Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 55/17

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Nacherhebung von Zöllen.

2

Die Klägerin war im hier relevanten Zeitraum in erster Linie mit dem Exporthandel mit ... befasst. Darüber hinaus hatte sie seit den 1980er Jahren in Einzelfällen mit Champignonkonserven chinesischen Ursprung gehandelt, die sie ausschließlich von der A & Co. (GmbH & Co.) KG (im Folgenden: A) bezog. Die Klägerin und A haben dieselben Gesellschafter und Geschäftsführer. Sie gehören zum A-Unternehmensgruppe, die seit den 1950er Jahren mit Champignons handelt und 1979 den ersten Kontrakt mit chinesischen Lieferanten schloss.

3

Die Klägerin, vertreten durch A, beantragte und erhielt als "neuer Einführer" die Einfuhrlizenz XXX-1 vom 25. Januar 2013, die ihr gestattete, 289,5 t Champignonkonserven (Unterposition 2003 1030 KN) zum Kontingentzollsatz von 23 % einzuführen. Die Sicherheit für die Lizenz stellte A. Mit sieben Zollanmeldungen vom 24. Juni 2013 (xxx-1, xxx-2, xxx-3, xxx-4, xxx-5, xxx-6, xxx-7) meldete die Klägerin, vertreten durch A, derartige Champignons beim Beklagten zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Hierfür beantragte die Klägerin mit der Einfuhrlizenz vom 25. Januar 2013 die Anrechnung auf ihr Zollkontingent. Unter Anwendung des ermäßigten Zollsatzes von 23 % wurden mit Einfuhrabgabenbescheiden vom 24. und 25. Juni 2013 insgesamt ... € Zoll festgesetzt.

4

Auf Antrag der Klägerin, ebenfalls vertreten durch A, wurde ihr die Einfuhrlizenz XXX-2 vom 27. Januar 2014 erteilt, die sie berechtigte, als "traditioneller Einführer" 120 t der genannten Champignonkonserven zu einem Kontingentzollsatz von 23 % einzuführen. Die Sicherheit für die Lizenz stellte ebenfalls A. Mit drei Zollanmeldungen vom 15. Mai 2014 (xxx-8, xxx-9, xxx-10) meldete die Klägerin, vertreten durch A, derartige Waren beim Beklagten unter Anrechnung auf ihr Zollkontingent zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Unter Anwendung des ermäßigten Zollsatzes von 23 % wurden mit Einfuhrabgabenbescheid vom 15. Mai 2014 insgesamt ... € Zoll festgesetzt. Mit diesen drei Einfuhren wurde das der Klägerin zugeteilte Kontingent von 120 t - bis auf eine winzige Restmenge - erschöpft.

5

Die Einfuhren wurden jeweils wie folgt abgewickelt: Zunächst erwarb A Paletten à 12 Gläser Champignons in Scheiben von einem chinesischen Lieferanten und verbrachte sie in ein Zolllager nach Hamburg. In den noch streitigen Einfuhren vom 15. Mai 2014 (NEE-Vorgänge 8-10) wurden mit der Handelsrechnung Rg.-1 vom 21. März 2014 7.040 Paletten (NEE-Vorgang 8), mit der Handelsrechnung Rg.-2 vom 13. März 2014 35.200 Paletten (NEE-Vorgang 9) und mit der Handelsrechnung Rg.-3 vom 2. April 2014 17.600 Paletten (NEE-Vorgang 10) fakturiert.

6

Sodann verkaufte A die Ware unverzollt an die Klägerin. Dies erfolgte dergestalt, dass die Klägerin am 14. Mai 2014 bei A zu den Lieferbedingungen "Frei ab Hamburger Lager, unverzollt" die in den drei Handelsrechnungen bezeichneten Waren bestellte, wobei sie von der zuletzt genannten Partie nur 16.583 Paletten orderte. Diesen Auftrag hatte A bereits am Vortag bestätigt. A berechnete hierfür mit Rechnung vom 14. Mai 2014 nahezu ihren FOB-Einkaufspreis zuzüglich Beförderungs-, Transport, Versicherungs-, Lager- und Umschlagkosten.

7

Am 15. Mai 2014 überführte die Klägerin, vertreten durch A, die Waren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr. Hierbei gab sie als Zollwert den Einkaufspreis an, den A an die chinesischen Hersteller gezahlt hatte. Für die Zahlung der Einfuhrabgaben wurde das Aufschubkonto der A belastet, die die verauslagten Einfuhrabgaben an die Klägerin weiterbelastete.

8

Zeitgleich mit dem unverzollten Verkauf von A an die Klägerin einigten sich die Parteien über den Rückkauf der Ware. Bereits am 13. Mai 2014 bestellte A dieselbe Ware, verzollt, bei der Klägerin, die diesen Auftrag am 14. Mai 2014 bestätigte und am 26. Mai 2014 in Rechnung stellte. Als Kaufpreis wurde der Einkaufspreis zuzüglich Zoll vereinbart. Die Kaufpreise wurden miteinander verrechnet. Erst nachdem A die Ware an Dritte weiterveräußert hatte, wurde sie aus dem Zolllager entfernt.

9

Veranlasst durch eine turnusmäßige Zollprüfung bei A ordnete der Beklagte am 17. August 2015 bei der Klägerin eine Zollprüfung für den Prüfungszeitraum Oktober 2012 bis Juli 2015 an. Nach den Feststellungen des Prüfungsberichts vom 17. Dezember 2015 (b-1) sei A in ihrer Funktion als Lieferant, Kunde, Zollwertanmelder, Vertreter bei der Zollanmeldung und der Lizenzbeantragung, Aufschubnehmer und Sicherheitensteller eine tragende, weitreichende und zielgerichtete Rolle zugekommen, sodass bei der Klägerin kein ausgeprägtes Geschäftsrisiko verblieben sei. Obwohl diese Geschäftsgestaltungen der Zollverwaltung seit Jahren bekannt seien, sei die Geschäftspraxis im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 13. März 2014 (SICES u.a., C-155/13) rechtsmissbräuchlich und Einfuhrabgaben nachzuerheben.

10

Mit Einfuhrabgabenbescheid YYY-1 vom 8. März 2016 erhob der Beklagte unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Prüfungsberichts gemäß Art. 220 ZK für die zehn oben genannten Einfuhren insgesamt ... € Zoll nach. Dies ist die Differenz zwischen dem ursprünglich gezahlten Kontingentszoll und dem Drittlandszoll in Höhe von 18,4 % plus ... €/100 kg netto. Auf die Einfuhren vom 24./25 Juni 2013 (NEE-Vorgänge 1-7) entfielen ... € und auf die Einfuhren vom 15. Mai 2014 (NEE-Vorgänge 8-10) ... €.

11

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 11. März 2016 Einspruch ein. Die der Klägerin erteilte Lizenz sei ein Grundlagenbescheid gemäß § 171 Abs. 10 AO. Außerdem seien die Kauf- und Rückverkaufsgeschäfte der Einfuhrware nicht künstlich und missbräuchlich. Nach dem SICES-Urteil des EuGH vom 13. März 2014 sei eine solche Handelstätigkeit nur künstlich, wenn sie jeder wirtschaftlicher Rechtfertigung entbehre. Hierbei könne zu Gunsten der Einführer berücksichtigt werden, dass die Einführer unter Androhung von Sanktionen verpflichtet seien, die ihnen erteilten Lizenzen zu verwenden und sie daher ein tatsächliches Interesse an der Durchführung von Einfuhren hätten. Die Klägerin habe die ihr erteilten Lizenzen ausnutzen müssen, um Sanktionen zu vermeiden und um ihre Einfuhrreferenzen für die Folgejahre zu erhalten. Außerdem hätten die eingeführten Konserven auch durch Einfuhrlizenzen von A abgedeckt werden können. A sei also durch die Aufteilung der Lizenzen innerhalb der Unternehmensgruppe kein künstlicher Vorteil entstanden.

12

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 gewährte der Beklagte rechtliches Gehör. Die Einfuhrlizenzen seien keine Grundlagenbescheide. Der BMF-Erlass vom 30. März 2000 (BMF-Erlass), auf den die Klägerin sich zur Rechtfertigung ihrer Praxis berufe, sei durch die EuGH-Urteile vom 13. März 2014, 9. Juli 2015 und 14. April 2016 (C-155/13, C-607/13 und C-131/14) überlagert. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, da der Erlass unverbindlich gewesen sei. Außerdem stehe die hier in Rede stehende Geschäftspraxis der Klägerin nicht im Einklang mit diesem Erlass.

13

Die Übertragungspraxis sei künstlich und missbräuchlich im Sinne der EuGH-Rechtsprechung. Dadurch werde das Verbot der Übertragung von Lizenzen gemäß Art. 5 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 umgangen. Es sei erklärtes Ziel der Verordnung (EG) Nr. 1979/2006, den Wettbewerb zwischen den Einführern zu fördern. Obwohl die Klägerin Inhaberin einer Lizenz sei, führe sie keine eigene Handelstätigkeit durch, sondern stehe allein mit A in Geschäftsbeziehungen. Dadurch werde die Marktposition von A unrechtmäßig gestärkt. Es gebe auch objektive Anhaltspunkte, dass die Übertragungsgeschäfte den Zweck verfolgt hätten, A einen ungerechtfertigten Vorteil zukommen zu lassen. Die Klägerin habe die Pilzkonserven von A nicht zu Marktpreisen erworben. Bei der anschließenden Rückveräußerung an A sei lediglich der Zoll aufgeschlagen worden. Bei den Übertragungsgeschäften habe daher weder A noch die Klägerin ein Gewinn erzielt. Die jeweiligen Kaufpreise seien nur gegeneinander verrechnet worden. Dies sei augenscheinlich wegen des bereits feststehenden Rückverkaufs erfolgt. Die Klägerin habe kein eigenes Geschäftsrisiko getragen.

14

Die Argumente der Klägerin führten zu keiner anderen Bewertung. Der drohende Lizenzverfall stelle keine kommerzielle Rechtfertigung der Übertragungsgeschäfte dar. Anderenfalls könne es keine Umgehungsgeschäfte geben, weil eine Sicherheit bei allen Lizenzen gestellt werden müsse. Außerdem habe im vorliegenden Fall nicht die Klägerin, sondern A die Sicherheit hinterlegt. Vor diesem Hintergrund seien die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 3 Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 erfüllt. Ziel der Geschäfte zwischen der Klägerin und A sei es gewesen, die Ziele der einschlägigen Vorschriften zu konterkarieren. Daher sei die Differenz zum normalen Zollsatz nachzuerheben.

15

In der am 27. März 2017 erhobenen Untätigkeitsklage gegen den Nacherhebungsbescheid vom 8. März 2016 beruft sich die Klägerin auf ihren bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus: Seit 1998 seien die Klägerin und A auf die jetzt beanstandete Weise verfahren. Der BMF-Erlass stelle eine Anwendung von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 dar. Wenn durch die drei Urteile des EuGH eine neue Rechtslage geschaffen worden sei, müsse der Klägerin jedenfalls Vertrauensschutz gewährt werden.

16

Die Klägerin und A hätten nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt. Die vom EuGH geforderte Gesamtwürdigung der Umstände habe der Beklagte nicht vorgenommen. Er habe unberücksichtigt gelassen, dass das Kontingent durch die fraglichen Einfuhren nicht überschritten worden sei. Gegen den Missbrauch spreche auch, dass die von A angekaufte Menge nicht zu ihrer Referenzmenge gezählt worden sei. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin und A zur selben Unternehmensgruppe mit einer identischen Gesellschafterstruktur gehörten. Die drei Geschäftsführer und die Prokuristin seien im jeweils selben Kapitalverhältnis Kommanditisten sowohl der Klägerin als auch von A. Die Geschäftsergebnisse der Klägerin und von A würden in einer Konzernbilanz erfasst. Für den Gesamtkonzern und die beiden Konzernunternehmen sei es daher wirtschaftlich belanglos gewesen, zu welchen internen Preisen die Klägerin und A miteinander gehandelt hätten. Entscheidend sei nur das Gesamtergebnis. Die Preise, zu denen A die Waren eingekauft, und die Preise, die A beim Weiterverkauf an Dritte erzielt habe, seien marktgerecht. Die Klägerin und A hätten nur von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, in einem Konzern arbeitsteilig vorzugehen. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, dass die Klägerin die Einkaufsverträge in Fernost und die Verkaufsverträge in der EU im eigenen Namen abgeschlossen hätte. Die Verrechnung von gegenseitigen Forderungen sei gemäß § 355 HGB handelsüblich.

17

Es lägen auch keine subjektiven Missbrauchselemente vor. Dies könne nur angenommen werden, wenn den Transaktionen jede wirtschaftliche oder geschäftliche Rechtfertigung fehlten. Dies sei nicht der Fall, wenn der Verkaufspreis marktüblich sei, oder wenn es dem Lizenzinhaber darum gegangen sei, einen Kautionsverfall zu vermeiden. Auf den Fall angewendet bedeute dies Folgendes: Die hier in Rede stehenden Einfuhren hätten zum Konzernergebnis der A-Gruppe beigetragen. Daher entbehrten die Transaktionen gerade nicht jeder wirtschaftlichen Rechtfertigung für den Einführer und die anderen in diesem System mitwirkenden Unternehmen. Die Klägerin habe das Einfuhrabgabenrisiko, das Risiko des Kautionsverfalls, das lebensmittelrechtliche Risiko des Einführers und das Produkthaftpflichtrisiko getragen.

18

Jedenfalls stehe der Klägerin auch für die Einfuhren vom 15. Mai 2014 Vertrauensschutz gemäß Art. 220 Abs. 2 ZK zu. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Erkennbarkeit des Irrtums sei der Zeitpunkt der Beantragung der Einfuhrlizenz. Die Klägerin habe die Lizenzen nämlich nur im Hinblick auf die Zulässigkeit der langjährigen Praxis beantragt. Die Nichtausschöpfung der Lizenz hätte einen wirtschaftlichen Schaden bedeutet. Selbst wenn man auf den Zeitpunkt der Abgabenmitteilung abstellte, wäre der Irrtum nicht erkennbar gewesen. Maßgeblich sei insoweit die Veröffentlichung des SICES-Urteils im Amtsblatt der EU am 5. Mai 2014. Erkennbar sei ein Irrtum nur, wenn er sich durch die Einsichtnahme in öffentlich bekannt gemachte Vorschriften bzw. aus dem Amtsblatt der EU eindeutig erkennen lasse. Allein aus dem im Amtsblatt veröffentlichten Tenor der Entscheidung SICES u.a. habe von der Klägerin nicht erwartet werden können, die Bedeutung des Urteils sofort zu erkennen, d. h. es zu interpretieren und hieraus Rückschlüsse für die Zulässigkeit der eigenen Praxis zu ziehen. Aus dem im Amtsblatt veröffentlichten Gegenstand und Tenor der Entscheidung, die sich auf den Handel mit chinesischem Knoblauch auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 341/2007 bezogen habe, habe sich keineswegs eindeutig ergeben, dass die Praxis der Klägerin rechtsmissbräuchlich gewesen sei.

19

Die Klägerin habe erst dann Kenntnis von der Reichweite des EuGH-Urteils haben müssen, nachdem diese in Branchenverbänden diskutiert worden sei oder sie ausreichend Zeit zur Einholung von Rechtsrat erhalten hätte. Dies wäre erst drei bis vier Monate nach der Veröffentlichung des Urteils der Fall gewesen.

20

Mit Bescheid YYY-2 vom 16. Oktober 2019 erstattete der Beklagte den Nacherhebungsbetrag in Höhe von ... € für die Zollanmeldungen von 24. Juni 2013 (NEE-Vorgänge 1-7). Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

21

Die Klägerin beantragt,
den Einfuhrabgabenbescheid YYY-1 vom 8. März 2016 im Hinblick auf die NEE-Vorgänge 8-10 aufzuheben.

22

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

23

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

...

Entscheidungsgründe

I.

24

Soweit die Beteiligten die Klage wegen der Nacherhebung von ... € Zoll für die Einfuhren vom 24./25. Juni 2014 (NEE-Vorgänge 1-7) in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

II.

25

Die gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 FGO ohne Abschluss des Einspruchsverfahrens zulässige Anfechtungsklage ist begründet, soweit sie im Hinblick auf die NEE-Vorgänge 8-10 des Einfuhrabgabenbescheids vom 8. März 2016 weiterverfolgt wird. Der Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

26

Ermächtigungsgrundlage für die Nacherhebung von Zoll ist Art. 220 Abs. 1 S. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. EG L 302, 1; Zollkodex - ZK). Diese Vorschrift ist trotz des Inkrafttretens des Unionzollkodexes anwendbar, da die Einfuhren und die Nacherhebung vor dem 1. Mai 2016 erfolgten (FG Hamburg, Urteil vom 24. Juli 2017, 4 K 162/15, juris, Rn. 34; Urteil vom 11. Dezember 2018, 4 K 161/15, juris, Rn. 27). Gemäß Art. 220 Abs. 1 S. 1 ZK hat die nachträgliche buchmäßige Erfassung einer Zollschuld zu erfolgen, die mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist. Bisher nicht buchmäßig erfasst wurde die Differenz zwischen dem ursprünglich festgesetzten Kontingentszoll und dem vertragsmäßigen Drittlandszoll (dazu 1.). Die Nacherhebung ist jedoch ausgeschlossen, weil sich die Klägerin auf Vertrauensschutz gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK berufen kann (dazu 2.).

27

1. Bisher nicht buchmäßig erfasst wurde Zoll in Höhe von ... €.

28

Der der Zollschuld entsprechende Abgabenbetrag für die hier in Rede stehenden Einfuhren vom 15. Mai 2014 bestimmt sich nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a ZK. Danach entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wird. Die hierbei geschuldeten Abgaben bemessen sich nach dem vertragsmäßigen Zollsatz von 18,4 % + ... €/100 kg Abtropfgewicht für Waren der Unterposition 2003 1030 der Kombinierten Nomenklatur (KN) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 2012 L 290, 1).

29

a) Der Kontingentszollsatz von 23 % war nicht anzuwenden. Zwar hat die Klägerin die Einfuhren vom 15. Mai 2014 unter Anwendung der Einfuhrlizenz XXX-2 vom 27. Januar 2014, die einen solchen Zollsatz vorsieht, durchgeführt. Sie hat jedoch die Voraussetzungen für die Anwendung des Kontingentszollsatzes in rechtsmissbräuchlicher Weise herbeigeführt. Im Einzelnen:

30

Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass Art. 5 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 vom 22. Dezember 2006 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven (ABl. L 368, 91) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 113/2008 vom 6. Februar 2008 (ABl. L 33, 5) nach seinem Wortlaut nicht verletzt ist, da die Klägerin die Rechte aus ihrer Einfuhrlizenz nicht übertragen hat. Der EuGH hat jedoch in drei Urteilen, in denen es um Vorschriften ging, nach denen Rechte aus Lizenzen nicht (Art. 6 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 341/2007 [ABl. L 90, 12] und Art. 3 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 565/2002 [ABl. L 86, 11] zu Lizenzen für Knoblauchimporte) oder nur unter bestimmten Bedingungen (Art. 21 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 2362/98 zu Lizenzen für Bananenimporte) übertragen werden dürfen, und um Transaktionen, die mit denen des vorliegenden Rechtsstreits vergleichbar sind, entschieden, dass sich ein Einführer in solchen Fällen nicht auf den Kontingentszollsatz berufen kann, wenn solche Transaktionen einen Rechtsmissbrauch darstellen (EuGH, Urteil vom 13. März 2014, SICES u.a., C-155/13, Rn. 30, 40; Urteil vom 9. Juli 2015, Cimmino u.a., C-607/13, Rn. 58; Urteil vom 14. April 2016, Cervati und Malvi, C-131/14, Rn. 32). In diesem Fall ist der Einführer verpflichtet, die Differenz zwischen dem Kontingentzollsatz und dem vertragsmäßigen Zollsatz zu entrichten (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015, Cimmino u.a., C-607/13, Rn. 74 f.).

31

Ein Rechtsmissbrauch setzt als objektives Element voraus, dass sich nach Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen, das Ziel einer Regelung nicht erreicht wurde (EuGH, Urteil vom 13. März 2014, SICES u.a., C-155/13, Rn. 32; Urteil vom 9. Juli 2015, Cimmino u.a., C-607/13, Rn. 61; Urteil vom 14. April 2016, Cervati und Malvi, C-131/14, Rn. 33).

32

Als subjektives Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen bezweckt wird, einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu erlangen, und dass die entsprechenden Begünstigungsvoraussetzungen künstlich geschaffen wurden (EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015, C-607/13, Cimmino u.a., Rn. 61). Das Missbrauchsverbot ist nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines Vorteils (EuGH, Urteil vom 13. März 2014, SICES u.a., C-155/13, Rn. 33; Urteil vom 14. April 2016, Cervati und Malvi, C-131/14, Rn. 34). Um die subjektive Komponente feststellen zu können, müssen bei den Einführern der Vorsatz bestanden haben, den Käufern einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, während die Handelstätigkeit für die Einführer jeder wirtschaftlicher oder kommerzieller Rechtfertigung entbehrte. Dies kann sich z. B. auf den Umstand stützen, dass der Verkaufspreis der Ware auf einem Niveau festgelegt wurde, das es den Einführern erlaubte, einen bedeutenden Gewinn aus den betroffenen Verkäufen zu ziehen. Ebenso kann die Tatsache berücksichtigt werden, dass nach Art. 35 Verordnung (EG) Nr. 1291/2000 die Einführer unter Androhung von Sanktionen verpflichtet sind, die ihnen erteilten Lizenzen zu verwenden, und sie daher ein tatsächliches Interesse an der Durchführung von Einfuhren haben (EuGH, Urteil vom 13. März 2014, SICES u.a., C-155/13, Rn. 37; Urteil vom 14. April 2016, Cervati und Malvi, C-131/14, Rn. 48). Für den künstlichen Charakter der Handelstätigkeiten spricht dagegen der Umstand, dass der Einführer kein Geschäftsrisiko trägt, da dieses tatsächlich von seinem Käufer getragen wird. Ein künstlicher Charakter könnte sich auch aus dem Umstand ergeben, dass die Gewinnspanne der Einführer geringfügig ist oder die Ware innerhalb der EU unter dem Marktpreis verkauft wird (EuGH, Urteil vom 13. März 2014, SICES u.a., C-155/13, Rn. 39; Urteil vom 14. April 2016, Cervati und Malvi, C-131/14, Rn. 51).

33

Diese Gesamtwürdigung, bei der das Gericht alle rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den an den Transaktion mitwirkenden Marktbeteiligten berücksichtigen kann (EuGH, Urteil vom 9. Juli 2015, Cimmino u.a., C-607/13, Rn. 67), führt zu dem Ergebnis, dass das objektive (dazu aa) und das subjektive Element des Rechtsmissbrauchs (dazu bb) vorliegen.

34

aa) Im Streitfall ist das objektive Element des Rechtsmissbrauchs gegeben.

35

In der Sache SICES u.a. (Urteil vom 13. März 2014, C-155/13, Rn. 35) hat der EuGH aus den Erwägungsgründen 13 und 14 i.V.m. mit den Erwägungsgründen 9 und 10 der Verordnung (EG) Nr. 341/2007 abgeleitet, dass bei der Verwaltung der Zollkontingente der Wettbewerb zwischen den tatsächlichen Einführern zu wahren sei, damit kein einzelner Einführer den Markt beherrschen könne. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass in jenem Fall dieses Ziel nicht erreicht werden könne. Durch den Rückkauf des von einem Lizenzinhaber verzollten Knoblauchs werde dem traditionellen Einführer, dessen Lizenzen bereits erschöpft waren, ermöglicht, sich zum Präferenzzoll eingeführten Knoblauch zu beschaffen, und seinen Einfluss auf den Markt über den Teil des Zollkontingents, der ihm gewährt wurde, hinaus auszuweiten (a.a.O, Rn. 36).

36

Diese Erwägungen sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Erwägungsgründe 7, 8 und 10 der im vorliegenden Fall einschlägigen Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 sind inhaltlich deckungsgleich mit den Erwägungsgründen 9, 10 und 13 der Verordnung (EG) Nr. 341/2007. Insbesondere wird im Erwägungsgrund 10 betont, dass der Wettbewerb zwischen den Einführern gewahrt werden und kein einzelner Einführer den Markt beherrschen soll. Vor diesem Hintergrund ist es unbeachtlich, dass - anders als im Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) Nr. 341/2007 - nicht noch einmal die Wahrung des Wettbewerbs als der Grund für das Verbot der Übertragung von Lizenzrechten genannt wird.

37

Auch im vorliegenden Fall kann sich A durch den Rückkauf der zwischenzeitlich verzollten Kontingentsware einen größeren Anteil am Markt für kontingentierte Pilzkonserven verschaffen, als ihr nach der ihr erteilten Lizenz zustünde. Zwar waren von A Kontingent am 15. Mai 2014 noch 1.317 t offen. A hat es jedoch im laufenden Kontingentszeitraum erschöpft. Durch die wirtschaftliche Ausnutzung des Kontingents der Klägerin, das A vermarkten konnte, erhielt A einen größeren Marktanteil, als er ihr nach der ihr erteilten Lizenzmenge von 2.237 t zugestanden hätte. Dies führt dazu, dass der Wettbewerb zwischen den Einführern beeinträchtigt wird.

38

bb) Im Streitfall ist auch das subjektive Element des Rechtsmissbrauchs gegeben.

39

Die vorgenommenen Geschäfte zielen darauf ab, A über die eigene Lizenzmenge hinaus zusätzliche Pilzkonserven zum Kontingentszollsatz zu verschaffen. Das Ziel der Verordnung (EG) Nr. 1979/2006, für mehr Wettbewerb zwischen den Einführern von Pilzkonserven zu sorgen, wurde durch diese Geschäfte konterkariert. Aufgrund der zeitlichen Abfolge der Vertragsabschlüsse trug die Klägerin bei der Überführung der Waren in den freien Verkehr kein Absatzrisiko. Die Initiative für den Abschluss der Geschäfte ging von A aus. Sie hat bereits am 13. Mai 2014 den von der Klägerin noch gar nicht erteilten Auftrag über den Verkauf der unverzollten Ware bestätigt. Zeitgleich hat sie den Rückkauf der - noch gar nicht an die Klägerin verkauften - Ware von der Klägerin in Auftrag gegeben. Damit war für die Klägerin bei Erteilung des Auftrags zum Verkauf der unverzollten Ware an sie bereits klar, dass die Ware nach der Verzollung wieder an A zurück veräußert werden würde. Die Klägerin trug damit kein wirtschaftliches Risiko. Dieses lag allein bei A. Für die Beurteilung des Geschäftsrisikos kommt es im Wesentlichen auf das Absatz- und Beschaffungsrisiko an. Vertragliche oder gesetzliche Haftungsrisiken auf der Grundlage des Lebensmittelrechts oder des Produkthaftungsgesetzes sind nicht relevant (FG München, Urteil vom 25. Oktober 2018,14 K 3071/16, S. 13 UA).

40

Neben dem fehlenden Geschäftsrisiko spricht für eine missbräuchliche Vertragsgestaltung die sehr geringe Gewinnspanne der Klägerin. Ausweislich der als Anlage K 8 übermittelten "Analyse ..." erzielte die Klägerin aus den hier in Rede stehenden Einfuhren einen durchschnittlichen Gewinn von 0,91 %. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass die Einkaufspreise, die A an die chinesischen Lieferanten zahlte, und die Weiterverkaufspreise an die Abnehmer marktüblich waren. Der EuGH hat nämlich deutlich gemacht, dass sich der künstliche Charakter der Handelstätigkeiten aus einem der drei erwähnten Aspekte (fehlendes Geschäftsrisiko, geringfügige Gewinnspanne, Verkauf unter Marktpreisen) ergeben kann. Vorliegend sprechen zwei der drei Aspekte für eine artifizielle Geschäftsgestaltung.

41

Auf den künstlichen Charakter der Handelstätigkeiten deutet auch die Tatsache hin, dass A der Klägerin vollständig die Abwicklung der Lizenzbeantragung abgenommen hat. Da A auch die Sicherheit für die Lizenz hinterlegt hat, trug die Klägerin nicht das Risiko des Verfalls dieser Sicherheit. A hat außerdem die gesamte Zollabfertigung durchgeführt, ist selbst als Zollwertanmelder aufgetreten und hat die eigenen Kaufgeschäfte über den Erwerb der Pilzkonserven von den chinesischen Lieferanten als Vorerwerbergeschäfte der Zollwertermittlung zugrunde gelegt. Die Einfuhrabgaben wurden zudem über die Aufschubkonten von A abgewickelt.

42

Anders als die Klägerin meint, macht es für die Bewertung des Sachverhalts keinen Unterschied, dass sie von A beherrscht wird. Die vorstehenden Regeln des Lizenzmissbrauchs knüpfen an das in Art. 5 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 niedergelegte Verbot an, Rechte aus den Einfuhrlizenzen zu übertragen. Weder aus dieser Vorschrift noch aus dem zugrundeliegenden Art. 9 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1291/2000 ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das Übertragungsverbot für verbundene Unternehmen nur eingeschränkt gelten soll. Wenn es aber für verbundene Unternehmen keine Sonderregeln im Hinblick auf das Verbot der Lizenzübertragung gibt, kann es auch für die Frage, ob dieses Verbot durch eine missbräuchliche Vertragsgestaltung umgangen wurde, nicht darauf ankommen, ob die beteiligten Unternehmen verbunden sind.

43

Der rechtsmissbräuchlichen Gestaltung der Vertragsverhältnisse steht nicht entgegen, dass der Klägerin im Einfuhrzeitpunkt eine gültige Lizenz vorlag. Das Vorliegen einer Lizenz hat keine Bindungswirkung für die Prüfung des Beklagten, ob der Kontingentzollsatz zu Recht gewährt worden ist (ausführlich FG München, Urteil vom 25. Oktober 2018, 14 K 3071/16, S. 7 ff. UA).

44

b) Aus der Differenz zwischen dem entrichteten Kontingentszoll von ... € für die drei Einfuhren vom 15. Mai 2014 und dem auf der Grundlage des vertragsmäßigen Zollsatzes errechneten Zolls von ... € ergibt sich die Nacherhebung von ... € durch den Bescheid vom 8. März 2016 (NEE-Vorgänge 8-10).

45

2. Der Nacherhebung dieses Betrags steht jedoch Art. 220 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b ZK entgegen. Nach dieser Vorschrift erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen hierzu kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens müssen die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sein. Zweitens durfte dieser Irrtum von einem gutgläubigen Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden können und drittens muss dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet haben (EuGH, Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, Rn. 24 m.w.N.; Urteil vom 12. November 2013, Wünsche, T-147/12, Rn. 28). Da nach Auffassung des Senats die Erkennbarkeit des Irrtums und die Gutgläubigkeit des Abgabenschuldners getrennt voneinander zu prüfen sind, hat Art. 220 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b ZK letztlich vier Voraussetzungen (FG Hamburg, Urteil vom 11. Dezember 2018, 4 K 161/15, juris, Rn. 41). Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt.

46

a) Ein aktiver Irrtum liegt vor. Ein solcher kann sich daraus ergeben, dass das BMF aufgrund eines Einzelfalls eine bestimmte Art von Geschäften (hier: Verkauf von Rückkauf von Kontingentswaren zum jeweiligen Einstandspreis) durch einen Erlass abschließend behandelt und sich daraus eine langjährige Praxis der Zollverwaltung ergibt (FG München, Urteil vom 25. Oktober 2018, 14 K 3071/16, S. 14 UA). Vorliegend hat die Zollbehörde über viele Jahre die von der Klägerin mit A getätigten Geschäfte unbeanstandet gelassen. Nach den Prüfungsfeststellungen waren die Geschäftsgestaltungen, um die es hier geht, "eine langjährig übliche Branchenpraxis" und "in der Zollverwaltung grundsätzlich bekannt". Dass bezogen auf den vorliegenden Fall ein aktiver Irrtum gegeben ist, zeigt sich auch daran, dass der Beklagte im Hinblick auf die Einfuhrvorgänge vom 24./25. Juni 2013 Vertrauensschutz gewährt und damit selbst das Vorliegen eines aktiven Irrtums anerkannt hat.

47

Der aktive Irrtum des Beklagten bei der Einfuhrabfertigung am 15. Mai 2014 bestand darin, dass er die ihm bekannte Gestaltung des unverzollten Ankaufs und des nach der Verzollung erfolgenden Rückverkaufs von Kontingentswaren nicht als rechtsmissbräuchlich einstufte und daher für diese Ware der Kontingentzollsatz zur Anwendung kam (s. FG München, Urteil vom 25. Oktober 2018, 14 K 3071/16, S. 14 f. UA).

48

b) Dieser Irrtum war für die Klägerin am 15. Mai 2014 (noch) nicht erkennbar.

49

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Erkennbarkeit des Irrtums ist der Zeitpunkt der Abgabenmitteilung (BFH, Beschluss vom 24. April 2008, VII R 62/06, juris, Rn. 15), hier also am 15. Mai 2014. Anders als die Klägerin meint, ist nicht auf das Datum der Lizenzerteilung abzustellen. Die Erteilung der Lizenz führte nicht zur Abgabenerhebung. Es stellt das übliche Außenhandelsrisiko dar, dass sich während des Gültigkeitszeitraumes einer Lizenz die rechtlichen Rahmenbedingungen verändern. Im Übrigen wäre es für die Gewährung von Vertrauensschutz auch nicht erforderlich, bereits auf die Erteilung der Lizenz abzustellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Ankauf von unverzollten Kontingentswaren und der Rückverkauf von unverzollten Waren nämlich nicht generell rechtsmissbräuchlich. Es kommt vielmehr auf die Gestaltung im Einzelfall an.

50

Die Erkennbarkeit eines Irrtums ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unter Berücksichtigung seiner Art, der Berufserfahrung der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und der von ihnen aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 3. März 2005, Biegi Nahrungsmittel und Commonfood/Kommission, C-499/03 P, Rn. 47; Urteil vom 26. März 2015, Wünsche, C-7/14 P, Rn. 56; Urteil vom 12. November 2013, Wünsche, T-147/12, Rn. 44). Im Hinblick auf die Art des Irrtums ist jeweils zu untersuchen, ob die betreffende Regelung komplex oder so einfach ist, dass eine Prüfung der Umstände einen Irrtum leicht erkennbar macht (EuGH, Urteil vom 14. Mai 1996, Faroe Seafood u.a., C-153/94 und C-204/94, Rn. 100 m.w.N.). Was die Sorgfalt des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers angeht, so muss sich dieser, wenn er selbst Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens hat, informieren und sich weitestgehend Aufschluss darüber verschaffen, ob seine Zweifel berechtigt sind (EuGH, Urteil vom 1. April 1993, Hewlett-Packard France, C-250/91, Rn. 24, zur Tarifierung; Urteil vom 14. Mai 1996, Faroe Seafood u.a., C-153/94 und C-204/94, Rn. 100; Urteil vom 16. März 2017, Veloserviss, C-47/16, Rn. 37 und Urteil vom 26. Oktober 2017, Aqua Pro, C-407/16, Rn. 83, zum Warenursprung; Urteil vom 11. November 1999, Söhl & Söhlke, C-48/98, Rn. 58, zur Fristüberschreitung nach Art. 49 ZK). Zwar schließt die Berufserfahrung für sich genommen die Nichterkennbarkeit des Irrtums nicht aus. Gleichwohl kann von einem erfahrenen Wirtschaftsteilnehmer erwartet werden, den administrativen und faktischen Gegebenheiten, deren Beurteilung in den üblichen Rahmen seiner Tätigkeit fällt, erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken, so dass er jede Abweichung von dem, was eine gewöhnliche und korrekte Praxis darstellt, leichter erkennen kann (EuG, Urteil vom 15. Dezember 2016, Spanien/Kommission, T-466/14, Rn. 133).

51

Der Senat folgt nicht der von der Klägerin angeführten Auffassung, nach der ein Irrtum nur erkennbar sei, wenn die richtige Angabe in den einschlägigen Vorschriften "zweifelsfrei geregelt" und sie ihnen daher "eindeutig zu entnehmen" sei (Gellert in Dorsch, Art. 119 UZK, Rn. 52, Stand Sept. 2013, o.w.N.). Ausgehend von der Formulierung in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK, muss es sich um eine wertende Gesamtbetrachtung handeln, wie sie auch der EuGH vornimmt. Die Unklarheit der Rechtslage führt allerdings dazu, dass im Rahmen der Gesamtbetrachtung weitere Aspekte wie die Berufserfahrung und die Sorgfalt sowie die Bemühungen, sich über die Rechtslage Klarheit zu verschaffen, von Bedeutung sind (BFH, Urteil vom 19. Juni 2013, VII R 31/12, juris, Rn. 15).

52

Bei Anwendung dieser Grundsätze war am 15. Mai 2014 für die Klägerin der Irrtum der Zollverwaltung nicht erkennbar. Selbst wenn man von ihr verlangt, dass sie bereits am 13. März 2014, als das SICES-Urteil (C-155/13) vom selben Tag auf www.curia.eu veröffentlicht wurde, von dem Urteil hätte Kenntnis nehmen müssen, durfte sie am 15. Mai 2014 noch darauf vertrauen, dass ihre konkrete Vertragsgestaltung nicht rechtsmissbräuchlich ist und sie daher den Kontingentszoll rechtmäßig in Anspruch nehmen durfte.

53

Die Art des Irrtums spricht gegen seine Erkennbarkeit. Zwar ist der Rechtsgrundsatz des Verbots der missbräuchlichen oder betrügerischen Berufung auf Unionsrecht für sich betrachtet nicht komplex. Schwer erkennbar wird der Irrtum der Bundeszollverwaltung jedoch dadurch, dass er sich erst aus der Anwendung dieses Grundsatzes auf den Einzelfall ergibt. Für diesen Subsumtionsakt brachte das Urteil des EuGH vom 13. März 2014 keine grundlegend neuen Erkenntnisse, weil es den Rechtsgrundsatz nur wiederholte und für die Anwendung auf die Klägerin keine zwingenden Schlüsse zuließ. Im Einzelnen:

54

Der Grundsatz des Verbots der missbräuchlichen oder betrügerischen Berufung auf das Unionsrecht war auch vor dem SICES-Urteil im Unionsrecht (siehe EuGH, Urteil vom 12. Mai 1998, Kefalas u.a., C-367/96, Rn. 20 m.w.N.; Urteil vom 23. März 2000, Diamantis, C-373/97, Rn. 33) und insbesondere im Marktordnungsrecht (EuGH, Urteil vom 11. Oktober 1977, Cremer, Rs. 125/76, Rn. 21; EuGH, Urteil vom 3. März 1993, General Milk Products, C-8/92, Rn. 21 unter Verweis auf Urteil vom 27. Oktober 1981, Töpfer u.a., Rs. 250/80) verankert. Wie in dieser Rechtsprechung hängt auch nach dem SICES-Urteil die Feststellung des Rechtsmissbrauchs von einer Einzelfallabwägung ab, bei der die mitgliedstaatlichen Gerichte - oder Behörden - alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigen müssen (Rn. 34 des Urteils). Da das SICES-Urteil keine generellen Aussagen über die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme einer Einfuhrlizenz beim Verkauf verzollter Ware an einen Käufer, von dem man die Ware zuvor unverzollt angekauft hatte, traf, wurde die Rechtslage dadurch nicht dergestalt geklärt, dass die irrtümliche Einordnung der klägerischen Vertragsgestaltungen als nicht rechtsmissbräuchlich deutlich zu Tage getreten wäre.

55

Dessen ungeachtet hätten der Klägerin, die gemeinsam mit A auf eine jahrzehntelange Erfahrung im Handel mit Pilzkonserven zurückschauen kann, bei Lektüre des SICES-Urteils zumindest Zweifel kommen müssen, ob die Bewertung ihrer Vertragsgestaltungen durch die Bundeszollverwaltung als nicht rechtsmissbräuchlich einer Überprüfung durch den EuGH standhalten würde. Auch wenn das SICES-Urteil - wie dargelegt - nichts grundsätzlich Neues brachte, wandte es den Grundsatz des Rechtsmissbrauchs doch erstmals auf Vertragsgestaltungen an, die den hier in Rede stehenden ähnlich sind. So benannte es in Rn. 39 konkrete Bewertungskriterien (fehlendes Geschäftsrisiko, geringfügige Gewinnspanne, Verkäufe unter Marktpreis) für die Feststellung des Rechtsmissbrauchs. Außerdem waren die Verordnung (EG) Nr. 341/2007, mit der sich das SICES-Urteil befasste, und die für die Klägerin einschlägige Verordnung (EG) Nr. 1979/2006 insoweit vergleichbar, als dass beide ein Lizenzübertragungsverbot enthalten und zwischen traditionellen und neuen Einführern unterscheiden. Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin, wie die oben dargestellte Rechtsprechung es verlangt, vor den hier in Rede stehenden Einfuhren weitere Nachforschungen anstellen müssen.

56

Dass sie dies nicht getan hat, macht den Irrtum allerdings nicht erkennbar. Der ihr insoweit vorwerfbare Sorgfaltsmangel hätte sich nämlich im Ergebnis nicht ausgewirkt. Nach Überzeugung des Senats wären nämlich alle Bemühungen der Klägerin, sich weitestgehend Aufschluss darüber zu verschaffen, ob ihre Zweifel berechtigt sind, in der Kürze der zwischen dem 13. März und 15. Mai 2014 zur Verfügung stehenden Zeit erfolglos gewesen. Hierbei muss man auch einem sehr erfahrenen Wirtschaftsbeteiligten bei den Umständen des Streitfalls zugestehen, sich zunächst anwaltlich beraten zu lassen, wie die Rechtslage einzuschätzen ist und welche Schritte zu unternehmen sind. In den sodann verbleibenden Wochen wäre es nicht erfolgversprechend gewesen, von der Zollverwaltung eine abschließende Neubewertung der Vertragsgestaltungen der Klägerin zu erlangen. Diese Einschätzung untermauert der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeführte Schriftwechsel mit dem BMF. In jenem Fall dauerte es fast acht Wochen (28. Mai bis 21. Juli 2014), bis das BMF sich nach Abstimmung mit dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung dazu äußern konnte, welche Auswirkungen das SICES-Urteil auf das Lizenzregime der Verordnung (EG) Nr. 616/2007 zum Handel mit Geflügelfleisch hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dieser Fall einfach gelagert war, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Verordnung anders waren als bei der Verordnung, über die das SICES-Urteil entschieden hat. Da - wie dargelegt - die im vorliegenden Fall einschlägige Verordnung mit der Verordnung, mit der sich das SICES-Urteil befasste, vergleichbar ist, hätte sich eine umfangreiche Einzelfallprüfung anschließen müssen, die weitere Zeit in Anspruch genommen hätte. Selbst wenn also die Klägerin sofort nach Veröffentlichung des SICES-Urteils gehandelt hätte, hätte sie in den folgenden fast neun Wochen keine Auskunft des BMF erhalten.

57

Solange es dem BMF zeitlich nicht möglich gewesen wäre, eine Neubewertung der hier in Rede stehenden Vertragsgestaltungen vorzunehmen, durfte die Klägerin auf die jahrzehntelange rechtliche Einschätzung der Zollverwaltung vertrauen, dass ihre Vertragsgestaltungen nicht zu einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Lizenzen führten. Vor diesem Hintergrund verkennt der Beklagte das Wesen des Vertrauensschutzes, wenn er in der mündlichen Verhandlung der Klägerin vorhält, dass sie unschwer ihre Vertragsgestaltung an die Anforderungen des SICES-Urteils hätte anpassen können.

58

Die Zollverwaltung hat das Vertrauen der Klägerin auch nicht auf andere Weise erschüttert. Sie selbst hat auf das SICES-Urteil zunächst gar nicht reagiert. Die im Lichte des SICES-Urteils und der nachfolgenden Rechtsprechung nach Einschätzung des Senats als rechtsmissbräuchlich zu bewertenden Vertragsgestaltungen der Klägerin sind der Zollverwaltung nämlich erst infolge einer turnusmäßigen Zollprüfung bei A aufgefallen. Diese Prüfung fand mit dem Prüfungsbericht vom 17. Dezember 2015, mithin 21 Monate nach Erlass des SICES-Urteils, ihren Abschluss.

59

Die hier vertretene Einschätzung steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Senats vom 13. Dezember 2016 (4 K 79/14, juris), auf das sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bezogen hat. Der in jenem Verfahren zur Erkennbarkeit des Irrtums führende Hinweis der Zollverwaltung war nämlich - anders als das SICES-Urteil - an die dortige Klägerin gerichtet und inhaltlich so eindeutig, dass sich die Rechtslage - ebenfalls anders als durch das SICES-Urteil - klärte.

60

c) Da die Klägerin auch nicht anderweitig Kenntnis von dem Irrtum erlangte, mithin gutgläubig handelte, und alle sonstigen Zollvorschriften eingehalten hat, ist ihr Vertrauensschutz gemäß Art. 220 Abs. 2 ZK zu gewähren und von einer Nacherhebung abzusehen.

III.

61

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 138 Abs. 2 S. 1, 135 Abs. 1 FGO.

62

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 115 Abs. 2 FGO).

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