Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 98/20

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer.

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Der Kläger ist seit dem 28.07.2015 in Hamburg gemeldet. Am 02.02.2019 wurde der Kläger von der Besetzung eines Streifenwagens als Fahrer des XXX mit dem polnischen Kennzeichen XX-xxxx angetroffen; das Fahrzeug ist seit dem 23.05.2015 in Polen auf den Kläger zugelassen.

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Mit Schreiben vom 09.04.2019 übersandte das beklagte Hauptzollamt dem Kläger den Fragebogen "Ermittlung der vollständigen Besteuerungsgrundlagen zur Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer bei widerrechtlicher Benutzung eines Fahrzeugs im Inland" (im Folgenden: Fragebogen) und bat um Rücksendung unter Fristsetzung. Der Kläger übersandte in der Folgezeit eine Kraftfahrzeugsteuerkarte nebst Quittung vom 05.06.2018 für den Zeitraum 07.06.2018 bis 06.06.2019; den Fragebogen übersandte er jedoch nicht.

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Mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 19.08.2019 setzte das beklagte Hauptzollamt gegenüber dem Kläger wegen widerrechtlicher Benutzung des Fahrzeugs XXX für die Zeiträume vom 28.07.2015 bis 06.06.2018 und 07.06.2019 bis 27.07.2020 Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von insgesamt 1.217,00 Euro unter Hinweis darauf fest, dass der Kläger den Fragebogen nicht zurückgesandt habe und damit seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei mit der Folge, dass die Dauer der widerrechtlichen Nutzung des Fahrzeugs nach § 162 AO geschätzt werde. Nähere Angaben zur geschätzten Dauer der widerrechtlichen Nutzung enthält der Bescheid nicht.

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Der Kläger legte gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 19.08.2019 Einspruch ein und verwies darauf, dass er zwar seit dem 28.07.2015 in Deutschland sei, dass er aber das Fahrzeug erst seit Juni 2016 in Deutschland nutze. Seinem Einspruch fügte er zwei Kraftfahrzeugsteuerkarten für den Zeitraum vom 03.06.2019 bis 02.06.2020 bzw. 07.06.2017 bis 06.06.2018 bei.

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Das beklagte Hauptzollamt änderte daraufhin mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 28.08.2019 den Bescheid vom 19.08.2019 dahin, dass Kraftfahrzeugsteuer nurmehr für die Zeiträume vom 28.07.2015 bis 06.06.2017 und 03.06. bis 27.07.2020 über insgesamt 566,00 Euro erhoben wurde.

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Mit einem weiteren Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 12.09.2019 änderte das beklagte Hauptzollamt den Bescheid vom 28.08.2019 in der Weise, dass für den Zeitraum vom 23.06.2016 bis 22.07.2017 keine Steuer berechnet wurde, da der Kläger auch für diesen Zeitraum zwischenzeitlich eine Steuerkarte vorgelegt hatte.

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Im weiteren Verlauf wandte der Kläger ein, dass er am 28.07.2015 ohne Auto nach Hamburg gekommen sei. Er habe sein Auto in Polen in einer Werkstatt gelassen, weil der Motor defekt gewesen sei. Nach einem Jahr habe er dann sein Auto aus Polen nach Hamburg geholt und am 06.06.2016 angemeldet und hierfür regelmäßig Steuern gezahlt. Er reichte zudem eine Erklärung der Autowerkstatt in polnischer Sprache ein.

9

Mit Einspruchsentscheidung vom 12.06.2020 wies das beklagte Hauptzollamt den Einspruch des Klägers zurück. Es führte zur Begründung u.a. aus, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten verletzt habe, weil er den Fragebogen nicht zurückgesandt habe; es habe daher zu Recht von der Möglichkeit der Schätzung Gebrauch gemacht. Der Kläger habe für die noch streitgegenständlichen Zeiträume vom 28.07.2015 bis 22.06.2016 bzw. 03.06. bis 27.07.2020 keine Belege vorgelegt, aus denen auf eine durchgehende Nutzung des Fahrzeugs im Ausland geschlossen werden könnte. Das in polnischer Sprache eingereichte Schriftstück habe nicht verwertet werden können, da die Amtssprache deutsch sei.

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Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag vor, dass er das Fahrzeug am 07.12.2019 verkauft habe, das dann am 16.12.2019 in Polen auf den Käufer umgemeldet worden sei.

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Der Kläger beantragt,
den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 19.08.2019 in der Fassung der Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 28.08.2019 und 12.09.2019 sowie die Einspruchsentscheidung vom 12.06.2020 aufzuheben.

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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

...

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Anfechtungsklage führt zum Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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1. Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheid kommen allein die Vorschriften der § 1 Abs. 1 Nr. 3, 2 Abs. 5, 5 Abs. 1 Nr. 3, 7 Nr. 3 KraftStG in Betracht. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG unterliegt der Kraftfahrzeugsteuer die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen. Eine widerrechtliche Benutzung liegt vor, wenn ein Fahrzeug auf öffentlichen Straßen im Inland ohne die verkehrsrechtlich vorgeschriebene Zulassung benutzt wird (§ 2 Abs. 5 Satz 1 KraftStG). Die Steuerpflicht dauert nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG bei einem widerrechtlich benutzten Fahrzeug solange die widerrechtliche Benutzung dauert, mindestens jedoch einen Monat. Steuerschuldner ist bei einem widerrechtlich benutzten Fahrzeug die Person, die das Fahrzeug widerrechtlich benutzt (§ 7 Nr. 3 KraftStG). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug wurde vom Kläger nicht widerrechtlich benutzt; vielmehr handelte es sich um ein ausländisches Fahrzeug, für dessen Benutzung im Inland der Kläger als Steuerpflichtiger die Kraftfahrzeugsteuer ordnungsgemäß entrichtet hatte.

15

Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um ein ausländisches Fahrzeug, das - was auch vom beklagten Hauptzollamt letztlich nicht in Abrede gestellt wird - im Zulassungsverfahren eines anderen Staates zugelassen ist (§ 2 Abs. 4 KraftStG). Die damit grundsätzlich gegebene Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG) dauert bei einem ausländischen Fahrzeug, solange sich das Fahrzeug im Inland befindet (§ 5 Nr. 2 KraftStG). Steuerschuldner ist nach § 7 Nr. 2 KraftStG die Person, die das ausländische Fahrzeug im Inland benutzt, vorliegend mithin der Kläger. Ausweislich der bereits zur Sachakte gereichten Kraftfahrzeugsteuerkarten hatte der Kläger Kraftfahrzeugsteuer für den Zeitraum vom 23.06.2016 - dem Beginn der Nutzung des Fahrzeugs im Inland - bis zum 02.06.2020 entrichtet. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Fahrzeug auch - wie in dem Bescheid vom beklagten Hauptzollamt unterstellt - in dem weiteren Zeitraum vom 03.06. bis 27.07. im Inland befand und vom Kläger benutzt wurde, bestehen nicht, im Gegenteil: Der Kläger hatte das Fahrzeug bereits am 07.12.2019 veräußert, das dann in Polen am 16.12.2019 umgemeldet wurde.

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Entsprechend verhält es sich in Bezug auf den Zeitraum vom 28.07.2015 bis 22.06.2016. Nach dem Dafürhalten des erkennenden Gerichts bestehen auch insoweit keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Fahrzeug (auch) in diesem Zeitraum im Inland befand und vom Kläger benutzt wurde. Insbesondere folgen diesbezügliche Verdachtsmomente nicht aus dem Umstand, dass der Kläger bereits seit dem 28.07.2015 in Hamburg gemeldet ist. Der Kläger hat im Verlauf des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens durch Vorlage der entsprechenden Kraftfahrzeugsteuerkarten nachgewiesen, dass er das Fahrzeug durchgängig seit Juni 2016 in Deutschland versteuert hatte. Bei einem so gelagerten Sachverhalt ist das beklagte Hauptzollamt - geht es wie vorliegend um den Zeitraum der Nutzung eines ausländischen Fahrzeugs im Inland (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG) - nicht befugt, aus dem Zeitpunkt der Wohnsitzanmeldung auf den Beginn der Nutzung eines Fahrzeugs im Inland zu schließen, das in einem anderen Staat zugelassen ist. Im Übrigen hatte der Kläger bereits im Einspruchsverfahren durch seine Einlassung und die eingereichte Erklärung der Werkstatt glaubhaft vorgetragen, dass sich das Fahrzeug in der Zeit vom Mai 2015 bis Mai 2016 nicht in Deutschland, sondern in Polen befand (siehe unten).

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Dem beklagten Hauptzollamt ist zuzugeben, dass im Zeitpunkt der polizeilichen Überwachung des ruhenden Verkehrs am 10.02.2019 tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass das vom Kläger benutzte und mit einem polnischen Kennzeichen ausgewiesene Fahrzeug im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 KraftStG widerrechtlich benutzt wird. Das beklagte Hauptzollamt war vor diesem Hintergrund auch grundsätzlich berechtigt, den Kläger unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO bei der Erforschung des Sachverhalts zur Ausfüllung des Fragebogens aufzufordern. Denn die Verwendung des vom Kläger gehaltenen Fahrzeugs spielte sich in seiner persönlichen Sphäre ab. Nachdem der Kläger allerdings anstatt des ausgefüllten Fragebogens eine Kraftfahrzeugsteuerkarte für den Zeitraum vom 07.06.2018 bis 06.06.2019 übersandt hatte, aus der das beklagte Hauptzollamt entnehmen konnte, dass das von ihm im Zeitpunkt der polizeilichen Überwachung des ruhenden Verkehrs am 10.02.2019 benutzte Fahrzeug zwar in Polen zugelassen, in Deutschland jedoch versteuert war, war der Anfangsverdacht einer widerrechtlichen Nutzung des Fahrzeugs nach § 2 Abs. 5 KraftStG entfallen.

18

Da das beklagte Hauptzollamt die rechtliche Einordnung des Fahrzeugs als ausländisches Fahrzeug im Sinne des § 2 Abs. 4 KraftStG verkannt und darüber hinaus auch die Dauer der Steuerpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG fehlerhaft ermittelt hat, sind der streitgegenständliche Kraftfahrzeugsteuerbescheid in Gestalt der Änderungsbescheide vom 28.08.2019 und 12.09.2019 sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

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2. Unbeschadet der vorstehenden Darlegungen sind die angefochtenen Bescheide auch dann aufzuheben, wenn mit dem beklagten Hauptzollamt eine widerrechtliche Nutzung nach § 2 Abs. 5 KraftStG und damit eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. KraftStG unterstellt wird.

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Es ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO schätzen darf, soweit sie diese nicht ermitteln kann, und dass ein Schätzungsanlass im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 1 AO u.a. gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO verletzt hat (vgl. nur BFH, Urteil vom 11.03.1999, V R 78/98, BFH/NV 1999, 1178; Hessisches FG, Urteil vom 01.06.2005, 5 K 3144/03, juris). Hinsichtlich des Streitfalles hatte der Kläger seine Mitwirkungspflichten zwar anfangs dadurch verletzt, dass er den ihm vom beklagten Hauptzollamt übersandten Fragebogen nicht beantwortet hatte. Vor diesem Hintergrund durfte das beklagte Hauptzollamt hinsichtlich des Umfangs der widerrechtlichen Nutzung im Wege der Schätzung zunächst annehmen, dass der Kläger das auf ihn seit dem 23.05.2015 zugelassene Fahrzeug bereits seit seinem Aufenthalt in Hamburg am 28.07.2015 widerrechtlich nutzte. Allerdings hatte der Kläger schon im Verlauf des Einspruchsverfahrens erklärt, dass er im Jahre 2015 ohne Auto nach Hamburg gekommen sei; sein Auto sei defekt gewesen und habe sich in Polen in einer Werkstatt befunden. Erst nach einem Jahr habe er sein Auto nach Hamburg geholt und am 06.06.2016 angemeldet; seitdem zahle er Steuer. Zur Stützung dieses Vortrags hatte der Kläger eine in polnischer Sprache abgefasste Erklärung einer Werkstatt beigefügt, die das beklagte Hauptzollamt freilich unter Hinweis darauf, dass die Amtssprache nach § 87 Abs. 1 AO deutsch sei, nicht zur Kenntnis nahm. Zwar kann die Finanzbehörde, werden ihr in einer fremden Sprache Urkunden oder andere Dokumente vorgelegt, verlangen, dass unverzüglich eine Übersetzung vorgelegt wird (§ 87 Abs. 2 Satz 1 AO). Mit Blick auf den in § 88 Abs. 1 AO verankerten Untersuchungsgrundsatz, der das beklagte Hauptzollamt auch anhält, alle für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen, hätte es die vom Kläger eingereichte fremdsprachliche Erklärung nicht unbeachtet lassen dürfen, sondern vielmehr von Amts wegen eine Übersetzung beschaffen müssen, wozu es nach § 87 Abs. 2 Satz 3 AO nicht nur berechtigt, sondern unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG) und Verbot der Benachteiligung wegen der Sprache (Art. 3 Abs. 1 GG) - und mit Blick auf seine Verfahrensfürsorgepflicht (§ 89 AO) sogar verpflichtet ist. Diese Erklärung bestätigt - wie die mündliche Verhandlung ergeben hat - die Einlassung des Klägers, dass sich das Fahrzeug von Mai 2015 bis Mai 2016 in Polen befand. Der Kläger hat zudem in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass das Fahrzeug nicht über den gesamten Zeitraum in der Werkstatt war, es gab vielmehr in dieser Zeit mehrere Werkstattaufenthalte aufgrund unterschiedlicher technischer Defekte des Fahrzeugs. Das erkennende Gericht hat angesichts dieser ergänzenden Erläuterungen des Klägers und der vom Mechaniker ausgestellten Erklärung keinen Zweifel, dass der regelmäßige Standort des Fahrzeugs in der Zeit vor dem 07.06.2016 Polen war.

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3. Das beklagte Hauptzollamt ist nach § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO zu verpflichten, dem Kläger die in Vollziehung der Kraftsteuersteuerbescheide (19.08.2019, 28.08.2019, 12.09.2019) und der Einspruchsentscheidung zu viel gezahlte Steuer zu erstatten. Dieser prozessuale Folgenbeseitigungsanspruch des Klägers betrifft die Zeiträume vom 28.07.2015 bis 22.06.2016 und vom 16.12.2019 bis 27.07.2020. Der prozessuale Folgenbeseitigungsanspruch des § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO tritt übrigens selbständig neben den materiellen Anspruch des Klägers auf Neufestsetzung der Steuer nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG für den Zeitraum vom 16.12.2019 bis 27.07.2020. Dass - so wie das beklagte Hauptzollamt meint - eine Neufestsetzung der Steuer nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG rückwirkend nicht möglich sei, vermag das erkennende Gericht dem Gesetz nicht zu entnehmen. Da die Kraftfahrzeugsteuer regelmäßig im Voraus entrichtet wird, kommt einer Neufestsetzung der Steuer nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 KraftStG faktisch immer eine Rückwirkung zu. Auf den Zeitpunkt, wann dem beklagten Hauptzollamt der Nachweis über die Beendigung der Steuerpflicht vorlag bzw. es Kenntnis von der Beendigung der Steuerpflicht hatte, kommt es nicht an.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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