Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamburg (8. Kammer) - 8 TaBV 14/14

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11.11.2014 (5 BV 22/14) wird zurückgewiesen.

Beschluss

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11.11.2014 (5 BV 22/14) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle.

2

Die Beteiligte zu 2) (i.F. Arbeitgeberin) betreibt mehrere, jeweils als eigenständige Betriebe organisierte Krankenhäuser in Hamburg. Der Beteiligte zu 1 (i.F. Betriebsrat) ist der in der Klinik S. gewählte Betriebsrat.

3

Am 04.11.2013 verständigten sich die Beteiligten in einem anderen Rechtsstreit (29 BV 26/13) auf die Einsetzung einer Einigungsstelle unter Vorsitz des RiArbG G. mit folgendem Regelungsgegenstand:

4

„Unterweisung der Beschäftigten (§ 12 ArbSchG), Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen (§ 5 ArbSchG), Regelungen der Anforderungen nach § 4 an die Arbeitsgestaltung und deren Umsetzung zur präventiven Gestaltung im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (§ 3 II ArbSchG) und Regelungen zur Organisation des Gesundheitsschutzes einschließlich der Vorkehrungen zur Einbeziehung von Führungskräften und Arbeitnehmern (§ 3 II ArbSchG)“. Die Einigungsstelle hat bisher keine Regelung getroffen.

5

Mit Schreiben vom 12.09.2014 (Anl. A 2, Bl. 7ff d.A.) schlug der Betriebsrat der Arbeitgeberin mehrere Entlastungsmaßnahmen gemäß § 4 ArbSchG zur Verbesserung der aktuellen Personallage auf den Stationen des AK S. vor. Die Arbeitgeberin reagierte darauf nicht. Der Betriebsrat teilte der Arbeitgeberin daher mit Schreiben vom 25.09.2014 (Anl. A 3, Bl. 9 d.A.) mit, dass er beschlossen habe, die Einigungsstelle anzurufen.

6

Am 23.10.2014 hat der Betriebsrat beantragt,

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1. zum unparteiischen Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung von Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit, einschließlich der Organisation eines entsprechenden Verbesserungsprozesses auf den Stationen, Herrn H., Richter am Arbeitsgericht Hamburg, zu bestellen.

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2. Die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils drei festzusetzen.

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Die Arbeitgeberin hat beantragt,

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die Anträge zurückzuweisen.

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Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, weil der Regelungsgegenstand der nunmehr begehrten Einigungsstelle bereits von der Einigungsstelle unter dem Vorsitz von Herrn G. umfasst sei.

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Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Zur Regelung der menschengerechten Gestaltung der Arbeit sei die Einigungsstelle zwar grundsätzlich zuständig. Die offensichtliche Unzuständigkeit ergebe sich im vorliegenden Fall jedoch daraus, dass der begehrte Regelungsgegenstand mit demjenigen einer bereits bestehenden Einigungsstelle teilweise identisch sei. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe unter II des angefochtenen Beschlusses (Bl. 41 – 44 d.A.) Bezug genommen.

13

Der am 11.11.2014 verkündete Beschluss des Arbeitsgerichts wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 14.11.2014 zugestellt. Mit der am 26.11.2014 bei Gericht eingegangen und sogleich begründeten Beschwerde hat der Betriebsrat die Ansicht vertreten, das Arbeitsgericht habe den erstinstanzlich gestellten Antrag aufgrund seiner Formulierung möglicherweise missverstanden. Tatsächlich seien die Regelungsgegenstände beider Einigungsstellen, obwohl es in beiden um Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gehe, voneinander abgrenzbar. In der am 04.11.2013 eingesetzten Einigungsstelle gehe es um Regelungen der Anforderungen aus § 4 ArbSchG an die Arbeitsplatzgestaltung und deren Umsetzung zur präventiven Gestaltung im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Es handle sich hierbei um den sog. Planungsansatz, nach welchem der Arbeitgeber gemäß § 4 ArbSchG verpflichtet sei, bereits bei der Gestaltung von Arbeit z.B. den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Demgegenüber richte sich das Regelungsbegehren des Betriebsrats im vorliegenden Verfahren auf eine Korrektur der Arbeitsgestaltung der Arbeitsbedingungen auf den Stationen. Betriebsrat und Arbeitgeber seien sich darüber einig, dass die Arbeitsbedingungen auf den Stationen über Gebühr belastend und damit gesundheitsgefährdend seien. Es gehe vorliegend darum, die sich daraus ergebenden Gesundheitsgefahren abzubauen bzw. zu verhindern. Das Regelungsbegehren des Betriebsrats richte sich auf arbeitsschutzrechtlich gebotene Korrekturen gesundheitlich gefährdender Arbeitsbedingungen auf der Grundlage der geregelten Ablaufprozesse. Ablauforganisatorische Regelungen zum Gesundheitsschutz unterlägen nach der neuesten Rechtsprechung des BAG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Jedenfalls von einer offensichtlichen Unzuständigkeit i.S.v. § 99 BetrVG könne keine Rede sein.

14

Der Betriebsrat hat zunächst folgenden Antrag angekündigt,

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unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11.11.2014 (5 BV 22/14)

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1. zum unparteiischen Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung von Ablaufprozesses zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf den Stationen, Herrn H., Richter am Arbeitsgericht Hamburg, einzusetzen;

17

2. die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils 3 festzusetzen.

18

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Betriebsrat seine Anträge ein weiteres Mal dahingehend geändert, dass nunmehr beantragt wird,

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1 zum unparteiischen Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung von Ablaufprozessessen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf den Stationen C2 bis C8, H1, E3 IST, E3 INC, Herrn. H., Richter am Arbeitsgericht Hamburg, einzusetzen;

20

2 die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils 3 festzusetzen.

21

Die Arbeitgeberin beantragt,

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die Beschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.

23

Sie widerspricht beiden Antragsänderungen im Beschwerdeverfahren und verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, dass es im Betrieb der Arbeitgeberin außer den in der letzten Fassung des Antrags zu 1) genannten weitere Stationen gibt.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

25

Die Beschwerde ist gem. § 99 II 1 ArbGG statthaft. Sie ist auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die Kammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss (Bl. 41 – 44 d.A. des Beschlusses) an. Ergänzend ist lediglich auf das Vorbringen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz einzugehen.

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1. Die Antragsänderungen des Betriebsrats in zweiter Instanz sind zulässig.

27

a) Die Antragsänderung in der Beschwerde ist gemäß § 81 III ArbGG zulässig, welcher gemäß § 99 I 3 ArbGG auch im Einsetzungsverfahren gilt. Eine Antragsänderung im Einsetzungsverfahren ist regelmäßig sachdienlich, wenn sie dazu dient, möglicherweise auch unter Berücksichtigung von im erstinstanzlichen Verfahren zu Tage getretenen Aspekten, den Regelungsgegenstand zu präzisieren oder zu modifizieren. Würde die Antragsänderung als unzulässig bewertet, wäre der Betriebsrat faktisch dazu gezwungen, sein Anliegen in einem weiteren Einsetzungsverfahren zu verfolgen, was zu einer weiteren Kostenbelastung des Arbeitgebers führen würde.

28

b) Bei der in der mündlichen Verhandlung erfolgten erneuten Umstellung des Antrags handelt es sich nach § 264 Nr. 2 ZPO nicht um eine Klageänderung, weil der Betriebsrat seinen zunächst auf alle Stationen bezogenen Antrag lediglich auf eine Teilmenge der Stationen beschränkt hat.

29

2. Der Antrag des Betriebsrats ist unbegründet, weil die begehrte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

30

a) Eine Einigungsstelle ist nach ständiger Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte offensichtlich unzuständig, wenn sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des BetrVG subsumieren lässt (LAG Hamburg v. 01.02.2007 – 8 TaBV 18/06 – MDR 07, 1083; LAG Niedersachen v. 03.11.2009 – 1 TaBV 63/09 – NZA-RR 10, 142, Tz 19; LAG Hamm v. 14.09.2009 – 13 TaBV 074/09 – Tz 61; LAG Berlin-Brandenburg v. 07.08.2008 – 14 TaBV 1212/08 – Tz 25; LAG Schleswig-Holstein v. 25.11.1999 – 4 TaBV 41/99 – n. v). Unter diesem Gesichtspunkt ist die im vorliegenden Verfahren beantragte Einigungsstelle offensichtlich zuständig, denn der Betriebsrat weist zu Recht darauf hin, dass er bei der Schaffung einer sachgerechten Struktur zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen gemäß § 87 I Nr. 7 mitzubestimmen hat (vgl. BAG v. 18.03.2014 – 1 ABR 73/12 – Tz 23).

31

b) Die offensichtliche Unzuständigkeit einer Einigungsstelle kann sich jedoch auch bei Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats daraus ergeben, dass für den angestrebten Regelungsgegenstand bereits eine andere Einigungsstelle zuständig ist.

32

Einigungsstellen sind gemäß § 76 III BetrVG befugt, Betriebsvereinbarungen zu beschließen, also innerbetriebliche Rechtsnormen, die für die Beteiligten nach § 77 IV BetrVG unmittelbar und zwingend gelten. Aus der Verbindlichkeit des Spruchs einer Einigungsstelle folgt, dass in jedem Fall widersprüchliche Regelungen zum gleichen Regelungsgegenstand zu vermeiden sind. Die Problematik ähnelt derjenigen sich widersprechender Urteile zu einem Streitgegenstand. Die Konfliktlösung besteht in diesem Fall nicht erst darin, ein späteres Urteil wegen entgegenstehender Rechtskraft für unwirksam zu erklären. Bereits die anderweitige Rechtshängigkeit führt zur Unzulässigkeit einer den gleichen Streitgegenstand betreffenden Klage. Nur so kann eine doppelte Inanspruchnahme der Gerichte in der gleichen Frage vermieden werden. Überträgt man diesen Lösungsansatz auf die Einigungsstelle, so bedeutet dies, dass eine Einigungsstelle dann unzuständig ist, wenn eine andere, noch bestehende Einigungsstelle in der Lage wäre, den gleichen Gegenstand zu regeln. Da sich die Regelungsgegenstände von Einigungsstellen jeweils aus der Vereinbarung der Betriebsparteien oder dem Einsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts ergeben, sind überschneidende Regelungsgegenständen im Normalfall offensichtlich.

33

c) So ist es im vorliegenden Fall. Die am 04.11.2013 eingesetzte Einigungsstelle wäre befugt, die Ablaufprozessesse zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf den im Antrag des Betriebsrats im vorliegenden Verfahren genannten Stationen zu regeln. Es handelt sich um Regelungen zur Organisation des Gesundheitsschutzes einschließlich der Vorkehrungen zur Einbeziehung von Führungskräften und Arbeitnehmern i. S. v. § 3 II ArbSchG, bei denen die in § 4 ArbSchG genannten Grundsätze zu beachten sind.

34

Dass bei der Einsetzung der Einigungsstelle am 04.11.2013 der planerische Aspekt im Vordergrund stand und es weniger um die Behebung akuter Missstände ging, steht dem nicht entgegen. Die Regelungsbefugnis einer Einigungsstelle wird durch die Motivation für ihre Einsetzung nicht beschränkt, soweit die Betriebsparteien den Regelungsgegenstand nicht entsprechend einschränken. Maßnahmen aufgrund eines planerischen Ansatzes und solche zur Behebung aktueller Missstände müssen sich nicht zwangsläufig unterscheiden. So könnte die vom Betriebsrat im Rahmen der im vorliegenden Verfahren beantragten Einigungsstelle angestrebte Personalaufstockung auch das Ergebnis eines planerischen Ansatzes sein.

35

Eine hinreichend klare Abgrenzung der Zuständigkeiten der Einigungsstelle ergibt sich auch nicht aus den Gegebenheiten, die zur Bildung der Einigungsstelle Anlass gaben. Die schon bestehende Einigungsstelle ist auch für Regelungen zuständig, deren Notwendigkeit sich erst nach Einsetzung der Einigungsstelle ergeben haben. Einigungsstellen sind typischerweise zukunftsorientiert und sollen eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit umfassend regeln unabhängig davon, wann einzelne Regelungsbedarfe zutage getreten sind.

36

d) Entgegen der vom Betriebsrat in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht ist es nicht erforderlich, für Einigungsstellen nach § 87 I Nr. 7 BetrVG besondere Regelungen zu treffen. Zwar trifft es zu, dass es sich beim Gesundheitsschutz anders als bei den anderen in § 87 I BetrVG genannten Angelegenheiten um eine Daueraufgabe handelt. Da sich widersprechende Regelungen auch im Bereich des Gesundheitsschutzes vermieden werden müssen, kann eine sinnvolle Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche mehrerer Einigungsstellen zum Gesundheitsschutz nur von den Betriebsparteien einvernehmlich oder ggf. durch Spruch der bereits bestehenden Einigungsstelle erfolgen. In keinem Fall ist das Gericht im Verfahren nach § 99 ArbGG befugt, einer mit einem umfassenden Regelungsauftrag eingesetzten Einigungsstelle einen Teil ihrer Zuständigkeit zu entziehen. Widersprüchliche Regelungen können, solange der Regelungsgegenstand der bestehenden Einigungsstelle nicht eingeschränkt worden ist, nur durch die Zurückweisung des Antrags auf eine weitere Einigungsstelle zum gleichen Regelungsgegenstand gewährleistet werden. Entgegen der vom Betriebsrat geäußerten Befürchtung werden dadurch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht eingeschränkt. Da die bereits bestehende Einigungsstelle auch für neue in ihrem Zuständigkeitsbereich aufgetretene Fragen zuständig ist, kann aktuellen Entwicklungen ggf. durch eine Modifikation des Arbeitsplans der Einigungsstelle Rechnung getragen werden.

III.

37

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (vgl. BAG v. 02.10.2007 – 1 ABR 59/06 – NZA 08, 372, Tz 11; Matthes in Germelmann u. a. ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 84 Tz 31).

IV.

38

Gegen die vorliegende Entscheidung sind keine weiteren Rechtsmittel statthaft (§ 99 II 4 ArbGG).

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