das Gericht ist überzeugt, dass der Kläger im Streitzeitraum seine Familienwohnung nicht in Ö., ...str. 12, sondern seine Familienwohnung in D., ...weg 8, unterhielt.

31

Er lebte mit seiner Ehefrau und seinen Kindern Y., Z., M. und J. in D., ...weg 8. Dies kann den Akten entnommen werden und wurde von dem Kläger selbst mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 unstreitig gestellt. Er hat außerdem vorgetragen, dass er C. und N. aus diesem Haushalt nehmen und in seinem Hotel unterbringen musste, weil es Spannungen mit seinen anderen Kindern  gegeben habe. Dass der Kläger im ...weg 8 einen Haushalt unterhielt, wird auch durch Zustellungen des Familiengerichts in 1999 untermauert, die unter dieser Anschrift erfolgten (Amtsgericht L., Aktenzeichen ..., Postzustellungsurkunde „Begl.Antragsschr.v.02.11.1999“); auch der Kläger selber verwendete diese Adresse in seinem Schreiben vom  25. April  2000. C. und N. bewohnten dagegen reguläre Hotelzimmer und keine abgeschlossene Wohnung des Klägers in den Räumen des Hotels. Sie wurden nach dem Vortrag des Klägers in der Hotelküche/dem Hotelrestaurant verpflegt und nicht in der Küche seiner Familienwohnung. Trotz mehrmaliger Aufforderung durch das Finanzgericht hat der Kläger keine Tatsachen vortragen, die für das Vorhalten einer (Familien-)Wohnung, in welchem bescheidenen Maße auch immer, in der ...straße 12 gesprochen hätten.

32

Die Kinder C., E. und N. waren mithin im Streitzeitraum Januar 1999 bis Juni 2000 nicht in den Familienhaushalt des Klägers in der ...straße 8 aufgenommen.

33

Zwar lagen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung die Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) vor. Der Kläger sorgte für die Unterbringung der Kinder C. und N. und für ihre Verpflegung. Nach seinem Vortrag kümmerte er sich auch um ihren Schulbesuch und war täglich in dem Hotel anwesend. Er trug ferner vor, dass er finanziell für E. aufkam und sie mehrmals auf den Komoren besuchte.

34

Das örtliche Merkmal der Haushaltsaufnahme fehlt jedoch vollständig.

35

E. lebte auf den Komoren. C. und N. lebten in einem Zimmer in einem Hotel. Ein gemeinsames Familienleben im Sinne eines Miteinanderwohnens in einer gemeinsamen Familienwohnung, in der auch die gemeinschaftlichen Lebensinteressen verwirklicht werden  (BFH-Beschluss vom 16. April 2008 III B 36/07, BFH/NV 2008, 1326) fand dagegen nicht statt und wurde vom Kläger auch nicht behauptet.

36

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich das örtliche Merkmal auch nicht durch eine funktionelle Betrachtung des Haushaltsbegriffs ersetzen. Allein die finanzielle Unterstützung, das gelegentliche Besuchen oder die Ansprechbarkeit tagsüber ersetzen nicht das Familienleben, welches in der Regel durch ein ständiges Zusammenleben (Verbringen der Tage und Nächte in der Familienwohnung, gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Freizeitgestaltung usw.) gekennzeichnet ist. Das Erfordernis des örtlich gebundenen Zusammenlebens ist wesentliches Kriterium dafür, dass die Pflegeeltern tatsächlich kindsbezogene Belastungen tragen und ihre finanzielle Leistungsfähigkeit im Vergleich zu Kinderlosen gemindert ist (BFH-Beschluss vom 14. Januar 2011 III B 96/09, BFH/NV 2011, 788). Ausdrücklich soll das Kindergeld – für den Fall, dass eine steuerliche Entlastung nicht erforderlich ist - auch der Förderung der Familie dienen, § 31 Satz 2 EStG.

37

2. Die Beklagte durfte am 22. Januar 2009 den streitigen Änderungsbescheid noch erlassen, weil die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Diese Frist endete im Streitfall  erst mit Ablauf des Jahres 2009 bzw. 2010.

38

Nach § 170 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Der Kindergeldanspruch entsteht monatlich, § 66 EStG, so dass der hier streitige Anspruch mit Ablauf des Jahres 1999 bzw. 2000 entstanden ist. Die Festsetzungsfrist beträgt 4 Jahre, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Die Frist endete daher regulär mit Ablauf des Kalenderjahres 2003 bzw. 2004.

39

Die Frist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO jedoch zehn Jahre, wenn – wie hier - eine Steuer hinterzogen worden ist. Eine Steuerhinterziehung liegt vor, wenn der Steuerpflichtige  gegenüber den Finanzbehörden (hier der Familienkasse) über steuerlich erhebliche Tatsachen (hier nach der Maßgabe der §§ 62 bis 78 EStG) vorsätzlich  unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch nicht gerechtfertigte Steuervorteile (Kindergeld i.S.d. § 31 EStG) erlangt. Eine Steuerhinterziehung liegt auch vor, wenn der Steuerpflichtige die Familienkassen  über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt, obwohl er nach  § 68 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. EStG Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, hätte mitteilen müssen, und dadurch zu Unrecht zu seinen Gunsten die Kindergeldfestsetzung bestehen bleibt, § 370 Abs. 1 AO.

40

Im Streitfall hat der Kläger bezüglich E., C. und N. nach Überzeugung des erkennenden Gerichts vorsätzlich unrichtige und/oder unvollständige Angaben gemacht und dadurch ungerechtfertigt Kindergeld für diese Kinder im Streitzeitraum erlangt.

41

a) Der Kläger machte hinsichtlich seines Mündels E. unrichtige Angaben. Im Antrag vom 25. August 1998 listete er sie unter Nr. 4 „Kinder“ auf und kreuzte gleichzeitig unter Nr. 6 „Leben Kinder, die Sie eingetragen haben (gemeint ist unter Nr. 4 und/oder Nr. 5 des Vordrucks), außerhalb Ihres Haushalts?“ das Feld „nein“ an. Im daraufhin von der Beklagten angeforderten „Antrag auf Kindergeld/Fragebogen“ vom 15. März 1999 machte er keine Angaben zu Nr. 4 „Kinder“, führte jedoch nun unter Nr. 5 die Kinder an, deren Mutter B. ist. Auch hier kreuzte er zu Nr. 6 „Leben Kinder, die Sie eingetragen haben (gemeint ist unter Nr. 4 und/oder Nr. 5 des Vordrucks), außerhalb Ihres Haushalts?“ das Feld „nein“ an. Außerdem legte er eine Haushaltsbescheinigung (Vordruck BA II KG 3 a -1.97) vom 15. März 1999 vor, mit der bestätigt wurde, dass E. zu seinem Haushalt in Ö., ...str. 12, gehöre und sich seit 1989 ununterbrochen in Deutschland aufhalte.

42

Der Kläger handelte insoweit vorsätzlich. Er machte wissentlich falsche Angaben und nahm mindestens billigend in Kauf, dass die Beklagte deshalb unzutreffend zu seinen Gunsten Kindergeld für E. festsetzen werde.

43

Vorsatz liegt vor, wenn der Täter weiß, dass er durch sein Verhalten sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 370 AO verwirklicht, und er dies auch will. Dabei muss nicht zwingend  die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Erfolgs direkt erstrebt werden, oder der Täter die Tatbestandsverwirklichung kennen oder als sicher voraussehen (direkter Vorsatz). Es genügt vielmehr, dass der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes nur für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz).

44

So liegen die Verhältnisse hier. Der Kläger wusste, dass sich E. am 15. März 1999 nicht in Deutschland, sondern seit 1992 auf den Komoren und daher auch nicht seit 1989 ununterbrochen in Deutschland aufhielt. Wie er in der mündlichen Verhandlung am       22. Januar 2013 selbst erklärte, lebte sie damals bereits seit längerem auf den Komoren, wo sie von ihm  finanziell unterstützt werden würde. Dennoch unterließ der Kläger gegenüber der Beklagten jeden Hinweis auf den wahren ständigen Aufenthaltsort seines Mündels und verhinderte durch die Unvollständigkeit seiner Angaben weitere Nachfragen und Prüfungen. Angesichts der in dem Merkblatt auf Kindergeld enthaltenen Informationen, deren Kenntnisnahme der Kläger mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, und der auf der Rückseite der Haushaltsbescheinigung enthaltenen Hinweise, zu deren Kenntnisnahme er auf der Vorderseite des Vordrucks der Haushaltsbescheinigung aufgefordert worden war, die beide beinhalten, dass das Kind ständig in der gemeinsamen Familienwohnung des Antragstellers leben und dort vom Antragsteller versorgt und betreut werden muss, sowie der Tatsache, dass der Kläger – wie oben dargelegt - zu Dauer und Ort von E.s Aufenthalt wissentlich falsche Angaben gemacht hatte, kann sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, er habe auch E. als ständig in seinem Haushalt lebend angesehen, weil er sie finanziell und auch durch seine Besuche auf den Komoren unterstützt habe, nur als Schutzbehauptung gewertet werden.

45

b) Er machte ebenfalls wissentlich unrichtige und unvollständige Angaben zu seinen anderen Mündeln C. und N.

46

In der besagten Haushaltsbescheinigung gab er an, dass alle Kinder, für die er sorgeberechtigt war (C., E., N., Y., Z., M.) in seinem Haushalt in der ...straße 12 in Ö. leben würden. Gleichzeitig bestätigte er damit, dass sich C. und N. seit 1989 ununterbrochen in Deutschland aufhalten würden. Außerdem führte er seine Ehefrau M. L. als unter dieser Anschrift lebend auf. Im Klageverfahren hat der Kläger dagegen eingeräumt, dass er in D., ...weg 8, einen Haushalt geführt habe, zu dem seine Ehefrau sowie die Kinder  Y., Z. und M. gehört hätten. Dort sei eine Unterbringung von C. und N. nicht möglich gewesen, weil sich diese mit den anderen Kindern nicht verstanden hätten, so dass er sie in Zimmern in seinem Hotel habe unterbringen müssen. Aus den beigezogenen Akten des Amtsgerichts L. –Familiengericht- ergibt sich darüber hinaus aus einem Schreiben der Bearbeiterin des Jugendamtes des Kreises O. vom 22. Januar 1996, dass C. und N. sich in den Jahren zwischen 1989 und 1999 auch auf den Komoren und in Ungarn aufgehalten hätten.  Neben den falschen Angaben zum Aufenthaltsort der Kinder unterließ es der Kläger auch, die Beklagte über die Existenz der in D., ...weg 8, gelegenen Familienwohnung zu informieren. Durch diese falschen und unvollständigen Angaben erweckte er den unzutreffenden Eindruck, dass sich der gemeinsame Haushalt der gesamten Familie in Ö., ...straße 12, befinde und verhinderte dadurch weitere Nachfragen.

47

Angesichts der in dem Merkblatt auf Kindergeld enthaltenen Informationen, deren Kenntnisnahme der Kläger mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, und der auf der Rückseite der Haushaltsbescheinigung enthaltenen Hinweise, zu deren Kenntnisnahme er auf der Vorderseite des Vordrucks der Haushaltsbescheinigung aufgefordert worden war, die beide beinhalten, dass das Kind ständig in der gemeinsamen Familienwohnung des Antragstellers leben und dort vom Antragsteller versorgt und betreut werden muss, sowie der Tatsache, dass der Kläger – wie oben dargelegt - zu der Familienwohnung, dem Aufenthalt der Familie und den Aufenthalten von C. und N. wissentlich falsche Angaben gemacht hatte, kann sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, er habe auch C. und N. als ständig in seinem Haushalt lebend angesehen, weil er sie versorgt habe, ebenfalls nur als Schutzbehauptung gewertet werden.

48

Trotz mehrmaliger Aufforderung konnte der Kläger im Klageverfahren keine Tatsachen dafür vortragen, dass er in der ...straße einen (Familien-)Haushalt geführt hätte. Vielmehr waren N. und C. offenbar in den regulären Hotel-Betrieb eingegliedert. So hat der Kläger selber vorgetragen, dass  die leibliche Mutter der Kinder -  B. - ohne sein Wissen und seine Zustimmung in den Zimmern von N. und C. übernachtet habe. Verpflegen konnten sich die Kinder nur in der Hotelküche oder dem Restaurant. Auch ein rechtlicher Laie kann angesichts dieser Situation nicht annehmen, dass dies ein gemeinsames Familienleben darstelle, und dieses allein dadurch ausreichend gepflegt würde, dass sich der Kläger und seine Ehefrau geschäftsführend tagsüber in dem Hotel aufhielten.

49

c) Infolge der eindeutigen Gestaltung der Vordrucke und der Tatsache, dass er sie zum Zwecke der Vorlage bei der Familienkasse zur Bearbeitung seines Antrages auf Kindergeld bzw. zur Überprüfung der Weiterbewilligung  selbst ausgefüllt hatte, nahm der Kläger mindestens billigend in Kauf, dass die Beklagte das Kindergeld für E., C. und N. zu seinen Gunsten unzutreffend festsetzen würde bzw. die Festsetzung fälschlicherweise bestehen lassen würde.

50

III. Bei der Kostenentscheidung hat das Gericht berücksichtigt, dass die Klage hinsichtlich des in der Hauptsache erledigten Streitjahres 1998 begründet gewesen wäre. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den    §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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