Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Kammer) - 2 Sa 26/17

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Beklagte beschränkt auf einen Teilbetrag in Höhe von 464,10 € brutto bezogen auf den Monat Januar 2013 zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien hatten im Rahmen einer Zahlungsklage im laufenden Arbeitsverhältnis um die Frage gestritten, ob die Entgeltregelungen aus dem DRK-Reformtarifvertrag (DRK-ReformTV) auf ihr Arbeitsverhältnis kraft einer arbeitsvertraglichen Verweisungsregelung Anwendung finden. Im Berufungsrechtszug streiten sie noch um die Frage, welche Elemente der tatsächlichen monatlichen Entgeltzahlungen auf den Anspruch auf Tarifentgelt nach dem DRK-ReformTV anzurechnen sind. Bezüglich des Monats Januar 2013 streiten die Parteien außerdem um die Frage, ob der mögliche klägerische Anspruch schon wegen Eingreifens von Ausschlussfristen untergegangen ist.

2

Die Klägerin, die aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf eine Betriebszugehörigkeit seit 1976 zurückblicken kann, ist im Krankenhaus in A-Stadt beschäftigt, zuletzt und bereits seit vielen Jahren als Anästhesie-Schwester. Nach der Landesgründung 1990 wurde das Krankenhaus zunächst als Kreiskrankenhaus geführt. Später ist es auf den Landesverband des Deutschen Roten Kreuzes e.V. übertragen worden. Der Landesverband hat sodann das Krankenhaus im Jahre 1999 in eine eigens dafür gegründete GmbH, die hiesige Beklagte, überführt.

3

Der heute noch maßgebliche Arbeitsvertrag der Parteien vom 22. Juni 2000 lautet auszugsweise wörtlich (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gelangte Kopie des Dokuments, hier Blatt 8 ff, Bezug genommen):

4

"§ 3 Vergütung

1.

5

Die Mitarbeiterin wird in die Vergütungsgruppe 06 Stufe 9 eingestuft.

2.

6

Die Vergütung erfolgt entsprechend dem Tarifvertrag Ost über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes.

7

§ 4 Sonstige Regelungen

1.

8

Sofern in diesem Änderungsvertrag nichts Abweichendes geregelt ist, gelten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des Deutschen Roten Kreuzes (DRK-Arbeitsbedingungen) in ihrer jeweils gültigen Fassung.

2.

9

Regelungen des bisherigen Arbeitsvertrages, die vom Inhalt dieser Änderung nicht berührt werden, bleiben unverändert bestehen."

10

Die Beklagte hat über viele Jahre hinweg ihre Arbeitnehmer nach den Vergütungstabellen des DRK-Tarifvertrages vergütet. Spätestens seit der Einführung des DRK-ReformTV, möglicherweise schon einige Zeit früher, hat die Beklagte die dynamische Entwicklung der Vergütungen eingefroren. Davon war auch die Klägerin betroffen. Sie hat in dem hier streitbefangenen Zeitraum (dem Jahre 2013), wenn man nur auf die gleichbleibenden Elemente der Lohnabrechnungen schaut, stets eine Vergütung erhalten in Höhe von monatlich 2.831,01 Euro brutto. Laut den erteilten Lohnabrechnungen setzt sich dieser Betrag zusammen aus der Grundvergütung (1.732,48 Euro brutto), aus dem Ortszuschlag (495,45 Euro brutto), aus einer Tarifzulage (92,57 Euro brutto), aus einer Gehaltsanpassung (46,41 Euro brutto) und aus einem Entgeltelement, das in den Abrechnungen als Anästhesie optional ausgewiesen ist und gleichbleibend 464,10 Euro brutto betragen hat.

11

Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts ist im Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der vertraglichen Verweisungsklausel in Entgeltfragen der DRK-Tarifvertrag dynamisch anzuwenden. Diese Feststellung wird von der Beklagten im Berufungsrechtszug ausdrücklich nicht mehr in Frage gestellt. Danach hatte die Klägerin im Streitzeitraum 2013 Anspruch auf Tabellenentgelt in Höhe 3.088,31 Euro brutto monatlich. Auch diese Feststellung des Arbeitsgerichts wird im Berufungsrechtszug nicht mehr angegriffen.

12

Die Beklagte möchte das gesamte monatliche Entgelt der Klägerin – mit Ausnahme der unstetigen Entgeltbestandteile – auf diesen Entgeltanspruch anrechnen (2.831,01 Euro brutto), während die Klägerin meint, es könnten lediglich 2.366,91 Euro brutto auf das ihr zustehende Tarifentgelt angerechnet werden. Die verbleibende Differenz in Höhe von monatlich 464,10 Euro brutto bildet den Kern des Streits im Berufungsrechtszug. Dabei streiten die Parteien um die Frage, zu welchem Zweck die Beklagte den Entgeltbestandteil, der in den Lohnabrechnungen als "Anästhesie optional" bezeichnet ist und der jeweils einen Betrag in Höhe von 464,10 Euro brutto umfasst, zahlt.

13

Unstreitig sind in diesem Zusammenhang folgende Umstände.

14

Das beklagte Krankenhaus verfügt selbst noch über Rettungsfahrzeuge, mit denen es an dem Rettungsdienst des Landkreises teilnimmt. Organisatorisch wird das dadurch abgesichert, dass die sechs im Krankenhaus beschäftigten Anästhesieschwestern, zu denen auch die Klägerin gehört, nach ihrem regulären Dienst im Krankenhaus und an den Wochenenden im Rahmen von Bereitschaftsdiensten bzw. im Rahmen von Rufbereitschaft als Rettungsassistenten und Rettungssanitäter auf den Fahrzeugen eingesetzt werden.

15

Auch die Klägerin wird auf diese Weise außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit auch als Rettungsassistentin eingesetzt. Sie erbringt über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus sowohl Bereitschaftszeiten als auch Rufdienste. Sie ist durchschnittlich vier- bis fünfmal im Monat in sogenannten 24-Stunden-Schichten eingesetzt. In diesen Schichten arbeitet sie 8 Stunden als Anästhesie-Schwester (jeweils in der Zeit von 7.15 Uhr bis 15.45 Uhr) sowie in der übrigen Zeit im Rettungsdienst der Beklagten. Einzelheiten zum Dienst am Wochenende sind nicht mitgeteilt.

16

Bis einschließlich September 2006 wurden diese Zeiten protokolliert und die daran beteiligten Arbeitnehmerinnen erhielten für ihre Warte- und Einsatzzeiten dementsprechend zusätzliche Vergütung in monatlich wechselnder Höhe. Seit Oktober 2006 wurde die Abrechnungspraxis auf eine konstante monatliche Pauschalzahlung für die Tätigkeit im Rettungsdienst umgestellt. Dazu haben die Parteien unter dem 1. Oktober 2006 einen "Änderungsvertrag" abgeschlossen, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage K 7 (hier Blatt 104) Bezug genommen wird. Punkt 3 dieser Vereinbarung lautet wörtlich:

17

"Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft wird mit einer Pauschale abgegolten. Die Berechnung erfolgt auf der Basis des ersten Halbjahres 2006 und wird bei Tarifentwicklung angepasst."

18

Diese Praxis hat die Beklagte während des laufenden Rechtsstreits aufgegeben. Seit Februar 2015 taucht der Entgeltbestandteil Anästhesie optional in den Abrechnungen nicht mehr auf. Stattdessen finden sich in den Abrechnungen nunmehr die Posten Rufbereitschaft12 und Aktivstunden RB GV in monatlich wechselnder Höhe. Nach den vorliegenden Dezemberabrechnungen für 2015 und 2016 (Anlagen BB1 zur Berufungserwiderung, hier Blatt 249 f) hat die Klägerin im Jahre 2015 rund 2.120,00 Euro brutto für Rufbereitschaft12 verdient sowie zusätzlich rund 1.700,00 Euro brutto für Aktivstunden. Die Werte für 2016 belaufen sich auf rund 2.040,00 Euro und abermals 1.700,00 Euro.

19

Außerdem streiten die Parteien um die Frage, ob die Klägerin ihre Entgeltdifferenzansprüche für den Monat Januar 2013, die ihr vom Arbeitsgericht zugesprochen wurden, überhaupt eingeklagt hat. Hilfsweise beruft sich die Beklagte insoweit auf das Eingreifen von Ausschlussfristen. Dazu sind folgende Umstände unstreitig.

20

Die Klägerin hat ihre Ansprüche erstmals außergerichtlich geltend gemacht mit Schreiben vom 8. August 2013 (Anlage BK 2, hier Blatt 228). Dort werden monatliche Differenzlohnansprüche beginnend mit Februar 2013 geltend gemacht. In der Klage aus Oktober 2013 finden sich keine Angaben dazu, für welchen Zeitraum die geforderte Zahlung erfolgen soll. Der Rechtsstreit wurde dann bis zu der Entscheidung des BAG vom 9. Dezember 2015 (4 AZR 595/13 – unveröffentlicht), die in einem parallel gelagerten Rechtsstreit ergangen war, ausgesetzt. Diese Aussetzung war begleitet von einem Verzicht der Beklagten auf die Einrede des Eingreifens von Ausschlussfristen mit Schreiben vom 2. Oktober 2014 (Kopie hier Blatt 89, es wird Bezug genommen). Nach dem Wiederaufgreifen des Rechtsstreits hatte die Klägerin zunächst mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2016 neue – erhöhte – Anträge angekündigt (hier Blatt 79 ff). Ausweislich der dortigen Erläuterung des Zahlenwerks bezieht sich die Zahlungsklage nach wie vor auf die Monate Februar bis Dezember 2013 (Seite 4 des Schriftsatzes etwas unterhalb der Mitte). Die Anträge wurden sodann mit Schriftsatz vom 22. November 2016 (hier Blatt 101 ff) nochmals verändert. Über die Anträge aus diesem Schriftsatz hat das Arbeitsgericht mit seinem Urteil zu Gunsten der Klägerin entschieden. Obwohl es in dem Schriftsatz einleitend heißt, die Klage werde teilweise zurückgenommen, enthält dieser Schriftsatz ausweislich der dortigen Erläuterung des Streitgegenstandes (Seite 2 unter Punkt 2) eine nicht ausdrücklich hervorgehobene Klageerweiterung. Denn hier wird erstmals die beanspruchte Entgeltdifferenz auf alle "12 Monate" des Jahres 2013 bezogen und entsprechend der Höhe nach auch so berechnet.

21

Zuletzt hatte die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 8.656,80 Euro brutto (12 x 721, 40 Euro brutto – Klageantrag zu 1) sowie zur Zahlung von 592,13 Euro brutto (Klageantrag zu 2 – Vergütungsdifferenz bezüglich der jährlichen Sonderzahlung) zu verurteilen.

22

Das Arbeitsgericht Schwerin hat der Klage mit Urteil vom 5. Januar 2017 (6 Ca 753/16) vollständig entsprochen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

23

Die rechtzeitig eingelegte und fristgemäß begründete Berufung hat die Beklagte beschränkt auf den Urteilstenor zu 1 und dort auf die zugesprochene Entgeltdifferenz für Januar 2013 in Höhe von 721,40 Euro brutto sowie für die übrigen Monate auf jeweils 464,10 Euro brutto wegen der streitigen Verrechnung des Entgeltbestandteils Anästhesie optional.

24

Die Beklagte trägt vor, bei der Zulage Anästhesie optional in Höhe von monatlich 464,10 Euro brutto handele es sich um eine einseitige freiwillige Zulage, die die Beklagte an die Klägerin gezahlt habe. Damit sei auch diese Zahlung ein Teil des Entgelts, das die Beklagte für die Arbeitsleistung der Klägerin gezahlt habe. Daher müsse auch dieser Zahlbetrag auf das der Klägerin zustehende Tarifentgelt nach dem DRK-Reformtarifvertrag angerechnet werden.

25

Bezüglich der Entgeltdifferenz für Januar 2013 habe das Arbeitsgericht entgegen § 308 ZPO der Klägerin etwas zugesprochen, was diese gar nicht beantragt habe. Unabhängig davon sei die Forderung jedenfalls nach § 37 DRK-ReformTV oder der entsprechenden Regelung nach den DRK-Arbeitsbedingungen verfallen. Die Forderung sei außergerichtlich nicht geltend gemacht worden und sie sei auch nicht Bestandteil der Klage gewesen. Deshalb könne sich auch der erklärte Verzicht auf das Eingreifen von Ausschlussfristen nicht auf Forderungen beziehen, die bei Erklärung des Verzichts schon lange fällig waren aber bis dahin noch nie geltend gemacht wurden.

26

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

27

das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 5. Januar 2017 (6 Ca 753/16) teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte dort im Urteilstenor zu 1 zur Zahlung von mehr als 2.830,30 Euro brutto verurteilt wurde.

28

Die Klägerin beantragt,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Die Klägerin sieht keinen Verstoß des Arbeitsgerichts gegen § 308 ZPO. Das Arbeitsgericht habe über die zuletzt mit Schriftsatz vom 22. November 2016 angekündigten Anträge entschieden und diese hätten sich auf alle 12 Monate des Jahres 2013 bezogen und damit auch auf den Januar 2013. Das sei zwar eine Klageerweiterung, diese wäre jedoch prozessual zulässig gewesen. Auf das Eingreifen von Ausschlussfristen könne sich die Beklagte nicht berufen.

31

Die Zahlung von monatlich 424,10 Euro brutto als Anästhesie optional könne nicht als Teilerfüllung auf die Klageforderung verrechnet werden, da die Beklagte damit eine Zusatzleistung der Klägerin vergütet habe, die über die Normalleistung, für die das Tarifentgelt gezahlt wird, hinausgeht. Diese klägerische Zusatzleistung ergebe sich aus ihrer Beteiligung am Rettungsdienst. Diese Arbeitsleistung habe sie zusätzlich zu ihrer 40-Stunden-Woche für die Beklagte erbracht. Sie sei daher gesondert zu vergüten. Die dafür geleistete Vergütung könne nicht auf das Tarifentgelt angerechnet werden, das ihr vollständig für ihre Tätigkeit als Anästhesieschwester zustehe.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages im Berufungsrechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die lediglich teilweise eingelegte Berufung ist nicht begründet.

I.

34

Die Klägerin muss sich nicht die monatlich bezogenen 464,10 Euro brutto auf den Anspruch auf Tarifentgelt anrechnen lassen, da sie diesen Entgeltbestandteil für die zusätzlichen Leistungen im Rettungsdienst erhalten hat, die sie über ihre Vollzeittätigkeit als Anästhesieschwester zusätzlich erbracht hat.

35

Das Arbeitsgericht hat eine Anrechnung auf den Tariflohnanspruch abgelehnt, weil die Beklagte nicht dargelegt habe, dass sie insoweit zur Verrechnung berechtigt sei. Nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts im Berufungsrechtszug ist nunmehr die weitergehende Feststellung erlaubt, dass eine Verrechnung nicht möglich ist, da mit den monatlichen 464,10 Euro brutto eine Leistung vergütet wurde, die die Klägerin zusätzlich zu ihrer 40-Stunden-Woche als Anästhesieschwester erbracht hat.

1.

36

Die Beklagte hat das Entgeltelement Anästhesie optional für die zusätzlichen Tätigkeiten der Klägerin im Rettungsdienst bezahlt.

37

Das ergibt sich mit hinreichender Sicherheit bereits daraus, dass die unregelmäßigen Zahlungen auf diese Leistungen ab Oktober 2006 weggefallen waren und stattdessen seit diesem Zeitpunkt das hier streitige Entgeltelement gezahlt wird. Und umgekehrt ist die Zahlung der Zulage zu dem Zeitpunkt eingestellt worden, ab dem die Tätigkeiten der Klägerin im Rettungsdienst wieder spitz abgerechnet wurden (Rufbereitschaft und Aktivstunden seit Februar 2015). Ergänzend stellt das Gericht auf den Änderungsvertrag der Parteien aus Oktober 2006 ab, ausweislich dessen Inhalt die Tätigkeit im Rettungsdienst zukünftig pauschaliert abgerechnet werden sollte.

38

Auch wenn die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung ihre Behauptung aufrechterhalten hat, dass das streitige Entgeltelement lediglich eine freiwillige Zulage auf das vereinbarte Entgelt sein soll, kann diese Behauptung durch die aufgeführten Indizien als widerlegt angesehen werden. Leistung und Gegenleistung als sich gegenüberstehende Elemente einer Vereinbarung, die neben dem Arbeitsvertrag steht, sind klar erkennbar.

2.

39

Das Berufungsgericht muss auch davon ausgehen, dass die Vereinbarung zur Teilnahme am Rettungsdienst vollständig außerhalb des Vollzeitarbeitsverhältnisses der Parteien getroffen wurde, so dass auch eine teilweise Verrechnung des streitigen Entgeltelements in Höhe von monatlich 464,10 Euro brutto auf das Tarifentgelt der Klägerin nicht in Betracht kommt.

40

Die Beklagte hat immer wieder betont, dass auch mit dem streitigen Entgeltelement lediglich die tariflich geschuldete Normalleistung der Klägerin vergütet wurde. Dies kann aufgrund der obigen Feststellungen zum Sinnzusammenhang dieses Entgeltelements als widerlegt angesehen werden. Gleichwohl ist es selbstverständlich denkbar, dass die Leistungen der Klägerin im Rahmen des Rettungsdienstes nach dem Verständnis der Parteien noch mehr Wert waren, als das hier streitige Entgeltelement, und man dies dadurch zum Ausgleich gebracht hatte, dass die Klägerin nicht mehr 40 Stunden in der Woche als Anästhesieschwester eingesetzt wird, sondern nur noch mit einem Abschlag von dem tariflichen Maß für die normale Arbeitsleistung.

41

Da keine der beiden Parteien dazu vorbereitend vorgetragen hat und auch keine Dienstpläne eingereicht wurden, ist vom Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Frage aufgeworfen worden, in welchem Umfang die Klägerin als Anästhesieschwester eingesetzt ist. Daraus haben sich allerdings keine Hinweise auf eine nur teilweise Ausschöpfung der tariflich geschuldeten Arbeitsleistung im Rahmen des Einsatzes als Anästhesieschwester ergeben.

42

Die Sache ist auch entscheidungsreif, es besteht kein Anlass, der Beklagten eine Schriftsatznachlassfrist einzuräumen oder gar die Entscheidung des Gerichts zu vertagen. Die Klägerin hat mehrfach die Behauptung aufgestellt, dass ihre Teilnahme am Rettungsdienst eine zusätzliche Leistung darstelle, die vollständig außerhalb des Arbeitsverhältnisses als Anästhesieschwester stehe. Diese pauschale Behauptung wird gestützt durch die konkrete Mitteilung der Aufgliederung der 24-Stunden-Dienste, denn danach ist die Klägerin 8 Stunden als Anästhesieschwester eingesetzt (7:15 Uhr bis 15:45 Uhr), womit sie ihre tarifliche Normalleistung erbracht hat. Anschließend wird sie dann noch im Rettungsdienst eingesetzt. Die Beklagte hat weder die Aufgliederung der 24-Stunden-Dienste noch die pauschale Behauptung der Klägerin zu den zusätzlichen Leistungen im Rettungsdienst in Frage gestellt. Sie gelten daher prozessual als zugestanden. Da sich auch im Rahmen der Erörterung dieses Aspekts in der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass die klägerische Darstellung unzutreffend sein könnte, besteht kein Anlass für eine Vertagung der Entscheidung oder für die Gewährung einer Schriftsatznachlassfrist. – Im Übrigen hat das Arbeitsgericht zutreffend bereits darauf abgestellt, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Verrechenbarkeit der streitigen Zulage als Teilerfüllung des tariflichen Entgeltanspruchs bei der Beklagten liegt. Dementsprechend hätte sie auch darlegen und beweisen müssen, dass die Teilnahme am Rettungsdienst ganz oder teilweise zu der tariflich geschuldeten Normalleistung der Klägerin gehört. Das ist nicht erfolgt.

3.

43

Damit steht fest, dass der Einsatz der Klägerin im Rahmen des Rettungsdienstes vollständig außerhalb des Vollzeitarbeitsverhältnisses der Parteien steht. Daher kann das Entgeltelement Anästhesie optional, mit dem der klägerische Einsatz im Rettungsdienst vergütet wurde, nicht auf den Anspruch auf Tarifentgelt für die Normalleistung der Klägerin als Anästhesieschwester angerechnet werden.

44

Das Arbeitsgericht hat daher zutreffend entschieden. Es ist im Streitzeitraum eine monatliche Entgeltdifferenz von 721,40 Euro brutto monatlich auszugleichen.

II.

45

Die Klägerin kann diese Entgeltdifferenz auch für den Monat Januar 2013 beanspruchen.

1.

46

Ein Verstoß gegen § 308 ZPO ist nicht erkennbar. Das Arbeitsgericht hat mit der vollständigen Stattgabe der Klage der Klägerin nicht 721,40 Euro brutto zugesprochen, die gar nicht eingeklagt waren.

47

Denn mit dem Schriftsatz vom 22. November 2016 hatte die Klägerin – entgegen dem Anschein, der durch die einleitenden Worte in dem Schriftsatz erweckt wurde – ihre Klage tatsächlich erweitert, denn sie fordert jetzt erstmals die Entgeltdifferenz auch für den Monat Januar 2013.

2.

48

Bedenken gegen die Zulässigkeit dieser Klageerweiterung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Klageerweiterung ist auch sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO, da es zwischen dem Streitgegenstand für diesen Monat und dem Streitgegenstand für die übrigen Monate weitgehende Übereinstimmungen gibt, so dass weitere Aufklärung wegen der Klageerweiterung nicht erforderlich ist.

3.

49

Der klägerische Zahlungsanspruch für Januar 2013 ist auch nicht wegen Eingreifens von Ausschlussfristen untergegangen.

50

Nach Lage der Dinge haben die Parteien in ihrem Arbeitsverhältnis keine Regelung vorgesehen, nach der eventuelle bestehende Entgeltansprüche bereits vor dem Eintritt der Verjährung verfallen können sollen.

51

Maßgebend ist der Änderungsvertrag vom 22. Juni 2000 (Anlage K 1, hier Blatt 8 ff). Denn es gibt keinen jüngeren Arbeitsvertrag der Parteien. Dieser Änderungsvertrag enthält keine eigene Regelung zu Ausschlussfristen. Wirksam vereinbarte Ausschlussfristen ergeben sich auch nicht aus den Dokumenten, auf die der Änderungsvertrag Bezug nimmt.

a)

52

§ 4.1 verweist ergänzend zu den ausdrücklichen Vertragsregeln auf die subsidiär geltenden DRK-Arbeitsbedingungen. Diese enthalten zwar eine Regelung zu einer Ausschlussfrist. Nach § 65 DRK-Arbeitsbedingungen verfallen alle gegenseitigen Forderungen, wenn sie nicht innerhalb von 6 Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Diese Regelung gilt jedoch im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht, da sie nach Maßgabe der §§ 305 ff BGB unwirksam ist.

aa)

53

Bei den Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes (nachfolgend DRK) fanden früher auf die Arbeitsverhältnisse entweder die vom Bundesvorstand des DRK verabschiedeten, nach den Gebieten "West" und "Ost" getrennten "Arbeitsbedingungen" oder die jeweiligen Tarifverträge für die Tarifgebiete "West" und "Ost" Anwendung. Dabei waren seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Texte der Tarifverträge und der einseitig vom Arbeitgeber gesetzten Arbeitsbedingungen über lange Jahre wortgleich, da die tariflichen Regelungen vom DRK-Bundesvorstand stets in die Arbeitsbedingungen übernommen wurden. Seit dem 1. Januar 2007 ist der zwischen der Bundestarifgemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes und der Gewerkschaft ver.di geschlossene DRK-Reformtarifvertrag vom 22. Dezember 2006 (hier mit DRK-ReformTV abgekürzt bezeichnet) in Kraft, der bundesweit einheitliche Tarifregelungen zum Inhalt hat. Spätestens mit dem Abschluss des ReformTV und des darauf bezogenen Überleitungstarifvertrages (TVÜ) gibt es den Gleichlauf zwischen den vom Arbeitgeber einseitig erlassenen Arbeitsbedingungen und den tariflichen Absprachen nicht mehr. Die Arbeitsbedingungen (Ost) des DRK wurden zuletzt im Jahr 2000 geändert.

54

Danach wäre hier die Forderung für Januar 2013 verfallen, denn sie wurde außergerichtlich nie geltend gemacht und erst im November 2016 rechtshängig gemacht.

bb)

55

Die Regelung ist im Arbeitsverhältnis der Parteien allerdings nicht wirksam geworden.

56

Da der Arbeitsvertrag von der Beklagten vorformuliert wurde und er – was aufgrund der vielen Parallelverfahren gerichtsbekannt ist – so in vielen Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern der Beklagten vereinbart wurde, müssen sich die dortigen Regeln an dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff BGB) messen lassen.

57

Der Verweis auf die DRK-Arbeitsbedingungen bewirkt, dass diese so im Arbeitsverhältnis der Parteien gelten, wie wenn sie dort ausdrücklich geregelt wären. Sie gelten rechtlich als Regelungselemente des Arbeitsvertrages.

(i)

58

Bei den DRK-Arbeitsbedingungen handelt es sich um einseitig vom Arbeitgeber bzw. seinem Dachverband vorgegebene Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber bzw. sein Dachverband hat es damit in der Hand, über eine Veränderung der Arbeitsbedingungen einseitig die Bedingungen, unter denen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in das Vertragsverhältnis einbringt, abzuändern. Sie wirkt damit genauso wie offen formulierte einseitige Leistungsbestimmungsrechte des Arbeitgebers oder voraussetzungslos vereinbarte Änderungsvorbehalte. Darin ist eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 BGB zu erblicken, da damit die Idee der vertraglichen Regelung als rechtsgeschäftlicher Gestaltungsakt, mit dem die gegenläufigen Vertragsinteressen zum Ausgleich gebracht werden, ausgehöhlt wird.

(ii)

59

Im Übrigen ist die Ausschussfrist, die sich einschränkungslos auf sämtliche Ansprüche bezieht, auch unwirksam, weil sie der zwingenden Regelung zur Unzulässigkeit von Vereinbarungen über Verjährungsfragen aus § 202 BGB widerspricht. Sie ist daher geeignet, den Arbeitnehmer, der sich vertragstreu verhalten will, von der Geltendmachung von Ansprüchen abzuhalten, die ihm nach dem Gesetz tatsächlich zustehen. Sie ist daher insgesamt als unwirksam anzusehen.

60

Nach § 202 Absatz 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Die Vorschrift ergänzt den allgemeinen Grundsatz des § 276 Absatz 3 BGB, wonach die Haftung wegen Vorsatz dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden darf. § 276 Absatz 3 BGB entfaltet erst durch § 202 Absatz 1 BGB seine volle Wirksamkeit. Das Gesetz bezweckt einen umfassenden Schutz gegen im Voraus vereinbarte Einschränkungen von Haftungsansprüchen aus vorsätzlichen Schädigungen. Deshalb verbietet § 202 Absatz 1 BGB nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über Ausschlussfristen, die sich auf eine Vorsatzhaftung des Schädigers beziehen (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 1013/12 – AP Nr. 204 zu § 4 TVG Ausschlussfristen = NZA-RR 2014, 177).

61

Das Bundesarbeitsgericht geht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich aus einem Verstoß einer Regelung zu Ausschlussfristen gegen § 202 BGB lediglich ergebe, dass die gesetzliche Regelung der rechtsgeschäftlichen Verfallregelung vorgehe, was zur Folge hat, dass die Ausschlussfristenregelung auf die Ansprüche anwendbar bleibt, die sich – wie vorliegend – nicht auf die Haftung für Vorsatzschäden beziehen (BAG 26. September 2013 aaO; BAG 13. März 2013 – 5 AZR 954/11 – NZA 2013, 680; BAG 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – NZA 2005, 1111).

62

Diese Rechtsprechung wird allerdings vom Bundesgerichtshof nicht geteilt. Dieser geht davon aus, dass Ausschlussfristen, die die gesetzliche Verjährungsfrist für die Haftung auf Schadensersatz generell verkürzen, gegen § 309 Nr. 7 BGB verstoßen, weil sie Ansprüche aus der Haftung für Schäden erfassen, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit oder auf groben Verschulden des Verwenders oder seines Erfüllungsgehilfen beruhen, und als Verkürzung der Verjährungsfristen einen Haftungsausschluss bzw. eine Haftungsbegrenzung im Sinne des § 309 Nr. 7 BGB darstellen (BGH 15. November 2006 – VIII ZR 3/06 – NJW 2007, 674; BGH 26. Februar 2009 – Xa ZR 141/07 – NJW 2009, 1486; BGH 29. Mai 2013 – VIII ZR 174/12 – NJW 2013, 2584).

63

Die erkennende Kammer schließt sich der Auffassung des Bundesgerichtshofs an (wie hier LAG Hamm 1. August 2014 – 14 Ta 344/14; LAG Hamm, 11. Oktober 2011 – 14 Sa 543/11 – NZA-RR 2011, 75). Verstößt eine einschränkungslos vereinbarte Regelung zu Ausschlussfristen gegen § 202 BGB, ist sie insgesamt unwirksam und kann auch auf andere Ansprüche, die keine Berührungspunkte zu § 202 BGB aufweisen, nicht angewendet werden. Eine umfassend formulierte Ausschlussfrist verstößt außerdem gegen das Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB weil sie den redlichen Arbeitnehmer, der sich vertragstreu verhalten will, in unredlicher Weise von der Geltendmachung von Ansprüchen, die ihm nach dem Gesetz zustehen, abhalten kann.

b)

64

Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Ausschlussfristenregelung in § 37 DRK-ReformTV berufen. Nach der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel finden die tariflichen Regelungen ausdrücklich nur beschränkt auf die Entgeltregelungen Anwendung (§ 3.2 Änderungsvertrag vom 22. Juni 2000).

65

Da Ausschlussfristen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffen können, kann man die tarifliche Regelung in § 37 DRK-ReformTV auch nicht als Entgeltregelung im weiteren Sinne begreifen.

c)

66

Die Geltung von Ausschlussfristen im Arbeitsverhältnis der Parteien ergibt sich auch nicht aus § 4.2 des Änderungsvertrages vom 22. Juni 2000.

67

Nach dieser Vorschrift gelten die Regelungen des bisherigen Arbeitsvertrages, die vom Inhalt des Änderungsvertrages nicht erfasst sind, unverändert fort. Es ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Parteien in ihren älteren Arbeitsverträgen Regelungen zu Ausschlussfristen aufgenommen haben, die heute noch anzuwenden wären.

68

Zwar war in § 2 des Arbeitsvertrages vom 27. Juni 1991 (als Anlage B 1 in Kopie überreicht, hier Blatt 58 ff) geregelt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien – untechnisch gesprochen – das Tarifwerk für den öffentlichen Dienst Anwendung finden sollte. Diese Verweisung ist jedoch durch die differenzierte Verweisung auf die DRK-Arbeitsbedingungen einerseits und die DRK-Tarifverträge andererseits im Änderungsvertrag vom 22. Juni 2000 abgelöst worden.

III.

69

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung, da das von ihr eingelegte Rechtsmittel keinen Erfolg hatte (§ 97 ZPO).

70

Die Revision kann nach § 72 ArbGG nur für einen kleinen Teil des Anspruchs zugelassen werden. Denn lediglich bezüglich der Ansprüche für Januar 2013, die die Klägerin erstmals im November 2016 rechtshängig gemacht hat, weicht die vorliegende Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ab (oben unter II.3 der Entscheidungsgründe). Das Gericht hat die Revision bezogen auf die rechtshängigen Entgeltansprüche für Januar 2013 lediglich im Umfang von 464,10 Euro brutto zugelassen, obwohl die Frage des Eingreifens von Ausschlussfristen eigentlich den gesamten Teilanspruch für Januar 2013 umfasst (721,40 Euro brutto).

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