Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamburg (3. Kammer) - 3 Sa 103/16

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. November 2016 – 29 Ca 210/16 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer höheren Betriebsrente für die Zeit ab 1. Juli 2015.

2

Der Kläger war vom 1. April 1972 bis zum 30. April 1996 bei einem Unternehmen des B.-Konzerns tätig, dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Die Beklagte ist in den deutschen A.-Konzern eingebunden. Der Kläger bezieht seit dem 1. Mai 1996 betriebliche Versorgungsleistungen.

3

Am 8. Juli 1987 schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung zu „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ (im Folgenden: BVW). Danach wird im Rahmen einer Gesamtversorgung mit einer Pensionsergänzung die Differenz ausgeglichen, die sich zwischen der Summe der Sozialversicherungsrente und einer weiteren Betriebsrente aus einer Versorgungskasse einerseits und einem gemäß der Betriebsvereinbarung ermittelten Versorgungsniveau andererseits ergibt. Der Kläger gehört zum Kreis der aus dem BVW Anspruchsberechtigten.

4

Neben seiner Sozialversicherungsrente erhielt der Kläger bis zum 30. Juni 2015 eine monatliche Leistung aus der Versorgungskasse in Höhe von € 532,66 und als sog. V1-Rente (Pensionsergänzung) gemäß BVW eine Betriebsrente in Höhe von € 796,85.

5

§ 6 der Ausführungsbestimmungen des BVW (im Folgenden: Ausführungsbestimmungen) regelt die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge wie folgt:

6

„§ 6 Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse

7

1. Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.
(…)

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2. Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

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3. Hält der Verstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.

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Der Beschluss ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.

11

4. Eine Erhöhung der Pensionsergänzungszahlung kann im Einzelfall nicht durchgeführt werden, soweit und solange die nach § 5 der Ausführungsbestimmungen anzurechnenden Bezüge und die nach § 4 der Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge, erreichen oder überschreiten.

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Betriebsangehörige, die eine Pensionsergänzung zu den Leistungen der Versorgungskasse zunächst nicht bekommen haben, weil ihre anzurechnenden Bezüge die vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge erreichen oder überschreiten, erhalten gegebenenfalls bei Veränderung nach der Ziffer 1 oder 3 später eine Pensionsergänzung allein durch das in der Ziffer 1 oder 3 dargestellte Verfahren.“

13

Neben der in § 6 der Ausführungsbestimmungen geregelten Anpassung erfolgt alle drei Jahre eine Anpassungsprüfung nach § 16 BetrAVG.

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Zum 1. Juli 2015 wurden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,0972 % erhöht. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 mit, dass die Gesamtversorgungsbezüge bzw. Renten zum 1. Juli 2015 aufgrund Beschlusses der Vorstände und Aufsichtsräte der A.- Versicherungen um 0,5% erhöht würden. Vom 1. Juli 2015 an zahlte die Beklagte eine um 0,5% erhöhte V1-Rente (Pensionsergänzung) in Höhe von € 800,83 zzgl. der unveränderten Rente aus der Pensionskasse.

15

Mit der am 26. April 2016 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung einer höheren Betriebsrente seit dem 1. Juli 2015.

16

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte zum 1. Juli 2015 die Gesamtversorgungsbezüge um 2,0972% hätte anheben müssen. Danach stehe ihm ein Anspruch auf Zahlung von monatlich € 1.357,39 brutto zu. Die Differenz zu der von der Beklagten seit 1. Juli 2015 erbrachten Leistung betrage monatlich € 23,90 brutto. Weder sei § 6 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen wirksam, noch seien die Voraussetzungen für eine von § 6 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen abweichende Erhöhung gegeben.

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Die Regelung in § 6 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen sei unwirksam, weil sie der Arbeitgeberin das Recht einräume, den Anspruch auf Steigerung der Gesamtversorgungsbezüge zu beseitigen, ohne dass die Regelung konkrete Voraussetzungen dazu enthalte, unter welchen Bedingungen der Arbeitgeberin dieses Recht zustehen solle. Auch sei unklar, welche Folgen eintreten sollen, sollte der Vorstand eine Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge für nicht vertretbar erachten. Schließlich beinhalte die Regelung einen unzulässigen Verzicht des Gesamtbetriebsrates auf das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Der Gesamtbetriebsrat/Betriebsrat sei vor der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Ferner hat der Kläger mit Nichtwissen, dass ein formell ordnungsgemäßer Beschluss zur Erhöhung der Betriebsrenten um nur 0,5 % zustande gekommen sei. Auch sei ein solcher Beschluss nicht rechtzeitig erfolgt. Gem. § 6 Ziffer 2 der Ausführungsbestimmungen habe die Anpassung nach § 6 Ziffer 3 zum gleichen Zeitpunkt erfolgen müssen, zu dem die gesetzliche Rente erhöht werde. Hier sei ein solcher Beschluss nicht rechtzeitig vor dem 1. Juli 2015 erfolgt. Die Beklagte habe somit rückwirkend in bereits entstandene Ansprüche eingegriffen.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger beginnend mit dem 1. Januar 2016 über den Betrag von € 1.333,49 (der sich aus € 800,83 und € 532,66 zusammensetzt) hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von € 23,90 brutto zu zahlen;

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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 143,40 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von € 23,90 seit dem 1. Juli 2015, auf € 23,90 seit dem 1. August 2015, auf € 23,90 seit dem 1. September 2015,auf € 23,90 seit dem 1. Oktober 2015, auf € 23,90 seit dem 1. November 2015 und auf € 23,90 seit dem 1. Dezember 2015 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass sie die Anpassung nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen durch Beschluss des Vorstandes gem. § 6 Ziffer 3 habe ändern können. Die Regelung sei weder unklar noch aus sonstigen Gründen unwirksam. Die Auslegung des Wortes „vertretbar“ ergebe, dass die jährliche gemeinsame Ermessensentscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat nach den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu erfolgen habe. Demnach bedürfe es eines sachlichen Grundes für die Abweichung von der in § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen geregelten Rentenanpassung. Die vorgenommene Entscheidung der Beklagten sei ermessensfehlerfrei ergangen. Insoweit sprächen folgende Aspekte für eine reduzierte Rentenanpassung:

24

=> schwieriges ökonomisches Umfeld durch langanhaltende Niedrigzinsen und demografische Trends;
=> abgeschwächtes Wachstum im Versicherungsmarkt im Jahr 2015;
=> steigende Anforderungen zur Regulierung (Kapitalisierungsanforderungen durch Solvency II, Umsetzung des Lebensversicherungsreformgesetzes);
=> steigende Kundenanforderungen (hohe Preissensitivität, sinkende Loyalität).

25

Diese Bedingungen hätten den Konzern zu einer Strategie veranlasst (S.-Konzept), in deren Umsetzung u.a. Personalkosten eingespart werden sollten. Weil die aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen erheblichen Beitrag zur Stärkung des Konzerns leisten müssten, sei es angemessen, dass auch die Rentnerinnen und Rentner einen Beitrag leisteten. Rentnerinnen und Rentner anderer Versorgungssysteme erhielten aufgrund des niedrigen Anstiegs des Verbraucherpreisindexes eine deutlich niedrigere Anpassung als nach der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Versorgungsniveau nach der Betriebsvereinbarung BVW sei überdurchschnittlich hoch. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sei durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung BVW gewahrt und verbraucht. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten hätten nach Abwägung der beteiligten Interessen den Beschluss gefasst, eine Anpassung nur in Höhe von 0,5% vorzunehmen.

26

Mit Urteil vom 10. November 2016 hat das Arbeitsgericht der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

27

Gegen das ihr am 25. November 2016 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 23. Dezember 2016 bei Gericht eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 27. März 2017 an diesem Tag begründeten Berufung.

28

Die Beklagte hält das Urteil des Arbeitsgerichts für unzutreffend. Grundlage der Beschlussfassung zur reduzierten Anpassung der Betriebsrente seien die widrigen Rahmenbedingungen und der Druck am Markt gewesen. Diese hätten erhebliche Spar- und Personalreduzierungsprogramme mit sich gebracht, so insbesondere das sog. „S.-Konzept“ mit weiteren Maßnahmen, das sich bei der Beklagten in der Umsetzung befände. Die Verringerung der Rentenanpassungen sei Teil eines umfassenden Einsparkonzeptes, um sicherzustellen, dass der A.-Konzern auch in Zukunft am Markt mit Gewinnen bestehen könne. Es gebe ein schwieriges Marktumfeld, das durch die niedrigen Zinsen (Leitzins von 0% bzw. 0,05 %) und die niedrige Inflation bestimmt werde. Der Verbraucherpreisindex habe sich von Juni 2014 bis Juni 2015 nur von 106,7 auf 107 erhöht. Wegen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise werde es für Versicherer immer schwieriger, das Geld lukrativ anzulegen. Das Zinsniveau stelle eine erhebliche Belastung für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns und damit auch der Beklagten dar. Die Beklagte sei zum 1. Juli 2015 davon ausgegangen, dass sich das Wachstum im Versicherungsmarkt 2015 abschwächen werde. Sie gehe weiter von einer nur schwachen konjunkturellen Entwicklung im Euroraum aus. Risiken ergäben sich zudem aus der demographischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung. Es seien außerdem signifikant gestiegene Kundenanforderungen zu verzeichnen, v.a. eine gestiegene Preissensitivität bei sinkender Loyalität. Weitere Risikopotenziale seien aus vertrieblichen Herausforderungen im Branchenumfeld entstanden, die letztlich die Folge der Finanzmarktkrise seien. Wettbewerber würden Kostensenkungs- und Automatisierungsprogramme forcieren und variable Produktmodelle ohne feste Garantien. Die Komplexität der Lebensversicherung sei durch das Mitte 2014 in Kraft getretene Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) weiter gesteigert worden. Der für Lebensversicherungsprodukte erforderliche finanzielle Aufwand sei deutlich erhöht worden. Die Umsetzung des LVRG habe zu erheblichen Produktänderungen im gesamten Konzern und zu einer Veränderung der Provisionsregelungen geführt. Der Aufwand der Versicherungsunternehmen für die Vergütung der Vermittler habe sich spürbar erhöht. Auch Solvency II verschlechtere die Rahmenbedingungen, weil die Versicherer hiernach über so viel Kapital verfügen müssten, dass sie Negativergebnisse verkraften könnten, die statistisch gesehen nur einmal in 200 Jahren aufträten. Somit hätte zum 1. Januar 2016 mit der Umsetzung von Solvency II in nationales Recht die Notwendigkeit bestanden, eine risiko- bzw. marktwertorientierte Bewertung der Kapitalanlagen und Leistungsverpflichtungen vorzunehmen. Ferner würden weitgehende Anforderungen an die Geschäftsorganisation der Versicherungsunternehmen gestellt und die Berichtspflichten von Versicherern erweitert worden. Dieses umzusetzen, habe finanziellen Aufwand für den Konzern und die Beklagte bedeutet. Wegen des negativen Marktumfeldes habe der Konzern u.a. eine sog. Zinszusatzreserve € 2 Milliarden Euro aufbauen müssen. Allein 2016 habe dieser Posten um ca. 620 Millionen Euro aufgefüllt werden müssen und es sei mit steigenden Entwicklungen zu rechnen. Als Folge des Marktdrucks sei es konzernweit zu einem Einstellungsstopp und einem massiven Personalabbau gekommen. 2016 hätten etwa 1.135 Personen den Konzern bei einem Personalbestand von etwa 13.000 verlassen. Der angestellte Außendienst werde reduziert, das Provisionsmodell massiv angepasst. Im Konzern gebe es weitere Sparprogramme zur Kostenreduzierung (Raumverknappung, Betriebsübergänge, Spesenreduzierungsprogramme, Reduzierung der Altersversorgung auf Führungsebene für Neueintritte). Die Reduzierung der Rentenerhöhung habe allein im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis zum 31. Dezember 2016 zu Einsparungen in Höhe von etwa 2,7 Mio. Euro sowie einer Reduzierung der Rückstellungen um 43,6 Millionen Euro geführt. Aufgrund dieser Maßnahmen sei es noch gelungen, für die Unternehmen des Konzerns einen Gewinn zu erwirtschaften.

29

Das S.-Konzept beinhalte eine Neuausrichtung zur Sicherung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit. Damit hätten die nötigen Schritte eingeleitet werden sollen, solange noch die Möglichkeit dazu bestanden habe, die Zukunft des Konzerns aktiv zu gestalten. Im September 2015 hätten die Verhandlungen mit den Betriebsräten über die Umsetzung des Konzepts aufgenommen werden können. Mittlerweile befinde sich das Konzept in der Umsetzungsphase. In finanzieller Hinsicht ziele das Konzept auf die konzernweite Einsparung von Kosten in Höhe von € 160 bis 190 Mio. pro Jahr ab. Ein Teil der Planungen habe in dem mittlerweile umgesetzten Übergang des gesamten Personals der A. V. AG und der Beklagten auf die neue A. D. AG bestanden, was mit Standortverlagerungen und Standortzusammenschlüssen einhergegangen sei. In diesem Zusammenhang stehe auch der Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen im Raum. Die aktive Belegschaft leiste einen erheblichen Beitrag für die zukunftsfähige Ausrichtung des Konzerns mit u.a. folgenden Maßnahmen: Personalabbau i.V.m. einem Einstellungs- und Beförderungsstopp sowie einem Verbot von Entfristungen befristeter Arbeitsverträge, was eine Verdichtung der Arbeitsbelastung bedeute, Reduzierung des angestellten Außendienstes, Kürzung der Budgets für Sach-, Reise-, Bewirtungs- und Fortbildungskosten, Kürzung des Budgets für Leistungszusagen in der betrieblichen Altersversorgung bei Neueintritten auf der Stufe der Vorstände und leitenden Angestellten um die Hälfte des bisherigen Volumens, keine Gehaltserhöhung für außertarifliche Angestellte im Jahr 2016 (bis auf individuelle Sonderfälle).

30

Demgegenüber wögen die Interessen des Klägers nur gering. Die Betriebsrentnerinnen und -rentner hätten ihren Beitrag zur zukunftsfähigen Ausrichtung des Konzerns und der Beklagten zu leisten. Der von ihnen eingeforderte Beitrag sei im Verhältnis zu dem Beitrag der aktiven Belegschaft nur sehr gering. Das Versorgungsniveau im BVW sei überdurchschnittlich hoch. Kaufkraftschwund und die Inflationsentwicklung seien bei der Anpassungsentscheidung im Jahr 2015 ausreichend berücksichtigt worden. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, denn die Aussetzung der Rentenanpassung sei in § 6 Ziff. 3 der Ausführungsbestimmten ausdrücklich vorgesehen.

31

Der Vorstand der Beklagten habe in Folge der Entscheidung des Vorstands der A. D. AG beschlossen, die Ausnahmeregelung in § 6 Ziff. 3 der Ausführungsbestimmungen anzuwenden und dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vorzuschlagen, die zum 1. Juli 2015 zu gewährende Rentenanpassung der Gesamtversorgungsbezüge bzw. der Renten nur in Höhe von 0,5 % vorzunehmen. Dabei habe sich der Vorstand an der Inflationsrate orientiert, die im Juni 2015 bei 0,28 % gelegen habe. Diese habe man im Zeitpunkt der Entscheidung auf 0,5 % geschätzt. Die Betriebsräte seien ausreichend angehört worden und hätten Stellung genommen. Sodann hätten Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam die vertragliche Anpassung um 0,5 % zum 1. Juli 2015 beschlossen.

32

Die Beklagte habe von § 6 Ziff. 3 der Ausführungsbestimmungen Gebrauch machen dürfen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei nicht gegeben. Der Betriebsrat habe keine Regelungskompetenz für Betriebsrentnerinnen und -rentner. Eine Veränderung der Verteilungsgrundsätze sei nicht erfolgt. Arbeitgeber und Betriebsrat hätten sich in der Betriebsvereinbarung vorliegend darauf geeinigt, ob und wie die Leistungen erfolgen sollen, ohne dass der Betriebsrat an den Anpassungsentscheidungen noch einmal beteiligt werden solle. Diese Absprache sei Teil der mitbestimmten Regelung.

33

Der Begriff „vertretbar“ sei so zu verstehen, dass die jährliche gemeinsame Ermessensentscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 6 Ziff. 3 der Ausführungsbestimmungen durch die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt sei. Eine von § 6 Ziff. 1 der Ausführungsbestimmungen negativ abweichende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfordere einen sachlichen Grund, der die Abweichung rechtfertige. Der Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat wirke auf den Zeitpunkt zurück, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert worden seien. Ein sachlicher Grund für die Entscheidung nach § 6 Ziffer. 3 der Ausführungsbestimmungen könne in einem Konzept zur zukunftsfähigen Ausrichtung eines Unternehmens liegen. Erforderlich, aber auch ausreichend sei es, wenn die sachlichen Gründe willkürfrei, nachvollziehbar und anerkennenswert seien. Das Versorgungsniveau für die Betriebsrentnerinnen und -rentner sei überdurchschnittlich hoch. Eine weitere Anpassung von 2,1 Prozent mit Wirkung zum 1. Juli 2015 wäre weitaus höher als eine Anpassung für Versorgungsempfänger in anderen Versorgungswerken bei der Beklagten und im A.-Konzern. Auch dieses ungleiche Verhältnis zu anderen Versorgungsempfängern trage zur sachlichen Begründung der Entscheidung bei.

34

Die Beklagte beantragt:

35

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. November 2016, Az.: 29 Ca 210/16, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

36

Der Kläger beantragt:

37

die Berufung zurückzuweisen.

38

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

39

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe

40

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

41

Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 a) und b) ArbGG statthaft. Sie ist zudem gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit auch im Übrigen zulässig.

II.

42

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet.

43

Die Kammer schließt sich den Entscheidungen der 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg mit Urteil vom 1. Juni 2017 (Az. 7 Sa 102/16) und der 1. Kammer des Landesarbeitsgericht Hamburg mit Urteil vom 13. Juli 2017 (Az. 1 Sa 49/16) im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung an. Im Einzelnen:

44

1. Die Klage ist zulässig.

45

Für den auf Gewährung zukünftiger Leistungen gerichteten Klagantrag zu 1. liegen die Voraussetzungen des § 258 ZPO vor. Wiederkehrende Leistungen, die von keiner Gegenleistung abhängen, können nach § 258 ZPO auch für die Zukunft eingeklagt werden. Betriebsrentenansprüche sind in diesem Sinne von keiner Gegenleistung abhängig.

46

Die Zulässigkeit des Klagantrages zu 2. begegnet keinen Bedenken.

47

2. Beide Klaganträge sind begründet.

48

Der Anspruch des Klägers auf Betriebsrente aus dem BVW hat sich zum 1. Juli 2015 um monatlich € 27,88 brutto erhöht. Die Beklagte hat lediglich eine Erhöhung um € 3,98 brutto monatlich vorgenommen. Demgemäß kann der Kläger die Zahlung einer um € 23,90 brutto monatlich höheren Betriebsrente seit 1. Januar 2016 und die Nachzahlung der in der in der Zeit vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 insoweit aufgelaufenen Rückstände in Höhe von insgesamt € 143,40 brutto nebst Zinsen verlangen.

49

2.1. Der Anspruch auf eine weitere Erhöhung der betrieblichen Versorgungszahlung nach dem BVW um € 27,88 brutto monatlich ergibt sich daraus, dass § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen anordnet, dass die Gesamtversorgungsbezüge entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden. An die Stelle des § 49 AVG sind die Steigerungen der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß §§ 65, 68 SGB VI getreten. Zum 1. Juli 2015 sind diese Renten um 2,0972 % gesteigert worden. Eine entsprechende Steigerung der Gesamtversorgungsbezüge des Klägers, der bis zum 30. Juni 2015 aus dem Pensionsfonds und der Betriebsrente aus dem betrieblichen Versorgungswerk € 1.329,51 monatlich bezog, macht abzüglich der gesteigerten Sozialrente und der unverändert gebliebenen Leistung aus der Versorgungskasse einen Betrag von € 27,88 brutto monatlich aus.

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2.2. Die Steigerung der Gesamtversorgungsbezüge nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen hat die Beklagte nicht durch einen Beschluss nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen ersetzt. Die Voraussetzungen für eine solche Beschlussfassung waren nicht gegeben. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, wäre der Beschluss unwirksam, weil er sich nicht in den ihm inhaltlich gesetzten Grenzen hielte.

51

2.2.1. Die Voraussetzungen für eine Beschlussfassung der Beklagten nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen waren nicht gegeben. Der Vorstand der Beklagten durfte die Erhöhung der Gesamtversorgungsbezüge nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen nicht „nicht für vertretbar“ halten.

52

Tatbestandliche Voraussetzung eines Beschlusses nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen ist, dass der Vorstand eine Erhöhung der Gesamtversorgungsbezüge entsprechend der Entwicklung der gesetzlichen Renten nicht für vertretbar halten durfte. Nur dann kann er gemäß § 6 Ziff. 3 der Ausführungsbestimmungen gemeinsam mit dem Aufsichtsrat eine Abweichung von der automatischen Anpassung der Betriebsrente nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen beschließen. Eine Auslegung der Regelung ergibt, dass für einen Beschluss nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen nicht ausreichend ist, dass der Vorstand eine solche Erhöhung nicht für vertretbar hält. Erforderlich ist vielmehr, dass objektive Gründe dafür vorgelegen haben müssen, dass er die Erhöhung nicht für vertretbar halten durfte. Es kommt demgemäß nicht nur auf die Meinungsbildung des Vorstands an, sondern auch darauf, ob die sachlichen Voraussetzungen für eine solche Meinungsbildung gegeben waren.

53

Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und diese wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG, Urteil vom 8. Dezember 2015, 3 AZR 267/14; juris). Eine Ausnahmeregelung ist grundsätzlich nicht extensiv, sondern eng auszulegen (BAG, Urteil vom 26. März 1997, 10 AZR 751/96; juris). Die Betriebsparteien haben bei Schaffung betrieblicher Regelungen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot zu beachten. Dabei dürfen sie unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden (BAG, Urteil vom 29. September 2010, 3 AZR 557/08; juris).

54

Nach diesen Grundsätzen ist die Regelung des § 6 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen bezüglich der Formulierung „nicht für vertretbar halten“ hinreichend bestimmt und dahingehend auszulegen, dass objektive Gründe dafür vorliegen müssen, dass der Vorstand die Weitergabe der gesetzlichen Rentenerhöhung nicht für vertretbar hält.

55

Die Auslegung der Formulierung „nicht für vertretbar hält“ ergibt, dass ihre Voraussetzungen nur regelmäßig dann gegeben sein können, wenn der Vorstand aufgrund objektiver Umstände davon ausgehen konnte, dass im Rahmen einer Interessenabwägung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit wirtschaftliche Interessen der Beklagten gegenüber den Interessen der Rentnerinnen und Rentner Vorrang haben. Wegen des Ausnahmecharakters von § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen erfordert dieses ein deutlich überwiegendes Interesse der Beklagten.

56

Das Erfordernis einer Interessenabwägung folgt schon daraus, dass etwas nur dann nicht für vertretbar gehalten werden kann, wenn es in eine wertende Abwägung zu einer alternativen Regelung gesetzt wird. Ohne eine Alternative kann es keine Entscheidung über die Vertretbarkeit geben. Damit hängt die Entscheidung, ob etwas für vertretbar gehalten wird, zwangsläufig von dem Ergebnis eines Abwägungsprozesses ab. Der Begriff „für nicht vertretbar halten“ ist gleichbedeutend mit „nicht verantworten können“ (vgl. Duden online unter www.duden.de). Auch ein solches „Nicht-Verantworten-Können“ setzt eine Abwägung zwischen verschiedenen Möglichkeiten voraus. Für die Regelung in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen bedeutet dieses, dass im konkreten Jahr geprüft werden muss, ob von der Grundregel des § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen abgewichen werden darf. Bei einer solchen Interessenabwägung ist insbesondere zu beachten, dass § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen regelmäßig eine Anpassung entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Rente anordnet, also besondere Voraussetzungen dafür vorliegen müssen, dass eine Abweichung erfolgen darf. Wegen dieses Regel-/Ausnahmeverhältnisses ist davon auszugehen, dass die Betriebsparteien dem Vorstand nur dann eine Abweichung von der Regel erlauben wollten, wenn er eine umfassende Würdigung der objektiven Sachlage unter Berücksichtigung der Interessen des Unternehmens und der Betriebsrentnerinnen und -rentner vorgenommen hatte. Da § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen den Grundsatz enthält, dass die Arbeitgeberin regelmäßig die finanziellen Mittel bereit stellt, um eine Anpassung entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Rente zu ermöglichen, verlangt die gegenläufige Entscheidung nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen, dass Gründe vorliegen, die gegen eine solche Finanzierung sprechen. Das können regelmäßig nur Gründe sein, die sich aus der Finanzlage der Beklagten ergeben. Verspricht sie in der Regel die Finanzierung einer bestimmten Erhöhung, bedürfte es zumindest besonderer auf die Beklagte bezogener Umstände, wenn sie sich von ihrem Versprechen ausnahmsweise lösen dürfte, obwohl die Finanzierbarkeit gegeben ist. Regelmäßig bedarf es deshalb besonderer Gründe aus dem Bereich der Finanzierbarkeit, um eine Ausnahmeentscheidung nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen begründen zu können.

57

Für die besondere Bedeutung der Finanzierbarkeit bei der Abwägungsentscheidung spricht auch der Zweck der Regelungen des § 6 Ziffern 1, 3 und 4 der Ausführungsbestimmungen. Die Regel soll nach § 6 Abs. 1 und 4 der Ausführungsbestimmungen sein, dass die Gesamtversorgungszusage sich im parallelen Gleichlauf mit den gesetzlichen Renten entwickelt. Dieses soll ersichtlich eine finanzielle Stellung der Betriebsrentnerinnen und -rentner sichern, bei der sie im Ruhestand immer über die finanziellen Mittel verfügen können, die den Gesamtversorgungsbezügen entsprechen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Betriebsrentnerinnen und -rentner jedenfalls regelmäßig keine andere nennenswerte Möglichkeit mehr haben, ihre Einnahmen zu erhöhen. Dieses spricht dafür, dass ein Eingriff in die von den Betriebsparteien regelmäßig gewünschte Entwicklung der Gesamtversorgungsbezüge parallel zur Entwicklung der gesetzlichen Rente grundsätzlich nur dann möglich sein soll, wenn sie von der Beklagten nicht mehr finanziert werden kann. Wegen der besonderen Abhängigkeit der Betriebsrentnerinnen und -rentner von dem ihnen grundsätzlich zugesagten Versorgungsniveau sind an die Gründe für eine Abweichung von der Regel besondere Anforderungen zu stellen, für die das Vorliegen eines willkürfreien, sachlichen, nachvollziehbaren Grundes nicht ausreicht.

58

Schließlich bedarf es eines besonderen Grundes für die Abweichung von der Anpassungsautomatik auch deshalb, weil die Erhöhung der Gesamtversorgung gemäß der Steigerungsrate der gesetzlichen Renten grundsätzlich zugesagt wurde. Das erfordert, dass ein Eingriff in die Anpassungsautomatik nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes möglich ist. Dafür ist es vorliegend nicht ausreichend, einen irgendwie nachvollziehbaren, willkürfreien, sachlichen Grund für das Abweichen vom Anpassungsgrundsatz genügen zu lassen. Weil es sich um ein von vornherein vorgesehenes einseitiges Recht der Arbeitgeberin handelt, in den gemeinsam aufgestellten Anpassungsgrundsatz im Ausnahmefall eingreifen zu dürfen, sind die Entscheidungsgrenzen eng zu ziehen, um den gemeinsamen Willen der Betriebsparteien, dass regelmäßig die Entwicklung der gesetzlichen Renten maßgeblich sein soll, Geltung verschaffen.

59

Damit ist die Formulierung „nicht für vertretbar hält“ sowohl hinreichend bestimmt als auch mit dem Inhalt versehen, dass jedenfalls regelmäßig nur dann die Voraussetzungen von einer Abweichung von der Regel des § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen gegeben sein werden, wenn der Arbeitgeberin die Möglichkeit zu einer Finanzierung der entsprechenden Erhöhung fehlt oder zu erwarten ist, dass dies in absehbarer Zeit eintreten wird.

60

Nach diesen Grundsätzen lagen keine Gründe dafür vor, dass die Beklagte eine Anpassung nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen nicht für vertretbar halten durfte.

61

Die Beklagte beruft sich für ihre unternehmerische Entscheidung auf ein Konzept, das sie aufgrund der Marktbedingungen und der gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen beschlossen hatte, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, die Gewinne zu sichern bzw. zu steigern und ihr Unternehmen zukunftsfähig auszurichten. Das genügt nicht für die Annahme der Voraussetzungen für eine Abweichung nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte eine Anpassung nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen nicht finanzieren könnte, bestehen nicht. Das Reorganisations- und Umstrukturierungsprogramm für den gesamten Konzern zur Stabilisierung bzw. Steigerung der Gewinne und Stärkung der Marktposition genügt nicht. Wie ausgeführt, darf grundsätzlich von der regelmäßig vorgesehenen Erhöhung der Gesamtversorgung entsprechend der gesetzlichen Rente nur abgewichen werden, wenn dieses für das Unternehmen finanziell nicht vertretbar ist. Das wird von der Beklagten nicht dargelegt. Dass sie aus unternehmerisch möglicherweise nachvollziehbaren Gründen von der Ausnahmeregelung Gebrauch machen möchte, reicht nicht aus. Unternehmerische Gründe müssten nach dem oben Ausgeführten ein solches Gewicht haben, dass sie einer fehlenden Finanzierungsmöglichkeit in etwa gleichstehen könnten. Das ist von der Beklagten für die von ihr angenommenen Gründe nicht dargelegt worden. Ferner ist der Vortrag der Beklagten zu ihren unternehmerischen Gründen nicht genau genug. Soweit sie sich auf veränderte Lebenserwartungen, niedriges Zinsniveau, steigende Kundenanforderungen, vertriebliche Herausforderungen im Branchenumfeld, geringste Überschussbeteiligung in der Versicherungsbranche und Ähnliches beruft, legt sie die sich daraus ergebenden Folgen nicht nachvollziehbar dar. Insbesondere ist nicht erkennbar, welche finanzielle Belastung der Beklagten sich daraus ergeben soll. Zu erwartende Gewinneinbrüche oder gar Verluste sind nicht dargestellt. Gegen eine Gleichstellung dieser Umstände mit einer fehlenden Finanzierbarkeit spricht außerdem, dass die Beklagte sich ausdrücklich nur auf eine zukünftige Neuausrichtung des Konzerns bzw. ihres Unternehmens beruft, zu der die Rentnerinnen und Rentner ihren Beitrag leisten sollten. Welches wirtschaftliche Gewicht diese Neuausrichtung hat, ist aber ebenso wenig erkennbar wie die Bedeutung der Ausnahmeregelung bei der Anpassung im Rahmen dieses Konzepts.

62

Eine Abwägung mit den Interessen der Beklagten ist im Übrigen schon deshalb nicht möglich, weil gar nicht erkennbar ist, welche Bedeutung diese Interessen bei der konzernweiten Entscheidung hatten, von der Erhöhung nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen abzuweichen.

63

2.2.2. Selbst wenn entgegen der vorstehenden Ausführungen die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen gegeben gewesen sein sollten, wäre die vom Vorstand gemeinsam mit dem Aufsichtsrat getroffene Entscheidung unwirksam, weil sie sich nicht in dem insoweit vorgegebenen Rahmen hielte.

64

Gegen die Bestimmtheit der Regelung in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen bestehen keine Bedenken, weil mangels konkretisierender Anhaltspunkte jedenfalls die gesetzliche Bestimmung des § 315 BGB eingreift, nach der die Beklagte nach billigem Ermessen entscheiden muss. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Welche Umstände dies im Einzelnen sind, hängt auch von der Art der Leistungsbestimmung ab, die der Berechtigte zu treffen hat (BAG, Urteil vom 30. August 2016, 3 AZR 272/15; juris).

65

Insoweit ist das Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten unter anderem darauf beschränkt, die gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat aufgestellten Verteilungsgrundsätze zu beachten. Das ist Teil der soeben im Rahmen des billigen Ermessens als beachtlich bezeichneten gesetzlichen Wertentscheidungen. § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen ist nämlich in diesem Sinne gesetzliche Wertentscheidung. Auf ihr beruht letztlich die Ausnahmeregelung in § 6 Ziffer 3. Die Betriebsparteien haben in § 6 Ziffern 1 und 4 in Verbindung mit § 4 der Ausführungsbestimmungen zwei Grundentscheidungen für das betriebliche Versorgungswerk getroffen:

66

- Die betriebliche Altersversorgung sollte sich einheitlich an einer aus dem bisherigen Entgelt entwickelten Höhe ergeben.
- Das Verhältnis der Gesamtversorgungen der Rentnerinnen und Rentner sollte gleichbleiben, weil die Erhöhungen nach § 6 Ziffer 1 auf die Gesamtversorgung geleistet werden sollten.

67

Die einheitliche Orientierung an der Grundversorgung wird auch dadurch deutlich, dass § 1 der Grundbestimmungen zum Betrieblichen Versorgungswerk vorsieht: „Der Zweck des Pensionsergänzungsfonds ist, den anspruchsberechtigten Betriebsangehörigen … eine Pensionsergänzung zu gewähren, sofern und solange die in den Ausführungsbestimmungen näher bezeichneten Leistungen der Sozialversicherung sowie anderer gesetzlicher Versorgungen und die Leistungen der Versorgungskasse zusammen die Gesamtversorgungsbezüge gemäß § 4 der Ausführungsbestimmungen nicht erreichen“.

68

Gegen diese Grundentscheidungen der Betriebsparteien hat die Beklagte mit ihrer Anpassungsentscheidung verstoßen. Durch sie ist nämlich das Verhältnis der Gesamtversorgungen der Rentnerinnen und Rentner entgegen §§ 4 und 6 der Ausführungsbestimmungen verändert worden. Der Anteil, den die Betriebsrente nach dem betrieblichen Versorgungswerk bei den einzelnen Rentnerinnen und Rentnern ausmacht, ist allenfalls zufällig gleich, weil diese Betriebsrente die Differenz zwischen der Summe aus Sozialversicherungsrente und Rente aus dem Pensionsfonds einerseits und der Gesamtversorgung andererseits ausgleicht. Durch die Entscheidung der Beklagten, nur die Rente aus dem betrieblichen Versorgungswerk zu erhöhen, wird das von den Betriebsparteien gewünschte Verhältnis zwischen den Gesamtversorgungen zerstört. Bei Beschäftigten, die eine hohe Ergänzung auf ihre Sozialversicherungsrente und die Rente aus dem Pensionsfonds bezogen, wirkt sich die Erhöhung um 0,5 % auch besonders hoch aus, während Beschäftigte mit einer niedrigen Ergänzungsrente auch nur einen geringen Erhöhungsbetrag erhalten. Im Ergebnis wird damit die von den Betriebsparteien ersichtlich angestrebte Einheitlichkeit des Versorgungsniveaus, die sich an einer Gesamtversorgung orientiert, zerstört. Hohe Ergänzungsrenten führen zu höheren Erhöhungen als niedrige Ergänzungsrenten. Das hat zur Folge, dass sich bezogen auf die von den Betriebsparteien als maßgeblich angesehene Gesamtversorgung das Versorgungsniveau der Rentnerinnen und Rentner untereinander geändert hat. Die von der Beklagten getroffene Entscheidung entspricht damit nicht den Wertentscheidungen des § 1 der Grundbestimmungen sowie der §§ 4, 6 Abs. 1 und 4 der Ausführungsbestimmungen und hält sich damit nicht im Rahmen billigen Ermessens.

69

2.3. Der Anspruch auf Zinsen folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger insofern weniger zugesprochen als ihm zustand.

III.

70

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.

IV.

71

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

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