Urteil vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen (10. Kammer) - 10 Sa 25/17

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 1. Dezember 2016 - 3 Ca 1/16 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 487,50 Euro brutto und von Arbeitsentgelt in Höhe von 100,00 Euro brutto, jeweils nebst Zinsen, wendet. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen, soweit die Beklagte zur Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro verurteilt worden ist; im Übrigen wird sie nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Arbeitsentgelt und Verzugspauschale. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 1. Dezember 2016 (Bl. 74 bis 77 d. A.) Bezug genommen.

2

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit die Anträge in der Berufungsinstanz angefallen sind. Es hat ausgeführt: Das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der Kündigung vom 31. August 2016 erst mit Ablauf des 30. September 2016 sein Ende gefunden. Die Probezeitvereinbarung gemäß § 21 des Arbeitsvertrages sei eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB und daher nicht wirksam einbezogen worden. Mithin könne der Kläger Differenzvergütung in Höhe von 1.237,50 Euro brutto verlangen. Ferner habe er Anspruch auf Urlaubsabgeltung für sieben Tage in Höhe von 682,50 Euro brutto. Auch die Verzugspauschale in Höhe von 40,00 Euro gemäß § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB stehe ihm zu.

3

Gegen das ihr am 5. Januar 2017 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 11. Januar 2017 Berufung eingelegt und diese am 1. Februar 2017 begründet.

4

Die Berufung führt aus: Zwar handele es sich bei der Klausel, durch welche die Probezeit vereinbart wurde, um eine Allgemeine Geschäftsbedingung. Die Klausel sei jedoch nicht überraschend. Hierzu sei ein Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt erforderlich, der jedoch vorliegend nicht zu erkennen sei. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass Regelungen zur Kündigung in § 14 des Arbeitsvertrages und die Probezeitabrede in dessen § 21 niedergelegt seien. Der Regelungsgehalt beider Paragrafen sei unterschiedlich, und beide blieben verständlich. Sie seien auch nicht widersprüchlich. Es müsse jedem Arbeitnehmer klar sein, dass am Anfang der Vertragslaufzeit eine Probezeit vereinbart werde. Die entsprechende Vereinbarung befinde sich nicht an einer unauffälligen Stelle des Vertrages; aus objektiver Sicht sei klar ersichtlich, dass auch unter der Überschrift „Sonstiges“ weitere Regelungen zum Arbeitsverhältnis getroffen würden.

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Die Beklagte beantragt,

6

unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angegriffene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 6. April 2017 (Bl. 132 bis 136 d. A.).

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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung bleibt erfolglos.

I.

12

Die Berufung ist nur teilweise zulässig. Sie ist zwar gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft und von der Beklagten fristgemäß und formgerecht eingelegt worden. Aus der Berufungsbegründung geht jedoch nicht hervor, weshalb sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 100,00 Euro als Arbeitsentgelt und 487,50 Euro als Urlaubsabgeltung wendet. Sie hat nicht bestritten, auch im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 14. September 2016 die letztgenannten Beträge noch zu schulden. Hinsichtlich dieser beiden Positionen nebst Zinsen war die Berufung mithin als unzulässig zu verwerfen.

II.

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Soweit sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Zahlung weiteren Arbeitsentgelts, weiterer Urlaubsabgeltung und einer Verzugspauschale wendet, ist ihre Berufung zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

14

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass für den Monat September 2016 noch Entgeltansprüche in Höhe von 1.237,50 Euro brutto offen sind, weil die Kündigung der Beklagten vom 31. August 2016 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Unwirksamkeit der Probezeitabrede mangels Transparenz nicht vor dem 30. September 2016 beendet hat. Das Berufungsgericht macht sich die Ausführungen des sorgfältig begründeten Urteils nach eigener Prüfung ausdrücklich zu eigen und verweist zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf sie (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

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2. Die Ausführungen der Berufung sind nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen.

16

a) Bei den in dem Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen handelt es sich unstreitig um Allgemeine Geschäftsbedingungen.

17

b) Die in § 21 des Arbeitsvertrages enthaltene Probezeitvereinbarung ist eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB, die nicht Vertragsbestandteil geworden ist.

18

aa) Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat überraschenden Charakter im Sinne der Vorschrift, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der für das Vorliegen einer überraschenden Klausel erforderliche Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt kann sich auch daraus ergeben, dass das Klauselwerk von den berechtigten Erwartungen des Vertragspartners dadurch abweicht, dass die Klausel einen ungewöhnlichen äußeren Zuschnitt aufweist oder sie an unerwarteter Stelle untergebracht und damit zu einer überraschenden Klausel gemacht worden ist (stRspr, vgl. etwa BAG 16. April 2008 - 7 AZR 132/07 - Rn. 16, BAGE 126, 295; BAG 23. Februar 2005 - 4 AZR 139/04 - Rn. 59, BAGE 114, 33; BAG 31. August 2005 - 5 AZR 545/04 - Rn. 24, BAGE 115, 372; BAG 15. Februar 2007 - 6 AZR 286/06 - Rn. 22; BAG 9. Mai 2007 - 4 AZR 319/06 - Rn. 21; BAG 8. August 2007 - 7 AZR 605/06 - Rn. 27; BAG 14. August 2007 - 8 AZR 973/06 - Rn. 21). Im Einzelfall kann der Verwender gehalten sein, auf die Klausel besonders hinzuweisen oder die Klausel drucktechnisch hervorzuheben (BAG 16. April 2008 - 7 AZR 132/07 aaO mwN).

19

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei der in § 21 des Arbeitsvertrags enthaltenen Probezeitvereinbarung um eine überraschende Klausel: Während die Befristung des Arbeitsverhältnisses in § 1 und die Beendigung in § 14 geregelt sind, findet sich die Probezeitvereinbarung versteckt unter der Überschrift „Sonstiges“ zwischen einer durch Fettdruck stark hervorgehobenen und dadurch die Aufmerksamkeit ablenkenden Ausschlussklausel (§ 20) und einer Regelung zur „Vertragsaushändigung“ (§ 22). Nach diesem äußeren Erscheinungsbild brauchte der Kläger nicht damit zu rechnen, dass die Beklagte an dieser Stelle eine Probezeitvereinbarung verbirgt. Sie hätte vielmehr entweder in § 14 bei den (weiteren) Beendigungsmodalitäten untergebracht werden müssen oder drucktechnisch bzw. durch die Überschrift „Probezeit“ o. ä. hervorgehoben werden müssen, oder aber der Kläger hätte bei Vertragsunterzeichnung besonders auf die Klausel hingewiesen werden müssen. Nichts davon ist jedoch erfolgt, so dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer der Branche nicht mit der Klausel zu rechnen brauchte. Sie ist mithin nicht wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen worden.

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3. Weil mithin das Arbeitsverhältnis erst zum Ende des Monats September 2016 sein Ende gefunden hat, kann der Kläger Urlaubsabgeltung für volle drei Monate, mithin für sieben Tage und damit in rechnerisch nicht streitiger Höhe von 682,50 Euro beanspruchen.

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4. Schließlich steht dem Kläger auch die Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB zu.

22

a) Die Beklagte befand sich mit Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung in Verzug. Weiterhin ist sie nicht Verbraucher im Sinne von § 13 BGB, sondern Unternehmer gemäß § 14 BGB, so dass die Vorschrift auf ihren Schuldnerverzug auch Anwendung findet.

23

b) § 288 Abs. 5 BGB ist im Arbeitsrecht anzuwenden. Eine Bereichsausnahme liegt nicht vor. Die Gegenauffassung, der zufolge § 12a ArbGG eine spezialgesetzliche Ausnahmeregelung enthalte, die in ihrem Anwendungsbereich § 288 Abs. 5 BGB verdränge, ist abzulehnen (so auch LAG Niedersachsen 20. April 2017 - 5 Sa 1263/16 - Rn. 22 ff.; LAG Baden-Württemberg 13. Oktober 2016 - 3 Sa 34/16 - Rn. 91 f; LAG Köln 22. November 2016 - 12 Sa 524/16 - Rn. 65 ff.). Der Wortlaut von § 288 Abs. 5 BGB enthält keine Einschränkungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts; auch eine planwidrige Regelungslücke ist insoweit nicht erkennbar. Auch die Gesamtsystematik von § 288 BGB streitet für die Anwendung der gesamten Vorschrift im Arbeitsrecht. Es bliebe rechtssystematisch unplausibel, weshalb ein Arbeitnehmer bei verspäteter oder unvollständiger Zahlung zwar den gesetzlichen Verzugszins nach § 288 Abs. 1 BGB und ggf. den weitergehenden Verzugsschaden nach § 288 Abs. 4 BGB geltend machen könnte, ihm jedoch der neue Pauschalschadensersatz nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB verwehrt bliebe; diese Neuregelung knüpft systematisch gerade an die vorherigen Absätze und den gesetzlichen Verzugslohn an (LAG Niedersachsen 20. April 2017 - 5 Sa 1263/16 - Rn. 28 mwN).

III.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

25

Gründe, die Revision hinsichtlich der Hauptforderungen zuzulassen, liegen nicht vor. Insofern handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung unter Zugrundelegung der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dagegen war die Revision bezüglich der zugesprochenen Verzugspauschale zuzulassen, weil die Frage der Anwendung von § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auf Arbeitsverträge grundsätzliche Bedeutung hat.

 


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