Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 V 142/16
Tatbestand
I.
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Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen.
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Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den gesondert verfolgten A kam der Verdacht auf, die Antragstellerin habe von diesem unversteuerte Zigaretten angekauft, um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung, die sie mit ihrem Lebenspartner allein bewohnt, wurden am 16.12.2015 in einem Abstellraum drei Stangen (600 Stück) Zigaretten der Marke "B", eine Stange Zigaretten der Marke "C", jeweils ohne Steuerbanderole, sowie vier Stangen (800 Stück) Zigaretten der Marke "D" mit ukrainischer Banderole sichergestellt. Weitere 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung und englischem Warnhinweis wurden im Wohnzimmerschrank aufgefunden.
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Mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer (Registrierkennzeichen: XXX-1) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner Tabaksteuer in Höhe von ... € im Hinblick auf die bei der Durchsuchung am 16.12.2015 sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten fest. Da an den sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerzeichen angebracht gewesen seien, sei die Tabaksteuer entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch den erstmals zu gewerblichen Zwecken gehaltenen Besitz entstanden. Diese Zigaretten habe die Antragstellerin mit Bereicherungsabsicht bei dem gesondert verfolgten F angekauft. Hierdurch habe sie die Steuerstraftat der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei begangen. Daher hafte sie für die von dem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer. Da der Tabaksteuerschuldner nicht zu ermitteln sei, werde sie als Haftungsschuldnerin in voller Höhe in Anspruch genommen. Eine Verschonung als Haftende komme wegen des hohen Verschuldensgrades nicht in Betracht. Hinsichtlich des Entschließungsvermessens liege eine Ermessensreduzierung auf null vor. Das Auswahlermessen werde gegen weitere Haftungsschuldner ausgeübt werden, sofern diese bekannt werden würden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage sei der 16.12.2015 als der Tag, an dem die Steuerschuld festgestellt worden sei. Davon ausgehend werde für die Zigaretten der Mindeststeuersatz in Höhe von ... Cent pro Stück bzw. ... Cent pro Stück berechnet.
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Mit Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen (Registrierkennzeichen: XXX-2) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner für die mit dem Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom selben Tag festgesetzten Betrag Hinterziehungszinsen in Höhe von ... € fest.
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Mit Telefax vom 24.04.2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die beiden Bescheide ein und beantragte "Vollstreckungsaussetzung". Es sei nicht nachgewiesen, dass die Zigaretten unter Umgehung der Zollvorschriften nach Deutschland verbracht worden seien. Die Zigaretten seien legal erworben worden.
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Mit Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides über Tabaksteuer ab. Es bestünden bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 361 Abs. 2 AO an der Haftung der Antragstellerin. Sie hafte nach § 71 AO für die verkürzte Tabaksteuer in festgesetzter Höhe, weil sie eine Steuerhehlerei nach § 374 AO begangen habe, indem sie sich die im Einzelnen bezeichneten Zigaretten verschafft habe, hinsichtlich derer Steuern hinterzogen worden seien. Die Tabaksteuer sei zuvor durch das Verbringen der unversteuerten Zigaretten bzw. durch deren Einfuhr entstanden. Es stehe fest, dass sich die Antragstellerin die bei ihr aufgefundenen Zigaretten verschafft habe. Sie habe auch spontan eingeräumt, die Zigaretten von Herrn F erworben zu haben. Nach den Ergebnissen der Telefonüberwachung sei die Antragstellerin auch als Kundin des illegalen Zigarettenhändlers A identifiziert worden. Einwände, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides weckten, habe die Antragstellerin nicht vorgebracht.
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Mit gleichlautendem Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner auch die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids zu den Hinterziehungszinsen ab.
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Mit Telefax vom 07.06.2016 hat die Antragstellerin die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen beantragt. Ihr werde rechtswidrig unterstellt, dass sie eingeräumt habe, die Zigaretten bei Herrn F gekauft zu haben. Sie habe sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Tatsächlich stammten die Zigaretten aus mehrfachen Besuchen ihrer Familie in Polen. Mit Herrn F habe sie schon lange keinen Kontakt mehr.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 06.04.2016 und des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 auszusetzen.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.
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Mit Urteil vom ... 2016 (.../...) hat das Amtsgericht G die Antragstellerin wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt; das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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Bei der Entscheidung haben die Einspruchshefte des Antragsgegners (RBL-Nr. ... und ...), die Ermittlungsakte des Zollfahndungsamtes H (StRL ...) sowie die Akte der Staatsanwaltschaft G (.../...) vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
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Die gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.
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Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, siehe nur Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris, Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris, Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris, Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; siehe Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).
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1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen von § 71 AO sind voraussichtlich erfüllt. Danach haftet derjenige, der eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Die Antragstellerin dürfte den Tatbestand des § 374 AO erfüllt haben (dazu 1.1). Dass sie im Hinblick auf manche der Zigaretten, für die Tabaksteuer geltend gemacht wird, auch voraussichtlich Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.3).
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1.1 Die Antragstellerin hat sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die am 16.12.2015 in ihrem Wohnhaus sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1, Abs. 2 AO strafbar gemacht. Danach wird bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, gewerbsmäßig ankauft. Da die sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerbanderolen trugen, steht fest, dass diesbezüglich Tabaksteuer hinterzogen worden ist. Die Antragstellerin hat diese Zigaretten gewerbsmäßig angekauft. Dies hat das Amtsgericht G in seinem Urteil vom ... 2016 (.../...) festgestellt. Die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils macht sich der Senat zu Eigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urt. v. 10.01.1978, VII R 106/74, BFHE 124, 305, juris Rn. 12; Urt. v. 26.04.1988, VII R 124/85, BFHE 153, 463, juris Rn. 13; Beschl. v. 25.02.1992, VII B 125/91, BFH/NV 1993, 4, juris Rn. 14; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 18; Beschl. v. 13.01.2005, VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936, juris Rn. 8; Beschl. v. 29.01.2007, V B 160/06, V B 161/06, juris Rn. 10; Beschl. v. 02.07.2008, VII B 242/07, juris Rn. 8; Beschl. v. 30.07.2009, VIII B 214/07, juris Rn. 7; Beschl. vom 24.05.2013, VII B 155/12, juris Rn. 7; Beschl. v. 24.09.2013, XI B 75/12, juris Rn. 13) ist dies den Finanzgerichten erlaubt, wenn und soweit sie zu der Überzeugung gelangen, dass die strafgerichtlichen Feststellungen zutreffen, sie nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt werden, die nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet bleiben können. Dies gilt auch für nicht rechtskräftige Urteile (Seer in Tipke/Kruse, 138. EL Okt. 2014, § 81 FGO Rn. 28 m. w. N.).
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Nach Aktenlage ist der Senat davon überzeugt, dass das Urteil des AG G hinsichtlich des Ausspruchs, dass sich die Antragstellerin der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2, Abs. 1 AO) strafbar gemacht hat, zutreffend ist. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Auswertung der vorliegenden TÜ-Protokolle die Antragstellerin bei dem gesondert verfolgten A in sieben näher bezeichneten Fällen unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marken "C", "B", "D" und "E" bestellt und erhalten habe. Die Überprüfung des Mobiltelefons, das die Antragstellerin bei der Hausdurchsuchung bei sich geführt habe, habe ergeben, dass die dort gespeicherten Telefonnummern diejenigen der gesondert verfolgten A und F gewesen seien. Auch wenn dieses Telefon auf ihre Tochter J registriert sei, sei es ausschließlich von der Antragstellerin genutzt worden. Hinsichtlich des Falles Nr. 8 stehe aufgrund der Anzahl der aufgefundenen Zigaretten fest, dass die Antragstellerin gewerbsmäßig gehandelt habe. Diese lebensnahen Feststellungen hat das Amtsgericht unter Einbeziehung der aussagekräftigen TÜ-Protokolle und der Vernehmung der für die Telefonüberwachung und die Hausdurchsuchung zuständigen Ermittlungsbeamten getroffen. In Anbetracht der insgesamt zwischen dem 03.03.2015 und dem 11.05.2015 angekauften 46.400 Zigaretten ist die Behauptung der Antragstellerin, dass die bei ihr sichergestellten Zigaretten für den Eigenbedarf erworben worden seien, auch dann nicht glaubhaft, wenn man davon ausgeht, dass sie und ihr Lebenspartner starke Raucher sind.
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Die Antragstellerin hat diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten und auch keine Beweisanträge gestellt. Ihr Vortrag beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, dass sie die sichergestellten Zigaretten bei mehreren, im Einzelnen nicht näher bezeichneten Familienbesuchen in Polen erworben und im Rahmen der zulässigen Freimengen ins Steuergebiet verbracht habe. Dieser Vortrag ist schon nicht hinreichend substantiiert, weil im Einzelnen nicht dargelegt ist, wann, wo und durch wen welche Zigaretten in Polen erworben wurden. Gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags spricht darüber hinaus, dass es sich bei den 16 Stangen und drei Schachteln Zigaretten der Marke E nach Auskunft des Herstellers um Fälschungen handelt und Zigaretten derselben Marke und derselben Chargennummer bei dem Lieferanten der Antragstellerin, dem gesondert verfolgten A, gefunden wurden (Bl. ... der Strafakte).
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1.2 Der Inanspruchnahme der Antragstellerin als Haftungsschuldnerin nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass sie im Hinblick auf die 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung (im Folgenden: Duty-Free-Zigaretten), für die ... € Tabaksteuer angefallen sind, zugleich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Steuerschuldnerin ist.
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1.2.1 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht oder eingeführt haben - im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten Steuerschuldnerin gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist. Danach ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabakStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabakStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabakStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabakStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange.
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Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG an, weil die Fassungen keine wesentlichen Unterschiede enthalten (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144: "[§ 23] Absatz 1 entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung"; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111, 111). Eine solche Besitzerin im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG war auch die Antragstellerin, weil die Zigaretten in ihrem Herrschaftsbereich aufgefunden wurden.
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§ 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist vorliegend auch anwendbar. Der Senat hält es nach Aktenlage nämlich für überwiegend wahrscheinlich, dass die Duty-Free-Zigaretten aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Polen oder Tschechien, ins Steuergebiet verbracht wurden. Zwar ergibt sich aus der im Senatsurteil vom 15.07.2015 (4 K 43/15, juris Rn. 29 f.) zitierten Studie, dass unverzollte und unversteuerte Zigaretten auf verschiedenen Wegen ins Bundesgebiet geschmuggelt werden. Vorliegend verdichten sich jedoch im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten die Indizien, die ihre Verbringung überwiegend wahrscheinlich machen. So wurden nach dem Vermerk des ZFA H bei dem mutmaßlichen Lieferanten der Antragstellerin, dem A, polnische Lieferanten von Schmuggelware beobachtet (Bl. ... der Strafakte). Für die Verbringung der (gefälschten) Duty-Free-Ware spricht auch die abgehörte Aussage des A in dem Telefonat mit der Antragstellerin vom 28.04.2015 (Bl. ... der Strafakte), nach dem Duty-Free-Ware "einzeln rüber geschafft" werde. Weiter führt der A aus: "Da ist einer, die sammeln für den und dann bringen die das Einzeln am Körper rüber. Der hat da 20 Mann laufen die jeden Tag über die Grenze machen und ihm stangenweise das Zeug bringen". Der Senat hält diese Aussage für glaubhaft. Es ist auch nachvollziehbar, dass im Rahmen der Strukturen organisierter Kriminalität versucht wird, auf diesem Wege das Entdeckungsrisiko zu streuen. Wenn Personen einzelne Stangen am Körper über die Grenze tragen, kann es sich nur um eine Landgrenze der Bundesrepublik handeln, so dass die Zigaretten über die deutsch-polnische oder deutsch-tschechische Grenze verbracht worden sein müssen. Dass es sich nach Aussage des A in demselben Telefonat um Waren der "englische[n] Schiene" handele, steht hierzu nicht im Widerspruch. Damit nimmt er nämlich Bezug auf die englische Beschriftung der Ware. Im Übrigen hat die Herstellerfirma festgestellt, dass die Zigaretten mit Duty-Free-Kennzeichnung gefälscht wurden und daher in einem beliebigen anderen Land als Großbritannien hergestellt worden sein können.
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1.2.2 Der Umstand, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten auch Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen.
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Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13). Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46 f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.
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Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:
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Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO. Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt. Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO). Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276). In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.). Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14). Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei. Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.
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Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist. Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt. Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben.
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1.3 Das dem Antragsgegner gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird (BFH, Beschl. v. 14.02.2006, VII B 119/05, juris Rn. 8 m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsgegner erkannt, dass ihm Ermessen zusteht und er dies entsprechend den genannten Grundsätzen ausüben darf.
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2. Gemessen an den oben genannten Maßstäben ist auch der Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Gemäß § 235 Abs. 1 S. 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 S. 2 AO). Nach dem oben Dargelegten hat die Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die hier geltend gemachten Tabaksteuern hinterzogen. Diese Hinterziehung erfolgte auch zu ihrem Vorteil, weil sie die Zigaretten nur deshalb gewinnbringend weiter verkaufen konnte, weil weder ihr Lieferant noch sie Tabaksteuer abgeführt haben. Die Zinsen wurden der Höhe nach gemäß § 238 Abs. 1, Abs. 2 AO zutreffend berechnet.
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3. Die Vollziehung hätte für die Antragstellerin auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Hierzu ist weder etwas vorgetragen noch sonst aus der Akte ersichtlich.
III.
- 33
Die Kosten des Verfahrens fallen der Antragstellerin zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).
- 34
Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).
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