Urteil vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 K 1200/14

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

In den Jahren 2003 und 2004 wurde die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin war in dieser Zeit als Lehrerin angestellt, ihr Ehemann unter anderem Gesellschafter und Geschäftsführer der A. KG. Nach der Trennung der Eheleute im Dezember 2005 wohnte der Ehemann der Klägerin zunächst in Potsdam und sodann in Großbritannien. Dort wurde im Mai 2007 ein Verfahren wegen „bankrupt“ gegen ihn eröffnet, im Rahmen dessen ihm im Mai 2008 Restschuldbefreiung nach englischem Recht erteilt wurde.

2

Bereits seit Oktober 2005 lag dem damals zuständigen Finanzamt für den Ehemann der Klägerin ein Aufrechnungsersuchen des Ministeriums der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt wegen Regressforderungen aus der Inanspruchnahme aus Landesbürgschaften in Höhe von 195.520,00 EUR vor. Die Forderungen sind als unbestritten und fällig bezeichnet. Zum Hintergrund hat das Ministerium der Finanzen folgendes mitgeteilt:

3

Der A. KG hat die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt mbH (MBG) im Jahr 2004 eine stille Einlage in Höhe von 300.000,00 EUR geleistet. Nachdem über das Vermögen der GmbH & Co KG am 13. Juni 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, hat die MBG die stille Beteiligung am 20. Juni 2005 fristlos gekündigt. Die Beteiligung war gesichert durch eine 80%ige Ausfallbürgschaft der Bürgschaftsbank Sachsen-Anhalt GmbH, die ihrerseits abgesichert war durch Rückbürgschaften der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Sachsen-Anhalt in Höhe von zusammen 80%. Sämtliche Ausfall- und Rückbürgschaften sind in Anspruch genommen worden, und in der Folge berühmt sich das Land Sachsen-Anhalt eines entsprechenden Anspruchs gegen den Ehemann der Klägerin. Denn dieser hatte in dem Beteiligungsvertrag eine sog. Rückzahlungsgarantieverpflichtung unter anderem hinsichtlich der geleisteten stillen Einlage übernommen. Die MBG hat ihre Forderung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH & Co KG zur Tabelle gemeldet, die Forderung ist jedoch sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Ehemann der Klägerin als Schuldnervertreter in voller Höhe bestritten worden.

4

Aus dem Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 23. Juni 2006 ergab sich für die Eheleute ein Guthaben in Höhe von 28.906,08 EUR sowie aus dem Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 01. August 2006 ein Guthaben in Höhe von 32.767,58 EUR.

5

In der Folge hat das Finanzamt mit so bezeichnetem Aufteilungsbescheid vom 25. Oktober 2006 für 2003 und mit sog. Abrechnungsbescheid vom 01. Dezember 2006 für 2004 die Guthaben nach dem Verhältnis der geleisteten Steuerabzugsbeträge gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) aufgeteilt und hinsichtlich des jeweils auf den Ehemann der Klägerin entfallenden Erstattungsbetrages mit Forderungen aus der Bürgschaftsinanspruchnahme des Landes Sachsen-Anhalt die Aufrechnung erklärt.

6

Den erteilten Rechtsbehelfsbelehrungen folgend, haben die Eheleute gegen diese Bescheide Einspruch erhoben und erstmals die Gegenforderung, der sich das Land Sachsen-Anhalt berühmt, bestritten. Zudem haben sie am 23. Dezember 2006 eine Abtretungsanzeige vorgelegt, nach der der Ehemann der Klägerin dieser seine Erstattungsansprüche aus den Einkommensteuerveranlagungen für 2003 bis 2005 zur Sicherung von Unterhaltsverpflichtungen abgetreten hat.

7

Nachdem diese Einspruchsverfahren zunächst ausgesetzt worden waren, um hinsichtlich der bestrittenen Gegenforderung eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, hat das Land Sachsen-Anhalt am 12. April 2007 einen gerichtlichen Antrag auf Bestimmung des Gerichtsstandes beim Oberlandesgericht (OLG) Naumburg gestellt, diesen jedoch nach Eröffnung des insolvenzrechtlichen Verfahrens in Großbritannien wieder zurückgenommen. Weitere Bemühungen um gerichtliche Feststellung der Gegenforderung stellte das Land zunächst nicht an.

8

Sodann teilte das damalige Finanzamt mit Schreiben vom 30. November 2007 der Klägerin und ihrem Ehemann mit, dass es sich bei den als Aufteilungs- bzw. Abrechnungsbescheid bezeichneten „Schreiben“ vom 25. Oktober 2006 und 01. Dezember 2006 nicht um Abrechnungsbescheide nach § 218 Abs. 2 AO handele, sondern lediglich um Aufrechnungserklärungen. Demzufolge seien die Einspruchsschreiben vom 02. November 2006 und vom 04. Dezember 2006 lediglich als Einwendungen gegen die Aufrechnungserklärungen anzusehen und als Anträge auf Erteilung von Abrechnungsbescheiden nach § 218 Abs. 2 AO zu werten.

9

In der Folge hat das Finanzamt unter dem 21. Dezember 2007 die streitgegenständlichen Abrechnungsbescheide für die Klägerin erlassen, in denen er die an die Klägerin abgetretenen Einkommensteuererstattungsansprüche des Ehemanns für 2003 und 2004 jeweils als nach § 47 AO durch Aufrechnung erloschen ausgewiesen hat.

10

Ihre nach erfolglosem Einspruchsverfahren zum Az. 1 K 230/09 erhobene Klage hat die Klägerin im Wesentlichen damit begründet, dass die vorgenommenen Aufrechnungen weder wirksam noch zulässig seien. Regressforderungen aus einer angeblichen Inanspruchnahme aus Landesbürgschaften bestünden nicht und seien im Übrigen wegen des insolvenzrechtlichen Verfahrens gegen den Ehemann der Klägerin in Großbritannien auch nicht durchsetzbar.

11

Mit Verfügung der Berichterstatterin vom 20. Dezember 2012 ist dem Beklagten, dem zwischenzeitlich zuständig gewordenen Finanzamt, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH (Beschluss vom 09. April 2002 – VII B 73/01, BStBl. II 2002, 509) eine Frist zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens der zur Aufrechnung gestellten (Gegen-)Forderung in dem für diese zuständigen Rechtsweg bis zum 28. März 2013 gesetzt worden. Nachdem der Beklagte eine entsprechende Klage gegen den Ehemann der Klägerin beim Landgericht Magdeburg anhängig gemacht hatte, hat der Senat mit Beschluss vom 09. April 2013 das Verfahren nach § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem anhängigen Verfahren ausgesetzt.

12

Nachdem das Landgerichts Magdeburg mit Urteil vom 30. Januar 2014 der Klage zunächst stattgegeben hatte, hat das OLG Naumburg mit zwischenzeitlich rechtskräftigem Urteil vom 04. Juni 2014 zum Az. die Klage abgewiesen, weil es die erhobene Feststellungsklage mangels Feststellungsinteresses für unzulässig hielt. Daneben hat es dezidiert ausgeführt, dass gegen den Anspruch des Landes im Übrigen keine Bedenken bestünden. Wegen der Einzelheiten wird auf die dortigen Entscheidungsgründe (Bl. 402 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

13

Im hiesigen, unter dem Az. 1 K 1200/14 fortgesetzten Verfahren trägt die Klägerin nunmehr abschließend vor, dass im Ergebnis des durchgeführten zivilgerichtlichen Verfahrens die rechtswegfremde Gegenforderung, der sich der Beklagte berühmt, nicht rechtskräftig festgestellt sei und von der Klägerin nach wie vor bestritten werde.

14

An die maßgebliche zivilgerichtliche Entscheidung sei der Senat nach der ständigen Rechtsprechung des BFH gebunden. Das OLG Naumburg habe rechtskräftig festgestellt, dass dem Beklagten die behauptete Gegenforderung nicht zustand, was sich aus dem allein in Rechtskraft erwachsenden Tenor ergebe. Auf die weiteren Ausführungen im Berufungsurteil komme es hingegen nicht an, da diese lediglich als Meinungsäußerung des erkennenden Senats des OLG anzusehen seien.

15

Zudem habe es ungeachtet der möglicherweise bestehenden Gegenforderung an einer Aufrechnungslage zum Zeitpunkt der behaupteten Aufrechnung gefehlt. Es liege keine, zeitlich vor der Abtretungsanzeige abgegebene wirksame Aufrechnungserklärung vor.

16

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Abrechnungsbescheide des Beklagten vom 21. Dezember 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. Februar 2009 dahingehend zu ändern, dass ihr aus den Einkommensteuerveranlagungen für 2003 und 2004 ein weiterer Erstattungsbetrag aus abgetretenem Recht für 2003 in Höhe von EUR und für 2004 in Höhe von EUR zusteht.

17

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

18

Er hält die streitgegenständlichen Abrechnungsbescheide nach wie vor für rechtmäßig, da die Gegenforderung des Landes Sachsen-Anhalt zum Zeitpunkt der Aufrechnung bestanden habe und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils des OLG Naumburg.

19

Das Finanzgericht habe den Rechtsstreit unter eigener Würdigung des zivilgerichtlichen Prozessstoffes zu entscheiden, was sich aus § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ergebe. Danach entscheide das Gericht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten, weshalb die vom Senat im Vorfeld des Aussetzungsbeschlusses angeführte Rechtsprechung des BFH kritisch gesehen werden müsse.

20

Der BFH gehe davon aus, dass der vom Gesetzgeber mit Vorgabe des Rechtswegsystems gewählte Weg für Entscheidungen durch fachlich besonders qualifizierte Gerichte strikt einzuhalten sei und dass es sich insbesondere bei streitigen Aufrechnungslagen mit rechtswegfremden Forderungen nicht um einen rechtlichen Gesichtspunkt im Sinne von § 17 Abs. 2 GVG handele, sondern um ein selbständiges Gegenrecht. Dieses selbständige Gegenrecht solle dann in dem dafür zuständigen und qualifizierten Gerichtszweig verhandelt werden.

21

Im vorliegenden Verfahren sei genau dies erfolgt. Die Zivilgerichtsbarkeit habe über die vom Finanzamt aufgerechnete Forderung aus dem Bürgschaftsrückgriff verhandelt, und aus den Urteilen sei eindeutig zu ersehen, dass die Forderung des Landes zum Zeitpunkt der Aufrechnung im Jahr 2006 bestanden habe. Die Entstehung der Forderung aus dem Beteiligungsvertrag des Herrn S. mit der MBG seien von den Fachgerichten ebenso geprüft worden, wie der Übergang der Forderung an das Land Sachsen-Anhalt. Alle zivilrechtlichen Aspekte, die geprüft werden mussten, seien in den beiden Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit geprüft worden.

22

Die Klage aus rein formalistischer Sicht mit der Begründung – kein Titel, keine Aufrechnung – zum Erfolg zu verhelfen, sei mit dem Gesetz nicht vereinbar. Der Senat habe die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Aufrechnung nach §§ 218 Abs. 2, 226 Abs. 1 AO zu prüfen. Ein vollstreckbarer Titel sei in diesen Normen nicht erwähnt oder gar als Voraussetzung genannt.

23

Die nach § 226 Abs. 1 AO sinngemäß geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien von dem Senat bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnungsbescheide inzident zu prüfen. Hierbei seien für die bürgerlich-rechtliche Beurteilung die inhaltlichen Ausführungen zu Bestand und Übergang der Forderungen aus den Urteilen des Landgerichts und des OLG heranzuziehen.

24

Die Beurteilung des Feststellungsinteresses im Sinne von § 256 Zivilprozessordnung (ZPO) aus dem zivilgerichtlichen Verfahren habe dabei außer Acht zu bleiben. Zum einen sei § 256 ZPO im Prozessrecht und damit nicht in dem für die Beurteilung im Sinne des 226 AO heranzuziehenden Bürgerlichen Recht zu verorten, zum anderen sei die hiesige Klägerin nicht Beteiligte des zivilgerichtlichen Verfahrens gewesen.

25

Dem Senat haben zwei Bände der vom Beklagten für die Klägerin und ihren Ehemann geführten Steuerakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

26

Die örtliche Zuständigkeit des ursprünglich beteiligten Finanzamtes ist mit Wirkung vom 01. Oktober 2009 – also während des Klageverfahrens – auf das Finanzamt übergegangen. Aufgrund dieses Organisationsaktes ist das Finanzamt in die Beklagtenrolle des Finanzamtes eingetreten (gesetzlicher Parteiwechsel). Die Entscheidung ist daher gegen dieses Finanzamt als Beklagten zu erlassen (vgl. BFH-Urteil vom 01. August 1979 – VII R 115/76, BStBl. II 1979, 714, m.w.N.).

27

Die zulässige Klage ist unbegründet.

28

Die Abrechnungsbescheide des Beklagten vom 21. Dezember 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. Februar 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

29

Die allein streitigen Steuererstattungsansprüche des Ehemanns der Klägerin aus den Einkommensteuerbescheiden für 2003 und 2004 sind nach § 47 AO durch Aufrechnung nach § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB erloschen und haben zum Zeitpunkt der Abtretung der Forderungen an die Klägerin bzw. des Eingangs der Abtretungsanzeige bei dem Beklagten nicht mehr bestanden.

30

Das Land Sachsen-Anhalt hat als Schuldner des Steuererstattungsanspruchs (§ 226 Abs. 4 AO) mit Regressansprüchen aus einer Inanspruchnahme aus Landesbürgschaften gegenüber dem Ehemann der Klägerin als Zedenten des Steuererstattungsanspruchs aufgerechnet (§ 226 Abs. 1 AO, §§ 387, 406 BGB) und hält dies der Klägerin als Zessionarin des Steuererstattungsanspruchs entgegen. Die zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche sind entsprechend ihrer Rechtsnatur grundsätzlich vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.

31

Die fortbestehende Rechtsnatur der Regressansprüche als zivilrechtliche Ansprüche stehen ihrer Aufrechnung gegenüber dem abgetretenen Steuererstattungsanspruch nicht entgegen (BFH-Beschluss vom 6. August 1985 - VII B 3/85, BStBl. II 1985, 672, m.w.N.). Die Aufrechnung ist auch dann zulässig und materiell-rechtlich wirksam, wenn Forderung und Gegenforderung in verschiedenen Verfahrensarten (der Steuererstattungsanspruch vor dem Finanzgericht, die Regressansprüche aus Bürgschaftsinanspruchnahme vor dem Zivilgericht) geltend zu machen sind (so auch bereits BGH-Urteil vom 11. Januar 1955 - I ZR 106/53, BGHZ 16, 124, 127). Für den Fall, dass die rechtswegfremde Aufrechnungsgegenforderung - wie im Streitfall - nicht rechtskräftig festgestellt ist und bestritten wird, stellt sich aber die Frage, ob das für die Hauptforderung zuständige Gericht auch über das Bestehen der Gegenforderung, für die ein anderer Rechtsweg gegeben ist, entscheiden darf. Denn nach § 322 Abs. 2 ZPO ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht ist, der materiellen Rechtskraft fähig. Es besteht somit die Gefahr, dass ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet.

32

Der BFH hat in seinen grundlegenden Beschlüssen vom 6. August 1985 - VII B 3/85, a.a.O, und vom 09. April 2002 – VII B 73/01, BStBl. II 2002, 509, unter Berücksichtigung der von den anderen obersten Bundesgerichten zu dieser Rechtsfrage vertretenen Auffassungen entschieden, dass das Finanzgericht im Fall der Aufrechnung mit einer bürgerlich-rechtlichen Forderung, die klageweise nur vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden könnte, gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis mit Rücksicht auf die Rechtskraftwirkung nach § 155 FGO, § 322 Abs. 2 ZPO und die Vorgreiflichkeit der in den Bereich der Zivilgerichte fallenden Entscheidung das Verfahren nach § 74 FGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Gegenforderung auszusetzen hat. In diesem Falle ist nach der genannten Entscheidung dem mit der umstrittenen Gegenforderung aufrechnenden Beteiligten eine Frist zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtsweg zu setzen. Erhebt der Aufrechnende die Klage vor dem anderen Gericht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist, so kann das Gericht in dem anhängigen Verfahren das Bestehen der Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandeln und ohne Berücksichtigung der Aufrechnung entscheiden. Durch eine Entscheidung dieses Inhalts, die keine Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO hat, wäre der aufrechnende Beklagte auch im Falle des Prozesses mit dem ursprünglichen Gläubiger der Klageforderung nicht gehindert, die behauptete Gegenforderung später noch auf dem zuständigen Rechtsweg einzuklagen.

33

Der BFH hat weiter ausgeführt, dass die Aussetzung aus Rechtsgründen aber dann nicht zwingend geboten ist, wenn ein Zessionar klagt und ihm gegenüber nach § 406 BGB mit einer Forderung gegenüber dem Zedenten aufgerechnet wird. Denn in diesen Fällen kann es nicht zu der Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO kommen. Denn die Rechtskraft eines Urteils wirkt nur zwischen den Beteiligten des Verfahrens und ihren Rechtsnachfolgern (§ 110 Abs. 1 FGO, § 325 Abs. 1 ZPO), nicht aber gegenüber dem Zedenten als dem Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars.

34

Vorliegend ist die streitgegenständliche Aufrechnung jedoch nicht gegenüber der Klägerin als Zessionarin des Steuererstattungsanspruchs erfolgt, sondern bereits vor der Abtretung gegenüber dem späteren Zedenten, dem Ehemann der Klägerin. Dennoch vermag das Urteil des OLG Naumburg keine Rechtskraft gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes zu entfalten, weil es als sog. Prozessurteil erlassen wurde und somit nach § 322 Abs. 1 ZPO keine der Rechtskraft fähige Sachentscheidung vorliegt.

35

Folglich ist der Senat auch nach Durchführung des zivilgerichtlichen Verfahrens nicht daran gehindert, über die Entstehung der Aufrechnungsgegenforderung und deren Bestand bis zur Aufrechnungserklärung selbst zu entscheiden.

36

An der streitgegenständlichen Aufrechnungsgegenforderung, für die der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig ist, bestehen zur hinreichenden Überzeugung des Senats keine Bedenken.

37

Die MBG hat die vertraglich vereinbarte Einlage geleistet und der Garantiefall aus der von dem Ehemann der Kläger übernommenen sog. Rückzahlungsgarantieverpflichtung ist eingetreten.

38

Die MBG hat ihr Beteiligungsverhältnis mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam gekündigt, so dass nach dem Beteiligungsvertrag die volle Einlage zurückzuzahlen war, was in der Folge jedoch weder durch die Insolvenzschuldnerin noch durch den Ehemann der Klägerin erfolgte. Vielmehr hat die MBG die Bürgschaftsbank Sachsen-Anhalt in Anspruch genommen und Zahlung des Garantiebetrages in Höhe vom 244.400,00 EUR verlangt und erhalten. Die Bürgschaftsbank Sachsen-Anhalt erwarb als Drittbegünstigte des Beteiligungsvertrages das Rückgriffsrecht gegen den Ehemann der Klägerin, ohne selbst Vertragspartner zu werden. Sie bestätigte dem Land Sachsen-Anhalt am 20. September 2005 den Eingang von Zahlungen für die Hauptschuldnerin am 15. September 2005 und erklärte für den Fall, dass kein gesetzlicher Forderungsübergang erfolgt sein sollte, die Abtretung der Forderung an das Land. Damit erwarb das Land Sachsen-Anhalt die streitgegenständliche Forderung spätestens mit der Abtretung vom 20. September 2005. Mit seiner Zahlung an die Bürgschaftsbank erwarb das Land die anteilige Hauptforderung in Höhe von 84.000,00 EUR aus dem von der MBG auf die Bürgschaftsbank übergegangenen Garantieanspruchs gegen den Ehemann der Klägerin aus dem Beteiligungsvertrag.

39

Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des OLG Naumburg vom 04. Juni 2014 Bezug genommen.

40

Auch hat der Beklagte mit so bezeichnetem Aufteilungsbescheid vom 25. Oktober 2006 für 2003 und mit sog. Abrechnungsbescheid vom 01. Dezember 2006 für 2004 wirksam die Aufrechnung mit der streitgegenständlichen Gegenforderung erklärt.

41

Die Aufrechnungserklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit ihrem Zugang wirksam wird. Die Erklärung kann schriftlich, mündlich oder auch durch für den Empfänger erkennbare schlüssige Handlung abgegeben werden. Ein besonderer Inhalt der Aufrechnungserklärung ist nicht vorgeschrieben; nur muss der Wille zur Verrechnung und Tilgung zum Ausdruck kommen (Loose in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 226 Rn. 48 m.w.N.).

42

Den Schriftstücken vom 25. Oktober 2006 und vom 01. Dezember 2006, auf deren Rechtsnatur es insoweit nicht ankommt, kann eine entsprechende Willenserklärung des Beklagten eindeutig entnommen werden. Diese Willenserklärung ist dem Ehemann der Klägerin auch zugegangen.

43

Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärungen, die zeitlich eindeutig vor dem Eingang der Abtretungsanzeige beim Beklagten am 23. Dezember 2006 lagen, bestand auch offensichtlich eine sog. Aufrechnungslage.

44

Die Aufrechnung setzt nach § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 BGB voraus, dass die Hauptforderung und die Gegenforderung zwischen denselben Personen bestehen (Gegenseitigkeit), die Ansprüche ihrem Gegenstand nach gleichartig sind (Gleichartigkeit), die Hauptforderung erfüllbar (Erfüllbarkeit) und die Gegenforderung fällig (Fälligkeit) ist.

45

Inwiefern eine dieser Voraussetzungen nicht vorgelegen haben sollte, ist weder dargelegt noch ersichtlich.

46

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


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