Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 23/14

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Verwahrungsgebühren für nicht zustellbare Postsendungen.

2

Die Klägerin, eine Universalpostdienstleisterin, befördert u. a. im Inland Postsendungen aus Nicht-EU-Ländern, die bei drittländischen Postdienstleistern mit einer Empfängeradresse im Inland aufgegeben wurden. Sie übernimmt diese Postdienstleistungen im Inland in Erfüllung der Verbindlichkeiten, die sich für die Bundesrepublik Deutschland aus den Verträgen zum Weltpostverein ergeben, und die durch Gesetz auf sie - die Klägerin - übertragen wurden. Neben der Klägerin gibt es keine anderen Postdienstleister, die für die Bundesrepublik Deutschland diese völkerrechtlichen Pflichten erfüllen. Da die Klägerin vertragliche Beziehungen weder zu den Absendern noch zu den Empfängern der Sendungen unterhält, kann sie für den inländischen Transport von keiner dieser Personengruppen Entgelte verlangen. Sie erhält lediglich die pauschalierten Ausgleichszahlungen, die im Rahmen des Weltpostvertrages an die Postverwaltungen der Vertragsparteien ausgezahlt werden.

3

Nachdem die Sendungen aus Drittländern im Zollgebiet bei den Auswechslungsstellen der Klägerin eingegangen sind, werden sie von ihr vorsortiert. Die Postsendungen, bei denen dies möglich ist, werden bei der Zollpoststelle, die bei der Auswechslungsstelle angesiedelt ist, gestellt, in den freien Verkehr überführt und - ebenso wie die gestellungsbefreiten Sendungen - den Empfängern zugestellt. Die Sendungen, die nicht zum freien Verkehr abgefertigt werden können, weil sie an Personen adressiert sind, die der gesetzlichen Vertretungsmacht der Klägerin nach § 5 Abs. 2 ZollVG widersprochen haben (Selbstverzoller), weil außen nicht die erforderlichen Informationen angebracht sind oder weil Verstöße gegen Verbote und Beschränkungen im Raum stehen, werden in der Regel nicht bei der Zollpoststelle gestellt, sondern die Klägerin transportiert sie im Versandverfahren zum örtlich für den Adressaten zuständigen Zollamt, wo sie gestellt werden und damit das Versandverfahren beendet wird. Welche Sendungen für Selbstverzoller bestimmt sind, ist weder auf den Postübergabebögen, die die Sendungen im Versandverfahren begleiten, noch sonst für die Zollverwaltung ersichtlich.

4

Die Empfänger der Postsendungen, die nicht zum freien Verkehr abgefertigt werden konnten, informiert die Klägerin mit einem Standardschreiben über den Eingang der Postsendung bei dem für sie örtlich zuständigen Zollamt. Hierin wird darauf hingewiesen, dass nach sieben Tagen der Lagerung das Zollamt Verwahrungsgebühren erhebt (Anlage K 6 im Verfahren 4 K 103/10) bzw. Verwahrungsgebühren erst ab 5,- € erhoben werden (Anlage 4 zum Schriftsatz der Klägerin vom 15.12.2015).

5

Die Sendungen, die nicht in den freien Verkehr überführt werden können, lagern in der Regel 14 Tage in dem für den Empfänger örtlich zuständigen Zollamt. Werden sie nicht innerhalb dieser Frist abgeholt, nimmt sie die Klägerin aus der Zollverwahrung zurück und übermittelt sie an den Absender [Berichtigungsbeschluss vom 18.07.2016: statt "den Absender" muss es heißen "den Postdienstleister, von dem sie die jeweilige Sendung übernommen hat].

6

Für die Zollverwahrung von Sendungen im Postverkehr sah die bis zum 30.09.2009 gültige Zollkostenverordnung (ZKostV a. F.) vom 26.06.1970 (BGBl. I 1970, 848), zuletzt geändert durch die Sechste Verordnung zur Änderung der Zollkostenverordnung (BGBl. I 2005, 175) eine Gebührenerhebung nur für Pakete vor und zwar in Höhe von 0,50 € pro Tag (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 ZKostV a. F.). Die Gebühr wurde erst ab dem achten Lagertag erhoben (§ 10 Abs. 2 Nr. 4 ZKostV a. F.). Nach einer Dienstanweisung der Bundesfinanzverwaltung wurden von der Klägerin bzw. der A Lagergebühren auch nach Ablauf dieser Frist nicht erhoben, wenn der Empfänger die Annahme des Postpakets verweigerte oder das Postpaket aus anderen Gründen nicht zugestellt werden konnte (SV 2214, Anlage K 13 in 4 K 103/10).

7

Die am 01.10.2009 in Kraft getretene Zollkostenverordnung (ZollKostV) vom 06.09.2009 (BGBl. I 3001) hat den Gebührentatbestand - jetzt in § 7 Abs. 1 Nr. 1 ZollKostV geregelt - dahin gehend erweitert, dass für jegliche Post- und Kuriersendungen bis 20 Kilogramm Lagerkosten in Höhe von 0,50 € je Tag und Packstück entstehen. Sie werden jedoch nicht erhoben, wenn sie im Einzelfall weniger als 5,- € betragen (§ 11 ZollKostV).

8

Auf Nachfrage der Klägerin, die von der Neufassung der Zollkostenverordnung und der Änderung der Verwaltungspraxis keine Kenntnis hatte, teilte das Bundesfinanzministerium (BMF) mit E-Mail vom 08.10.2009 (Anlage K 9 im Verfahren 4 K 103/10) Folgendes mit:

9

"[Bei der Neufassung der Zollkostenverordnung] wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass das Monopol der Beförderung von Paketsendungen nicht mehr bei den Nachfolgeunternehmen der A liegt. Vielmehr werden Post- und Paketsendungen zunehmend auch von Kurier- und Expressdiensten befördert. [Es] wurde an der bislang geregelten Befreiung von der Entrichtung von Gebühren für Postpakete nicht mehr festgehalten, um den tatsächlichen Marktgegebenheiten im Postverkehr gerecht zu werden."

10

Weiter heißt es, dass die Klägerin die Kostenschuldnerschaft dadurch vermeiden könne, dass sie von ihrem Recht nach dem Weltpostvertrag Gebrauch mache, nicht abgeholte Postsendungen nach sieben Tagen zurückzunehmen. Durch Anwendung der Kleinbetragsregelung in § 11 ZollKostV entstünden damit für die Lagerung von bis zu neun Tagen nach der Gestellung keine Lagerkosten.

11

Mit Schreiben vom 10.11.2009 teilte das BMF der Klägerin ferner mit (Anlage K 16 im Verfahren 4 K 103/10):

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"Die Sonderregelung für die B, die § 10 Absatz 2 Nummer 4 der alten Zollkostenverordnung vorgesehen hatte, konnte im Rahmen der gebotenen Gleichbehandlung aller Dienstleister im Paketverkehr bei der neuen Zollkostenverordnung (ZKostV) nicht mehr berücksichtigt werden. [...] Nach der Kleinbetragsregelung des §§ 11 ZKostV werden für die Lagerung von Sendungen von bis zu neun Tagen nach der Gestellung keine Lagerkosten erhoben. Ich werde daher meine Zollstellen im Rahmen der zur Zeit in Überarbeitung befindlichen Dienstvorschrift anweisen, Ihr Unternehmen nach sieben Tagen über nicht abgeholte Postsendungen zu unterrichten, um Ihnen zu ermöglichen - in Anwendung des Weltpostvertrages - Postsendungen nach Ablauf von sieben Tagen zurückzunehmen, ohne dass Lagerkosten erhoben werden müssten."

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Mit Schreiben vom 28.12.2009 teilte das BMF der Klägerin schließlich mit (Anlage K 11 im Verfahren 4 K 103/10), dass das bisher ohne Rechtsanspruch gewährte Entgegenkommen, der Klägerin gegenüber grundsätzlich auf Lagergebühren zu verzichten, "aus Gründen der Gleichbehandlung" nicht länger beibehalten werden könne. Das BMF erklärte sich "vor dem Hintergrund der besonderen Situation der C mit Blick auf die Pflichten aus dem Weltpostvertrag" unter Bezugnahme auf § 11 ZollKostV bereit, die Klägerin nach sieben Tagen über nicht abgeholte Sendungen zu informieren, damit diese binnen zehn Tagen zurückgenommen werden könnten, wodurch die Erhebung von Lagerkosten vermieden werde. Der Bitte der Klägerin, die zuvor bestehende Praxis der Nichterhebung fortzusetzen, entsprach es dagegen nicht.

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Mit 120 Kostenbescheiden über Lagerkosten bzw. Zusammenfassenden Kostenbescheiden über Lagerkosten, die zwischen dem 26.02.2010 und dem 11.09.2013 ergingen, erhob der Beklagte gemäß § 13 VwKostG i. V. m. § 7 ZollKostV für die Lagerung von Postsendungen beim Zollamt-1 bzw. Zollamt-2 zwischen dem 11.02.2010 und dem 30.08.2013 Lagerkosten in Höhe von insgesamt 125.222,- €. Die Postsendungen lagerten überwiegend zwischen 16 und 18 Tagen, in Ausnahmefällen auch kürzer oder länger. Von dieser Lagerdauer zog der Beklagte gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZollKostV jeweils zwei Tage ab.

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Die Einspruchsverfahren gegen diese Bescheide wurden im Hinblick auf das finanzgerichtliche Verfahren gegen einen Kostenbescheid vom 01.03.2010 über im Februar 2010 entstandene Lagerkosten (4 K 103/10; BFH: VII R 65/11) ausgesetzt. Nachdem dieses Verfahren durch Rücknahme der Klage im zweiten Rechtsgang (4 K 2/13) beendet worden war, nahm der Beklagte die ruhenden Einspruchsverfahren gegen die 120 Kostenbescheide wieder auf und wies mit 120 Einspruchsentscheidungen vom 02.01.2014 (RL ...-...) die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er jeweils aus: Die Klägerin habe gemäß § 7 Abs. 1 ZollKostV i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG dadurch eine kostenpflichtige Amtshandlung veranlasst, dass sie Postsendungen zur Beendigung eines externen Versandverfahrens gestellt habe. Die Übergabe sei mit dem Ziel der Aufbewahrung und späteren Auslieferung an den Adressaten erfolgt. Im Hinblick auf eventuelle mögliche weitere Gesamtschuldner sei die Entscheidung nicht ermessensfehlerhaft, denn solche seien weder bekannt noch hätten sie vom Beklagten ermittelt werden können.

16

Mit der am 06.02.2014 erhobenen Klage gegen diese Bescheide verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung beruft sie sich auf ihren Vortrag aus dem Verfahren 4 K 103/10. Ergänzend trägt sie im Wesentlichen vor: Sie sei kein Veranlasser im Sinne von § 13 Abs. 1 S. 1 VwKostG. Der Begriff der Veranlassung setze eine aus eigener Initiative vorgenommene, freiwillige Handlung voraus. Durch die Gestellung sei die Lagerung nicht willentlich herbeigeführt worden. Da die Gestellung gemäß Art. 4 Nr. 19 ZK lediglich die Mitteilung sei, dass sich die Postsendungen beim Zollamt befänden, habe das Abladen der Postsendungen nicht mehr zur Gestellung gehört. Die Klägerin habe somit lediglich die Rechtsstellung der Sendungen als "Waren in vorübergehender Verwahrung" "in Gang gesetzt", nicht jedoch die davon zu unterscheidende tatsächliche Verwahrung. Bei Beginn der Verwahrung seien also alle zollrechtlichen Pflichten der Klägerin erfüllt gewesen.

17

Auch durch die Übergabe der Postsendungen an den Beklagten sei die Lagerung nicht willentlich herbeigeführt worden, weil die Klägerin hierdurch den Fremdbesitz an den Postsendungen aufgegeben und der Beklagte unmittelbaren Fremdbesitz für die Empfänger als mittelbare Besitzer übernommen habe. Die Sendungen seien nicht mit dem Ziel der späteren Auslieferung übergeben worden. Damit sei die Klägerin gerade nicht die Person, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 203 Abs. 3, 4. Anstrich ZK die Verpflichtungen einzuhalten habe, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung ergäben.

18

Wenn der Bundesfinanzhof ausführe, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich um eine nicht bestellte Sendung handele und deshalb der Empfänger nicht Kostenschuldner sein könne, werde damit ein Einzelfall zum Regelfall erhoben. Dies widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung.

19

Entgegen der im Erörterungstermin vertretenen Auffassung des Berichterstatters sei die Lagerung auch nicht zu Gunsten der Klägerin vorgenommen worden. Aus Art. RE 403 Abs. 1.1 der Ergänzenden Paketpostbestimmungen ergebe sich ein generelles Verbot zur Erhebung von Verwahrungsgebühren. Hieraus folge, dass Abgaben auf zurückgeschickte Pakete gegen den Absender oder den Empfänger festgesetzt werden sollten. Es sei nicht vorgesehen, dass die Klägerin statt dieser Personen herangezogen werde. Aus dieser Vorschrift folge jedenfalls, dass die in Rede stehenden Gebühren niedergeschlagen werden müssten; dies werde vorsorglich angeregt. § 261 AO sei entsprechend anzuwenden.

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Durch die Lagerung der Postsendungen habe die Klägerin keinen unmittelbaren Vorteil erlangt. Eine Verpflichtung aus dem externen Versandverfahren könne - wie dargelegt - durch die Lagerung nicht erfüllt werden. Mit der Lagerung komme die Klägerin auch nicht Pflichten aus dem Weltpostvertrag nach. Hierdurch würden die Postsendungen nicht "bereitgehalten" im Sinne von zur Abholung bereitgestellt oder zur Verfügung gehalten.

21

Die Empfänger der Sendungen seien Veranlasser. Die Verantwortung, einer Ware eine zollrechtliche Bestimmung zu geben, treffe jeden Empfänger, unabhängig davon, ob dieser die Ware bestellt habe.

22

Es sei ermessensfehlerhaft, die Klägerin unter mehreren Kostenschuldnern in Anspruch zu nehmen. Der Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Liste der Selbstverzoller anzufordern. Im Übrigen müsse der Weltpostvertrag nebst ergänzenden Vorschriften auch auf Ermessensebene Berücksichtigung finden. Schließlich sei vorrangig der Veranlasser als Kostenschuldner in Anspruch zu nehmen.

23

Die Klägerin beantragt,
die Kostenbescheide bzw. Zusammenfassenden Kostenbescheide über Lagerkosten mit den Registrierkennzeichen 1 bis 120 jeweils in Gestalt der entsprechenden Einspruchsentscheidung vom 02.01.2014 (RL ... bis RL ...), aufzuheben.

24

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

25

Der Beklagte bezieht sich auf die Einspruchsentscheidungen sowie auf seinen Vortrag in den Verfahren 4 K 103/10 und 4 K 2/13. Ergänzend trägt er vor [Berichtigungsbeschluss vom 18.07.2016: statt "Ergänzend trägt er vor" muss es heißen "Er trägt vor"], dass er kein Auswahlermessen habe, weil es außer der Klägerin keine weiteren Kostenschuldner gebe. Insbesondere seien die Empfänger keine Kostenschuldner, denn die Sendungen seien nicht gemäß § 13 VwKostG zu ihren Gunsten verwahrt worden. Vielmehr hätten die Empfänger durch die Nichtabholung gerade ihr Desinteresse an der Sendung zum Ausdruck gebracht.

26

Mit der willentlichen Herbeiführung der Lagerung durch Übergabe an das Zollamt habe kein Besitzwechsel stattgefunden. Er, der Beklagte, habe lediglich für die Klägerin verwahrt. Wie sich aus den Ausführungen des Bundesfinanzhofs ergebe, seien die Adressaten der Postsendungen nicht Besitzer der Waren, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich um eine nicht bestellte Sendung handele. Außerdem sei ihm nicht bekannt, ob die Benachrichtigungskarte dem Adressaten überhaupt zugegangen sei und warum eine Sendung nicht abgeholt werde.

27

Der Umstand, dass der Klägerin völkerrechtliche Verpflichtungen übertragen worden seien, sei ohne Einfluss auf die Ermessensentscheidung. Es stehe der Klägerin frei, das derzeit praktizierte Verfahren der Verwahrung von Postsendungen zu ändern. Die 14-tägige Mindestlagerdauer gelte nur für Paketsendungen, nicht für Briefe und Päckchen. Die Klägerin könne ihre betrieblichen Abläufe daher auch so gestalten, dass keine Lagerkosten entstünden. Schon jetzt werde die Klägerin nur in Anspruch genommen, wenn andere Kostenschuldner nicht bekannt oder ermittelbar seien.

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Dem Senat lagen neben den Sachakten des Beklagten die Gerichtsakten zu den Aktenzeichen 4 K 103/10 (II. Rechtsgang: 4 K 2/13) und 4 K 54/14 nebst Sachakten vor. Auf sie wird ergänzend ebenso Bezug genommen wie auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 16.12.2015.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg.

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Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Zwar erfüllen sie die Voraussetzungen des Gebührentatbestandes des § 7 ZollKostV (dazu 1.). Die Klägerin ist auch Gebührenschuldner gemäß § 13 VwKostG (dazu 2.). Der Beklagte hat jedoch, weil neben der Klägerin weitere Kostenschuldner vorhanden sind (dazu 3.), das ihm zustehende Auswahlermessen nicht ausgeübt (dazu 4.).

31

1. Der Tatbestand von § 7 Abs. 1, Abs. 2 ZollKostV ist erfüllt.

32

1.1 Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Verwahrgebühren ist § 7 Zollkostenverordnung (ZollKostV) vom 06.09.2009 (BGBl. I 3001, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 06.05.2014, BGBl. I 498) in Verbindung mit dem Verwaltungskostengesetz (VwKostG) in der bis zum 14.08.2013 geltenden Fassung. Zwar ist am 15.08.2013 das Bundesgebührengesetz (BGebG) in Kraft getreten (Art. 1 des Gesetzes zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes vom 07.08.2013, BGBl. I 3154). Gleichwohl gilt nach der Anordnung in § 178 Abs. 4 S. 2 AO in der Fassung vom 15.08.2013 (BGBl. I 2013, 3154) das Verwaltungskostengesetz in der genannten Fassung für die Kostenerhebung nach § 178 AO (siehe auch § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGebG und BR-Drs. 305/12, S. 174, 255). Es gibt auch keine unionsrechtlichen Vorschriften, die die Anwendung mitgliedstaatlicher Gebührentatbestände sperren würden (FG Hamburg, Beschl. v. 29.09.2010, 4 V 104/10, juris Rn. 39).

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1.2 Die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1, Abs. 2 ZollKostV sind erfüllt.

34

Nach § 7 Abs. 1 S. 1 ZollKostV, an dessen Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen (FG Hamburg, Beschl. v. 29.09.2010, 4 V 104/10, juris Rn. 67 ff.; BFH, Beschl. v. 22.02.2011, VII B 210/10, juris Rn. 7), wird für die Lagerung von Nichtgemeinschaftswaren durch die Zollstelle eine Verwahrungsgebühr erhoben. Sie beträgt für die hier in Rede stehenden Postsendungen je Packstück 0,50 € pro Tag (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZollKostV). Auf dieser Grundlage wurden die Gebühren für die Postsendungen (Briefe, Päckchen und Pakete), die von außerhalb der EU mit einer deutschen Zieladresse abgesandt wurden, zutreffend berechnet. Insbesondere sind die gemäß § 7 Abs. 2 ZollKostV gebührenfreien Tage berücksichtigt worden. Die monatsweise Zusammenfassung der Gebühren ist in § 10 ZollKostV ausdrücklich vorgesehen.

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2. Die Klägerin ist Kostenschuldner gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG. Danach ist zur Zahlung der Kosten verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst (1. Alternative) oder zu wessen Gunsten sie vorgenommen wird (2. Alternative). Beide Alternativen sind vorliegend erfüllt.

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2.1 Die Lagerung der Postsendungen erfolgte zu Gunsten der Klägerin. Begünstigt ist ein Kostenschuldner, wenn ihm durch eine Amtshandlung ein - wie auch immer gearteter - unmittelbarer Vorteil zu Gute kommt (OVG Münster, Urt. v. 05.05.1999, 9 A 2350/98, juris Rn. 24 m. w. N). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch die Amtshandlung eine gesetzliche Pflicht des in Anspruch genommenen erfüllt wird (OVG Münster, Urt. v. 13.05.1986, 12 A 2815/84, juris Leitsatz 2). So liegt der Fall hier. Durch die Aufbewahrung wird eine gesetzliche Pflicht der Klägerin erfüllt.

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2.1.1 Die Klägerin ist durch Bundesgesetz verpflichtet, Postsendungen, die den Regeln des Weltpostvertrags unterliegen, aufzubewahren, bevor sie an den Absender zurückgesandt werden.

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Sämtliche Postsendungen, für deren Lagerung Verwahrungsgebühren verlangt werden, werden nach den Regeln der Verträge des Weltpostvereins, deren Mitgliedsland auch die Bundesrepublik Deutschland ist, transportiert. Nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 und S. 2 des Weltpostvertrags (WPV) - ein im Rahmen des Weltpostvereins geschlossenes Abkommen - in der Fassung vom 15.09.1999 (BGBl. II 2002, 1470) stellen die Postverwaltungen die Annahme, Bearbeitung, Beförderung und Auslieferung von Briefsendungen und Postpaketen sicher. Nach Art. 28 Abs. 1 WPV stellen sie insbesondere sicher, dass Sendungen, die den Empfängern aus irgendeinem Grund nicht ausgeliefert werden konnten, zurückgesandt werden. Die Aufbewahrungsfristen ergeben sich aus den Ergänzenden Bestimmungen (Art. 28 Abs. 2 WPV). Im vorliegenden Fall sind die Ergänzenden Paketpostbestimmungen (EPPB) vom 01.12.1999 sowie die Ergänzenden Briefpostbestimmungen vom 01.12.1999 (Bl. 112 ff., Bl. 217 ff. der Akte), die seit dem 16.04.2003 in Kraft sind (Verordnung vom 09.04.2003 zu den Ergänzenden Be-stimmungen vom 01.12.1999 zu den Verträgen vom 15.09.1999 des Weltpostvereins, BGBl. II 2003, 330), anzuwenden. Nach Art. RE 304 Abs. 1 S. 1 und S. 2 EPPB ist ein Paket, dessen Eingang dem Empfänger mitgeteilt wurde, mindestens 14 Tage, höchstens jedoch einen Monat oder in Ausnahmefällen zwei Monate für diesen bereitzuhalten. Nach Art. RE 306 Abs. 2 EPPB muss ein Paket, das nicht ausgeliefert werden konnte, unverzüglich nach den in Art. RE 304 vorgesehenen Lieferfristen (Abs. 2.2) oder nach Ablauf der gegebenenfalls vom Absender festgelegten Fristen (Abs. 2.1) zurückgesandt werden. Für Briefpost bestimmt Art. RE 503 Abs. 1.3 EBPB, dass unzustellbare Sendungen, deren Annahme der Empfänger nicht bereits verweigert hat oder deren Auslieferung offensichtlich nicht möglich ist, innerhalb einer von der Bestimmungsverwaltung festgelegten Frist aufbewahrt werden, die einen Monat, in besonderen Fällen zwei Monate nicht überschreiten darf. Diese von der Klägerin festgelegte Frist betrug im hier maßgeblichen Zeitraum 14 Tage.

39

Da die Bundesrepublik Deutschland von Verfassungs wegen (Art. 87f Abs. 2, 1 GG) gehindert ist, Universalpostdienstleistungen als hoheitliche Tätigkeit anzubieten (Windthorst, in Sachs, GG, 7. Auflage 2014, Art. 87f Rn. 15), kann sie die auf die Erbringung derartiger Dienstleistungen gerichteten Pflichten aus dem Weltpostvertrag nicht selbst erfüllen. Unter Anwendung einer entsprechenden völkerrechtlichen Erlaubnis (Art. 10 Abs. 8 S. 1 WPV) hat sie daher die aus dem Weltpostvertrag nebst ergänzenden Vorschriften fließenden völkerrechtlichen Pflichten durch Bundesgesetz auf die Klägerin übertragen. Nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes vom 18.06.2002 zu den Verträgen vom 15.09.1999 des Weltpostvereins (BGBl. II 2002, 1446), das ein Bundesgesetz im Sinne von Art. 87f Abs. 1 GG ist, nimmt die Klägerin für die Bundesrepublik Deutschland die Rechte und Pflichten wahr, die sich für eine Postverwaltung im Verhältnis zu den Benutzern und zu anderen Postverwaltungen aus dem Weltpostvertrag nebst Nebenbestimmungen ergeben. Damit ist die Klägerin durch Gesetz verpflichtet, Postsendungen nach den oben genannten Bestimmungen zu befördern und vor der Rücksendung aufzubewahren.

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2.1.2 Die gesetzliche Pflicht der Klägerin zur Aufbewahrung von Postsendungen, die nicht sofort zugestellt werden können, wird durch die Lagerung der Postsendungen beim Zollamt-1 bzw. Zollamt-2 des Beklagten erfüllt. Die Sendungen wurden regelmäßig 16 oder 18 Tage, in Ausnahmefällen auch geringfügig länger oder kürzer, niemals jedoch über die in Art. RE 304 Abs. 1 EPPB bzw. Art. RE 503 Abs. 1.3 EBPB genannten Höchstaufbewahrungsfristen hinaus, verwahrt. Die Klägerin musste die Postsendungen in dieser Zeit nicht anderweitig aufbewahren.

41

Dass für Briefsendungen keine Mindestaufbewahrungsfristen unmittelbar in den EBPB festgehalten sind, ändert nichts daran, dass die Klägerin durch die Aufbewahrung auch dieser Sendungen ihre gesetzlichen Pflichten erfüllte. Dadurch, dass die EBPB auf die Vorschriften der Bestimmungsverwaltung verweisen, werden die dort festgelegten Fristen auch völkerrechtlich - bzw. für die Klägerin bundesgesetzlich - verbindlich.

42

Anders als die Klägerin meint, werden die Postsendungen auch bereitgehalten im Sinne von Art. RE 304 Abs. 1 S. 1 EPPB. "Bereithalten" in diesem Sinne bedeutet, dass dem Empfänger die Möglichkeit gegeben werden muss, die Postsendung in Empfang zu nehmen. Dies ist bei der Lagerung durch den Beklagten ohne weiteres der Fall, weil die Adressaten durch ein Mitteilungsschreiben darüber informiert werden, wo sich die Postsendungen befinden, und unter welchen Bedingungen sie abgeholt werden können.

43

Es verstößt nicht gegen Art. RE 403 EPPB bzw. Art. RE 603 EBPB, die Klägerin als Kostenschuldner zu behandeln. Danach verpflichten sich die Postverwaltungen, sich dafür einzusetzen, dass Zölle und andere Abgaben auf zurückgesandte Sendungen niedergeschlagen werden. Da die Klägerin kein Völkerrechtssubjekt ist, könnte sie sich nur dann auf diese Vorschriften berufen, wenn die Vertragsparteien sich hierin ausdrücklich verpflichtet hätten, Beförderungsunternehmen wie der Klägerin Rechte zuzugestehen. Dies ist etwa in Art. 28.4 S. 2 WPV der Fall, in dem festgelegt wird, dass bei preisgegebenen Paketen Postverwaltungen nicht verpflichtet sind, Abgaben zu zahlen, die gegebenenfalls für das Paket anfallen. Art. RE 403 und Art. RE 603 EBPB, auf die sich die Klägerin beruft, richten sich dagegen ausschließlich an die Vertragsparteien und regeln die zollrechtlichen Auswirkungen von Sendungen, die nicht zugestellt werden konnten. Sie betreffen nicht das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien und den Beförderungsunternehmen, denen die Dienste der Paketbeförderung gemäß Art. 10.8 WPV übertragen werden.

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2.2 Die Klägerin ist auch Kostenschuldner, weil sie die Verwahrung veranlasst hat.

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Gebührenrechtlicher Veranlasser ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 26.09.2012 (VII R 65/11, juris Rn. 12) stützt, wer die kostenverursachende Amtshandlung willentlich herbeigeführt hat oder derjenige, in dessen Pflichtenkreis sie erfolgte. Andere Entscheidungen betonen, dass es darauf ankommt, ob die Verwaltungsleistung dem Gebührenschuldner individuell zurechenbar ist (BVerwG, Urt. v. 07.11.1980, I C 46.77, juris Rn. 18). Angesichts der Vielzahl der möglichen Fallgestaltungen ist dem einschlägigen Fachrecht zu entnehmen, ob ein rein kausaler Verursachungsbeitrag auch zurechenbar ist. Wenn dem Fachgesetz nicht entnommen werden kann, warum der Verursachungsbeitrag auch zurechenbar ist, kommt eine Zurechnung als Veranlasser nicht in Betracht (BVerwG, Urt. v. 24.08.1990, 8 C 73/88, juris Rn. 12 f.).

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Unabhängig von der Frage, ob sich diese individuelle Zurechnung bereits darauf stützen lässt, dass die Klägerin die vorübergehende Verwahrung durch die Beendigung des Versandverfahrens "in Gang gesetzt" - also mit anderen Worten: kausal verursacht - hat (so der BFH, Urt. v. 26.09.2012, VII R 65/11, juris Rn. 14), ergibt sich die individuelle Zurechnung daraus, dass - wie oben 2.1 dargelegt - durch die Lagerung der Postsendungen eine gesetzliche Pflicht der Klägerin erfüllt wurde. Diese gesetzliche Pflicht der Klägerin ist der Anknüpfungspunkt dafür, dass sie - neben anderen (siehe unten 3.) - und nicht die Allgemeinheit die Verwahrungsgebühren schuldet.

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3. Neben der Klägerin sind auch die Absender der gelagerten Sendungen (dazu 3.1), die Empfänger, die Selbstverzoller sind (dazu 3.2), sowie sämtliche übrigen Empfänger (dazu 3.3) Kostenschuldner.

48

3.1 Die Absender der gelagerten Postsendungen sind Kostenschuldner der Verwahrungsgebühr. Sie haben die Lagerung derjenigen Postsendungen veranlasst, die nicht an Selbstverzoller adressiert sind. In diesen Fällen haben sie nämlich die Überführung in den freien Verkehr verhindert, weil sie unvollständige Angaben gemacht oder Waren versendet haben, die gegen Verbote und Beschränkungen verstoßen könnten. Die Lagerung erfolgte in allen Fällen zu ihren Gunsten, weil hierdurch die jeweiligen Empfänger die Möglichkeit erhielten, über den Verbleib der Sendung zu disponieren. Dies ist ein Vorteil für den Absender, weil er möchte, dass die Sendung den Adressaten erreicht.

49

3.2 Die Empfänger der verwahrten Postsendungen, die Selbstverzoller sind, haben durch diese Erklärung die Überführung zum externen Versandverfahren und die Gestellung der Postsendungen verursacht und damit die sich daran anschließende Lagerung veranlasst (BFH, Urt. v. 26.09.2012, VII R 65/11, juris Rn. 22). Außerdem erfolgt die Verwahrung zu ihren Gunsten, weil sie ihnen Zeit und Gelegenheit gibt, über die Anmeldung der Ware zu einem Zollverfahren zu entscheiden (BFH, a. a. O.).

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3.3 Schließlich sind auch alle übrigen Empfänger, d. h. auch die, die nicht Selbstverzoller sind, Kostenschuldner der hier geltend gemachten Verwahrungsgebühren. Sie sind Veranlasser der kostenverursachenden Handlung (dazu 3.3.1). Darüber hinaus erfolgte die Amtshandlung zu ihren Gunsten (dazu 3.3.2).

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3.3.1 Alle Empfänger von Postsendungen sind Veranlasser einer Lagerung, die deshalb erfolgt, weil die Sendung zollrechtlich nicht abschließend behandelt werden kann. Zwar hat der Bundesfinanzhof sich auf den Standpunkt gestellt, dass Empfänger nicht abgeholter Sendungen deshalb nicht Kostenschuldner seien, weil es - wie auch in den hier in Rede stehenden Fällen - im Einzelfall denkbar sei und jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich um nicht bestellte Sendungen handele (Urt. v. 26.09.2012, VII R 65/11, juris Rn. 20). Dieser Auffassung folgt der Senat indes nicht. In dem für die Entstehung der Kostenschuldnerschaft maßgeblichen Zeitraum der Vornahme der gebührenpflichtigen Amtshandlungen (OVG Greifswald, Beschl. v. 14.02.2005, 1 L 401/05, juris Rn. 14) muss der Beklagte davon ausgehen, dass - vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls - jeder Empfänger die Verwahrung von nicht gestellungsbefreiten Sendungen aus Drittstaaten veranlasst hat, indem er die Ware entweder bestellt oder deren Übersendung sonst zurechenbar verursacht hat. Eine lebensnahe Würdigung des Sachverhalts, die sich am typischen Fall orientieren muss, ergibt nämlich, dass - vorbehaltlich besonderer Umstände, die im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind - Sendungen aus Drittstaaten in der Regel nicht ohne Veranlassung des Adressaten abgesendet werden.

52

Es sind schon keine vernünftigen - insbesondere keine betrügerischen - Gründe ersichtlich, warum Personen aus Drittländern, ohne dass die Adressaten dies veranlasst hätten, konkreten Empfängern im Bundesgebiet Waren im Wert von über 22,- €, Alkohol, alkoholische Getränke, Tabakwaren oder Kaffee übersenden würden - unterhalb dieser Wertgrenze wären die Waren gestellungsbefreit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) Zollverordnung vom 23.12.1993 (BGBl. I 1993, 2449) -, zumal das Porto aus Drittstaaten ungleich höher ist als bei nationalen Postsendungen. Bereits dieser Kostengesichtspunkt lässt es regelmäßig als lebensfern erscheinen, dass Absender aus Drittländern Waren an Empfänger versenden, die diese nicht bestellt bzw. deren Versendung diese nicht angestoßen haben. Auch aus dem Umstand, dass eine Sendung nicht abgeholt wird, kann man regelmäßig nicht schließen, dass die Warenübersendung nicht veranlasst wurde. Die Nichtabholung kann nämlich zahlreiche andere Gründe haben, insbesondere, dass man das Interesse an der Sendung verloren hat, keine Einfuhrabgaben zahlen möchte oder fürchtet, wegen Verstößen gegen Verbote und Beschränkungen belangt zu werden.

53

Eine andere Sichtweise würde im Übrigen zu nicht überwindbaren Abgrenzungsproblemen führen. Es lässt sich nämlich im Einzelfall kaum nachweisen, ob der Absender die Ware mit Zustimmung des Adressaten abgesandt hat oder nicht.

54

Selbst wenn man eine andere Sachverhaltswürdigung vornehmen würde, d. h. man nicht prima facie davon ausgeht, dass die Übersendung der beschriebenen Waren aus Drittstaaten ins Bundesgebiet durch eine Handlung des Adressaten zurechenbar verursacht (also: veranlasst) worden sein muss, reicht es für die Veranlassung im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG einer Verwahrungsgebühr nach § 7 ZollKostV aus, dass man durch Vorhandensein einer postalischen Anschrift am Postverkehr teilnimmt. Dies ergibt sich aus Folgendem:

55

Es steht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Gebührenerhebung nicht entgegen, dass die gebührenpflichtige Verwaltungsleistung einem untätigen oder jedenfalls sich leistungsneutral verhaltenden Gebührenschuldner aufgedrängt wird (BVerwG, Urt. v. 07.11.1980, I C 46.77, juris Rn. 19 m. w. N.). In dem in dieser Entscheidung zitierten Urteil vom 13.01.1959 (I C 114.57, BVerwGE 8, 93) hat das Bundesverwaltungsgericht die Auffassung des VGH Kassel bestätigt, der Halter eines Kfz sei allein wegen seiner Haltereigenschaft Veranlasser einer gegen ihn angeordneten Untersuchung seines Fahrzeugs, weil von diesem Fahrzeug, das er im eigenen Interesse halte, eine Betriebsgefahr für die Allgemeinheit ausgehe (insoweit nur abgedruckt in juris Rn. 1). Die hierin zum Ausdruck kommende Wertung, die das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hat (BVerwGE 8, 93, 95), ist auf den vorliegenden Fall übertragbar: Durch die Teilnahme am Postverkehr erhält man die Möglichkeit, Sendungen zu versenden und Sendungen zu erhalten, die man erhalten möchte. Gleichzeitig birgt die Teilnahme am Postverkehr das Risiko - gleichsam die "Betriebsgefahr" -, dass Sendungen transportiert werden, die der Empfänger nicht haben möchte.

56

Da die Postverwaltungen bzw. die mit ihren Aufgaben betrauten privaten Unternehmen verpflichtet sind, jede Sendung, insbesondere auch die hier in Rede stehenden drittländischen Postsendungen, allein deshalb zu transportieren und möglichst zuzustellen, weil sie einen Empfänger tragen, wäre es unbillig, die Empfänger allein die Vorteile des Postwesens genießen zu lassen (den Transport erwünschter Sendungen), der Allgemeinheit dagegen die Kosten für die Behandlung der nicht (mehr) erwünschen Sendungen aufzubürden. Zu diesen Kosten gehören auch die hier in Rede stehenden Verwahrungsgebühren, weil sie im Rahmen der zollrechtlichen Abfertigung, die eine Voraussetzung für die Zustellung der drittländischen Sendungen ist, entstanden sind.

57

Die Wertungen des einschlägigen Fachrechts stützen diese Auffassung. Nach § 5 Abs. 2 Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) ist die B AG befugt, für von ihr beförderte Waren, die nach Maßgabe des Zollkodex zu gestellen sind, Zollanmeldungen in Vertretung des Empfängers abzugeben. Hierin kommt zum Ausdruck, dass allein der Umstand, dass man Adressat einer Postsendung ist, ausreicht, um zollrechtliche Pflichten entstehen zu lassen. Dies ist dem Faktum geschuldet, dass im Massengeschäft der Zollabfertigung nicht aufwendig geprüft werden kann und soll, ob im Einzelfall die Sendung vom Empfänger tatsächlich bestellt oder sonst veranlasst worden ist. Durch die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr entstehen in der Regel Einfuhrabgaben, die der Adressat auch dann schuldet, wenn er die Ware nicht bestellt oder deren Übersendung nicht sonst veranlasst hat. § 5 Abs. 2 ZollVG gilt nämlich unabhängig davon, ob der Adressat die Ware bestellt hat. Der Empfänger wurde in den hier maßgeblichen Zeiträumen im Falle einer irrtümlichen Lieferung vielmehr darauf verwiesen, einen Erstattungs- oder Erlassantrag gemäß Art. 239 ZK i. V. m. Art. 900 Abs. 1 Buchst. h) ZKDVO zu stellen, um von der Zahlungspflicht befreit zu werden. Wenn also allein der Umstand, dass man Empfänger einer Sendung ist, zur Entstehung einer Zollschuld führen kann, ist es folgerichtig, den Empfänger als Veranlasser der Lagerung anzusehen, die der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorausgeht. Damit wird klar, dass im Zollrecht schon die Adressatenstellung die von der Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 07.11.1980, I C 46.77, juris Rn. 18) verlangte besondere Beziehung zwischen der Leistung der Verwaltung und dem Gebührenschuldner begründet, die den Schluss erlaubt, dass die Amtshandlung als Verwaltungsleistung dem Gebührenschuldner individuell zurechenbar ist.

58

Dabei steht es der Qualifizierung der Empfänger als Kostenschuldner nicht entgegen, dass die Lagerung auch von der Klägerin veranlasst worden ist. Die Frage, wer von mehreren Kostenschuldnern in Anspruch zu nehmen ist, ist im Rahmen der Ermessensausübung zu beantworten. Vorliegend geht es dagegen allein um die Frage, ob der Empfänger das Kostenrisiko, das von nicht gewünschten Sendungen ausgeht, auf die Allgemeinheit abwälzen kann. Diese Frage ist - wie dargelegt - zu verneinen.

59

3.3.2 Die Adressaten der Sendung, die keine Selbstverzoller sind, sind auch deshalb Kostenschuldner, weil die Lagerung zu ihren Gunsten erfolgte, da sie hierdurch einen unmittelbaren Vorteil erlangen. Auch sie erhalten nämlich - genau wie Selbstverzoller (siehe BFH, Urt. v. 26.09.2012, VII R 64/11, juris Rn. 22) - Zeit und Gelegenheit, über die Anmeldung der Waren zu einem Zollverfahren zu entscheiden. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie der gesetzlichen Vertretungsmacht der Klägerin (§ 5 Abs. 2 ZollVG) nicht widersprochen haben. Im Gegenteil: Wer der gesetzlichen Vertretungsmacht nicht widersprochen hat, bringt damit zum Ausdruck, dass er möchte, dass Waren, die an ihn adressiert sind, möglichst in den freien Verkehr überführt werden. Dies impliziert, dass er oder sie mit der vorübergehenden Verwahrung der Waren, die die Klägerin (noch) nicht in den freien Verkehr überführen konnte, einverstanden ist. In dieser Konstellation (kein Widerspruch zur gesetzlichen Vertretungsmacht bei Vorliegen von Abfertigungshindernissen) ist die vorübergehende Verwahrung nämlich eine notwendige Vorstufe zur Überführung in den freien Verkehr. Durch die Lagerung der Ware, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht in den freien Verkehr überführt werden konnte, erhält der Empfänger Gelegenheit, über den Verbleib der Sendung zu disponieren, indem er entweder die fehlenden Unterlagen für die Überführung in den freien Verkehr schriftlich übermittelt und sich dann von der Klägerin vertreten lässt, persönlich die Überführung in den freien Verkehr beantragt oder - ggf. nach Inaugenscheinnahme der Ware beim Zollamt - ihre Annahme verweigert.

60

Diese Auffassung scheint letztlich auch der Beklagte zu vertreten. Er geht nämlich in seiner Dienstanweisung (SV 22 01 vom 14.08.2015, Ziff. 64) davon aus, dass ein Empfänger, der an Amtsstelle die Annahme verweigert, Kostenschuldner sei, weil die Verwahrung zu seinen Gunsten vorgenommen worden sei. Dies muss konsequenterweise auch für alle anderen Personen gelten, die die Ware nicht annehmen. Für die Frage, ob jemand Kostenschuldner ist, kann es nämlich keinen Unterschied machen, ob er die Annahme an Amtsstelle verweigert oder gar nicht erst im Zollamt erscheint. Diese Unterscheidung mag - wenn überhaupt - allenfalls relevant sein für die Auswahl des Kostenschuldners, der in Anspruch genommen werden kann.

61

4. Die Bescheide leiden an einem nicht heilbaren Ermessensfehler.

62

Zwar steht die Entscheidung, ob Verwahrungsgebühren geltend gemacht werden, nicht im Ermessen des Beklagten, weil § 13 Abs. 1 VwKostG durch seine sprachliche Fassung ("Zur Zahlung der Kosten ist verpflichtet,...") insoweit eine gebundene Behördenentscheidung verlangt. Die Entscheidung, welcher von mehreren grundsätzlich gleichrangigen Schuldnern in Anspruch genommen werden soll, steht jedoch im pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde, für das die allgemeinen Grundsätze des § 5 AO gelten. Dies gilt auch für die Kostenschuldner nach § 13 Abs. 2 VwKostG (BFH, Urt. v. 26.09.2012, VII R 65/11, juris Rn. 18). Der einzelne Abgabenschuldner kann deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden (BFH, Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 24). Das Gericht prüft bei einer solchen Ermessensentscheidung nur, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 S. 1 FGO). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden (BFH, Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 24).

63

Im vorliegenden Fall war der Beklagte verpflichtet, Ermessen ausüben. Nach der hier vertretenen Auffassung sind auf der Grundlage der Informationen, die ihm im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung bekannt waren, neben der Klägerin die Absender sowie sämtliche Empfänger der verwahrten Postsendungen Kostenschuldner (siehe oben 3.). Das danach auszuübende Auswahlermessen wurde indes nicht ausgeübt (dazu 4.1). Ein solcher Fall des Ermessensnichtgebrauchs kann nicht geheilt werden (dazu 4.2).

64

4.1 Der Beklagte hat kein Ermessen ausgeübt. Ein solcher Fall des Ermessensnichtgebrauchs liegt vor, wenn die Behörde verkennt, dass sie Ermessen hat, insbesondere wenn sie das Vorliegen des ermessenseröffnenden Tatbestandes fehlerhaft verneint (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 114 Rn. 17 mit Verweis auf BVerwGE 78, 314, 320). So liegt der Fall hier.

65

In den 120 streitgegenständlichen Kostenbescheiden, die auf einem Formblatt erstellt wurden, finden sich keine Ermessenserwägungen. Auch die jeweils gleichlautenden Einspruchsentscheidungen vom 02.01.2014 enthalten solche Erwägungen nicht. Zwar wird dort formuliert, dass "im Hinblick auf eventuelle mögliche weitere Gesamtschuldner [die Inanspruchnahme der Klägerin] nicht ermessensfehlerhaft" sei. Trotz Verwendung des Wortes "ermessensfehlerhaft" werden diese Ausführungen dadurch nicht zu einer Ermessensentscheidung. Der Beklagte führt nämlich aus, dass weitere Gesamtschuldner weder bekannt noch ermittelbar seien. Dazu passt, dass er nicht von tatsächlich vorhandenen, sondern "eventuelle[n] mögliche[n]", also hypothetischen, Gesamtschuldnern spricht. Damit gibt er zu erkennen, dass er davon ausgeht, dass weitere Kostenschuldner tatsächlich nicht vorhanden sind und somit der Tatbestand, der eine Auswahlermessensentscheidung nötig machen würde, nicht erfüllt ist.

66

Gegen die Ausübung von Ermessen spricht ferner die Bezugnahme des Beklagten auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 26.09.2012 (VII R 65/11). Legt man diese Rechtsprechung zu Grunde, hätte der Beklagte nämlich auch im vorliegenden Fall kein Ermessen ausüben müssen, da er nicht wusste, ob und gegebenenfalls welche der Sendungen, für die Verwahrungsgebühren geltend gemacht werden, nicht bestellt wurden oder an einen Selbstverzoller gerichtet waren.

67

Tatsächlich wäre eine solche Ermessensentscheidung jedoch erforderlich gewesen, da - wie oben (3.) dargelegt - mehrere Kostenschuldner vorhanden sind. Für den Beklagten waren sie auch nicht unbekannt oder nicht ermittelbar. Der Name des Adressaten befindet sich naturgemäß auf der Postsendung und ist auch auf den Postübergabebögen vermerkt. Die Durchsicht der Postübergabebögen für Pakete aus dem Monat Juli 2013, die dem Senat vorliegen, ergibt, dass dort vollständige Wohn- bzw. Geschäftsadressen enthalten sind. Auch die Postfach-Adressen (lfd. Nr. 1360 und 1610) und die Packstation-Adressen (lfd. Nr. 60, 293, 649, 1296, 1413, 1461, 1552) sind vollständig. Nur in einem einzigen Fall ist die Adresse augenscheinlich unvollständig, weil die Hausnummer fehlt (lfd. Nr. 1069; bei den lfd. Nr. 392, 684, 1499 fehlt zwar die Straße, "D ... Hamburg" ist gleichwohl eine vollständige Adresse).

68

Der Name des Absenders ist regelmäßig ebenfalls auf der Postsendung vermerkt. Ausgeschlossen ist eine Inanspruchnahme des Absenders für "andere Abgaben", zu denen auch Verwahrungsgebühren gehören, nur dann, wenn der Absender ein Paket preisgegeben hat (Art. 28 Abs. 4 S. 2 WPV). Hierfür bietet der Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

69

Vor diesem Hintergrund ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass "[e]ine Bescheiderstellung zur Kostenerhebung auf Grundlage dieser Daten [...] nicht möglich" sein soll (So jedoch die E-Mail des Zollamtes-2 vom 29.01.2014, Bl. 56 der Sachakte im Verfahren 4 K 54/14).

70

Eine Ermessensentscheidung ist vorliegend auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil als einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung allein eine Inanspruchnahme der Klägerin in Betracht kommt. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null zulasten der Klägerin liegt nicht vor. Zwar mag die Klägerin eine solvente und greifbare Schuldnerin sein. Gleichwohl wäre es - wie bereits oben ausgeführt - ohne großen Verwaltungsaufwand möglich, zunächst die Adressaten der Sendungen als Kostenschuldner in Anspruch zu nehmen, und an die Klägerin erst dann heranzutreten, wenn die Adressaten die Gebühren nicht bezahlen. Entsprechend verhält es sich bezüglich der Absender der Sendungen. Dass diese im Ausland ansässig sind, stellt keinen Umstand dar, der ihre Inanspruchnahme von vornherein ausschließt.

71

Ferner ergibt sich eine Ermessensreduzierung zulasten der Klägerin nicht daraus, dass vorrangig der Veranlasser einer gebührenpflichtigen Handlung heranzuziehen ist. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Grundsatz (BVerwG, Urt. v. 30.06.1972, VII C 48.71, juris Rn. 15; Urt. v. 01.03.1996, 8 C 29/94, BVerwGE 100, 323, juris Rn. 24; ausführlich VGH Kassel, Urt. v. 07.01.2011, 5 A 1624/09, juris Rn. 25) auch im Rahmen einer Inanspruchnahme für Verwahrungsgebühren nach der Zollkostenverordnung gilt (dagegen wohl BFH, Urt. v. 26.09.2012, VII R 65/11, juris Rn. 18). Vorliegend sind nämlich neben der Klägerin auch alle Empfänger Veranlasser der kostenverursachenden Verwahrung. Lediglich die Absender werden hinsichtlich der Lagerung von Sendungen, die an Selbstverzoller gesandt werden, nur als Begünstigte Kostenschuldner. Dies bedeutet, dass jedenfalls hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin oder der Empfänger eine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen wäre.

72

4.2 Der vorliegende Ermessensausfall kann nicht gemäß § 102 S. 2 FGO geheilt werden. Danach kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Wie schon der Wortlaut der Norm zeigt, ist sie nur anwendbar, wenn die Finanzbehörde überhaupt Ermessen ausgeübt hat (BFH, Urt. v. 11.03.2004, VII R 52/02, BFHE 205, 14, juris Rn. 22; Urt. v. 20.07.2004, VII R 20/02, BFHE 207, 565, juris Rn. 16). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da - wie dargelegt - der Beklagte sich irrtümlich gebunden fühlte und erst mit Schriftsatz vom 03.06.2016 erstmals Ermessenserwägungen angestellt hat. Die vollständige Nachholung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe gestattet § 102 S. 2 FGO jedoch gerade nicht.

73

5. Um künftigen Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen, gibt der Senat den Beteiligten die folgenden rechtlichen Hinweise: Im Rahmen des Erlasses weiterer Kostenbescheide wird der Beklagte zu berücksichtigen haben, dass neben der Klägerin auch die Absender und Empfänger der Sendungen Kostenschuldner sind. Das dem Beklagten damit eröffnete Auswahlermessen dürfte er ermessensfehlerfrei nur in der Weise ausüben können, dass er die Klägerin nicht als Kostenschuldner in Anspruch nimmt, soweit es sich um Sendungen handelt, bezüglich deren aus den Verträgen des Weltpostvereins Mindestlagerfristen einzuhalten sind, was auf Pakete zutrifft.

74

Wie oben (2.1) dargelegt, übernimmt die Klägerin mit dem Transport, der Lagerung und der Rücksendung von Postsendungen die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, die diese von Verfassungs wegen nicht selbst innerstaatlich erfüllen darf. Aus diesem Grund hatte die Bundesrepublik Deutschland die damalige A sowie später - bis zur Neufassung der Zollkostenverordnung - die Klägerin von Verwahrungsgebühren freigestellt. Aus der Korrespondenz zwischen der Klägerin und dem BMF nach Erlass der novellierten Zollkostenverordnung dürfte hervorgehen, dass die Ausdehnung der Verwahrungsgebühr auf sämtliche Postsendungen sowie der Wegfall der Verschonung der Klägerin von den Gebühren insgesamt nicht den Zweck hatte, neue Einnahmequellen für den Bund zu erschließen. Vielmehr dürfte es dem BMF allein darum gegangen sein, ein vermeintlich der Klägerin zustehendes Privileg abzuschaffen. So führt das BMF in der E-Mail vom 08.10.2009 und im Schreiben vom 10.11.2009 aus, dass nach Wegfall des Postmonopols auch andere Wettbewerber in den Markt drängten. Insoweit dürfte das BMF allerdings übersehen haben, dass im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Postsendungen, die in Erfüllung des Weltpostvertrages transportiert werden, die Klägerin nicht privilegiert ist. Im Gegenteil: Sie ist das einzige Unternehmen, das diese Verpflichtungen übernommen hat, deren Besonderheit zudem darin besteht, dass der Universalpostdienstleister für den Transport der Postsendungen im Inland keine Gebühren oder Entgelte erheben kann, weil er keine vertragliche Beziehung zu den Absendern hat. Die Klägerin wird zur Refinanzierung vielmehr einzig auf die Ausgleichszahlungen aus dem Weltpostvertrag verwiesen, die jedoch nicht kostendeckend sind (siehe die Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola v. 01.06.1999, verb. Rs. C-147/97 und C-148/97, Ziff. 10; Kießling, WRP 1999, 1212, 1214 m. w. N.).

75

Weiter dürfte der Korrespondenz zwischen dem BMF und der Klägerin zu entnehmen sein, dass das BMF die Klägerin im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, die die Zollkostenverordnung eröffnet, von den Verwahrgebühren freistellen wollte, soweit es um die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Weltpostvertrag geht. Es hat deshalb "vor dem Hintergrund der besonderen Situation der C mit Blick auf die Pflichten aus dem Weltpostvertrag" veranlasst, dass sie nach sieben Tagen über nicht abgeholte Postsendungen informiert werden würde, so dass sie durch rechtzeitige Abholung der Postsendungen die Gebührenentstehung vermeiden könne. Hierbei hat das BMF jedoch übersehen, dass die Bundesrepublik Deutschland aus dem Weltpostvertrag und entsprechend innerstaatlich die Klägerin durch Gesetz verpflichtet ist, eingehende Paketsendungen nicht nur sieben, sondern 14 Tage zu lagern. Lediglich für Briefsendungen gibt es keine völkerrechtliche Mindestlagerfrist (siehe oben 1.2). Unter Berücksichtigung der Annahme, dass sich die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtskonform verhalten wollte und will, dürfte aus der zitierten Korrespondenz und der Entstehungsgeschichte der aktuellen Zollkostenverordnung zu schließen sein, dass das BMF die Klägerin für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Weltpostvertrag von den Verwahrgebühren freistellen wollte, sich jedoch teilweise über den Umfang dieser Pflichten geirrt hat.

76

Anders als der Beklagte meint, dürfte einer Ermessensreduzierung zu Gunsten der Klägerin nicht entgegenstehen, dass die Klägerin die Postsendungen freiwillig zur Lagerung im Zollamt gegeben hat. Zwar würde das Zollverfahrensrecht auch eine Lagerung der Postsendungen bei der Klägerin erlauben. Dies dürfte jedoch mit noch höheren Kosten und Aufwand verbunden sein als die Lagerung beim Beklagten. Zu erwägen ist, ob es nicht eine aus dem gesetzlichen Auftragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Bundesrepublik Deutschland folgende Nebenpflicht des Bundes gibt, die es dem Beklagten verbietet, die Klägerin bei der Erfüllung von völkerrechtlichen Pflichten des Bundes, für die sie nicht kostendeckend entschädigt wird, auf Verfahrensgestaltungen zu verweisen, die für die Klägerin teurer und aufwändiger sind als die Lagerung bei den Zollbehörden. Hinzu kommt, dass der Beklagte aus Art. 87f Abs. 1 GG verpflichtet ist, "flächendeckend angemessene und ausreichende" Post- und Telekommunikationsdienstleistungen zu gewährleisten. Dies wird durch die dezentrale Verwahrung der drittländischen Postsendungen beim Wohnortzollamt des Adressaten deutlich besser sichergestellt als eine Lagerung bei Dritten, zumal hierdurch den Empfängern die Möglichkeit gegeben wird, die Zollabfertigung auch durch persönliche Vorsprache beim Zollamt zu erwirken.

77

Im Rahmen seiner Ermessensentscheidungen dürfte der Beklagte bezüglich der Paketsendungen freilich auch berücksichtigen, ob diese Sendungen über die Mindestlagerfristen hinaus verwahrt wurden. Sofern die Pakete nämlich länger als 16 Tage verwahrt wurden - wobei der Tag der An- bzw. Ablieferung nicht berechnet wird -, dürfte das Ermessen nur dann im Sinne einer Nichtinanspruchnahme der Klägerin reduziert sein, wenn der letzte Tag der 14-tätigen Aufbewahrungsfrist auf einen Freitag, einen Tag vor einem Feiertag oder einen sonstigen Tag vor einem Tag fällt, an dem es nicht möglich war, Pakete beim Zollamt des Beklagten abzuholen.

78

Da es für Briefsendungen keine völkerrechtliche Mindestlagerfrist gibt, dürfte insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten der Klägerin nicht in Betracht kommen. Die Klägerin könnte die ihr übertragenen Pflichten aus dem Weltpostvertrag, insbesondere die Aufbewahrungspflicht nach Art. RE 503 Abs. 1.3 EBPB, nämlich auch erfüllen, wenn sie die Briefsendungen für einen Zeitraum in Verwahrung geben würde, für den keine Verwahrungsgebühren erhoben werden (§ 11 ZollKostV).

II.

79

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 ZPO.

80

Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 FGO. Der Senat weicht teilweise von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ab. Er hat bei dieser Entscheidung berücksichtigt, dass die Klägerin gegenwärtig die einzige Person ist, die von den hier streitigen Rechtsfragen betroffen ist. Gleichwohl misst er der Sache wegen der besonderen Rechtsstellung der Klägerin und des Umstandes, dass der Rechtsstreit nur wenige aus einer Vielzahl von Kostenbescheiden im Massengeschäft der Klägerin betrifft, grundsätzliche Bedeutung zu.

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