Urteil vom Niedersächsisches Finanzgericht (14. Senat) - 14 K 49/16

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Zeitraum von Januar 2012 bis Dezember 2014 (Streitjahre) tätige Sargträger unselbständig im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin tätig waren und der Erlass eines Lohnsteuernachforderungsbescheides rechtmäßig war.

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Bei Bestattungen und Überführungen wurde im örtlichen Einzugsbereich der Klägerin eine Trägergruppe (sog. Sargträgercorps), bestehend aus insgesamt neun Personen (jeweils Rentner im Alter von über 65 Jahren), für die jeweiligen Auftraggeber tätig, sofern die Hinterbliebenen keine eigenen Sargträger aus der Nachbarschaft zur Verfügung stellten. Die Klägerin erhob nach der Friedhofsgebührensatzung für eine Bestattung im Einzelnen durch die Satzung festgelegte Gebühren. In den jeweiligen Gebührenbescheiden heißt es auf Seite 2: „Durch die bei einer Erdbestattung eingesetzten Träger entstehen Kosten i.H.v. … €. Dieser Betrag wird von dem Trägercorps in Rechnung gestellt und von der Stadt X. nur zur Weiterleitung an die bei der Bestattung eingesetzten Träger erhoben“. Die Friedhofsverwaltung der Klägerin teilte im Bestattungsfalle Angehörigen mit, dass diese die Sargträger „selber zu stellen haben“. Ein Tätigwerden erfolgte jeweils dergestalt, dass die Hinterbliebenen mit dem Bestattungsunternehmen bzw. der Friedhofsverwaltung zunächst einen Termin abstimmten. Im Anschluss daran wurde das Sargträgercorps (der Sprecher) durch die Friedhofsverwaltung über den Termin informiert.

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Der Ablauf einer Bestattung bzw. Überführung stellte sich wie folgt dar:

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Die dem Sargträgercorps angehörenden Personen waren bereit, nach Abkömmlichkeit und auf Abruf die entsprechenden Tätigkeiten auszuüben. Für diese Tätigkeiten erhielten die jeweiligen Sargträger in den Streitjahren eine pauschale Vergütung von jeweils 30 € je Beerdigung und je Überführung 16 €. Diese Pauschalen wurden von der Friedhofsverwaltung festgesetzt und wurden den Auftraggebern „zur Weiterleitung an die bei der Bestattung eingesetzten Träger“ in Rechnung gestellt (s.o.). Der Friedhofswärter informierte jeweils den zuständigen Sprecher der Sargträgergruppe, Herrn X., über die Beauftragung und den zwischen den Beteiligten abgestimmten Bestattungstermin. Der Sprecher der Gruppe stimmte telefonisch ein „Team“ von sieben Personen ab, welches für die Abwicklung des Beerdigungstermins zuständig war. Den einzelnen Mitgliedern der Gruppe stand es dabei frei, einen Auftrag z.B. wegen Krankheit oder anderer persönlicher Gründen, abzulehnen. Sofern ein Team von sieben Personen nicht komplett mit Mitgliedern der sogenannten Sargträgergruppe zustande kam, besorgten die Sargträger Ersatzpersonen im Bekannten- oder Verwandtenkreis, die die Tätigkeit für das betreffende Mitglied der Sargträgergruppe im Einzelfall vertretungsweise übernahmen. Die Sargträger wurden dann dem Friedhofswärter benannt. Dieser informierte die Sargträger über die Lage des Grabes und etwaige sonstige zu beachtende Gesichtspunkte, wie z.B. eine schwierige Zugänglichkeit des Grabes etc. Die Sargträger hatten sich zur Durchführung der Beisetzung zum festgelegten Termin rechtzeitig vor Ort einzufinden und ihre Tätigkeit aufzunehmen, wobei die Dauer der Tätigkeit vom Einzelfall abhängig war und in der Regel insgesamt zwei Stunden betrug. Zeitliche Vorgaben bestanden hierbei nicht. Die Sargträger wurden bei Durchführung ihrer Tätigkeit nicht kontrolliert.

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Die Sargträger trugen bei Ausübung ihrer Tätigkeit in der Regel dunkle/schwarze Hosen und Schuhe, Sakkos, weiße Hemden und dunkle/schwarze Krawatten. Diese schafften sie sich jeweils selbst an und trugen sie gegebenenfalls auch privat. Für kältere Tage hatten die Sargträger auf Bitte des Friedhofsträgers im Jahre 2003 von der Klägerin schwarze und von der Qualität her einfach gehaltene Mützen und Mäntel gegen Nässe und Kälte erhalten. Für die Tätigkeit erhielten die Sargträger eine Pauschale von insgesamt 210 € (mittlerweile 280 €), die nach Köpfen „geteilt“ wurde. Nach Eingang der Abrechnung der Sargträger - die nach Aktenlage jeweils vom Sprecher, Herrn X., bzw. dem Sargträgercorps, vorbereitet wurde - überwies die Stadt die jeweiligen Pro-Kopf-Beträge an die Sargträger für den zurückliegenden Monat. Die Abrechnungen erfolgten jeweils für alle Sargträger jeweils in einem einheitlichen Dokument. Ein Musterformular sah zudem vor, dass die Sargträger jeweils durch die Hinterbliebenen zur Durchführung ihrer Tätigkeit beauftragt werden
sollten.

6

Bei der Klägerin wurde im Mai 2015 eine Lohnsteuer Außenprüfung durchgeführt, die den Prüfungszeitraum Januar 2012 bis Dezember 2014 umfasste. Im Rahmen dieser Prüfung kam der Prüfer zu der Einschätzung, dass die Sargträger als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen seien. Da eine Lohnversteuerung bisher nicht durchgeführt worden war, erging mit Datum vom 27. Juni 2015 ein entsprechender Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2012 bis Dezember 2014. Dabei erfolgte eine Nachversteuerung mit einem Pauschsteuersatz von 25%. Die Klägerin stimmte der Pauschalversteuerung nach § 40a EStG durch Schreiben vom 11. Juni 2015 zu, teilte gleichzeitig aber mit, eine Inanspruchnahme als Arbeitgeber dem Grunde nach nicht hinnehmen zu wollen.

7

Gegen den Nachforderungsbescheid vom …2015, durch die Lohnsteuer i.H.v. 30.214,50 EUR zzgl. 1.661,78 EUR Solidaritätszuschlag und - (nicht streitgegenständliche) Kirchensteuern - festgesetzt wurden, legte die Klägerin mit Schreiben vom 3. August 2015 sowie die Klägerbevollmächtigte mit Fax vom … 2015 Einspruch ein.

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Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Sargträger seien nicht ihre Arbeitnehmer. Sie, die Sargträger, hätten sich vielmehr als sogenannte Sargträgergruppe (Sargträgercorps) organisiert und würden auf dem Friedhof der Klägerin im Auftrag der Hinterbliebenen tätig.

9

Der Beklagte wies den Einspruch durch Entscheidung vom 2. Februar 2017 als unbegründet zurück. Er führte zur Begründung aus, dass die Klägerin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 38 Abs. 3 S. 1 EStG als Arbeitgeberin für die Lohnsteuer hafte. Entscheidend sei, dass die jeweiligen Sargträger weder Unternehmerrisiko tragen noch Initiativrechte entfalten könnten, weil sie lediglich einfache Tätigkeiten ausführten, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel sei. Die Tätigkeit erfordere keine besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Im Falle einer persönlichen Verhinderung könnten zwar angesichts der Einfachheit der Arbeiten ohne Schwierigkeiten auch Dritte „einspringen“. Da bei Verhinderung Bekannte bzw. Verwandte für den jeweiligen Sargträger einsprängen, trage der Sargträger insoweit kein Entgeltausfallrisiko. Darüber hinaus stünden in der Gruppe mehr Personen zur Verfügung als für eine einzelne Beerdigung benötigt würden. Auch aus einer fehlenden Vereinbarung von Sozialleistungen ergebe sich kein Argument für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit. Sozialleistungen würden erst durch das Arbeitsverhältnis begründet.

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Des Weiteren seien die Sargträger im Streitfall zeitlich und räumlich in den Organismus der Klägerin eingegliedert gewesen. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass die Sargträger für ihre Arbeitskleidung und deren Reinigung zu sorgen hätten, stehe dies einer Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen. Da es sich nicht um spezielle Berufskleidung gehandelt habe, obliege es den Sargträgern, wie auch anderen Arbeitnehmer, für ihre Kleidung Sorge zu tragen.

11

Gegen den Einspruchsbescheid vom … 2016 richtet sich die am … 2016 eingegangene Klage, mit der die Klägerin nach wie vor geltend macht, der Haftungsbescheid sei rechtswidrig. Abweichend von der Rechtsauffassung des Beklagten handele es sich bei den Sargträgern nicht um Arbeitnehmer. Zu beachten seien insbesondere folgende Gesichtspunkte:

12

Die Sargträger seien hinsichtlich ihrer Tätigkeit nicht hinreichend den Weisungen der Klägerin unterworfen.

13

Ein Vergütungsanspruch bestehe nur, wenn ein Sargträger tatsächlich tätig werde. Im Falle einer Erkrankung oder anderer Abwesenheit würden keine Einnahmen erzielt. Auch sei der Betrag von 210 € ein Pauschalbetrag. Die Höhe des Entgelts von 210 € hätten die Sargträger dabei selbständig festgelegt.

14

Der Umstand, dass die Klägerin gewisse administrative Arbeiten für die Sargträger übernommen habe, führe nicht dazu, dass die Sargträger insoweit als unselbständig anzusehen seien. Zur Veranschaulichung verweist die Klägerin auf den - als Anlage beigefügten - Ablaufplan, der lediglich erläuternd und nicht als Arbeitsanweisung für die Sargträger eingesetzt werde.

15

Die Sargträger entfalten nach Auffassung der Klägerin weder Unternehmerrisiko noch -initiative. Dafür spreche neben den oben genannten Punkten zudem, dass die Sargträger für verschiedene Auftraggeber tätig würden. Die Beauftragung der Leistungen erfolge direkt an das Sargträgercorps, wobei man auf zukünftige Aufträge angewiesen sei.

16

Eine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln habe nicht bestanden. Für den Verschluss des Grabes würden von den Sargträger Schaufeln der Friedhofsverwaltung genutzt. Es bestehe aber keine Verpflichtung, diese Schaufeln zu verwenden.

17

Auch eine Eingliederung der Sargträger in den Betrieb der Klägerin liege nicht vor. Vielmehr hätten die Sargträger in der Gestaltung ihrer Arbeit freie Hand und würden nicht kontrolliert. Der Arbeitserfolg sei wichtiger als Dauer und Umfang der Arbeitsleistung. Auch die nur kurze Zeit dauernde (jeweilige) Tätigkeit spreche gegen eine Eingliederung in den Betrieb.

18

Die Sargträger schulden nach Auffassung der Klägerin letztlich einen Arbeitserfolg und nicht lediglich die Arbeitskraft. Diese werde auch durch die Vertretungsregelung bestätigt.

19

Da letztlich keines der vom BFH in ständiger Rechtsprechung als wesentlich für eine unselbständige Tätigkeit angesehenen Merkmale vorliege, seien die Sargträger nicht als Arbeitnehmer anzusehen. Entsprechend komme auch das Finanzgericht des Saarlandes in einem rechtskräftigen Urteil vom 8. November 1995 (2 K 43/94) zu dem Ergebnis, dass Sargträger regelmäßig nicht als Arbeitnehmer anzusehen seien.

20

Dies werde durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz in einem gleichgelagerten Fall bestätigt (Az. 7 Sa 405/09). Nach Auffassung der Klägerin sei die von ihr zitierte Rechtsprechung mit dem Streitfall dagegen vergleichbar. Lediglich hinsichtlich des angeblichen Arbeitgebers, hier die Friedhofsverwaltung der Stadt, dort ein Bestattungsunternehmen, bestehe ein sachlicher Unterschied. Auch in den vom Finanzgerichts des Saarlandes entschiedenen Fall habe sich das Finanzamt zur Begründung seiner Rechtsauffassung darauf gestützt, dass kein unmittelbarer Kontakt zwischen den Sargträgern und Hinterbliebenen bestehe, es sich um eine einfache Tätigkeit gehandelt habe und eine zeitliche Gebundenheit bestanden habe. Auch die weiteren vom Finanzgericht Saarland herangezogenen Kriterien wie insbesondere die fehlende Weisungsgebundenheit, die Möglichkeit, sich vertreten zu lassen sowie das Vorliegen eines unternehmerischen Risikos seien auf den Streitfall unmittelbar übertragbar.

21

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

22

den Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer für Januar 2012 bis Dezember 2014 vom 27. Juli 2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

25

Der Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die jeweiligen Sargträger seien als Arbeitnehmer zu beurteilen. Auch unter Berücksichtigung des von der Klägerin eingereichten Ablaufplanes sei von einer Unselbständigkeit der Sargträger auszugehen. Das Bestattungsunternehmen nehme keinen Kontakt zu etwaigen Sargträgern auf. Dies regele allein der Friedhofswärter. Dabei werde schon an dieser Stelle davon ausgegangen, dass die wenigen zur Verfügung stehenden Sargträger an den bereits festgelegten Termin auch den Dienst verrichten würden. Freie Entscheidungsmöglichkeiten über das „Ob“ verblieben den Sargträgern, wenn sie in der Gruppe bleiben wollen, nicht. Ebenso wenig könnten sie über das „Wann“, „Wo“ und „Wie“ entscheiden.

26

Auch wenn es sich, entsprechend den Ausführungen der Klägerin, bei dem Ablaufplan nicht um eine Art Arbeitsanweisung handeln sollte, werde deutlich, dass die jeweiligen Sargträger einen konkreten Kontakt lediglich und immer nur mit der Vertretung der Stadt X. hätten und nicht mit dem jeweiligen Bestattungsunternehmen, zumindest nicht hinsichtlich der Auftragsvergabe bzw. der Annahme und den terminlichen Regelungen. Die von der Klägerin zitierten Urteile gehen nach Auffassung der Beklagten von anderen Verhältnissen aus. Dabei seien Sargträger für ein Bestattungsunternehmen tätig geworden und hierbei durchaus auch für mehrere Bestattungsunternehmer. Im Streitfall seien die jeweiligen Sargträger jedoch stets aufgrund der Kontaktaufnahme mit der Klägerin - vertreten durch den Friedhofswärter der Stadt X. - tätig geworden und stünden für diesen auch zur Verfügung. Aus den zitierten Urteilen ließen sich daher keine Rückschlüsse ziehen.

27

Der Beklagte ergänzte sein Vorbringen auf Nachfrage des Gerichts zudem dahingehend, dass vom Bestehen jeweiliger Arbeitsverhältnisse auszugehen sei. Die Sargträger seien jeweils von Bediensteten der Stadt eingewiesen worden. Soweit die Einweisung von einem (anderen) Sargträger erfolgt sei, könne vom Vorliegen einer Duldungsvollmacht seitens der Klägerin ausgegangen werden.

28

Der Beklagte hatte zunächst die Beiladung der Sargträger beantragt, hat diesen Antrag vor Durchführung der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

29

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie ergänzend auf die Steuerakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Lohnsteuernachforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

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1. Die Klägerin war in den Streitjahren nicht Arbeitgeberin der (jeweiligen) Sargträger.  Eine Pauschalierung nach § 40a EStG war daher unzulässig.

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a) Ein Arbeitgeber hat Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen. Eine Pauschalierung mit 25 % ist danach grundsätzlich nach § 40a EStG zulässig. Eine Pauschalierung, der die Klägerin nur unter Vorbehalt zugestimmt hat, war im Streitfall indes - ungeachtet der fehlerhaften Bezugnahme in der Einspruchsentscheidung auf § 42d EStG als Rechtsgrundlage für den Nachforderungsbescheid - unzulässig, weil die Sargträger keine Arbeitnehmer der Klägerin waren.

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b) Zum Arbeitslohn rechnen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Gemäß
§ 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG), die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegen, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet.

34

Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (BFH-Urteile vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BStBl II 1985, 661; vom 20. November 2008 VI R 4/06, BStBl II 2009, 374; jeweils m.w.N.).

35

Unter Beachtung dieser Bestimmung beurteilt sich die Frage, wer Arbeitnehmer ist, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse. Der BFH hat in seinem Urteil in BStBl II 1985, 661 zahlreiche Kriterien (Indizien) beispielhaft aufgeführt, die im Rahmen dieser Würdigung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse für die Abgrenzung Bedeutung haben können und im konkreten Einzelfall jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind. Diese Indizien stehen allerdings nicht für sich allein. Denn in die Würdigung ist insbesondere auch einzubeziehen, wie das der Beschäftigung zugrunde liegende Vertragsverhältnis ausgestaltet worden ist, sofern die Vereinbarungen ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden sind (BFH-Urteil in BStBl II 1985, 661).

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2. Ein Arbeitsverhältnis der jeweiligen Sargträger mit der Klägerin liegt danach nicht vor. Es fehlt schon am Vorliegen eines Vertrages des jeweiligen Sargträgers mit der Klägerin (dazu a und b). Unabhängig hiervon ist selbst bei Annahme einer Vertragsbeziehung mit der Klägerin von einer selbständigen Tätigkeit der Sargträger auszugehen (dazu c).

37

a) Die jeweiligen Sargträger standen nicht in einer Vertragsbeziehung mit der Klägerin. Diese bestand vielmehr im Verhältnis zu den Angehörigen der zu bestattenden Personen.

38

Im Verhältnis zur Klägerin bestanden auch keine verdeckten Arbeitsverhältnisse, z.B. auf Grundlage stillschweigend abgeschlossener Arbeitsverträge. Es bestand keine Verpflichtung für den jeweiligen Sargträger gegenüber der Klägerin, im jeweiligen Einzelfall, tätig zu werden. Damit bestand kein einklagbarer Anspruch der Klägerin im Verhältnis zu den jeweiligen Sargträgern. Vielmehr wurde hinreichend deutlich durch die Klägerin nach außen hin kundgetan, dass die jeweiligen Hinterbliebenen mit den Sargträgern den Vertrag schließen. Dies ergibt sich insbesondere ausweislich des Formulares, wonach die Sargträger durch die Hinterbliebenen jeweils zur Durchführung ihrer Tätigkeit beauftragt werden. Auch wird in den jeweiligen Gebührenbescheiden darauf hingewiesen, dass die den Trägern entstehen Kosten von der Stadt X. nur „zur Weiterleitung an die bei der Bestattung eingesetzten Träger erhoben“ würden. Schließlich ist nicht erkennbar, dass die Klägerin in den Streitjahren eine Schadensersatzhaftung für ein etwaiges Fehlverhalten der Sargträger übernehmen wollte. Maßgeblich für die Auslegung von Willenserklärungen ist indes der objektive Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB). Aus Sicht der Hinterbliebenen schlossen diese nach alledem einen Vertrag mit den Sargträgern; die Pauschalen (Entgelte) wurden lediglich „zur Weiterleitung“ als durchlaufender Posten an die Stadt gezahlt, die die Beträge an die jeweiligen Sargträger auskehrte.

39

b) Im Übrigen wären die jeweiligen Vertragsverhältnisse mit der Klägerin selbst dann, wenn man entgegen den Ausführungen unter a) Vertragsbeziehungen mit der Klägerin annähme, allenfalls im Verhältnis zu dem Sargträgercorps als solchem zustande gekommen, unabhängig davon, ob dieser als Gesellschaft Bürgerlichen Rechts oder als nichtrechtsfähiger Verein anzusehen ist. Ein unmittelbares Rechtsverhältnis der Klägerin mit dem einzelnen Sargträger lag danach aus diesem Grunde nicht vor. Dies erweist sich auch vor dem Hintergrund als zutreffend, dass in den Streitjahren, wenn überhaupt, eine Verpflichtung zum Tätigwerden allenfalls hinsichtlich des Sargträgercorps als solchen angenommen werden kann, nicht aber für den einzelnen Sargträger. Denn jeder der der Gruppe zugehörigen Sargträger konnte eine persönliche Mitwirkung im Einzelfall ablehnen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.

40

c) Der Lohnsteuernachforderungsbescheid war ungeachtet der Ausführungen zu a) und b) überdies auch deshalb rechtswidrig, weil die Sargträger keine Arbeitnehmereigenschaft aufweisen.

41

aa) Ein Vergütungsanspruch besteht nur im Falle eines tatsächlichen Tätigwerdens. Im Falle einer Erkrankung oder anderer Abwesenheit werden keine Einnahmen erzielt. Damit besteht für die jeweiligen Sargträger ein Entgeltausfallrisiko, unabhängig davon, ob die Höhe des Entgelts (seinerzeit … €) in erster Linie durch die Sargträger festgelegt wurde, wie von der Klägerin behauptet wird. Zudem wurde ein Urlaubsanspruch mit den Sargträgern nicht vereinbart und eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle erfolgte nicht. Ein Urlaubsanspruch, ein Anspruch auf sonstige Sozialleistungen und der Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall sprechen für eine Arbeitnehmereigenschaft (BFH v. 18.6.2015 VI R 77/12 m.w.N.). Dementsprechend kann, wenn derartige Ansprüche nicht vereinbart worden, eher auf eine Selbständigkeit geschlossen werden.

42

bb) Auch in zeitlicher Hinsicht trugen die Sargträger ein Risiko: Sofern der Auftrag in geringerer Zeit als zwei Stunden erledigt worden ist, bestand keine Nachleistungspflicht. Umgekehrt deckte die Vergütung die Tätigkeit auch dann ab, wenn der Auftrag länger als eingeplant dauerte. Dies sind Risiken, die für die Tätigkeit eines Arbeitnehmers (eher) atypisch sind.

43

cc) Die Sargträger können für verschiedene Auftraggeber tätig werden, ohne dass
irgendwie geartete Einschränkungen zu beachten waren.

44

dd) Auch fehlte es an den Merkmalen der Eingliederung in einen fremden (betrieblichen) Organismus und einer Weisungsabhängigkeit der Sargträger.

45

Eine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln besteht nicht. Es bestand auch keine Verpflichtung, die von der Friedhofsverwaltung gestellten Schaufeln zu benutzen. Der Umstand, dass für kältere Tage Mützen bzw. Mäntel von der Stadt gestellt wurden, führt zum einen nicht zu einer diesbezüglichen Nutzungsverpflichtung und begründet zum anderen für sich keine hinreichende Eingliederung in den betrieblichen Organismus der Klägerin, auch wenn die Sargträger die Schaufeln der Friedhofsverwaltung nutzen durften.

46

Es bestehen auch keine genügenden Anhaltspunkte dahingehend, dass die Sargträger in der Gestaltung ihrer Arbeit weisungsabhängig waren. Zwar bestanden gewissen Vorgaben, z.B. hinsichtlich der (dunklen) Kleidung. Die Sargträger schulden bzw. der Sargträgercorps schuldet indes letztlich einen Arbeitserfolg (§ 631 BGB), namentlich eine Bestattung bzw. Überführung, und nicht lediglich die Arbeitskraft wie bei einem Dienstvertrag
(§ 611 BGB).

47

Dies wird auch durch die Vertretungsregelung bestätigt, wonach in dem Fall, dass keine sieben Personen aus dem „Sargträgercorps“ zustande kamen, andere Personen einspringen konnten.

48

Der Umstand, dass die Klägerin einige administrative Arbeiten für die Sargträger übernommen hat (z.B. Abrechnung und Einziehung des Honorars), begründet keine hinreichende Eingliederung in den Organismus der Klägerin. Der geschuldete Erfolg der Leistung beschränkte sich vielmehr in der eigentlichen Bestattung bzw. Überführung.

49

Zudem spricht ein geringer zeitlicher Umfang einer Tätigkeit - wie er hier nach Aktenlage vorlag - nach der Rechtsprechung des BFH eher für eine selbständige als für eine nichtselbständige Tätigkeit, weil in den Fällen, in denen der Auftragnehmer jeweils nur kurz mit dem Betrieb des Auftragsgebers in Berührung kommt, die Eingliederung in den Betrieb fehlen kann (BFH v. 18.6.2015 VI R 77/12 m.w.N.).

50

ee) Zwar entfalten die Sargträger keine nennenswerten Initiativrechte, da der jeweilige Auftrag über das Sargträgercorps an sie herangetragen wurde. Jedoch hatten sie es in ihrer Hand, den Auftrag anzunehmen. Diese Entscheidungsfreiheit ist einem Arbeitnehmer fremd.

51

ff) Auch die Kündigung einzelner „Mitglieder“ des Sargträgercorps, die nicht weiter der bei Beerdigungen mitwirken wollen, wäre nach den Gesamtumständen nicht notwendig gewesen. Einem Arbeitgeber ist es dagegen möglich, - unter weiteren Voraussetzungen - einzelnen Arbeitnehmern zu kündigen.

52

gg) Unter Würdigung der Gesamtheit dieser Umstände kommt der Senat insgesamt zu dem Schluss, dass im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung der Typusbegriff des Arbeitnehmers im Hinblick auf die jeweiligen Sargträger nicht erfüllt ist.

53

3.  Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).

 


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