Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamburg (6. Kammer) - 6 Sa 49/17

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 9. März 2017 – Az. 11 Ca 301/16 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung geringfügig abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin beginnend mit dem 01. August 2016 über den Betrag von € 1.021,65 brutto hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von € 54,91 brutto zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von € 248,71 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtskraft zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

1

Die klagende Partei verlangt eine höhere Anpassung ihrer Betriebsrente für die Jahre 2015 und 2016.

2

Die klagende Partei war bis zum 31. Juli 2006 bei einem Unternehmen des B.-Konzerns tätig, dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Die Beklagte ist als Versicherungsunternehmen in den deutschen A.-Konzern eingebunden. Die klagende Partei bezieht seit dem 1. August 2006 eine Betriebsrente.

3

Die B. errichtete bereits in den 60-ger Jahren eine betriebliche Altersversorgung, die als „Betriebliches Versorgungswerk“ bezeichnet wurde. Die Ansprüche waren (und sind) in einer Gesamtbetriebsvereinbarung geregelt, die sich in Grundbestimmungen, Ausführungsbestimmungen und Übergangsbestimmungen gliedert und für Mitarbeiter gilt, die bis zum 31. März 1985 Mitarbeiter eines B.-Unternehmens wurden.

4

§ 6 der Ausführungsbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerks lautet:

5

„§ 6 Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse

6

1. Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst. (…)

7

2. Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

8

3. Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.

9

Der Beschluss ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.

10

…..“

11

Im Jahr 1985 vereinbarten die Tarifgemeinschaft der B. Unternehmensgruppe und die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen die „Versorgungsordnung vom 01.04.1985 – Tarifvertrag über die betriebliche Versorgungsordnung – 01.04.1985“ (im Folgenden VO 85). Arbeitnehmer, die nach dem 31. März 1985 in ein Unternehmen der B.-Unternehmensgruppe eingetreten sind, haben Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung nach den Regelungen der VO 85. Hierbei sind die Regelungen der VO 85 an die Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerks angelehnt. Gewährt wird u.a. eine Altersrente, die in § 5 Ziff. 1 der VO 85 geregelt ist.

12

In § 1 Ziff. 3 VO 85 ist Folgendes bestimmt:

13

„Auf die Versorgungsleistungen besteht ein Rechtsanspruch.

14

Die B.-Unternehmen behalten sich vor, durch Beschlüsse im Vorstand und Aufsichtsrat die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die bei Erteilung der Zusage maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, daß den B.-Unternehmen die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Beachtung der Belange des Versorgungsberechtigten nicht mehr zugemutet werden kann.“

15

§ 6 der VO 85 „Anpassung der Renten“ lautet:

16

1. „Die Renten werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.

17

2. Die Anpassung der Renten erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

18

3. Die Renten werden angepasst, wenn der Versicherungsfall vor dem 01.12. des Vorjahres eingetreten ist.

19

4. Hält der Vorstand die Veränderung der Renten nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll. Der Beschluss ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.“

20

Hinsichtlich der Einzelheiten der VO 85 wird auf die Anlage K 1 (Bl. 15 ff. d.A.) verwiesen.

21

Der § 49 AVG ist durch Artikel 1 §§ 65 und 68 SGB VI neu gefasst worden. Die Änderung ist am 01.01.1992 in Kraft getreten.

22

Zur Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge ist in § 6 der AusfBest BVW Folgendes geregelt:

23

„§ 6 Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse

24

1. Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst. (…)

25

2. Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

26

3. Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziff. 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.

27

Der Beschluss ersetzt die Anpassung gemäß Ziff. 1.

28

4. Eine Erhöhung der Pensionsergänzungszahlung kann im Einzelfall nicht durchgeführt werden, soweit und solange die nach § 5 Ausfbestg. BVW anzurechnenden Bezüge und die nach § 4 Ausfbestg. BVW vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge, erreichen oder überschreiten.

29

Betriebsangehörige, die eine Pensionsergänzung zu den Leistungen der Versorgungskasse zunächst nicht bekommen haben, weil ihre anzurechnenden Bezüge die vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge erreichen oder überschreiten, erhalten gegebenenfalls bei Veränderung nach der Ziff. 1 oder 3 später eine Pensionsergänzung allein durch das in der Ziff. 1 oder 3 dargestellte Verfahren.“

30

Die klagende Partei gehört zu dem nach der VO 85 berechtigten Personenkreis. Die Beklagte zahlt die Versorgungsleistungen nach der Gesamtbetriebsvereinbarung zum BVW und der VO 85 aufgrund einer entsprechenden arbeitgeberseitigen Zusage jeweils am Monatsersten per Überweisung an die Betriebsrentner.

31

Bis zum 30. Juni 2015 erhielt die klagende Partei monatlich eine Betriebsrente in Höhe von € 1.011,51 brutto. Zum 1. Juli 2015 erhöhten sich die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,09717 %.

32

Nach Anhörung des Gesamtbetriebsrats und der örtlichen Betriebsräte, die mit dem geplanten Vorgehen jeweils nicht einverstanden waren, entschied der Vorstand der Beklagten mit Beschluss vom 26. August 2015, die Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen im Jahr 2015 auf 0,5 % zu reduzieren. Ein inhaltlich entsprechender Beschluss wurde vom Aufsichtsrat am 9. Oktober 2015 gefasst. Auch an die klagende Partei zahlte die Beklagte beginnend mit dem 1. Juli 2015 eine um 0,5 % erhöhte Betriebsrente nach der VO 85 in Höhe von € 1.016,57 brutto.

33

Zum 1. Juli 2016 wurde die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung um 4,24512 % gesteigert. Die Beklagte fasste nach Anhörung der örtlichen Betriebsräte, des Gesamt-und des Konzernbetriebsrats – gegen deren ausdrücklichen Wunsch – durch ihren Vorstand und durch den Aufsichtsrat am 17. Mai 2016 den Beschluss, die Rentenanpassung nach der VO 85 ebenso wie die Anpassungen der BVW-Leistungen zum 1. Juli 2016 nur in Höhe von 0,5 % vorzunehmen, da eine darüberhinausgehende Erhöhung nicht vertretbar sei. Demgemäß zahlte die Beklagte an die klagende Partei beginnend ab dem 1. Juli 2016 eine Betriebsrente nach der VO 85 in Höhe von € 1.021,65 brutto.

34

Mit der am 18. August 2016 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen Klage hat die klagende Partei die Differenz zwischen den bereits gewährten Rentenanpassungen und den nach § 6 Abs. 1 VO 85 zum 1. Juli 2015 und zum 1. Juli 2016 zu gewährenden Rentenanpassungen verlangt.

35

Die klagende Partei hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde für 2015 und 2016 die volle Anpassung der Versorgungsbezüge gemäß § 6 Abs. 1 VO 85. Sie könne sich nicht auf § 6 Abs. 4 VO 85 stützen. Diese Regelung sei unwirksam, da sie sowohl unklar als auch unverhältnismäßig sei. Sie verstoße zudem gegen § 87 Abs. 1 Nrn. 8 und 10 BetrVG. Die Anpassungsentscheidung sei im Übrigen zumindest für 2015 zu spät erfolgt, nämlich erst nach dem Anpassungstermin. Jedenfalls seien die Entscheidungen des Vorstandes und Aufsichtsrates für 2015 und 2016 unbillig. Die klagende Partei habe zumindest aus betrieblicher Übung einen Anspruch auf die begehrte Erhöhung.

36

Die verlangten Differenzbeträge ergäben sich, wenn man die bis zum 30. Juni 2015 gezahlte Rente nach der VO 85 um zum 1. Juli 2015 um 2,0972 % auf € 1.032,72 brutto monatlich und nochmals zum 1. Juli 2016 um weitere 4,25 % auf € 1.076,61brutto monatlich steigere und die von der Beklagten gewährten monatlichen Renten jeweils in Abzug bringe.

37

Die klagende Partei hat beantragt,

38

1. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei beginnend mit dem 01.08.2016 über den Betrag von 1.021,65 € hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 54,96 € brutto zu zahlen;

39

2. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei einen Betrag von 248,76 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 16,15 € seit dem 01.07.2015, 01.08.2015, 01.09.2015, 01.10.2015, 01.11.2015, 01.12.2015, 01.01.2016, 01.02.2016, 01.03.2016, 01.04.2016, 01.05.2016 und 01.06.2016 und auf 54,96 € seit dem 01.07.2016 zu zahlen.

40

Die Beklagte hat beantragt,

41

die Klage abzuweisen.

42

Die Beklagte hat vorgetragen, dass die klagende Partei über die bereits erfolgten Steigerungen der Betriebsrente nach der VO 85 um jeweils 0,5 % hinaus keinen Anspruch auf Erhöhung ihrer Versorgungsbezüge habe.

43

Die jeweiligen Entscheidungen der Beklagten zur Rentenanpassung in den Jahren 2015 und 2016 seien von § 6 Abs. 4 VO 85 gedeckt. Die Regelung sei wirksam, insbesondere nicht zu unbestimmt. Sie sei dahin auszulegen, dass der Vorstand jährlich entscheiden müsse, wie der sogen. Teuerungsausgleich zu erfolgen habe. Halte er eine Anpassung entsprechend der gesetzlichen Rentenerhöhung nicht für vertretbar, müsse er mit dem Aufsichtsrat über einen angemessenen Ausgleich entscheiden und diesen definieren, wobei Vorstand und Aufsichtsrat eine gemeinsame Entscheidung nach billigem Ermessen treffen müssten. Auslegungsbedürftig sei in § 6 Abs. 4 VO 85 der Begriff „vertretbar“. Dieser sei dahin auszulegen, dass die jährlichen gemeinsamen Ermessenentscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat durch die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt seien. Dies bedeute, dass eine von § 6 Abs. 1 VO 85 negativ abweichende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge einen sachlichen Grund voraussetze, der die Abweichung nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beklagten und der betroffenen Betriebsrentner rechtfertige. Ein solcher sachlicher Grund liege den Anpassungsentscheidungen der Beklagten in 2015 und 2016 zugrunde.

44

Hierbei müsse es sich nicht um einen wirtschaftlichen Grund im Sinne des § 16 BetrAVG handeln. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten im Sinne des § 16 Abs. 1 und 4 BetrAVG und die in diesem Zusammenhang vom Bundesarbeitsgericht vorgegebenen Maßstäbe für das rechtmäßige Unterbleiben der gesetzlichen Anpassung seien nicht relevant. In § 6 Abs. 4 VO 85 sei keine Anlehnung an die Vorschrift des § 16 BetrAVG, sondern vielmehr eine zusätzliche Anpassungsmöglichkeit geregelt. Der erforderliche sachliche Grund folge aus dem Programm für die zukunftsfähige Ausrichtung des Unternehmens der Beklagten, dessen wesentlicher Baustein das Konzept „S.“ bilde. Mit diesem Programm sichere der Konzern trotz widriger Rahmenbedingungen seine zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Grundlage des Konzepts sei nicht die wirtschaftliche Lage der Beklagten, sondern deren zukunftsfähige Aufstellung am Markt. Ziel des Konzepts sei u.a. die Einsparung von Personalkosten mit der Folge, dass die aktiven Mitarbeiter einen erheblichen Beitrag zur Stärkung des Konzerns leisten müssten. Daher sei es angemessen, dass auch die Rentner einen Beitrag leisteten. Hinzu komme, dass das Interesse der klagenden Partei im Hinblick auf einen Teuerungsausgleich als eher gering anzusehen sei, da das Versorgungsniveau bei den Versorgungsempfängern nach der VO 85 - im Vergleich zu anderen Versorgungswerken bei der Beklagten und im A.-Konzern - bereits überdurchschnittlich hoch sei.

45

Der gemeinsame Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat sei auch für das Jahr 2015 und 2016 jeweils rechtzeitig und formell ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere hebe der gemeinsame Beschluss der Gremien nicht eine vorherige automatische Anpassung nach § 6 Abs. 1 VO 85 nachträglich wieder auf, sondern ersetze die nach § 6 Abs. 1 VO 85 vorzunehmende Anpassung. Eine automatische Erhöhung der Versorgungsbezüge in Höhe der Erhöhung der gesetzlichen Rente sei in § 6 VO 85 nicht vorgesehen. Vielmehr sei in jedem Fall eine Prüfung und Entscheidung des Vorstands zur Anpassung der Versorgungsbezüge erforderlich.

46

Entgegen der Auffassung der Klägerin sei keine betriebliche Übung entstanden. Durch § 6 Abs. 4 VO 85 habe sich die Beklagte das Recht vorbehalten, die Versorgungsleistungen abweichend anzupassen. Allein mangels bisheriger Anwendung des Ausnahmetatbestandes könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte auf dieses Recht habe verzichten wollen.

47

Selbst wenn die geltend gemachten Ansprüche bestehen sollten, könne ein Anspruch auf Prozesszinsen erst ab Fälligkeit entstehen. Leistungen, die nach billigem Ermessen zu bestimmen seien, würden bei Bestimmung durch das Gericht erst mit Rechtskraft des Gestaltungsurteils nach § 315 Abs. 3 BGB fällig.

48

Mit Urteil vom 16. Februar 2017 hat das Arbeitsgericht der Klage mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Zinsansprüche stattgegeben. Es hat ausgeführt, die klagende Partei könne gemäß § 6 Abs. 1 VO 85 beanspruchen, dass die Anpassung ihrer betrieblichen Gesamtversorgung zum 1. Juli 2015 und zum 1. Juli 2016 jeweils ungekürzt entsprechend der gesetzlichen Anpassung um 2,0972 % bzw. 4,24512 % erfolge. Die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf § 6 Abs. 4 VO 85 berufen. Zwar sei die Regelung wirksam. Doch erwiesen sich die auf die Vorschrift gestützten Anpassungsentscheidungen der Beklagten als unwirksam.

49

Die Beklagte als Versorgungsschuldnerin dürfe nach § 6 Abs. 4 VO 85 nur ausnahmsweise von der von den Betriebsparteien bestimmten planmäßigen Anpassungssystematik abweichen. Hierbei sei ihr in zweierlei Hinsicht eine Ermessensentscheidung eingeräumt: Zum einen dürfe sie entscheiden, ob abgewichen werde. Zum anderen steht es in ihrem Ermessen, wie abgewichen werde. § 6 Abs. 4 VO 85 sei gesetzeskonform und damit geltungserhaltend dahin auszulegen, dass die Leistungsbestimmung durch die Beklagte nach allgemein gültigen Regeln erfolgen müsse, nämlich gemäß § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel nach billigem Ermessen. Hier entspreche die Anpassungsentscheidung der Beklagten jedenfalls deshalb nicht billigem Ermessen, weil die Beklagte ausdrücklich keine quantifizierbaren wirtschaftlichen Umstände vorgetragen, die eine Überprüfung des Anpassungssatzes gerade von 0,5 % erlaubten. Da die Anpassungsentscheidung der Beklagten unbillig sei, sei die Bestimmung gemäß § 315 Abs. 2 BGB durch das Gericht vorzunehmen. Da kein belastbares Zahlenmaterial und keine sonstigen Anhaltspunkte vorgetragen seien, die das Gericht für eine eigene Leistungsbestimmung heranziehen könne, sei diese Bestimmung mit 100 % der planmäßigen Anpassung vorzunehmen.

50

Der Zinsanspruch sei nur zum Teil begründet. Leistungen, die nach billigem Ermessen zu bestimmen seien, würden bei gerichtlicher Bestimmung erst aufgrund eines rechtskräftigen Gestaltungsurteils nach § 315 Abs. 3 BGB fällig. Der klagenden Partei stünden Verzugszinsen daher erst ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen (Bl. 279 ff. d.A.).

51

Das Urteil ist der Beklagten am 21. März 2017 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 20. April 2017 Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. Juni 2017 mit ihrem an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

52

Die Beklagte hält das Urteil des Arbeitsgerichts für fehlerhaft. Sie trägt vor, ihre Entscheidungen zur Rentenanpassung in den Jahren 2015 und 2016 seien von § 6 Abs. 4 VO 85 gedeckt. Die Regelung sei hinreichend bestimmt. Der Begriff „vertretbar“ sei dahingehend auszulegen, dass der Vorstand jährlich mit einer Entscheidung nach billigem Ermessen festlegen müsse, wie der sogenannte Teuerungsausgleich zu erfolgen habe. Diese Ermessensentscheidung sei an den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu messen. Dies bedeute, dass eine von § 6 Abs. 1 VO 85 abweichende Entscheidung sachliche Gründe voraussetze, die geeignet sein müssten, die Anpassungsentscheidung nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beklagten und der betroffenen Betriebsrentner zu rechtfertigten. Bei den sachlichen Gründen müsse es sich nicht um wirtschaftliche Gründe im Sinne des § 16 BetrAVG handeln. Dies habe das Arbeitsgericht verkannt. Ein sachlicher Grund könne auch in einem Programm für die zukunftsfähige Ausrichtung eines Unternehmens liegen. Ein solches Gesamtkonzept für eine zukunftsfähige Ausrichtung des Unternehmens existiere im A.-Konzern und erstrecke sich auch auf die Beklagte. Insoweit sei insbesondere auf das Konzept „S.“ zu verweisen.

53

Die geringeren Rentenanpassungen seien entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ermessensgerecht. Die klagende Partei müsse ebenso wie die übrigen Betriebsrentner und die aktive Belegschaft ihren Beitrag zur Neuausrichtung des Unternehmens leisten. Die von ihr hinzunehmen Einschnitte wögen nur gering. Das Versorgungsniveau bei den Versorgungsempfängern nach der VO 85 sei innerhalb des Konzerns überdurchschnittlich hoch. Bei der Anpassungsentscheidung habe in beiden Jahren ein Teuerungsausgleich stattgefunden. Bereits hierdurch sei die klagende Partei vor einer Aushöhlung ihrer Betriebsrente geschützt. Ein schutzwürdiges Vertrauen der klagenden Partei bestehe nicht, da die Aussetzung der Rentenanpassung in § 6 Abs. 1 und 4 VO 85 angelegt sei.

54

Die streitige Anpassungsentscheidung unterliege keinem Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte. Ein Mitbestimmungsrecht könne gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur bestehen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung fehle. Mit der VO 85 liege aber gerade eine tarifliche Regelung vor.

55

Die Beklagte beantragt,

56

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 9. März 2017, Az.: 11 Ca 301/16 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

57

Die klagende Partei beantragt,

58

die Berufung zurückzuweisen.

59

Die klagende Partei verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und trägt vor, die Regelung unter § 6 Abs. 4 VO 85 sei unwirksam. Dies folge aus der Unbestimmtheit der Norm und damit aus einem Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit. Zudem seien die Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat im Jahr 2015 erst zu einem Zeitpunkt gefasst worden, als der Anspruch der klagenden Partei bereits bestanden habe. Die Beschlüsse hätten den Anspruch nicht rückwirkend entfallen lassen können.

60

Aber auch wenn von einer Auslegungsfähigkeit und damit von der Wirksamkeit der Norm ausgegangen werde, sei die Entscheidung der Beklagten zur Anpassung der Versorgungsbezüge unwirksam. § 6 Abs. 1 VO 85 enthalte eine Anpassungsautomatik. Nur dann, wenn die wirtschaftliche Lage bzw. die Finanzierbarkeit eine Anpassung nach § 6 Abs. 1 VO 85 nicht zulasse, könne die Beklagte eine andere Entscheidung treffen. Sie müsse dann unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage/der Finanzierbarkeit entscheiden, was stattdessen geschehen solle. Vor diesem Hintergrund seien die von der Beklagten angeführten Gründe nicht geeignet, den Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat zu rechtfertigen. Die Beklagte begründe die getroffene Entscheidung letztlich mit einem Interesse an der Gewinnmaximierung. Dies reiche jedoch nicht aus. Die Ausführungen der Beklagten zum „schwierigen Marktumfeld“ erschöpften sich in Allgemeinplätzen und seien nicht einlassungsfähig.

61

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Protokolle sowie den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

62

Die Berufung ist zulässig, aber ganz überwiegend unbegründet.

I.

63

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 64, Abs. 1, 2 lit. b ArbGG statthaft und nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

64

Die zulässige Klage ist mit Ausnahme eines Centbetrags begründet.

65

1. Die Klage ist zulässig.

66

Dies gilt auch für den Klagantrag zu 1, mit dem die klagende Partei wiederkehrende Leistungen für den Zeitraum ab dem 1. August 2016 geltend macht.

67

Bei diesem Antrag handelt sich um eine Klage auf wiederkehrende Leistungen iSd. § 258 ZPO. Bei wiederkehrenden Leistungen, die von keiner Gegenleistung abhängen, können grundsätzlich auch künftig fällig werdende Teilbeträge eingeklagt werden. Im Gegensatz zu § 259 ZPO muss nicht die Besorgnis bestehen, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Dass zwischenzeitlich Teilbeträge fällig geworden sind, steht der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen. Der Eintritt der Fälligkeit führt nicht dazu, dass die klagende Partei verpflichtet ist, die auf wiederkehrende Leistungen gerichtete Klage auf eine Zahlungsklage umzustellen (siehe BAG, Urteil vom 17. Juni 2014, 3 AZR 529/12, juris Rn 20).

68

2. Die Klage ist ganz überwiegend begründet.

69

Das Arbeitsgericht hat der klagenden Partei zu Recht eine höhere Betriebsrente ab dem 1. Juli 2015 und dem 1. Juli 2016 zugesprochen.

70

Der klagenden Partei stehen ab dem 1. Juli 2015 bis zum 30. Juni 2016 über die geleistete Altersversorgung von € 1.016,57 brutto hinaus weitere 16,15 € brutto monatlich, insgesamt für den gesamten Zeitraum also weitere € 193,80 brutto zu. Ab dem 1. Juli 2016 kann die klagende Partei allerdings über die gezahlte Betriebsrente von 1.021,65 € brutto hinaus jeweils zum Ersten eines Monats nur € 54,91 brutto verlangen. Soweit das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, beginnend mit dem 1. August 2016 über den Betrag von 844,91 € hinaus jeweils zum Ersten eines Monats einen Betrag von € 54,96 brutto zu zahlen, war das Urteil auf die Berufung der Beklagten abzuändern.

71

Für den Zeitraum 1. Juli 2015 bis 31. Juli 2016 kann die klagende Partei insgesamt die Zahlung von € 248,71 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtskraft verlangen; soweit das Arbeitsgericht dem Kläger seinem Antrag entsprechend für diesen Zeitraum einen Betrag von € 248,76 brutto zugesprochen hat, war das Urteil auf die Berufung der Beklagten abzuändern.

72

a) Die klagende Partei hat sowohl zum 1. Juli 2015 als auch zum 1. Juli 2016 Anspruch auf eine Erhöhung ihrer Rente nach der VO 85 entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Renten.

73

Die Rente nach der VO 85 der klagenden Partei war demgemäß ab dem 1. Juli 2015 um 2,09717 % auf € 1.032,72 brutto anzuheben. Da die Beklagte der klagenden Partei ab dem 1. Juli 2015 lediglich eine Betriebsrente in Höhe von € 1.016,57 brutto gewährt hat, kann die klagende Partei für die Monate Juli 2015 bis Juni 2016 die monatliche Differenz in Höhe von 16,15 € brutto verlangen.

74

Zum 1. Juli 2016 hat die klagende Partei Anspruch auf eine weitere Anhebung der ihr bis zum 30. Juni 2016 zustehenden Betriebsrente von € 1.032,72 brutto um den Steigerungssatz der gesetzlichen Rente von 4,24512 % auf € 1.076,56 brutto. Da die Beklagte lediglich Rentenzahlungen in Höhe € 1.021,65 brutto erbracht hat, kann die klagende Partei die Differenz in Höhe von € 54,91 brutto monatlich verlangen. Für den gesamten Zeitraum 1. Juli 2015 bis 31. Juli 2016 steht der klagenden Partei der Differenzbetrag zwischen verlangter und gewährter Betriebsrente von € 248,71 brutto zu.

75

b) Die Ansprüche auf die weiteren Erhöhungen der Rente nach der VO 85 ergeben sich aus der Regelung in § 6 Abs. 1 VO 85, die anordnet, dass die Renten entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden. An die Stelle des § 49 AVG sind die Nachfolgereglungen der §§ 65, 68 SGB VI getreten, aus denen sich nunmehr die Steigerungen der gesetzlichen Renten ergeben.

76

c) Die Steigerung der Renten nach § 6 Abs. 1 VO 85 ist weder in 2015 noch in 2016 durch einen Beschluss der Beklagten nach § 6 Abs. 4 VO 85 ersetzt worden.

77

§ 6 Abs. 4 VO 85 ist hinreichend bestimmt und damit wirksam. Der Inhalt der Regelung kann trotz der verwendeten unbestimmten Begriffe durch Auslegung ermittelt werden. Die so festgestellten Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit eine Abweichung von der Anpassungsautomatik des § 6 Abs. 1 VO 85 durch Beschluss zulässig ist, waren bei den abweichenden Anpassungsentscheidungen der Beklagten zum 1. Juli 2015 und zum 1. Juli 2016 nicht erfüllt.

78

aa) Für das Jahr 2015 erscheint schon zweifelhaft, ob der Beschluss gemäß § 6 Abs. 1 VO 85 wirksam nach dem Zeitpunkt der Erhöhung der gesetzlichen Renten zum 1. Juli 2015 getroffen werden konnte.

79

Der Vorstandsbeschluss soll nach der Regelung in § 6 Abs. 4 VO 85 die Anpassung nach § 6 Abs. 1 VO 85 „ersetzen“. Die Regelung sieht nicht vor, dass der Vorstand berechtigt ist, eine im Wege der Anpassungsautomatik nach § 6 Abs. 1 VO 85 bereits eingetretene Erhöhung durch einen Beschluss wieder rückgängig zu machen.

80

bb) Jedenfalls war der Vorstand der Beklagten weder im Jahr 2015 noch im Jahr 2016 berechtigt, die Erhöhung der Betriebsrente entsprechend der Vorgabe in § 6 Abs. 1 VO 85 „nicht für vertretbar“ zu halten.

81

Die von den Tarifparteien in zulässiger Weise vereinbarte tatbestandliche Voraussetzung eines Beschlusses nach § 6 Abs. 4 VO 85 ist, dass der Vorstand eine Erhöhung der Betriebsrenten entsprechend der Entwicklung der gesetzlichen Renten „nicht für vertretbar“ halten durfte. Nur dann kann er gemäß § 6 Abs. 4 VO 85 gemeinsam mit dem Aufsichtsrat eine Abweichung von der automatischen Anpassung der Betriebsrenten nach § 6 Abs. 1 VO 85 beschließen.

82

(1) Die Tarifparteien haben bei Schaffung tarifvertraglicher Regelungen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot zu beachten (BAG, Urteil vom 27. Juni 2006, 3 AZR 196/05, juris). Dies schließt aber nicht aus, dass sie unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Unbestimmte Rechtsbegriffe führen jedenfalls dann nicht zur Unwirksamkeit einer Bestimmung, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften des Regelungswerks, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt. Die Rechtsprechung ist gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (BAG, Urteil vom 19. April 2012, 6 AZR 677/10; juris).

83

Tarifverträge sind wegen ihres normativen Charakters wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (BAG, Urteil vom 13. April 2011, 8 AZR 514/10; juris). Eine Ausnahmeregelung ist grundsätzlich nicht extensiv, sondern eng auszulegen (BAG, Urteil vom 26. März 1997, 10 AZR 751/96; juris).

84

(2) Nach diesen Grundsätzen ist die Regelung des § 6 Abs. 4 VO 85 bezüglich der Formulierung „nicht für vertretbar hält“ hinreichend bestimmt. Sie ist dahingehend auszulegen, dass objektive Gründe dafür vorliegen müssen, dass der Vorstand die Weitergabe der gesetzlichen Rentenerhöhung nicht für vertretbar hält. Es kommt also nicht allein auf die Meinungsbildung des Vorstands an. Vielmehr müssen auch die sachlichen Voraussetzungen für eine solche Meinungsbildung gegeben sein.

85

Dies ist, wie die Auslegung der Formulierung „nicht für vertretbar hält“ ergibt, nur dann der Fall, wenn der Vorstand aufgrund objektiver Umstände davon ausgehen konnte, dass im Rahmen einer Interessenabwägung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit wirtschaftliche Interessen der Beklagten gegenüber den Interessen der Betriebsrentner Vorrang haben. Wegen des Ausnahmecharakters von § 6 Abs. 4 VO 85 erfordert dieses, dass die Interessen der Beklagten deutlich überwiegen.

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Das Erfordernis einer Interessenabwägung folgt schon daraus, dass etwas nur dann nicht für vertretbar gehalten werden kann, wenn es in eine wertende Abwägung zu einer alternativen Regelung gesetzt wird. Ohne eine Alternative kann es keine Entscheidung über die Vertretbarkeit geben. Damit hängt die Entscheidung, ob etwas für vertretbar gehalten wird, zwangsläufig von dem Ergebnis eines Abwägungsprozesses ab. Der Begriff „für nicht vertretbar halten“ ist gleichbedeutend mit „nicht verantworten können“. Auch ein solches „Nicht-Verantworten-Können“ setzt eine Abwägung zwischen verschiedenen Möglichkeiten voraus. Für die Regelung in § 6 Ziff. 4 VO 85 bedeutet dieses, dass im konkreten Jahr geprüft werden muss, ob von der Grundregel des § 6 Abs. 1 VO 85 abgewichen werden darf. Bei einer solchen Interessenabwägung ist insbesondere zu beachten, dass § 6 Abs. 1 VO 85 regelmäßig eine Anpassung entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Rente anordnet. Diese Anpassung erfolgt automatisch, also ohne eine ausdrückliche Beschlussfassung des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten. Eines solchen Beschlusses bedarf es nur, wenn von der vorgesehenen Erhöhung abgewichen werden soll. In diesem Fall müssen also besondere Voraussetzungen dafür vorliegen, die eine Abweichung rechtfertigen. Wegen dieses Regel-/Ausnahme-Verhältnisses ist davon auszugehen, dass die Tarifparteien dem Vorstand nur dann eine Abweichung von der Regel erlauben wollten, wenn er eine umfassende Würdigung der objektiven Sachlage unter Berücksichtigung der Interessen des Unternehmens und der Betriebsrentner vorgenommen hat.

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Da § 6 Abs. 1 VO 85 den Grundsatz enthält, dass die Arbeitgeberin regelmäßig die finanziellen Mittel bereitstellt, um eine Anpassung entsprechend der gesetzlichen Rente zu ermöglichen, verlangt die gegenläufige Entscheidung nach § 6 Abs. 4 VO 85, dass Gründe vorliegen, die gegen eine solche Mittelbereitstellung sprechen. Das können regelmäßig nur Gründe sein, die sich aus der Finanzlage der Beklagten ergeben. Verspricht die Beklagte in der Regel die Finanzierung einer bestimmten Erhöhung, bedarf es besonderer auf die finanzielle Situation der Beklagten bezogener Umstände, damit sie sich von ihrem Versprechen ausnahmsweise lösen darf.

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Für die besondere Bedeutung der Finanzierbarkeit bei der Abwägungsentscheidung spricht auch der Zweck der Regelungen in § 6 Abs. 1 und Abs. 4 VO 85. Die Regel soll nach § 6 Abs. 1 VO 85 sein, dass die Renten sich im parallelen Gleichlauf mit den gesetzlichen Renten entwickeln. Diese Anpassung erfolgt automatisch, also ohne dass es eines Vorstandsbeschlusses oder eines Beschlusses des Aufsichtsrats bedarf. Hierdurch soll ersichtlich eine finanzielle Stellung der Betriebsrentner gesichert werden, bei der sie im Ruhestand immer über finanzielle Mittel verfügen können, die dem Niveau der Rente bei Renteneintritt entsprechen. Auf diese Weise soll ihr Lebensstandard erhalten und Betriebsrenten vor Auszehrung geschützt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Betriebsrentner jedenfalls regelmäßig keine andere nennenswerte Möglichkeit mehr haben, ihre Einnahmen zu erhöhen. Dieses spricht dafür, dass ein Eingriff in die von den Tarifparteien regelmäßig gewünschte Rentenentwicklung grundsätzlich nur dann möglich sein soll, wenn sie von der Beklagten nicht mehr finanziert werden kann. Wegen der besonderen Abhängigkeit der Betriebsrentner von dem ihnen grundsätzlich zugesagten Versorgungsniveau sind an die Gründe für eine Abweichung von der Regel besondere Anforderungen zu stellen, für die das Vorliegen eines willkürfreien, sachlichen, nachvollziehbaren Grundes nicht ausreicht.

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Schließlich bedarf es eines besonderen Grundes für die Abweichung von der Anpassungsautomatik auch deshalb, weil es um ein Abweichen von der grundsätzlich zugesagten Erhöhung der Gesamtversorgung gemäß der Steigerungsrate der gesetzlichen Renten geht. Das erfordert, dass ein Eingriff in die Anpassungsautomatik nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes möglich ist. Dafür ist es vorliegend nicht ausreichend, einen irgendwie nachvollziehbaren, willkürfreien, sachlichen Grund für das Abweichen vom Anpassungsgrundsatz genügen zu lassen. Weil es sich um ein von vornherein vorgesehenes einseitiges Recht der Arbeitgeberin handelt, in den gemeinsam aufgestellten Anpassungsgrundsatz im Ausnahmefall eingreifen zu dürfen, sind die Entscheidungsgrenzen eng zu ziehen, um den gemeinsamen Willen der Tarifparteien, dass regelmäßig die Entwicklung der gesetzlichen Renten maßgeblich sein soll, Geltung verschaffen.

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Damit ist die Formulierung „nicht für vertretbar hält“ sowohl hinreichend bestimmt als auch mit dem Inhalt versehen, dass jedenfalls regelmäßig nur dann die Voraussetzungen von einer Abweichung von der Regel des § 6 Abs. 1 VO 85 gegeben sein werden, wenn der Arbeitgeberin die Möglichkeit zu einer Finanzierung der entsprechenden Erhöhung fehlt.

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(3) Nach diesen Grundsätzen lagen keine Gründe dafür vor, dass die Beklagte eine Anpassung nach § 6 Abs. 1 VO 85 für nicht vertretbar halten durfte.

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Die Beklagte beruft sich für ihre unternehmerische Entscheidung auf ein Konzept, das sie aufgrund der Marktbedingungen und gesetzlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen beschlossen hat, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, die Gewinne zu sichern bzw. zu steigern und ihr Unternehmen zukunftsfähig auszurichten. Das genügt nicht, um die Voraussetzungen für eine Abweichung nach § 6 Abs. 4 VO 85 zu erfüllen.

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Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte eine Anpassung nach § 6 Abs. 1 VO 85 ab dem 1. Juli 2015 oder dem 1. Juli 2016 nicht finanzieren könnte, bestehen nicht. Das Reorganisations- und Umstrukturierungsprogramm für den gesamten Konzern zur Stabilisierung bzw. Steigerung der Gewinne und Stärkung der Marktposition genügt nicht, um zu rechtfertigen, dass Mittel in geringerem Umfang als mit § 6 Abs. 1 VO 85 vereinbart für die Betriebsrentner zur Verfügung gestellt werden. Wie ausgeführt, darf grundsätzlich von der regelmäßig vorgesehenen Erhöhung der Gesamtversorgung entsprechend der gesetzlichen Rente nur abgewichen werden, wenn dieses für das Unternehmen finanziell nicht vertretbar ist. Dies wird von der Beklagten nicht dargelegt. Sie hat weder dargelegt, dass sie nicht über die finanziellen Mittel verfügt hat, um die vereinbarte Rentensteigerung weiterzugeben, noch hat sie einer fehlenden Finanzierungsmöglichkeit gleichstehende unternehmerische Gründe behauptet, die das Interesse der Betriebsrentner an der ihnen für den Regelfall versprochenen Erhöhung ihrer Betriebsrenten überwiegen würden.

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Die Zielsetzung der Stabilisierung bzw. Steigerung der Gewinne und der Stärkung der Marktposition kann für sich genommen nicht geeignet sein, den Eingriff in die Anpassungsautomatik der Betriebsrenten zu begründen. Denn diese Zielsetzung ist jeder unternehmerischen Tätigkeit immanent. Sie bestand daher auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags, ohne dass dies die Tarifparteien daran gehindert hat, in § 6 Abs. 1 VO 85 eine regelmäßige Anpassung der Betriebsrenten entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Rente festzulegen. Konkrete Tatsachen, aus denen sich Gründe für eine fehlende Finanzierbarkeit der Anpassungsautomatik ergäben, hat die Beklagte nicht dargelegt. Ihr Vortrag zu den unternehmerischen Rahmenbedingungen ihrer Entscheidung (veränderte Lebenserwartungen, niedriges Zinsniveau, steigende Kundenanforderungen, vertriebliche Herausforderungen im Branchenumfeld, geringste Überschussbeteiligung in der Versicherungsbranche…) bleibt pauschal und unpräzise. Hinzuweisen ist zudem darauf, dass eine Abwägung der Interessen der Betriebsrentner mit den Interessen der Beklagten auch deshalb nicht möglich ist, weil gar nicht erkennbar ist, welche Bedeutung die Interessen gerade der Beklagten bei der konzernweit getroffenen Entscheidung gehabt haben, von der Erhöhung nach § 6 Abs. 1 VO 85 abzuweichen.

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d) Da schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine abweichende Anpassungsentscheidung nach § 6 Abs. 4 VO 85 nicht erfüllt sind, kann dahinstehen, ob die Entscheidung auf der Rechtfolgenseite des § 6 Abs. 4 VO 85, die vorsieht, dass der Vorstand vorschlagen (und mit dem Aufsichtsrat entscheiden) darf, „was geschehen soll“, billigem Ermessen iSd. § 315 BGB entspricht.

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e) Die der klagenden Partei aufgrund des Eingreifens der Anpassungsautomatik aus § 6 Abs. 1 VO 85 für den Zeitraum 1. Juli 2015 bis 31. Juli 2016 zustehenden Erhöhungsbeträge von insgesamt € 248,71 brutto sind ab Rechtskraft der Entscheidung in gesetzlicher Höhe zu verzinsen, da sie jedenfalls zu diesem Zeitpunkt fällig sind. Die in der ersten Instanz geltend gemachten weitergehenden Zinsanträge sind in der Berufungsinstanz nicht zur Entscheidung angefallen, da die klagende Partei die insoweit abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht angegriffen hat.

III.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

98

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.

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