Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamburg (5. Kammer) - 5 Ta 18/15
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 22. Juni 2015 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 12. Juni 2015 – 15 Ca 18/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Die Beschwerdeführerin/Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für einen Vergleichsmehrwert (Verpflichtung zur Erstellung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses).
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Der Klägerin wurde auf ihren Antrag vom 14. April 2015 hin am 5. Mai 2015 Prozesskostenhilfe für Klage und Vergleich bewilligt. Zur Wahrnehmung der Rechte in diesem Rechtszug wurde ihr Rechtsanwalt K. beigeordnet. Eine Ratenzahlung wurde nicht festgesetzt. Zuvor hatte die Klägerin mit Klageschrift vom 2. März 2015 Kündigungsschutzklage erhoben.
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Mit Schriftsatz vom 17. April 2015 unterbreitete die Klägerin einen Vergleichsvorschlag. Mit gerichtlich am 27. April 2015 festgestelltem Vergleich wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 28. Februar 2015 beendet. Die Beklagte verpflichtete sich in Ziffer 2 des Vergleichs zur Erteilung eines Zeugnisses.
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Mit Beschluss vom 9. Juni 2015 setzte das Arbeitsgericht den Gegenstandswert der Klage auf € 8.836,- fest, der übersteigende Vergleichswert (für das Zeugnis) wurde auf € 441,80 festgesetzt.
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Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2015, eingegangen bei Gericht am 12. Juni 2015, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch auf den Vergleich zu erstrecken.
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Dies lehnte das Arbeitsgericht mit dem angefochtenen, am 22. Juni 2015 zugestellten Beschluss ab. Mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz legte die Klägerin sofortige Beschwerde ein.
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Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 23. Juni 2015 nicht abgeholfen.
II.
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Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 127 Abs. 2 ZPO). Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die sofortige Beschwerde war daher kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass für den Mehrvergleich keine PKH zu gewähren war.
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1. Der Antrag auf Erstreckung der PKH vom 10. Juni 2015 auf den Mehrwert des am 27. April 2015 durch Beschluss festgestellten Vergleichs ist bereits deshalb abzuweisen, weil er verspätet gestellt worden. Er hat daher keine Aussicht auf Erfolg gem. § 114 ZPO.
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Der Ergänzungsantrag ist erst nach Ende des erstinstanzlichen Verfahrens bei dem Arbeitsgericht eingereicht worden. Das erstinstanzliche Verfahren war mit der Vergleichsfeststellung bereits am 27. April 2015 beendet (vgl. BAG 16. Februar 2012 – 3 AZB 34/11 –, juris).
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Anträge im Zusammenhang mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe müssen dem Gericht aber vor Abschluss der Instanz vorliegen. Werden sie erst nach Instanzende vorgelegt, haben sie keinerlei Erfolgsaussichten mehr. Erfolgsaussichten können nur für die Zeit bis zum Ende der Instanz angenommen werden. Der Prozesskostenhilfeantrag muss spätestens vor Abschluss der Instanz bei Gericht eingegangen sein, mithin nicht mehr nach Wegfall der Rechtshängigkeit (LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05. Januar 2011 – 2 Ta 191/10 –, juris).
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Dies entspricht der Rechtsprechung des BAG (30. April 2014 – 10 AZB 13/14 –, juris): Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe lediglich für eine „beabsichtigte“ Rechtsverfolgung gewährt werden. Eine Rückwirkung der Bewilligung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Jedoch kann die Rückwirkung bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche oder Zumutbare getan hat. Soweit die Voraussetzungen einer rückwirkenden Bewilligung vorliegen, sind aus der Staatskasse Tätigkeiten des beigeordneten Rechtsanwalts zu vergüten, die dieser auf die Hauptsache bezogen bei oder nach dem Eingang des Prozesskostenhilfeantrags erbracht hat. Nach Abschluss der Instanz ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr möglich. Diese Begrenzung der Rückwirkung folgt aus dem Zweck der Prozesskostenhilfe. Der mittellosen Partei sollen die Prozesshandlungen ermöglicht werden, die für sie mit Kosten verbunden sind. Haben jedoch die Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigter die aus ihrer Sicht notwendigen Prozesshandlungen schon vor der ordnungsgemäßen Beantragung der Prozesskostenhilfe vorgenommen, so hängen diese Prozesshandlungen nicht mehr davon ab, dass die Partei zuvor die entsprechenden Kosten - etwa durch einen Vorschuss gemäß § 9 RVG - deckt. Eine weiter rückwirkende Bewilligung diente nur noch dazu, einem Prozessbevollmächtigten durch die nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe einen Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen. Das ist nicht Zweck der Prozesskostenhilfe.
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2. Soweit der Antrag vom 10. Juni 2015 als Antrag auf Ergänzung des Bewilligungsbeschlusses vom 5. Mai 2015 zu verstehen ist, kann er mangels Einhaltung der Zweiwochenfrist entsprechend § 321 Abs. 2 ZPO ebenfalls keinen Erfolg haben.
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a. Zwar lässt sich sagen, dass der ursprüngliche Antrag vom 14. April 2015 konkludent auch die Erstreckung auf den Mehrwert des unmittelbar bevorstehenden Vergleichsabschlusses beinhaltete.
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Auch dies folgt aus der o.a. Rechtsprechung des BAG (30. April 2014 aaO; ausführlich auch LAG Sachsen-Anhalt aaO, jeweils m.w.N.): Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Antrag voraus; eine Bewilligung ohne Antrag scheidet im stark formalisierten Prozesskostenhilfeverfahren aus. Dies schließt aber weder eine konkludente Antragstellung noch - wie bei jeder Prozesshandlung - eine Auslegung des Antrags aus. Das Gericht hat in diesem Rahmen bei Entscheidungs- und Bewilligungsreife zu ermitteln, in welchem Umfang der Antragsteller Prozesskostenhilfe begehrt. Bei Unklarheiten muss es in entsprechender Anwendung des § 139 ZPO nachfragen.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen musste das Arbeitsgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag davon ausgehen, dass die Klägerin Prozesskostenhilfe auch für den Vergleichsmehrwert begehrt.
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aa. Stellt eine Partei einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung für eine bestimmte Instanz, so bezieht sich dieser regelmäßig zwar nur auf die bereits rechtshängigen Streitgegenstände oder die Streitgegenstände, die gleichzeitig mit der Antragstellung anhängig gemacht werden. Nur für die bereits anhängigen Ansprüche kann das Gericht typischerweise die Erfolgsaussichten von Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung prüfen. Trifft das Gericht in einem solchen Fall eine Entscheidung über die Prozesskostenhilfe, beschränkt sich die Bewilligung auf diese Streitgegenstände, soweit es nicht ausdrücklich etwas anderes ausspricht. Kommt es nach der Bewilligung zu einer Klageerweiterung oder soll Prozesskostenhilfe auch für einen Mehrvergleich bewilligt werden, bedarf es eines neuen Antrags.
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bb. Wenn aber – wie hier - vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag (hier 5. Mai 2015) zwischen den Parteien ein gerichtlicher Vergleich geschlossen bzw. gerichtlich festgestellt wird (hier 27. April 2015), der bisher nicht rechtshängige Gegenstände erfasst, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die finanziell unbemittelte Partei Prozesskostenhilfe nicht nur für die bereits rechtshängigen Streitgegenstände begehrt, die durch diesen Vergleich erledigt werden, sondern auch für die weiteren durch den Vergleich miterledigten Streitpunkte. Für eine gegenteilige Annahme fehlt - von Ausnahmefällen abgesehen - jegliche Grundlage. Es ist nicht erkennbar, warum eine Partei, die nicht in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens über die bereits anhängigen Streitgegenstände zu tragen, in der Lage wäre, die Kosten des Mehrvergleichs zu übernehmen und deshalb hierfür keine Prozesskostenhilfe beantragen will. In einem solchen Fall ist die Beantragung von Prozesskostenhilfe für die Instanz deshalb mangels anderweitiger Anhaltspunkte regelmäßig so zu verstehen, dass sie auch einen Mehrvergleich erfassen soll (BAG 30. April 2015 aaO m.w.N.) Für ein solches Verständnis sprechen im Übrigen auch Gründe der Prozessökonomie: Mit der Erstreckung eines Vergleichs auf weitere, zwischen den Parteien streitige, aber noch nicht rechtshängige Ansprüche werden weitere Rechtsstreitigkeiten und damit gegebenenfalls notwendige weitere Bewilligungen von Prozesskostenhilfe vermieden.
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Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin hinsichtlich des Mehrvergleichs hier ausnahmsweise keine Prozesskostenhilfe begehrte, gab es nicht.
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b. Die Anhängigkeit des somit konkludent gestellten Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für den Mehrvergleich ist allerdings nachträglich wieder entfallen. Auch dies entspricht der Rechtsprechung des BAG (30. April 2014 aaO). Das Arbeitsgericht hat über ihn im Beschluss vom 27. April 2015 nicht entschieden, ohne dass durch den Beklagten fristgemäß eine Beschlussergänzung in entsprechender Anwendung des § 321 ZPO beantragt worden wäre.
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Mit seinem Beschluss vom 27. April 2015 wollte das Arbeitsgericht erkennbar über den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin vollständig entscheiden. Weder ergeben sich aus dem Beschluss Anhaltspunkte dafür, dass ein Teilbeschluss ergehen sollte, noch hat das Arbeitsgericht den Antrag des Beklagten teilweise zurückgewiesen. Ebenso wenig ist aber Prozesskostenhilfe für den Mehrvergleich bewilligt worden. Eine solche Bewilligung muss, schon wegen der bindenden Wirkung für den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts (§ 48 Abs. 1 RVG) und der Vermeidung von Unklarheiten im Vergütungsfestsetzungsverfahren, klar aus dem Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss erkennbar sein. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG, der in Abgrenzung zu den Bestimmungen der Absätze 2 bis 4, eine ausdrückliche Beiordnung für „andere Angelegenheiten“ verlangt. Entweder muss sich die Erstreckung daher direkt aus dem Tenor ergeben oder - soweit vorhanden - aus den Gründen des Beschlusses (BAG 30. April 2015 aaO.). Beides ist nicht der Fall.
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Damit hat das Arbeitsgericht einen von der Klägerin gestellten Antrag teilweise übergangen, denn es sollte eine abschließende und vollständige Entscheidung ergehen. In solchen Fällen ist auch bei Beschlüssen § 321 ZPO entsprechend anwendbar.
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Mit ihrem Antrag vom 10. Juni 2015, eingegangen bei Gericht am 12. Juni 2015, hat die Klägerin die Zweiwochenfrist entsprechend § 321 Abs. 2 ZPO nicht eingehalten. Der Beschluss wurde am 6. Mai 2014 formlos abgesandt und ist 11. Mai 2015 zugegangen wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt hat. Wird ein Antrag auf Urteilsergänzung nicht fristgerecht gestellt, entfällt die Rechtshängigkeit des übergangenen Anspruchs (BAG 29. Juni 2011 – 7 AZR 774/09 - juris). Nichts anderes kann im Fall eines gestellten, aber teilweise nicht verbeschiedenen Prozesskostenhilfeantrags gelten. Der ursprüngliche Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 14. April 2015 deckt damit die nunmehr begehrte Prozesskostenhilfe für den Mehrwert des Vergleichs ebenfalls – bedauerlicher Weise - nicht ab.
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Referenzen
- 15 Ca 18/15 1x (nicht zugeordnet)
- 3 AZB 34/11 1x (nicht zugeordnet)
- 10 AZB 13/14 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 139 Materielle Prozessleitung 1x
- RVG § 48 Umfang des Anspruchs und der Beiordnung 2x
- RVG § 9 Vorschuss 1x
- ZPO § 127 Entscheidungen 1x
- ZPO § 321 Ergänzung des Urteils 4x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 3x
- 2 Ta 191/10 1x (nicht zugeordnet)
- 7 AZR 774/09 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x