Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamburg (1. Kammer) - 1 Sa 31/17
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 21. März 2017 (21 Ca 250/16) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer tariflichen Zulage für die Tätigkeit der Schichtleitung.
- 2
Der 52jährige Kläger ist seit 2001 bei der Beklagten und zuvor bei der früheren Betreiberin des Seniorenhauses M. in Hamburg-1 in der Altenpflege beschäftigt, und zwar von 2001 bis 2004 als Pflegehelfer und seit Dezember 2004 als examinierter Altenpfleger. Er wird im Seniorenhaus M. in der Wohngruppe III eingesetzt. Die Beklagte ist aufgrund Zugehörigkeit zum Verband der kirchlichen und diakonischen Anstellungsträger (VDKA) jedenfalls seit 2014 tarifgebunden.
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In dem Wohnbereich, in dem der Kläger tätig ist, gibt es eine Wohnbereichsleitung, nicht aber eine stellvertretende Wohnbereichsleitung. Wegen der Einzelheiten der Stellenbeschreibung des Klägers wird auf die Anlage K 3 zur Klagschrift (Bl. 18 bis 20 d.A.) verwiesen. Dort ist unter anderem vorgesehen, dass der Stelleninhaber die Wohnbereichsleitung als Schichtleitung vertritt.
- 4
Der Kirchliche Tarifvertrag Diakonie (KTD) vom 15. August 2002 in der Fassung vom 4. Mai 2015 sieht in § 14 Folgendes vor:
- 5
„(1) Das Entgelt der Arbeitnehmerin wird nach der Entgeltgruppe und der Entgeltstufe bemessen. Es wird für den Kalendermonat (Entgeltzeitraum) berechnet. Der Entgeltzeitraum beginnt am Ersten des Monats null Uhr und endet am Monatsletzten um 24 Uhr.
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Die Entgeltgruppe ergibt sich aus der Entgeltordnung (Anlage 1 bzw. Anlage 5 Nr. 3 Abs. 1). Die Arbeitnehmerin ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderung eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrere Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Kann die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden, sind diese Arbeitsvorgänge für die Feststellung, ob die Anforderung erfüllt ist, insoweit zusammen zu beurteilen. Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Arbeitnehmerin, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen. Werden in einem Tätigkeitsmerkmal mehrere Anforderungen gestellt, gilt das in Unterabsatz 2 Satz 3 bestimmte Maß, ebenfalls bezogen auf die gesamte auszuübende Tätigkeit, für jede Anforderung. Ist in einem Tätigkeitsmerkmal als Anforderung eine Voraussetzung in der Person der Arbeitnehmerin bestimmt, muss auch diese Anforderung erfüllt sein.
- 7
Die Entgelte in den verschiedenen Entgeltstufen sind in der Anlage 1 a, Anlage 3 Nr. 2 und Anlage 5 Nr. 3 Abs. 2 zu diesem Tarifvertrag festgelegt. Die Entgelte richten sich, mit Ausnahme des Geltungsbereichs der Anlage 5, nach folgenden Stufen:
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Beginn des Beschäftigungsverhältnisses - 1. Entgeltstufe,
nach Vollendung von 3 Jahren Erfahrungszeit - 2. Entgeltstufe,
nach Vollendung von 7 Jahren Erfahrungszeit - 3. Entgeltstufe und
nach Vollendung von 12 Jahren Erfahrungszeit - 4. Entgeltstufe.
- 9
Der Anspruch auf das Entgelt der nächst höheren Entgeltstufe entsteht jeweils mit Beginn des Monats, in dem die Erfahrungszeit der höheren Entgeltstufe vollendet wird. Die Beschäftigungszeit (§ 22) gilt als Erfahrungszeit. Daneben werden durch nachgewiesene einschlägige Berufserfahrung mit der Qualifikation und in der Tätigkeit, die die Entgeltgruppe voraussetzt, in die die Arbeitnehmerin eingruppiert ist, bis zu drei Jahren Berufserfahrung als Erfahrungszeit anerkannt.
- 10
Unabhängig von Unterabsatz 5 kann der Anstellungsträger bei der Einstellung zur Deckung des Personalbedarfs ganz oder teilweise weitere Zeiten in förderlicher Tätigkeit als Erfahrungszeit anerkennen. Ein Rechtsanspruch besteht nicht. Ein späterer Anstellungsträger ist an die Anerkennung nicht gebunden.
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(2) Zeiten, in denen das Beschäftigungsverhältnis ruht (z. B. Elternzeit), bleiben bei der Feststellung der Entgeltstufen unberücksichtigt.
- 12
(3) Die Monatsentgelte sind am letzten Werktag eines jeden Monats (Zahltag) für den laufenden Monat fällig. Für den Fall des Todes der Arbeitnehmerin wird abweichend von Satz 1 das Monatsentgelt am Todestag fällig; Absatz 4 findet in diesem Fall keine Anwendung. Die Zahlung ist auf ein von der Arbeitnehmerin eingerichtetes Girokonto im Inland vorzunehmen.
- 13
(4) Besteht der Anspruch nicht für den vollen Kalendermonat, wird das Entgelt anteilig für den Anspruchszeitraum gezahlt. Im Falle des Todes wird aus diesem Anlass das Monatsentgelt nicht gekürzt. Der auf eine Stunde entfallende Anteil beträgt 1/168,33 des Monatsentgelts.
- 14
(5) Die nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmerin erhält von dem Entgelt, das für die entsprechend vollbeschäftigte Arbeitnehmerin festgelegt ist, den Teil, der dem Maß der mit ihr vereinbarten Arbeitszeit entspricht.
- 15
(6) Wird der Arbeitnehmerin vorübergehend eine andere Tätigkeit übertragen, die den Tätigkeitsmerkmalen einer höheren als ihrer Entgeltgruppe entspricht, und hat sie die Tätigkeit mindestens einen Monat ausgeübt, erhält sie für den Kalendermonat, in dem sie mit der ihr übertragenen Tätigkeit begonnen hat, und für jeden folgenden vollen Kalendermonat dieser Tätigkeit, eine persönliche Zulage in Höhe des Differenzbetrages zwischen den Entgeltgruppen in ihrer Entgeltstufe.“
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In der als Anlage 1 zum KTD gefassten Entgeltordnung zu § 14 heißt es unter dem Punkt „Entgeltgruppe 7“:
- 17
„A) Arbeitnehmerinnen mit einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung von in der Regel mindestens zweieinhalbjähriger Dauer und entsprechender Tätigkeit in einem der nachfolgend abschließend aufgezählten Berufe:
- 18
- Altenpflegerin
- Ergotherapeutin
- Erzieherin/Heilerzieherin mit staatlicher Anerkennung*
- Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung
- Hebamme
- Kaufmannsgehilfin oder Verwaltungsfachangestellte in eigenständiger Sachbearbeiter-oder Assistenzfunktion
- Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin (Kinderkrankenschwester)
- Gesundheits- und Krankenpflegerin (Krankenschwester)
- Logopädin
- Medizinisch-/Pharmazeutisch-technische Assistentin
- Physiotherapeutin
- Diätassistentin
- Facharbeiterin in der Informationstechnik
- Arbeitnehmerin der Entgeltgruppe 6 mit rehapädagogischer Zusatzqualifikation und entsprechender Tätigkeit als Ausbilderin in der beruflichen Bildung (Hierzu Prot. Not. 2)
- Erzieherin/Heilerzieherin mit staatlicher Anerkennung, Altenpflegerin oder Gesundheits- und Krankenpflegerin (Krankenschwester) mit einer erforderlichen Zusatzqualifikation im Umfang von mindestens 350 Stunden (Hierzu Prot. Not. 2)
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B) Arbeitnehmerinnen in folgenden Funktionen:
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- Hauswirtschaftsleitung in einer stationären Einrichtung
(Hierzu Prot. Not. 1 und 2)
- Küchenleitung
- Schichtleitung, stellvertretende Stationsleitung
(Hierzu Prot. Not. 2)
- Leitung in der ambulanten Pflege
(Hierzu Prot. Not. 2)
- Kindertagesstättenleitung
(Hierzu Prot. Not. 2)
- Hauswirtschaftsleitung in einem Krankenhaus mit bis zu 400 Betten
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Protokollnotiz zu Entgeltgruppe 7:
- 22
Eine Arbeitnehmerin mit mindestens umfassenden Fachkenntnissen (E 8), die eine Tätigkeit nach Entgeltgruppe E 7 ausübt, ist nach der Tätigkeit einzugruppieren.“
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Die Protokollnotiz 2 in der Anlage 1 zum KTD lautet:
- 24
„Es wird eine Zulage in Höhe der Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen der entsprechenden Stufe der Entgeltgruppe und der gleichen Stufe der nächsthöheren Entgeltgruppe gezahlt.“
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Die Beklagte vergütete den Kläger nach der Entgeltgruppe 7. Er hielt bis zum 31. Dezember 2015 € 3.037 brutto und seit dem 1. Januar 2016 € 3.119 brutto monatlich. Eine Zulage nach Protokollnotiz 2 wurde nicht gewährt. Die Vergütung der nächsthöheren Entgeltgruppe 8 betrug bis zum 31. Dezember € 3.469 und ab dem 1. Januar 2016 € 3.563 brutto monatlich.
- 26
In den Dienstplänen der Beklagten finden sich die Kürzel F1, S1, N1, F7, S7, B, U, K sowie MAV. Während das Kürzel „B“ für einen Bürotag, das Kürzel „U“ für einen Urlaubstag steht, bedeutet das Kürzel „F1“ Dienst von 6:15 Uhr bis 14:30 Uhr, das Kürzel „F7“ hingegen Dienst von 7 Uhr – 15:15 Uhr, das Kürzel „S1“ Dienst von 13 Uhr – 21:15 Uhr, das Kürzel „S7“ hingegen Dienst von 14 Uhr – 20 Uhr und das Kürzel „N1“ Dienst von 20:45 Uhr – 6:45 Uhr. Der Kläger ist überwiegend zu Diensten eingesetzt, die mit den Kürzeln „F1“, „S1“ oder „N1“ im Dienstplan bezeichnet sind und dann der einzige examinierte Altenpfleger, der im Wohnbereich III eingesetzt ist. Wegen der Einzelheiten der Diensteinteilung des Klägers in der Zeit vom 1. Juni 2015 bis zum 30. April 2016 wird auf das Anlagenkonvolut K 4 zur Klage (Bl. 21 bis 31 d.A.) verwiesen. Während der Tätigkeit des Klägers in den Diensten F1, S1 und N1 war die Wohnbereichsleitung nur dann zeitgleich tätig, wenn sich der K1-Dienst des Klägers und der S1-Dienst der Wohnbereichsleitung von 13.00 bis 14.30 Uhr überschnitten oder die Wohnbereichsleitung im Rahmen von mit „B“ gekennzeichneten Diensten Bürotätigkeiten verrichtete. Sie stand dann nicht als Ansprechpartnerin für externe Dritte oder Pflegekräfte zur Verfügung. Nachtdienste absolvierte die Wohnbereichsleitung nicht.
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Der Kläger hat vorgetragen, dass er anderen Mitarbeitern Tätigkeiten zuweise und Ansprechpartner für Bewohner, Mitarbeiter, Ärzte, Apotheken, Sanitätshäuser sowie Angehörige sei. In Notfällen sei er für die Koordination und Benachrichtigung von Notarzt und Rettungswagen zuständig. Damit über er Schichtleitungstätigkeiten aus. Deshalb stünde ihm eine Zulage nach der Protokollnotiz 2 in Höhe der hälftigen Differenz monatlich zu der nächsthöheren Entgeltgruppe 8 für die Zeit vom Juni 2015 bis Oktober 2016 zu.
- 28
Der Kläger hat beantragt,
- 29
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 1.512,00 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2016 zu zahlen,
- 30
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2016 zu zahlen,
- 31
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2016 zu zahlen,
- 32
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2016 zu zahlen,
- 33
5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2016 zu zahlen,
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6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2016 zu zahlen,
- 35
7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2016 zu zahlen,
- 36
8. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2016 zu zahlen,
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9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2016 zu zahlen,
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10. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2016 zu zahlen,
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11. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 222,- brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2016 zu zahlen.
- 40
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 42
Die Beklagte hat entgegnet, dass der Kläger keine einer Schichtleitung entsprechenden Tätigkeiten ausführe. Eine Zulage nach Protokollnotiz 2 solle allenfalls und allein Arbeitnehmern in Funktion mit einer gewichtigen Leistungsverantwortung zustehen. Aus der Systematik der Entgeltgruppe 7B) ergebe sich, dass für die Berechtigung zum Zulagenbezug eine besondere Position innerhalb der Struktur der jeweiligen Arbeitgeberin bestehen müsse. Die Tätigkeit müsse mit den anderen Beispielen, etwa der Hauswirtschafts-, Küchen-, Kindertagesstätten- oder stellvertretenden Stationsleitung vergleichbar sein. Dies sei hinsichtlich des Klägers, der als Altenpfleger eingesetzt werde, nicht der Fall. Soweit teilweise Schichtleitungstätigkeiten anfielen, machten diese nicht mindestens die Hälfte der geschuldeten Arbeitszeit aus. Ansprechpartner für interne und externe Personen sei der Kläger höchstens für 30 bis 60 Minuten. Die Position einer Schichtleitung existiere in der Organisation der Beklagten nicht.
- 43
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21. März 2017 stattgegeben. Wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf Bl. 96 bis 111 d.A. verwiesen. Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 18. April 2017 zugestellt wurde, hat diese mit Schriftsatz vom 4. Mai 2017, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 5. Mai 2017, Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2017, der beim Landesarbeitsgericht am selben Tage einging, hat die Beklagte die Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 15. Juni 2017 hat das Landesarbeitsgericht die Frist bis zum 19. Juli 2017 verlängert. Die Beklagte hat die Berufung mit Schriftsatz vom 19. Juli 2017, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tage, begründet.
- 44
Die Beklagte hält das Urteil des Arbeitsgerichts für unzutreffend, weil angenommen worden sei, dass der Kläger die Funktion der Schichtleitung wahrnehme. Der Kläger habe keine gegenüber den übrigen Beschäftigten hervorgehobene Stellung mit der Aufgabe der Planung der pflegerischen Arbeitsabläufe inne. Er sei nicht von der Beklagten ermächtigt worden, anderen Beschäftigten Arbeitsaufgaben zuzuteilen. Vielmehr habe der Kläger nach den seit jeher geltenden Regularien zu Organisation und Abläufen im Schichtdienst im Falle der Abwesenheit der Wohnbereichsleitung sowie der stellvertretenden Wohnbereichsleitung für Auskünfte von Externen und Internen als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen gehabt. Ihm sei damit keine zusätzliche Aufgabe mit einer übersteigenden Verantwortlichkeit zugewiesen worden. Vielmehr habe die Einrichtungsleitung nur eine Bestimmung darüber getroffen, wer bei Abwesenheit der Wohnbereichsleitung Ansprechpartner sei. Der Kläger sei weder mit der Planung pflegerischer Arbeitsabläufe befasst noch seien ihm Aufgaben mit Personalverantwortung übertragen worden. Es fehle an einer über die pflegerische Funktion hinausgehenden Aufgabenübertragung. Seine Tätigkeit habe sich exakt darin erschöpft, was er als Altenpfleger nach der Entgeltgruppe 7 A zu leisten gehabt habe. Der Schichtleiter habe im Gegensatz zum Schichtführer die Verantwortung für Anlagen und Geräte, betriebliche Entscheidungen und die fachliche Leitung der in einer Schicht tätigen Beschäftigten. An solchen Befugnissen fehle es beim Kläger. Er habe die im Rahmen einer Tätigkeit als examinierte Pflegekraft im Verhältnis zu den übrigen, nicht examinierten Pflegekräften regelhaft anfallenden Tätigkeiten zu verrichten gehabt. Es habe keine fachlichen Weisungen gegeben, welche über die Anleitung und Beratung geringer qualifizierter Beschäftigter hinausgegangen seien. Der Kläger hätte die von ihm reklamierten Befugnisse außerdem allenfalls in den kurzen Zeiträumen vor Beginn und nach Ende des regulären Dienstes der stellvertretenden Wohnbereichsleitung inne gehabt, insbesondere morgens zwischen 6.00 und 8.00 Uhr. Das mache allenfalls 25 % der Gesamttätigkeit aus. Dem Kläger übergeordnet seien neben der Wohnbereichsleitung seines Wohnbereichs auch die Wohnbereichsleitungen die Wohnbereichsleitungen der beiden anderen Wohnbereiche und die Pflegedienstleitung sowie die Einrichtungsleitung. Diese nähmen während der Dauer der Schichtdiensttätigkeit des Klägers regelmäßig die übergeordneten Befugnisse in organisatorischer und personeller Hinsicht war. Die Stellenbeschreibung bringe nicht eine ständige Stellvertretung der Wohnbereichsleitung durch den Kläger zum Ausdruck, sondern eine reine Abwesenheitsvertretung. Die Wohnbereichsleitung trete regelhaft ihren Dienst um 8.00 Uhr an und beende ihn um 17.00 Uhr. Im Übrigen müsse die Tätigkeit der Schichtleitung mit der der stellvertretenden Stationsleitung korrespondieren, weil diese ebenfalls in der Entgeltgruppe 7 B eingruppiert werde. Diese habe die Verantwortung für eine Einrichtung, einen Teil derselben oder einen abgrenzbaren Aufgabenbereich. Dabei gehe es um die Übertragung der alleinigen Fachaufsicht über das dort tätige Pflegepersonal. Das fehle beim Kläger. Auch die übrigen in der Entgeltgruppe 7 B genannten Regelbeispiele zeichneten sich sämtlich dadurch aus, dass sie Ausdruck einer Delegation der Gesamtverantwortung für den jeweiligen Bereich seien. Die Vorgesetztenstellung über die anderen Beschäftigten sei prägendes und unverzichtbares Charakteristikum der in Entgeltgruppe 7 B genannten Funktionen. Der „stellvertretenden Stationsleitung“ in einem Krankenhaus sei regelmäßig seine Vielzahl von examinierten Pflegekräften zur Anleitung und Führung unterstellt. Das Merkmal „Schichtleitung, stellvertretende Stationsleitung“ hat in der stationären Altenpflege, insbesondere bei der Beklagten keinen Anwendungsbereich.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg (21 Ca 250/16) vom 21. März 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger hält das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend und trägt vor, dass grundsätzlich nur eine examinierte Pflegekraft pro Schicht tätig gewesen sei. Diese habe die anderen, nicht examinierten Pflegekräfte auf die von ihnen zu betreuenden Bewohnergruppen eingeteilt. Ferner sei die examinierte Pflegekraft für die Beantwortung fachlicher Fragen und organisatorischer Fragen und für Notfälle zuständig. In Notfällen sei es Aufgabe des Klägers gewesen, die Erstversorgung bzw. Reanimation zu übernehmen und anzuweisen, welcher Beschäftigter Rettungswagen oder Notarzt herbeiruft.
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Auf den Tatsachenvortrag der Parteien in ihren Schriftsätzen und Anlagen sowie in ihren protokollierten Erklärungen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
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1) Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchstabe b ArbGG statthaft und nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden.
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2) Die Berufung ist unbegründet, weil die Klage zulässig und begründet ist.
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a) Die Klage ist zulässig. Mit ihr verlangt der Kläger hinreichend bestimmte Leistungen, nämlich die Zahlung von Geld. Hinreichend bestimmt sind auch die Zinsanträge, obwohl sich aus ihnen selbst nicht die Höhe des verlangten Zinses ergibt. Durch den Bezug auf den Basiszinssatz ist es möglich, den Zinssatz in ausreichender Weise zu bestimmen. Dieser Satz wird regelmäßig öffentlich bekannt gegeben. Ein Antrag muss nicht möglichst bestimmt, sondern hinreichend bestimmt sein. Dass die Schuldnerin, die die Zinsen durch mangelnde Zahlung veranlasst hat, dadurch mehr belastet wird als durch eine Angabe in Prozentpunkten, ist unerheblich (BAG, Urteil vom 1. Oktober 2002, 9 AZR 215/01, AP Nr. 37 zu § 253 ZPO = EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 157).
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b) Die Klage ist begründet, weil der Kläger für den geltend gemachten Zeitraum die Zahlung der Zuschläge in der geltend gemachten Höhe nebst Zinsen verlangen kann.
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aa) Der Kläger hat Anspruch auf die Zuschläge nach der Protokollnotiz Nr. 2 in der Anlage 1 KTD.
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Der Kläger ist nach dem auf das Arbeitsverhältnis nach übereinstimmender Auffassung anwendbaren KTD nach der Entgeltgruppe 7 B zu vergüten. Er wird in der Funktion „Schichtleitung“ eingesetzt. Der Arbeitnehmer ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Dafür müssen mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderung eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Der Kläger erfüllt die in der Entgeltgruppe 7 B genannte Funktion „Schichtleitung“ in diesem Umfang. Er wird nämlich überwiegend als Schichtleitung tätig.
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Die Funktion der Schichtleitung ist ihm aufgrund der Stellenbeschreibung zugewiesen. Diese sieht ausdrücklich vor, dass der Kläger bei Abwesenheit der Wohnbereichsleitung als Schichtleitung tätig ist. Da für die überwiegende Zeit der Tätigkeit des Klägers keine Wohnbereichsleitung anwesend ist, nimmt er überwiegend die Funktion der Schichtleitung teil und erfüllt damit das Tarifmerkmal. Für die Wahrnehmung der Funktion kommt es nicht darauf an, wie lang der Zeitraum ist, in dem der Kläger Tätigkeiten ausübt, die solche der Schichtleitung sind. Der Tarifvertrag stellt ausdrücklich auf die Wahrnehmung einer Funktion und damit nicht auf die Erfüllung einer konkreten Arbeitsaufgabe ab. Die Funktion der Schichtleitung erfüllt der Kläger auch dann, wenn er keine besonderen einer Schichtleitung zugewiesenen Arbeitsaufgaben wahrnimmt, sondern als Altenpfleger tätig ist. Auch dann bleibt es dabei, dass er in dieser Zeit für die dort tätigen Beschäftigten Schichtleiter ist und im Bedarfsfall für sie sowie Dritte den Ansprechpartner darstellt bzw. in Notfällen Maßnahmen zu treffen hat. Für die Erfüllung einer Funktion ist im Gegensatz zur Verrichtung einer Arbeitsaufgabe nicht erforderlich, dass im gesamten Zeitraum der Funktion entsprechende Arbeitsaufgaben erfüllt werden. Ausreichend ist vielmehr, dass die Funktion wahrgenommen wird, der Arbeitnehmer also im Bedarfsfall die Aufgaben einer Schichtleitung erfüllen kann.
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Für die Erfüllung des Tarifmerkmals „Schichtleitung“ ist nicht erforderlich, dass dem Arbeitnehmer weitere Aufgaben zur ständigen Wahrnehmung übertragen worden sind. Die Beklagte leitet dieses daraus ab, dass der im selben Spiegelstrich in Entgeltgruppe 7 B genannten Funktion „stellvertretende Stationsleitung“ im Krankenhaus üblicherweise bestimmte Aufgaben der Stationsleitung zur ständigen Wahrnehmung übertragen werden. Ob dieses der Fall ist, kann dahingestellt bleiben. Für den Tarifvertrag ist jedenfalls zur Erfüllung der Funktion „stellvertretende Stationsleitung“ nicht erforderlich, dass dieser Daueraufgaben der Stationsleitung zur dauernden Erfüllung übertragen worden sind. Vielmehr reicht für die Erfüllung des Merkmals die reine Abwesenheitsvertretung aus. Das folgt schon daraus, dass eine solche Abwesenheitsvertretung regelmäßig nicht nur bei Krankheit oder Urlaub der Stationsleitung anfällt, sondern aufgrund der Arbeitszeiten regelmäßig und täglich. Die Arbeitszeiten einer Stationsleitung reichen nicht aus, um einen ganzen Tag abzudecken, so dass dementsprechend die stellvertretende Stationsleitung jeden Tag in der Funktion der Stationsleitung tätig werden muss. Es ist dementsprechend nicht erforderlich, dass von ihr weitere Arbeitsaufgaben auf Dauer übertragen worden sind.
- 60
Gibt es das Erfordernis der Übertragung weiterer Arbeitsaufgaben auf Dauer nicht für die Funktion „stellvertretende Stationsleitung“, so lässt sich daraus auch kein entsprechendes Erfordernis für die Funktion „Schichtleitung“ ableiten. Vielmehr gilt für die Schichtleitung aufgrund der abzudeckenden Arbeitszeiten das gleiche wie für die Stationsleitung. Da die Wohnbereichsleitung mit ihren Arbeitszeiten nicht den gesamten Zeitraum abdecken kann, in dem in einer Wohngruppe gearbeitet wird, kommt es nicht nur dann, wenn die Wohnbereichsleitung krank oder in Urlaub ist, zur Wahrnehmung der Schichtleitung durch den Kläger oder seine Kolleginnen und Kollegen mit derselben Stellenbeschreibung. Vielmehr wird der Kläger regelmäßig die Funktion „Schichtleitung“ wahrzunehmen haben, nämlich immer dann, wenn die Wohnbereichsleitung diese Funktion nicht wahrnimmt. Aus diesem Grund lässt sich nicht erkennen, warum die Erfüllung der Funktion „Schichtleitung“ darüber hinaus auch noch erfordern soll, dass originäre Daueraufgaben einer Schichtleitung wahrzunehmen sind.
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Die vom Kläger nach der Stellenbeschreibung wahrzunehmende Schichtleitung erfüllt die in der Entgeltgruppe 7 B vorgesehene Funktion. Es handelt sich nicht um Tätigkeiten, die bereits von den Aufgaben eines examinierten Altenpflegers im Sinne der Entgeltgruppe 7 A abgedeckt sind. Zu diesen gehören nicht originär die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben gegenüber den übrigen Beschäftigten einer Schicht, die Funktion des Ansprechpartners für Dritte und erforderlichenfalls die Gewährleistung eines Notfallmanagements. Vielmehr ist der examinierte Altenpfleger im Gegensatz zu den übrigen Pflegekräften in der Altenpflege in der Lage, qualifiziertere Pflegetätigkeiten zu verrichten. Das hat aber nichts mit den Aufgaben der Schichtleitung zu tun.
- 62
Wegen der Höhe der Ansprüche wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Bl. 13 f seines Urteils vom 21. März 2017 (Bl. 108 f d.A.) verwiesen.
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bb) Die Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288 BGB.
- 64
3) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen.
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Referenzen
- 9 AZR 215/01 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- 21 Ca 250/16 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 1x
- ZPO § 519 Berufungsschrift 1x
- § 4 TVG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 520 Berufungsbegründung 1x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- ZPO § 253 Klageschrift 1x