Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (5. Senat) - 5 K 1955/14


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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Wirksamkeit einer Aufrechnung.

2

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht die Auszahlung eines Einkommensteuererstattungsanspruchs betreffend das Jahr 2010 i.H.v. 8.667,96 €.

I.

3

Die MBG GmbH beteiligte sich mit Vertrag vom 29.06.2009 als stille Gesellschafterin mit einer Einlage i.H.v. 150.000,- € an der D GmbH. Gemäß § 7 Abs. 2 Buchstabe c des Gesellschaftsvertrages war die MBG berechtigt, im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beteiligungsnehmerin die stille Gesellschaft fristlos zu kündigen. Für die Rückzahlung der Einlage der MBG übernahm der Gesellschafter, Herr W. G., eine Garantie i.H.v. 150.000,- € (§ 16 Abs. 1 des Vertrages). Außerdem übernahm die Investitions- und Strukturbank (ISB, heute Bürgschaftsbank, im Folgenden – BB/ISB) eine Ausfallgarantie für diese Beteiligung i.H.v. 70 %, welche aufgrund von Rückgarantieerklärungen vom 28.12.2007 und vom 24.01.2008 durch das Land und die Bundesrepublik Deutschland anteilig rückgarantiert waren (2 Abs. 2 des Vertrages). Das Garantieengagement der BB/ISB gegenüber der MBG war durch Entscheidung des Bewilligungsausschusses der BB/ISB unter Beteiligung der Vertreter der Rückgewährleistungsträger von Bund und Land in die globale Rückgarantie des Landes und des Bundes einbezogen worden (Protokoll der Gremiensitzung vom 11.05.2009, Bl. 210 f. GA). Die D GmbH erklärte sich mit der Abtretung der Ansprüche und sonstigen Rechte der MBG an die Refinanzierungsinstitute sowie an die BB/ISB und deren Rückgaranten einverstanden (§ 11 des Vertrages). Die für die Garantieübernahmen im Einzelnen geltenden Bedingungen wurden in einer unter dem 09.06.2009 von Herrn W. G. sowie in einer unter dem 28.05.2009 von der BB/ISB unterzeichneten gesonderten Garantieerklärung bzw. Garantie-Urkunde festgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Vereinbarungen sowie auf die Rückgarantieerklärungen Bezug genommen.

4

Die D GmbH beantragte am 06.06.2011 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die MBG kündigte daraufhin die Beteiligung fristlos. Mit Schreiben vom 04.08.2011 nahm die MBG Herrn W. G. aus der Garantieerklärung vom 09.06.2009 auf Zahlung i.H.v. 150.000,- € in Anspruch. Dieser teilte mit, dass er einen „Vorschlag über die Regulierung“ der geforderten Zahlung nicht machen könne. Mit Schreiben vom 18.08.2011 an die Insolvenzverwaltung der D GmbH meldete die MBG den Anspruch auf Rückzahlung der Einlage zur Insolvenztabelle an.

5

Die MBG nahm daraufhin die BB/ISB aufgrund vorgenannter vertraglicher Garantie in Anspruch (vgl. Ausfallbericht der ISB vom 15.08.2011). Am 16.09.2011 glich die BB/ISB den Ausfall der MBG i.H.v. 105.000,- € zuzügl. Kosten aus und hielt sich ihrerseits beim Land und dem Bund schadlos (vgl. Schreiben an die Rückgaranten vom 19.08.2011 unter Vorlage des Ausfallberichts vom 15.08.2011). Die Zahlungen der Rückgaranten (technisch ebenfalls durch die BB/ISB am 16.09.2011) beliefen sich auf 39.319,05 € für das Land sowie – nach Anerkennung des Schadensfalles und der Erstattungspflicht – auf 49.905,77 € für den Bund.

6

Zur Erfüllung ihrer nach den Richtlinien bestehenden Verpflichtung, bei Inanspruchnahme der Garantie den entsprechenden Anteil der ihr gegen den Beteiligungsnehmer noch zustehenden Ansprüche aus dem Beteiligungsverhältnis an die BB/ISB abzutreten, hatte die MBG mit Abtretungserklärung vom 08.03.2004 ihre bereits bestehenden und zukünftigen Ansprüche aus dem Beteiligungsverhältnis in Höhe der jeweiligen Inanspruchnahme aus der Garantie sowie die anteiligen Ansprüche aus Drittgarantien an die BB/ISB abgetreten. Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den Rückgarantieerklärungen hatte die BB/ISB ihrerseits mit Abtretungsvertrag vom 17.03.2004 ihre bestehenden bzw. zukünftigen übertragenen Forderungen und Rechte im Verhältnis der Zahlungen der BB/ISB zu der Erstattung des jeweiligen Rückgaranten an das Land und die Bundesrepublik Deutschland jeweils anteilig abgetreten.

7

Am 18.09.2011 bat das Ministerium der Finanzen das Finanzamt um Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis des Herrn W. G. mit Forderungen aus der Garantieinanspruchnahme.

II.

8

Über das Vermögen des Herrn W. G. wurde am 05.10.2011 vor dem High Court of Justice in Großbritannien (Nr. …/2011) das Insolvenzverfahren (Bankruptcy-Verfahren) eröffnet. Die Restschuldbefreiung (Certificate of discharge) wurde Herrn W. G. am 03.12.2012 mit Wirkung zum 05.10.2012 erteilt.

III.

9

Für die vom Finanzamt veranlagten Eheleute W. und B. G. ergab die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2010 einen Erstattungsanspruch zugunsten des Ehemannes i.H.v. 8.667,96 € und i.H.v. 22,26 € zugunsten der Ehefrau (Einkommensteuerbescheid vom 24.02.2012).

10

Mit Abtretungsanzeige vom 02.11.2011, eingegangen bei dem Finanzamt am 07.11.2011 hatten die Eheleute G. ihren Erstattungsanspruch aus der Einkommensteuerveranlagung 2010 an die Klägerin abgetreten. Nach Meinungsverschiedenheiten über die Wirksamkeit der Abtretungsanzeige wegen möglicherweise unzureichender Angabe des Schuldgrundes wurde diese schließlich durch das Finanzamt bestätigt (Schreiben vom 04.03.2013).

11

Die damals zuständige Finanzkasse erklärte mit Schreiben vom 28.02.2012 gegenüber Herrn W. G. die Aufrechnung mit „Forderungen aus der Garantieinanspruchnahmen gegen die D GmbH (Az.: Kapitel 20 05.Titel …) – Teilbetrag – “.  Mit jeweils gesonderten Schreiben vom 20.03.2012 begehrten Herr W. G. und die Klägerin die Überweisung des streitgegenständlichen Betrages an die Klägerin. Mit Schreiben vom 10.05.2012 erklärte die Finanzkasse gegenüber der Klägerin gemäß § 226 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), §§ 387, 406 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Aufrechnung mit Forderungen des Landes gegen Herrn W. G. aus „Garantie-Inanspruchnahmen (Teilbetrag)“, fällig zum 15.09.2011.

12

Mit Abrechnungsbescheid vom 23.10.2013 wurde eine Auszahlung des Einkommensteuererstattungsanspruchs der Eheleute G. betreffend das Jahr 2010 an die Klägerin abgelehnt.

13

Der dagegen am 27.11.2013 eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 20.06.2014 als unbegründet zurückgewiesen.

14

Mit der dagegen am 24.07.2014 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Aufrechnung der Beklagten sei unwirksam, weil bis heute unklar sei, welchen Anspruch das Land gegen Herrn W. G. überhaupt gehabt haben könnte. Das Bestehen einer Gegenforderung sei somit nicht ordnungsgemäß dargelegt, sodass die Voraussetzungen einer Aufrechnung nicht nachgewiesen seien. Soweit die Beklagte die Auffassung vertrete, der streitgegenständliche Anspruch sei durch im Vorhinein getroffene Abtretungsvereinbarungen zwischen der MGB und der BB/ISB sowie Bund und Land auf das Land bzw. den Bund übergegangen, könne dem nicht gefolgt werden, da es sich dabei um unzulässige Globalzessionen handele.

15

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Klägerin Bezug genommen.

16

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20.06.2014 den Abrechnungsbescheid vom 23.10.2013 dahingehend zu ändern, dass zugunsten der Klägerin ein Guthaben i.H.v. 8.667,96 € nebst Zinsen auszuweisen ist,
hilfsweise, diesen Betrag an Herrn G. auszuzahlen.

17

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

18

Zur Begründung führt sie aus, die Aufrechnung der von der Klägerin geltend gemachten Steuererstattung des Herrn W. G. mit Forderungen des Landes (und des Bundes) gegen Herrn W. G. sei wirksam. Denn mit den Zahlungen durch das Land i.H.v. 39.319,05 € und des Bundes i.H.v. 49.905,77 € seien die anteiligen Forderungen und deren bestellten Sicherheiten auf die Rückgaranten – Bund und Land – übergegangen.

19

Der Beteiligungsvertrag vom 09.06.2009 enthalte in § 11 die Formulierung, dass die D GmbH mit der Abtretung der gegenwärtigen und künftigen Ansprüche und sonstigen Rechte der MBG an die Refinanzierungsinstitute sowie die BB/ISB und deren Rückgaranten einverstanden sei. Mit seiner Unterschrift habe Herr W. G., als Vertreter der Beteiligungsnehmerin, dies zur Kenntnis genommen und akzeptiert. Aufgrund dieser Einverständniserklärung der Beteiligungsnehmerin und der Globalabtretungen vom 08.03.2004 bzw. vom 17.03.2004 seien die anteiligen Forderungen und das Rückgriffsrecht gegen Herrn W. G. mit Zahlung des Garantiebetrages i.H.v. 105.867,13 € am 16.09.2011 zunächst von der MBG auf die BB/ISB und anschließend mit Zahlung des Garantiebetrages i.H.v. 39.319,05 € zu Lasten des Landes und i.H.v. 49.905,77 € zu Lasten des Bundes von der BB/ISB auf das Land und den Bund übergegangen. Das Land bzw. der Bund hätten die streitgegenständliche Forderung somit erworben.

20

Im Hinblick auf die organisatorischen Strukturen sei darauf hinzuweisen, dass die BB/ISB treuhänderisch die Forderungen des Bundes und des Landes verwalte. Hierzu sei sie gemäß den zwischen der BB/ISB, dem Bund und dem Land abgeschlossenen Rückgarantieerklärungen sowie den zwischen diesen Beteiligten abgeschlossenen Verträgen ermächtigt. Auf die insoweit vorgelegten Unterlagen wird Bezug genommen.

21

Das Gericht hat dem Verfahren die Abrechnungsakte der Eheleute G. betreffend den Einkommensteuererstattungsanspruch für das Jahr 2011 beigezogen.

22

Mit der Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die zum 01. Juli 2013 neu gegründete Landesfinanzkasse ist die Beklagte an die Stelle der Finanzkasse getreten.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist unbegründet.

24

Der angegriffene Abrechnungsbescheid vom 23.10.2013 sowie die Einspruchsentscheidung vom 20.06.2014 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Zu Recht hat die Beklagte im Ergebnis festgestellt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch des Herrn W. G. aus der Einkommensteuerveranlagung 2010 i.H.v. 8.667,96 € nicht zu ihren Gunsten als Guthaben auszuweisen war. Mangels Wirksamkeit der Abtretung war die Klägerin schon nicht Rechtsinhaberin der streitgegenständlichen Forderung geworden. Darüber hinaus wäre ein von Herrn W. G. an sie wirksam abgetretener Erstattungsanspruch durch wirksame Aufrechnung der Beklagten erloschen.

25

1. Nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) betreffen, durch Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid). Gegenstand des Abrechnungsbescheides kann die Wirksamkeit einer Abtretung sein, insbesondere auch die Frage, ob eine Forderung – wie vorliegend auf Steuererstattung – bzw. eine Zahlungsverpflichtung noch bestehen oder ob sie ganz oder teilweise durch Aufrechnung erloschen sind (z.B. BFH-Urteile vom 02.04.1987 - VII R 148/83, BStBl. II 1987, 536 und vom 15.06.1999 – VII R 92/98, BStBl. II 1999, 751 und vom 13.01.2000 – VII R 91/98, BStBl. II 2000, 246, Beermann/Gosch, Kommentar zur AO, Stand 01.11.2017, § 46 Rn. 74).

26

2. Nach § 46 Abs. 1 AO können Ansprüche auf Erstattung von Steuern abgetreten und verpfändet werden. Die Abtretung wird wirksam, wenn sie der Gläubiger in der nach § 46 Abs. 3 AO vorgeschriebenen Form der zuständigen Finanzbehörde nach Entstehung des Anspruchs anzeigt (§ 46 Abs. 2 AO). Die Abtretung bewirkt die Übertragung des Zahlungsanspruchs und ist damit eine Verfügung über die Forderung (Kunz in: Beermann/Gosch, AO/FGO, Stand 01.11.2017 § 46 Rn. 60).

27

a) Zum Zeitpunkt der Abtretungsanzeige am 07.11.2011 war Herr W. G. nicht mehr befugt über seinen Anspruch auf Einkommensteuererstattung für das Jahr 2010 zu verfügen. Denn über sein Vermögen war am 05.10.2011 vor dem High Court of Justice in London ein Insolvenzverfahren eröffnet worden.

28

(1) Welche Rechtsvorschriften auf das grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zur Anwendung gelangen, richtet sich nach den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (Amtsblatt Nr. L 160 vom 30/06/2000 S. 0001-0018 – EUInsO S. 1) in der zuletzt durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 210/2010 des Rates vom 25.02.2010 (Amtsblatt EU 2010 Nr. L 65, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Europäische Insolvenzverordnung – EuInsVO). Diese gehen in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des in §§ 335 ff. InsO geregelten deutschen Internationalen Insolvenzrechts vor (BGH-Beschluss vom 03.02.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 m.w.N.). Die Anwendungsvoraussetzungen gemäß Art. 1 Abs. 1 EuInsVO sind vorliegend gegeben. Bei dem über das Vermögen des Herrn W. G. eröffneten Verfahren der "bankruptcy" handelt es sich um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. Anhang A der Verordnung genannten Insolvenzverfahren.
(2) Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe c EuInsVO richten sich die jeweiligen Befugnisse des Insolvenzverwalters nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, vorliegend also nach englischem Recht.

29

aa) Nach sec. 306 (2) des englischen Insolvency Act 1986 geht mit der Insolvenz des Schuldners dessen Eigentum auf den Insolvenzverwalter („trustee“) über ("any property which is […] comprised in the bankrupt’s estate vests in the trustee"), ohne dass es eines besonderen Übertragungsakts bedarf ("without any conveyance, assignment or transfer";). Der Verwalter tritt im Zeitpunkt seiner Bestellung (sec. 306 (1): "on his appointment taking effect") hinsichtlich des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens in die Rechtsnachfolge des Schuldners ein. Das englische Recht verschafft somit dem Insolvenzverwalter eine Rechtsposition, die über die in § 80 InsO begründete Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach deutschem Recht hinausgeht (BGH-Beschluss vom 03.02.2011 – V ZB 54/10, m.w.N., auch AG Mannheim, Beschluss vom 07.10.2016 – 4 IE 1120/16, abgedruckt in Juristisches Informationssystem – juris, m.w.N.). Bereits mit der Anordnung der Insolvenz „bankruptcy order“ sind Verfügungen des Schuldners über sein Vermögen unwirksam (sec. 284 (1)), ggf. geht diese Befugnis zuvor auf den „official“- bzw. „interim receiver“ über (sec. 286 (1)).

30

Sec. 284 (1) Insolvency Act 1986 lautet:

31

„Where a person is adjudged bankrupt, any disposition of property made by that person in the period to which this section applies is void except to the extent that it is or was made with the consent of the court, or is or was subsequently ratified by the court.“

32

Danach ist jede Verfügung des Insolvenzschuldners ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam, sofern sie nicht mit Zustimmung oder Genehmigung des Gerichts erfolgt. bb) Der Begriff der Vermögensgegenstände i.S.d. § 283 Insolvency Act 1986 ist weit definiert. Erfasst werden Geld, bewegliche/unbewegliche Sachen sowie gegenwärtige, zukünftige, bedingte und befristete Forderungen.

33

cc) Im Streitfall war über das Vermögen des Herrn W. G. am 05.10.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet worden (“Bankruptcy order having been made by this Court against W. G. … on the 5 OCTOBER 2011”, vgl. Certificate of discharge, Bl. 37 AbrA der Eheleute G.). Demzufolge war das gesamte Vermögen, das sich zu diesem Zeitpunkt im Eigentum des Herrn W. G. befand, seiner Verfügungsbefugnis entzogen. Der Einkommensteuererstattungsanspruch des Herrn W. G. war mit Ablauf des Jahres 2010 entstanden (§ 25 Abs. 1 Einkommensteuergesetz – EStG) und bis zu seiner Festsetzung eine zukünftige, bedingte Forderung. Als solche gehörte sie zum Insolvenzbeschlag. Anhaltspunkte dafür, dass sie mit Zustimmung des Gerichts davon ausgenommen gewesen sein könnte, sind weder vorgetragen worden noch ansatzweise ersichtlich.

34

Die Abtretung des Herrn W. G. zugunsten der Klägerin am 07.11.2011 war damit unwirksam, sodass die Klägerin nicht Inhaberin der von ihr geltend gemachten Forderung geworden war.

35

3. Eine von Herrn W. G. an die Klägerin wirksam abgetretene Forderung auf Einkommensteuererstattung für das Jahr 2010 wäre im Übrigen durch wirksame Aufrechnung der Beklagten erloschen.

36

a) Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten gemäß § 226 Abs. 1 AO sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 387 BGB kann, wenn zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Gemäß § 388 Satz 1 BGB erfolgt die Aufrechnung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Liegen diese Voraussetzungen vor, bewirkt die Aufrechnung nach § 389 BGB, dass die aufgerechneten Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten (§ 47 AO), in welchem sie zur Aufrechnung geeignet gegenübergetreten sind (Aufrechnungslage).

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b) Im Streitfall hat die Finanzkasse mit Schreiben vom 10.05.2012 an die Klägerin die Aufrechnung erklärt. Zu diesem Zeitpunkt hätten die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung gemäß §§ 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 BGB vorgelegen. Denn seit dem 16.09.2011 bestand eine fällige Forderung (Gegenforderung) des Landes gegenüber Herrn W. G. aus Garantieinanspruchnahme, mit der die Beklagte gegenüber der Klägerin hätte aufrechnen können.

38

1) Die Gegenforderung beruhte auf einem abgetretenen Anspruch des Landes gegenüber Herrn W. G.. Herr W. G. hatte gegenüber der MBG mit Vertrag und mit Garantieversprechen vom 09.06.2011 eine Garantie für die Rückzahlung der Einlage i.H.v. 150.000,- € übernommen. Mit Zahlungen durch die BB/ISB, den Bund und das Land am 16.09.2011 hat die MBG aufgrund Abtretungserklärung vom 08.03.2004 ihre Ansprüche an die BB/ISB und diese aufgrund Abtretungsvertrag vom 17.03.2004 ihre Ansprüche an das Land und den Bund jeweils in Höhe der geleisteten Garantiezahlung abgetreten.

39

aa) Diese Abtretungen sind wirksam. Künftige Forderungen können abgetreten werden. Das Rechtsverhältnis oder die Rechtsgrundlage, aus der die (künftige) Forderung erwachsen soll, braucht noch nicht zu bestehen. Erforderlich ist, dass die Entstehung der Forderung zur Zeit der Abtretung möglich erscheint und im Zeitpunkt ihrer (späteren) Entstehung bestimmbar ist, ob sie von der Abtretung erfasst wird (ständige Rspr., vgl. Palandt/Grüneberg, Kommentar zum BGB, 76. Aufl., 2017, § 398 Rn. 11 m.w.N.). Dies ist bei den Globalabtretungen vom 08.03.2004 und vom 17.03.2004 der Fall. Denn die an die Rückgaranten abgetretenen Forderungen lassen sich aus den im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderungen mit den Begünstigten jeweils abgeschlossenen Garantieübernahmeverträgen klar und im Einzelnen konkretisieren, sodass im Zeitpunkt der Garantieinanspruchnahme bzw. des Ausfalls eines Garantiegebers, mithin im Zeitpunkt der Entstehung etwaiger Rückgriffsrechte gegenüber Dritten diese eindeutig „bestimmbar“ sind. Aus vorstehendem Grund handelt es sich bei den Globalabtretungen vom 08.03.2004 und vom 17.03.2004 auch nicht – wegen mangelnder Bestimmtheit – um unzulässige Globalzessionen. Auch eine Übersicherung der Rückgaranten oder eine sittenwidrige Knebelung von Drittgarantiegebern bzw. sonstige Gründe, die der Wirksamkeit der Abtretungen entgegenstehen könnten, sind nicht ansatzweise ersichtlich. Vielmehr handelt es sich bei den Globalabtretungen um im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftsförderung des Landes im Vorhinein abgeschlossene Grund- bzw. Rahmenvereinbarungen, die das im Einzelnen aufgrund besonderer Bewilligung geförderte Projekt rückabsichern und damit ermöglichen. Herrn W. G. war mit Abschluss des Beteiligungsvertrages vom 29.06.2009 für die D GmbH die Abtretung seines Garantieanspruchs an die Refinanzierungsinstitute bzw. die Rückgaranten auch bekannt.

40

bb) Das englische Insolvenzverfahren und die, nach englischem Recht, nach einem Jahr eingetretene „Discharge“ hätten nicht dazu geführt, dass die am 10.05.2012 gegenüber der Klägerin erklärte Aufrechnung ins Leere gegangen oder unrechtmäßig gewesen wäre.

41

Insbesondere bestand die Gegenforderung am 10.05.2012, denn die Restschuldbefreiung des Herrn W. G. wurde erst am 03.12.2012 mit Wirkung zum 05.10.2012 erteilt.

42

Wenn die Hauptforderung, hier der Erstattungsanspruch 2010 durch wirksame Abtretung an die Klägerin dem Insolvenzbeschlag entzogen gewesen wäre, hätten die Wirkungen des englischen Insolvenzverfahrens der Aufrechnung schon deshalb nicht entgegenstehen können.

43

2) Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Aufrechnungslage hätten vorgelegen. Die Hauptforderung und die Gegenforderung der Beklagten, hier aus Garantieinanspruchnahme, waren gleichartig, da es sich beiderseits um Geldforderungen handelte. Da die Klägerin nicht zugleich Schuldnerin des Garantieanspruchs war, standen die Forderungen zwar nicht in dem von § 387 BGB geforderten Gegenseitigkeitsverhältnis. Eine Aufrechnung ihr gegenüber hätte gleichwohl erfolgen können. Denn gemäß § 406 BGB kann der Schuldner eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen. Die Aufrechnung ist nur für den Fall ausgeschlossen, dass der Schuldner bei Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist. Im Streitfall hat das Land die (Rückgriffs-)forderung aus Garantieinanspruchnahme mit Zahlung am 16.09.2011 erworben. Die Abtretung am 07.11.2011 lag zeitlich später. Die (Rückgriffs-)forderung war zugleich fällig, mithin ist die Forderung auch nicht nach der Abtretung und nicht später als der mit Steuerbescheid vom 24.02.2012 festgesetzte, abgetretene Einkommensteuererstattungsanspruch 2010 fällig geworden.

44

4. Soweit die Klägerin hilfsweise begehrt, den streitgegenständlichen Betrag an Herrn W. G. auszuzahlen, ist die Klage unzulässig. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind allein der Abrechnungsbescheid vom 23.10.2013 sowie die Einspruchsentscheidung vom 20.06.2014. Eine Beschwer des Herrn W. G. ist insoweit nicht ansatzweise ersichtlich. Denn Gegenstand der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen ist allein die Frage, ob ein Guthaben zu Gunsten der Klägerin besteht oder ob dieses durch Aufrechnung erloschen ist. Allein die Klägerin war Adressat der Verwaltungsentscheidungen. Soweit der Antrag als Verpflichtungsbegehren auszulegen sein sollte, wäre er ebenfalls unzulässig, denn insoweit würde schon das erforderliche Vorverfahren (§ 44 FGO) fehlen.

45

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 115 Abs. 2 FGO).

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