Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 56/20

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Kraftfahrzeugsteuer.

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Der Kläger, der seit dem 03.05.2013 durchgehend in Hamburg gemeldet ist, ist seit dem 12.06.2014 Halter des in Polen zugelassenen XXX mit dem amtlichen Kennzeichen XX-xxxx. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle am 23.03.2015 wurde der Sohn des Klägers als Fahrer des streitgegenständlichen PKW angetroffen.

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Mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 26.02.2016 setzte das beklagte Hauptzollamt gegenüber dem Kläger wegen widerrechtlicher Benutzung des Fahrzeugs XXX für den Zeitraum vom 12.06.2014 bis 02.02.2017 Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von insgesamt 392,00 Euro fest.

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In seinem gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 26.02.2016 gerichteten Einspruch vom 19.04.2016 wandte der Kläger ein, dass für das streitbefangene Fahrzeug bereits von seinem Sohn unter dem Aktenzeichen ... die Kraftfahrzeugsteuer bezahlt worden sei. Überdies habe er zwischenzeitlich erfahren, dass er nicht steuerpflichtig sei, da sein Hauptwohnort in Polen liege, weil sich dort der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befinde. In Hamburg bestehe lediglich ein berufsbedingter Zweithaushalt.

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Mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 07.08.2018 änderte das beklagte Hauptzollamt unter Hinweis auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG den Bescheid vom 26.02.2016 dahingehend, dass Kraftfahrzeugsteuer nurmehr für den Zeitraum vom 12.06.2014 bis 26.05.2016 festgesetzt wurde. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 10.09.2018 Einspruch ein.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 08.05.2020 verwarf das beklagte Hauptzollamt den Einspruch des Klägers vom 19.04.2016 als unzulässig, da der Kläger die Einspruchsfrist versäumt habe; den Einspruch vom 10.09.2019 wies das beklagte Hauptzollamt als unbegründet zurück. - Auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.

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Der Kläger hat am 04.06.2020 Klage erhoben. Er führt zur Begründung aus: Im Zeitraum vom 12.06.2014 bis 02.02.2017 habe er seinen Hauptwohnsitz und den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Polen gehabt, wo er gemeinsam mit seiner Familie in seiner Eigentumswohnung gelebt habe und bis heute lebe. Gleichzeitig übe er in Hamburg eine selbständige Tätigkeit aus. Hierfür habe er u.a. eine auswärtige Unterkunft in Form eines möblierten Zimmers in der X-Straße ... angemietet. Für die Überfahrten zwischen seinem Wohnsitz in Polen und der auswärtigen Unterkunft in Hamburg habe er immer wieder auch das Fahrzeug mit dem polnischen Kennzeichen XX-xxxx genutzt, dessen Eigentümer seine Ehefrau und er seien. Dass er seit dem 03.05.2013 durchgehend in Hamburg ansässig sei, sei nicht nachvollziehbar. Er - der Kläger - habe sich lediglich am 03.05.2013 bei der Meldebehörde in Hamburg angemeldet. Da es nicht möglich sei, sich in Deutschland mit einem Nebenwohnsitz anzumelden, führe jede Anmeldung sofort zu einer Anmeldung als Hauptwohnsitz, was jedoch nicht richtig sei. Er - der Kläger - habe häufig bis sehr häufig seinen Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt in Polen, der etwas über 885 Kilometer von seinem Arbeitsort entfernt sei, aufgesucht. Das Fahrzeug habe er nicht im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als betriebliches Fahrzeug abgerechnet. Aus diesem Grunde habe er auch keine Belege für das Fahrzeug gesammelt. Im Jahr 2014 habe er in dem Zeitraum Juni bis Dezember insgesamt 7 Heimfahrten getätigt. Die Heimfahrten habe er im Rahmen der doppelten Haushaltsführung als Mehraufwendungen bei seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2014 geltend gemacht. Im Jahr 2015 habe er von Januar bis Dezember insgesamt 20 Heimfahrten getätigt. Auch diese Heimfahrten habe er bei seiner Einkommensteuererklärung 2015 geltend gemacht.

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Der Kläger beantragt,
die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 26.02.2016 und 07.08.2018 sowie die Einspruchsentscheidung vom 08.05.2020 aufzuheben.

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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Es bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung und merkt ergänzend Folgendes an: Der Kläger habe in den im Einspruchsverfahren vorgelegten EU/EWR-Bescheinigungen für die Jahre 2014 und 2015 angegeben, dass er in Polen keine dort zu versteuernden Einkünfte erzielt habe. Vielmehr gehe der Kläger in Hamburg einer selbständigen Tätigkeit nach. Auch seine Ehefrau und sein Sohn seien seit Oktober 2013 durchgehend in Hamburg gemeldet. Im Zeitpunkt der Polizeikontrolle sei die Familie zudem unter der damaligen Adresse des Klägers gemeldet gewesen.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

...

Entscheidungsgründe

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Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

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Die zulässige Anfechtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) unterliegt der Kraftfahrzeugsteuer die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen. Eine widerrechtliche Benutzung eines Fahrzeugs liegt vor, wenn ein Fahrzeug auf öffentlichen Straßen im Inland ohne die verkehrsrechtlich vorgeschriebene Zulassung benutzt wird (§ 2 Abs. 5 KraftStG). Wann eine verkehrsrechtliche Zulassung zu erfolgen hat, ist in der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FVZ) geregelt. Dort heißt es in § 1 FVZ, dass diese Verordnung anzuwenden ist auf die Zulassung von Kraftfahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 6 km/h und die Zulassung ihrer Anhänger. In § 3 Abs. 1 Satz 1 FVZ hat der Verordnungsgeber ferner geregelt, dass Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen nur in Betrieb gesetzt werden dürfen, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind. In einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassene Fahrzeuge dürfen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FVZ vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaates oder des anderen Vertragsstaates eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist. Der regelmäßige Standort eines Fahrzeuges wird durch seine tatsächliche Verwendung bestimmt; es ist der Ort, von dem aus das Fahrzeug unmittelbar zum öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird und an dem es nach Beendigung des Einsatzes ruht. Indiziell ist dies der regelmäßige Wohnsitz des Halters bzw. Fahrers (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 20.12.2016, 4 K 71/16; Urteil vom 14.04.2011, 2 K 246/10, juris; FG Hamburg, Urteil vom 20.12.2016, 4 K 71/16, n.v.).

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Vorliegend war der regelmäßige Standort des streitgegenständlichen Fahrzeuges der Wohnort des Klägers. Der Kläger ist seit dem 03.05.2013 durchgehend in Hamburg gemeldet. Unter der Anschrift X-Straße ... in ... Hamburg lebte er gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn bis zum 01.02.2016 bzw. 10.08.2015. Seine Ehefrau und sein Sohn sind auch nach diesen Daten in Hamburg gemeldet, nämlich unter der Anschrift Y-Straße ... in ... Hamburg. Mit der Begründung seines festen Wohnsitzes in Hamburg und der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit ebenfalls in Hamburg ist auch der Standort des auf den Kläger zugelassenen Fahrzeuges in Hamburg begründet worden.

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Dass im Streitfall die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 3 Nr. 13 KraftStG gegeben sind, wonach für die Dauer bis zu einem Jahr von der Steuer befreit ist das Halten von ausländischen Personenkraftfahrzeugen und ihren Anhängern, die zum vorübergehenden Aufenthalt in das Inland gelangen, hat der Kläger nicht nachgewiesen. Die Vorschrift des § 3 KraftStG stellt eine Ausnahmevorschrift dar, die entgegen § 1 Abs. 1 KraftStG ausnahmsweise eine Steuerbefreiung anordnet, also einen steuerbefreienden Tatbestand normiert, für den nach den Grundsätzen der objektiven Feststellungslast der Kläger beweisbelastet ist (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 19.01.2017, 4 K 137/16; FG Hamburg, Urteil vom 20.12.2016, 4 K 71/16; Niedersächsisches FG, Urteil vom 08.01.2014, 14 K 164/12, EFG 2014, 959; FG des Saarlandes, Urteil vom 26.08.2003, 2 K 237/00, juris). Dem steht auch nicht entgegen, dass das Gericht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO gehalten ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Denn der Grundsatz der Amtsermittlung erfährt eine Einschränkung durch die in § 76 Abs. 1 Satz 2 und 3 FGO niedergelegte Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts mitzuwirken, indem sie ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abgeben (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 01.06.2005, juris; FG des Saarlandes, Urteil vom 26.08.2003, 2 K 237/00, juris).

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Dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen - so wie der Kläger in der Klageschrift vorgibt - in Polen sei, vermag das erkennende Gericht ihm nicht abzunehmen. Bei einem - so wie beim Kläger - verheirateten Arbeitnehmer ist der Mittelpunkt der Lebensinteressen regelmäßig dort, wo der Ehepartner bzw. die Familie lebt (vgl. BFH, Urteil vom 08.10.2014, VI R 16/14, BFHE 247, 406; BFH, Urteil vom 06.02.1985, I R 23/82, BFHE 143, 217; FG Münster, Urteil vom 18.12.2019, 1 K 573/16 E, EFG 2020, 240; FG Hamburg, Urteil vom 12.04.2018, 1 K 202/16, EFG 2018, 1079). Dass und warum es sich vorliegend anders verhalten sollte, hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere folgt aus dem Umstand, dass der Kläger in Polen eine kleine Eigentumswohnung hat, nicht, dass sich auch der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen - gleichsam automatisch - in Polen befindet. Denn in der Regel verlagert sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort - der vorliegend unstreitig Hamburg ist -, wenn der Arbeitnehmer - hier der Kläger - mit seinem Ehepartner am Beschäftigungsort eine gemeinsame Wohnung bezieht, auch wenn die frühere Familienwohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird (vgl. BFH, Urteil vom 08.10.2014, VI R 16/14, BFHE 247, 406). Diese Regelvermutung ist der Lebenswirklichkeit geschuldet und gilt erst recht, wenn - wie hier - auch der erwachsene Sohn in derselben Wohnung lebt bzw. gelebt hat und am selben Ort gemeldet ist. Es wäre daher Sache des Klägers gewesen, im Einzelnen substantiiert vorzutragen und glaubhaft zu machen, dass und warum diese Regelvermutung in seinem konkreten Fall nicht zum Tragen kommen soll. Der Kläger hat indes weder im Einspruchsverfahren noch im Klageverfahren Angaben darüber gemacht, über welche Zeiträume und zu welchen Anlässen er sich in Polen aufhält. Der Kläger hat auch nicht erläutert, welche engen persönlichen und sozialen Bindungen zu Eltern, Verwandten und Bekannten in Polen bestehen, welche Intensität diese Kontakte haben und welche Vereinszugehörigkeiten, Freizeitaktivitäten oder sonstige Betätigungen Ausdruck eines in Polen befindlichen Lebensmittelpunktes sind. Selbst eine Vielzahl von Besuchsfahrten rechtfertigt es für sich allein nicht, den Besuchsort - hier Polen - als Lebensmittelpunkt des Klägers anzusehen. Ohne weitere Angaben zur Intensität, Dauer und Intention der Fahrten erschöpfen sich diese in bloßen Familienbesuchen oder Urlaubsfahrten, dienen aber nicht der Führung des Privatlebens am Besuchsort. Dass der Kläger in seiner Steuererklärung für die Jahre 2014 und 2015 Aufwendungen für Heimfahrten geltend gemacht hat, reicht insoweit nicht aus, zumal zum einen überhaupt nicht feststeht, dass das Finanzamt diese Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung auch anerkannt hat, und zum anderen vorliegend auch die Jahre 2016 und 2017 streitrelevant sind. Im Übrigen wäre das Gericht an die steuerrechtliche Behandlung der Finanzverwaltung auch nicht gebunden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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