Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 10 K 2954/14 Kg,AO
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist der Vater des ….1995 geborenen Kindes A und erhielt für diesen seit dessen Geburt Kindergeld. Darüber hinaus ist der Kläger auch der Vater der Kinder B, C und D, für die ursprünglich ebenfalls zu seinen Gunsten Kindergeld festgesetzt war.
3Der Kläger ist mit der Kindesmutter, Frau E, verheiratet und wohnt mit dieser zusammen in … F-Stadt. Im Januar 2010 stellte die Kindesmutter einen eigenen Antrag auf Kindergeld für die o.g. vier Kinder.
4Die Familienkasse (Beklagte) gab dem Antrag der Kindesmutter beginnend mit März 2010 statt. Zudem hob sie unter Hinweis darauf, dass die Kindesmutter gemäß § 64 Abs. 2 S. 2 EStG zur vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt worden sei, die Kindergeldfestsetzung für alle vier Kinder ab März 2010 gegenüber dem Kläger auf.
5Im September 2013 beantragte die Kindesmutter die Fortzahlung von Kindergeld für das Kind A über dessen 18. Lebensjahr hinaus. Dabei gab sie an, dass A bei den Großeltern in der Türkei wohne und dort zur Schule gehe. Auf Nachfrage der Familienkasse teilte sie ergänzend mit, dass sich A seit Sommer 2008 bis voraussichtlich 2015 in der Türkei aufhalten werde. Ihr Ehemann – der Kläger – sei dort die meiste Zeit bei ihm. Ihr Sohn komme einmal pro Jahr in den Sommerferien nach Deutschland zurück und halte sich hier dann drei Monate auf.
6Mit Bescheid vom 05.05.2014 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für das Kind A gegenüber dem Kläger unter Verweis auf § 70 Abs. 2 EStG ab August 2010 auf und forderte das für den Zeitraum August 2008 bis Februar 2010 gezahlte Kindergeld i.H.v. 3.700 € von dem Kläger zurück. Zudem erließ die Beklagte betreffend den Zeitraum ab März 2010 einen Rückforderungsbescheid gegenüber der Kindesmutter; diesbezüglich ist unter dem Aktenzeichen 10 K 3174/14 Kg,AO eine Klage der Kindesmutter anhängig.
7Der Kläger legte gegen den an ihn gerichteten Bescheid Einspruch ein und erhob unter anderem die Einrede der Verjährung. Eine Aufhebung komme aus Verjährungsgründen allenfalls ab Januar 2010 in Betracht. Aber auch ab diesem Zeitpunkt könne keine Rückforderung erfolgen, da Vertrauensschutzgesichtspunkte greifen würden. Denn die Antragsgegnerin habe das Kindergeld weitergezahlt, obwohl ihr schon seit dem Jahr 2008 positiv bekannt gewesen sei, dass der Sohn A in der Türkei zur Schule gehe. Als der Schulwechsel im Jahr 2008 angestanden habe, habe er - der Kläger - gemeinsam mit seiner Ehefrau sämtliche Stellen aufgesucht und dort Mitteilung macht. Da die Familie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten habe, hätten sie unter anderem bei der ARGE F-Stadt vorgesprochen und mitgeteilt, dass A nicht mehr in die Bedarfsgemeinschaft falle. Der dortige Sachbearbeiter habe darauf hingewiesen, dass dies auch der Kindergeldstelle mitgeteilt werden müsse, weshalb sich die Eheleute einige Tage später - noch im September 2008 - gemeinsam zur Familienkasse begeben hätten. Auch dort hätten sie mitgeteilt, dass A ab September 2008 in der Türkei zur Schule gehe. Eine schriftliche Empfangsbestätigung für diese Mitteilung hätten sie nicht erhalten, jedoch seien beide Eheleute bei dem Gespräch anwesend gewesen. Der Sachbearbeiter bei der Familienkasse habe erklärt, dass Kindergeld so lange weiter gewährt werde, wie ein Elternteil auf Steuerkarte arbeite und A in Deutschland gemeldet sei. Da beides der Fall gewesen sei und auch heute noch sei, sei er - der Kläger - davon ausgegangen, seine Pflicht gegenüber der Familienkasse erfüllt und das Kindergeld auch zu Recht bezogen zu haben. Er habe auf die Aussagen des Mitarbeiters der Familienkasse vertraut.
8Das Gleiche gelte auch für seine Ehefrau. Dass diese gutgläubig gewesen sei, zeige sich schon daran, dass sie anlässlich der Volljährigkeit von A einen neuen Antrag auf Gewährung von Kindergeld gestellt habe und dabei eine türkische Schulbescheinigung beigefügt habe. Hätte sie gewusst, dass kein Anspruch besteht, hätte sie dies sicher nicht getan.
9Darüber hinaus dürfte auch § 814 BGB analog greifen. Da die Familienkasse bereits seit 2008 Kenntnis von dem Schulbesuch in der Türkei gehabt habe, hätte sie mit September 2008 die Kindergeldzahlung einstellen müssen. Wenn sie trotz Kenntnis der Nichtschuld weiter zahle, könne das Geld jetzt jedenfalls nicht mehr zurückgefordert werden. Der Anspruch sei verwirkt. Außerdem stelle sich die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung dar, da der Mitarbeiter der Familienkasse deutlich zum Ausdruck gebracht habe, dass er trotz der Tatsache des Schulwechsels in die Türkei von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgehe. Zudem sei er - der Kläger - auch entreichert.
10Die Familienkasse erließ am 08.08.2014 einen Änderungsbescheid, mit dem die Rückforderung auf den Zeitraum Januar und Februar 2010 und den Betrag von 430 € begrenzt wurde. Im Übrigen wies sie den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 26.08.2014 als unbegründet zurück.
11Der Kläger hat sodann Klage erhoben. Er hält unter Wiederholung seines bisherigen Vortrags daran fest, dass der Familienkasse kein Rückforderungsanspruch zusteht. Ergänzend trägt er vor, dass er und seine Ehefrau bei der Familienkasse keinen Termin vereinbart hätten, sondern zur Antragsannahmestelle gegangen seien und dort eine Nummer gezogen hätten. Wenn man aufgerufen werde, werde man in eine Kabine gebeten. Sie seien zu einer etwa 45 bis 50 Jahre alten Frau gekommen, deren Namen er nicht mehr wisse. Dieser hätten sie mitgeteilt, dass A ab September 2010 in der Türkei zur Schule gehe und der Aufenthalt bis zum Ende der 12. Klasse, also etwa 4 bis 6 Jahre, dauern solle.
12Der Kläger beantragt,
13den Rückforderungsbescheid vom 05.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2014 aufzuheben.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die Rückforderung zu Recht erfolgt ist.
17Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Frau E als Zeugin. Die Zeugin gab u.a. an, dass es eine Absprache mit dem Schulamt gegeben habe, wonach A bis zum Ablauf von drei Monaten in seine alte Klasse habe zurückkehren können. Hierüber sei im September 2008 auch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten gesprochen worden. Sie hätten die Mitarbeiterin darauf hingewiesen, dass ihr Sohn aufgrund schulischer und familiärer Schwierigkeiten künftig in der Türkei zur Schule gehen solle, und zwar zunächst für drei Monate. Wenn es dort nicht klappe, solle er nach Deutschland zurückkommen, und ansonsten bis zum Abschluss seiner Schulausbildung in der Türkei bleiben. Die Mitarbeiterin habe daraufhin erwidert, dass das kein Problem sei, solange sie – die Zeugin – in Deutschland arbeite und ihr Sohn hier gemeldet sei. Nachdem sich herausgestellt habe, dass der Schulaufenthalt in der Türkei gut verlaufe, seien sie und ihr Ehemann nochmal beim Schulamt gewesen und hätten dort mitgeteilt, dass A in der Türkei bleibe.
18Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die in den Verfahren 10 K 2954/14 Kg,AO und 10 K 3174/14 Kg,AO vorgelegten Kindergeldakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
211. Der Aufhebungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
22a) Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. Die Türkei zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.
23Dass der Kläger im Streitzeitraum einen Wohnsitz im Inland hatte, ist unstreitig. Sein Sohn A verfügte in den Monaten Januar und Februar 2010 jedoch weder über einen Wohnsitz noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
24Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Der Begriff des Wohnsitzes setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus. Ebenso wenig reicht es aus, beim Einwohnermeldeamt mit einem bestimmten Wohnsitz gemeldet zu sein.
25Kinder können bei einem längerfristigen Schulbesuch im Ausland abweichend von ihren Eltern ihren inländischen Wohnsitz aufgeben und einen eigenständigen Wohnsitz im Ausland begründen, wobei es für die Entscheidung, ob das Kind den inländischen Wohnsitz beibehalten hat, u.a. darauf ankommt, wie oft und wie lange sich das Kind zwischenzeitlich im Inland aufgehalten hat (vgl. BFH, Beschluss vom 27.08.2010 – III B 30/09, BFH/NV 2010, 2272). Hält sich das Kind lediglich in den Schulferien in der inländischen Wohnung der Eltern auf, wird hierdurch ein Wohnsitz grundsätzlich nicht begründet oder beibehalten (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2000 - VI R 165/99, BStBl. II 2001, 279). Denn solche kurzfristigen Aufenthalte haben typischerweise keinen Wohncharakter, sondern dienen primär Besuchszwecken.
26Insbesondere in den Fällen, in denen ein minderjähriges Kind für mehrere Jahre zum Besuch der Schule bei Verwandten im Heimatland der Eltern untergebracht wird, ist zu beachten, dass ein solcher Auslandsaufenthalt nicht in erster Linie durch den Zweck der Schulausbildung bestimmt wird. Nach der Lebenserfahrung dient ein solcher Aufenthalt vielmehr vor allem auch dem Zweck, die Heimat der Familie genauer kennenzulernen und sich längerfristig in die dortigen Lebensverhältnisse einzuleben. Die Bindungen in sprachlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht an den heimatlichen Kulturkreis werden hergestellt oder wiederhergestellt und gefestigt. Das Entstehen neuer Beziehungen und die Lockerung der bisher bestehenden Bindungen führen regelmäßig zu einer Verwurzelung im Ausland (Heimatland), verbunden mit einer entsprechenden Einschränkung der bisherigen familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern. Diese Umstände schließen es dann regelmäßig aus, weiterhin vom Innehaben einer Wohnung bei den Eltern im Inland unter Umständen auszugehen, die darauf hinweisen, dass die Wohnung beibehalten und als solche genutzt werden soll und wird (BFH, Urteil vom 22.04.1994 – III R 22/92, BStBl II 1994, 887).
27Ob ein Wohnsitz begründet oder beibehalten wurde bzw. ob das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ist vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz zu ermitteln. Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) dafür, dass ein inländischer Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, trägt der Kindergeldberechtigte.
28Unter Berücksichtigung der o.g. Grundsätze ist nach Aktenlage nicht davon auszugehen, dass A im Streitzeitraum noch einen Wohnsitz im Inland hatte. Zu beachten ist insoweit zunächst, dass es nach den Angaben, die der Kläger und die Kindesmutter in der mündlichen Verhandlung gemacht haben, von vornherein beabsichtigt war, dass A – ein gutes Gelingen der Probezeit von drei Monaten vorausgesetzt – bis zum Abschluss seiner Schulausbildung, d.h. für vier bis sechs Jahre in der Türkei bleiben sollte. Davon waren zu Beginn des Streitzeitraums bereits 1,5 Jahre abgelaufen. Es handelte sich mithin sowohl beabsichtigt als auch tatsächlich nicht um einen nur kurzfristigen Auslandsaufenthalt. Zu beachten ist zudem, dass A im Zeitpunkt des Schulwechsels erst 12 Jahre alt war und bei Verwandten untergebracht wurde. Zurück nach Deutschland ist er nach dem Vortrag des Klägers nur in den Sommerschulferien gekommen. Damit liegen im Streitfall genau die Umstände vor, die grundsätzlich gegen das (weitere) Innehaben eines Wohnsitzes in der Wohnung bei den Eltern im Inland sprechen. Besondere Anhaltspunkte dafür, dass A in der Wohnung seiner Eltern in F-Stadt trotzdem einen Wohnsitz beibehalten hat, sind nicht ersichtlich.
29Auch hatte A seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland. Nach § 9 Satz 1 AO hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt. Die Sechsmonatsfrist in § 9 Satz 2 AO enthält einen Anhaltspunkt dafür, welche Aufenthaltsdauer nicht mehr als nur vorübergehend anzusehen ist. Entscheidend ist, ob ursprünglich ein mehr als sechs Monate dauernder Aufenthalt im Inland geplant war. Daran fehlt es im Streitfall, denn A sollte nach eigenem Vortrag des Klägers nur während der Sommerschulferien – d.h. für maximal drei Monate - nach Deutschland kommen.
30b) Die Beklagte war auch berechtigt, die Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 EStG nachträglich aufzuheben.
31Nach § 70 Abs. 2 FGO ist die Festsetzung des Kindergeldes zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, und zwar mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn ein Kind - wie hier der Sohn A - die besonderen Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 EStG nicht mehr erfüllt. Die Änderung der Verhältnisse ist auch nachträglich eingetreten, denn im Zeitpunkt der gegenüber dem Kläger ursprünglich erfolgten Kindergeldfestsetzung hatte A noch einen Wohnsitz im Inland. Dieser ist erst anlässlich des im September 2008 erfolgten Schulwechsels weggefallen.
322. Der Rückforderungsbescheid ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
33Ist Kindergeld ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (hier: die Beklagte), gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags.
34Dass der Kläger der Leistungsempfänger im Sinne des § 37 Abs. 2 AO ist, ist nicht zweifelhaft. Der Kindergeldbetrag wurde auf das von ihm im Kindergeldantrag benannte Konto überwiesen.
35Darauf, ob der Kläger erkannt hat, dass ihm zu viel Kindergeld ausgezahlt worden ist, kommt es nicht an. Denn § 37 Abs. 2 AO setzt kein Verschulden auf Seiten des Leistungsempfängers voraus. Der Rückforderungsanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn den Leistungsempfänger an der Fehlleistung kein Verschulden trifft bzw. wenn er diese nicht einmal erkannt hat.
36Damit liegen die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AO dem Grunde nach vor.
37Mit seinen Einwänden kann der Kläger letztlich nicht durchdringen. Insbesondere kann er sich nicht auf Entreicherung berufen. Denn der Rechtsgedanke des § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar (z.B. BFH, Beschlüsse vom 19.09.1997 – V B 39/97, BFH/NV 1998, 280 und vom 27.04.1998 – VII B 296/97, BStBl II 1998, 499).
38Auch kann sich der Kläger nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen. In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass die bloße Auszahlung von Kindergeld zur Schaffung eines Vertrauenstatbestandes allein nicht ausreicht. Hinzu kommen müssen vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist dabei ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann. Dem Verhalten der Familienkasse muss also die konkludente Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche (vgl. Beschluss vom 28.01.2010 - III B 37/09, BFH/NV 2010, 837 m.w.N.).
39Der Kläger sieht ein solches Verhalten in der von ihm behaupteten Aussage einer Mitarbeiterin der Beklagten, dass Kindergeld so lange weiter gewährt werde, wie ein Elternteil auf Steuerkarte arbeite und A in Deutschland gemeldet sei. Ob eine solche Aussage tatsächlich getätigt wurde, kann letztlich dahinstehen. Denn selbst dann, wenn der komplette Vortrag des Klägers als wahr unterstellt wird, greift der Grundsatz von Treu und Glauben nicht ein, da sich nicht feststellen lässt, ob es sich bei der Mitarbeiterin, mit der der Kläger gesprochen haben will, überhaupt um eine zu einer abschließenden Entscheidung über die Kindergeldfestsetzung des Klägers berufene Person handelte. Da sich der Kläger und dessen Ehefrau nicht an den Namen der Mitarbeiterin zu erinnern vermochten, ließ sich die sachliche Zuständigkeit dieser Person nicht beurteilen. In diesem Zusammenhang war allerdings zu beachten, dass das von dem Kläger und der Zeugin geschilderte Geschehen – nämlich dass sie bei der Antragsannahmestelle eine Nummer gezogen hätten und bei Aufruf in die ihnen zugewiesene Kabine gegangen seien – in ganz erheblichem Maße dafür spricht, dass sie mit einer zufälligen Person gesprochen haben, deren Aufgabe sich darauf beschränkte, Anträge entgegen zu nehmen. Eine solche Person kann jedoch grundsätzlich keine rechtlich verbindlichen Aussagen für die Familienkasse treffen.
40Zudem liegt das vom BFH geforderte besonders eindeutige Verhalten der Familienkasse, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann, bei einer solchen Ausgangslage schon deshalb nicht vor, weil für den Kindergeldberechtigten aus dem Namen „Antragsannahmestelle“ ersichtlich ist, dass die Anträge dort im Wesentlichen nur angenommen werden, d.h. gerade noch nicht abschließend bearbeitet werden. Dass es sich bei etwaigen rechtlichen Äußerungen von Mitarbeitern der Antragsannahmestelle, die in kurzer Folge mit einer Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte konfrontiert werden, ohne die dazugehörenden Akten zu kennen, gerade nicht um das Ergebnis einer abschließenden Prüfung handelt, sondern lediglich um spontane rechtliche Einschätzungen, ist offensichtlich und auch für den Kindergeldberechtigten erkennbar. Vertrauensschutz kann aus solchen spontanen Äußerungen nicht ableitet werden.
413. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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