Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (9. Kammer) - 9 Sa 177/12
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 29.02.2012, Az.: 4 Ca 2145/11, abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2011 aufgelöst worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der am … 1966 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.10.1988 auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12.04.1989 beschäftigt. Er übte bis zum Winter 2008/2009 eine Funktion als städtischer Markt- und Messemeister zu einer Bruttoarbeitsvergütung von ca. 2.500,00 EUR aus. Die Beklagte beschäftigt ständig weitaus mehr als 10 Arbeitnehmer. Gemäß Ziffer 2 des genannten Arbeitsvertrages richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 31.01.1962 und den zusätzlich abgeschlossenen Bezirkstarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung und nach den an ihre Stelle tretenden Tarifverträgen.
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Der Kläger ist seiner geschiedenen Ehefrau und drei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet.
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Am 15.12.2008 beging der Schausteller E.L. eine Geschwindigkeitsüberschreitung, welche durch eine Radarmessung unter Aufzeichnung eines Fotos des fahrenden L. festgehalten wurde. Herrn L. drohte aufgrund bereits zuvor begangener Verkehrsverstöße wegen des begangenen neuerlichen Verstoßes ein weiterer Eintrag im Verkehrszentralregister mit der Folge des Entzugs der Fahrerlaubnis. Der sodann von der zuständigen Sachbearbeiterin der Beklagten S. an die R.L. GmbH als Halterin des Fahrzeugs veranlasste Anhörungsbogen gelangte zur Beklagten zurück. Unter der Rubrik "Angaben zur Person des/der Betroffenen" waren nicht Name und Anschrift des Herrn L., sondern des Herrn H. vermerkt. Dieser unterschrieb auch den Anhörungsbogen, ohne Angaben zur Sache zu machen. Aufgrund der Angaben im Anhörungsbogen veranlasste die Sachbearbeiterin Frau S. die Eröffnung eines Verfahrens gegen Herrn H. Es kam in der Folge zum Erlass eines Bußgeldbescheides gegenüber Herrn H. Nachdem festgestellt wurde, dass tatsächlich nicht Herr H., sondern Herr L. das Fahrzeug geführt hatte, wurde der Bußgeldbescheid hinsichtlich Herrn H. zurückgenommen und stattdessen ein Bußgeldbescheid gegenüber Herrn L. erlassen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger auf dieses Bußgeldverfahren am 28.01.2009 dadurch Einfluss genommen hat, dass er gegenüber der Frau S. bestätigte, dass der auf dem Foto der Radarmessung ersichtliche Fahrer Herr H. sei.
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Während die Beklagte davon ausging und ausgeht, dass der Kläger am 28.01.2009 der zuständigen Sachbearbeiterin gegenüber die zuvor schon von Herrn H. und Herrn L. gemachten Falschangaben zur Fahreridentität bestärkt und diese unmittelbar aufgefordert habe, den Bußgeldbescheid mithin dem falschen Fahrer zu schicken, wobei er sich das Vertrauen der Sachbearbeiterin zu Nutze gemacht habe, hat der Kläger bestritten, Einfluss auf die Sachbearbeiterin genommen zu haben.
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Wegen des genannten Vorfalls hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits mit Schreiben vom 19.02.2009 außerordentlich fristlos gekündigt. Durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21.05.2010, Az: 9 Sa 705/09, ist festgestellt worden, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 19.02.2009 ausgesprochene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Diesem Urteil der Berufungskammer ging eine Beweisaufnahme in Form der Vernehmung der zuständigen Sachbearbeiterin, sowie der Herren H. und L. voraus. Die Berufungskammer konnte gestützt auf die Hauptbelastungszeugin, Frau S. als zuständige Sachbearbeiterin, keine ausreichende Gewissheit gewinnen, dass der Kläger tatsächlich versucht hatte, das gegen die Firma L. gerichtete Bußgeldverfahren zugunsten des Herrn L. zu beeinflussen. Wegen der Einzelheiten der diesbezüglichen seinerzeitigen Erwägungen der Berufungskammer wird auf das den Parteien bekannte Berufungsurteil vom 21.05.2010 Bezug genommen.
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Aufgrund des genannten Urteils der Berufungskammer wurde der Kläger in der Folge weiterbeschäftigt, allerdings auf einem anderen Arbeitsplatz.
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Gegen den Kläger wurde wegen des von der Beklagten der seinerzeitigen Kündigung zugrunde gelegten Sachverhalts ein Strafverfahren durchgeführt. Mit Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 05.10.2010, Geschäftsnummer 123 Js 0000 1 ECs (Kopie Bl. 109 ff. d. A.) ist der Kläger wegen falscher Verdächtigung zu Lasten des Herrn H. zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verurteilt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung blieb im Verfahren vor dem Landgericht M. (Kopie des Urteils Bl. 55 d. A.) ohne Erfolg. Das Urteil ist seit dem 03.11.2011 rechtskräftig. Das Amtsgericht A-Stadt hat ebenfalls Beweis erhoben durch Vernehmung der zuständigen Sachbearbeiterin, der Herrn L. und H. sowie eines weiteren Zeugen. Zur Überzeugung des Strafgerichts stand dabei eine Manipulation des Bußgeldverfahrens durch den Kläger aufgrund der Angaben der als Zeugin vernommenen Sachbearbeiterin S. fest.
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Mit Schreiben vom 14.11.2011 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30.06.2012 auszugsweise wie folgt an:
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"Das Landgericht, als Berufungsgericht, hat das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichtes A-Stadt, von dem Herr R. wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB) verurteilt worden war, bestätigt. Die strafgerichtliche Verurteilung ist zwischenzeitlich rechtskräftig geworden. Der Stadtverwaltung A-Stadt als Arbeitgeber ist, wie auch den Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Frau S., die von Herrn A. wahrheitswidrig der Lüge und Falschaussage bezichtigt worden ist, unter diesen Umständen eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar. Durch eine Weiterbeschäftigung nach rechtskräftiger Verurteilung würde der Betriebsfrieden ernsthaft gefährdet.
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Unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien und der langjährigen Zugehörigkeit des Herrn A. zur Stadtverwaltung A-Stadt ist die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bzw. einer sozialen Auslauffrist für den Arbeitgeber unzumutbar. Aus diesem Grund wird auch die sofortige Freistellung verfügt werden.
…."
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das genannte Schreiben (Bl. 25 d. A.) Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 17.11.2011 (Bl. 26 d. A.) äußerte der Personalrat Bedenken. Er verwies u. a. darauf, dass eine Störung des Betriebsfriedens nicht nachvollzogen werden könne, da es von Seiten der Beschäftigten, insbesondere seitens der Frau S. keinerlei Beschwerden gegeben habe. Des Weiteren führte der Personalrat aus, dass aus seiner Sicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen werde, da bei anderen Beschäftigten, bei denen auch eine Verurteilung erfolgt sei, lediglich eine Abmahnung und eine Umsetzung in einen anderen Bereich vorgenommen worden sei.
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Insoweit kam es zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung einer Mitarbeiterin der Kfz-Stelle der Beklagten wegen des Vorwurfs der Untreue. Diese war in 27 Fällen von Untreue angeklagt.
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Mit Schreiben vom 18.11.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund, hilfsweise ordentlich zum 30.06.2012. Das Kündigungsschreiben konnte dem Kläger unter der zuletzt von ihm angegebenen Anschrift nicht übergeben werden. Er holte sich das Kündigungsschreiben am 23.11.2011 selbst bei der Beklagten ab.
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Nachdem der Kläger am 01.12.2011 vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben hat, fand bei der Beklagten am 12.01.2012 eine Bereichsleiter-sitzung statt. Das hierüber gefertigte Protokoll (Bl. 158 d. A.) hat auszugsweise folgenden Inhalt:
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"Herr F. berichtet, dass Herr A. (früher Marktmeister im Bereich 3) mittlerweile strafrechtlich verurteilt wurde, da eine Betrugshandlung festgestellt wurde.
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Der Sachverhalt zu Herrn A. ist allen Bereichsleitern bereits bestens bekannt, Herr A. ist gekündigt und vom Dienst frei gestellt. Falls es im anhängigen Gerichtsverfahren zu einem Urteil gegen die Stadt A-Stadt kommen würde, müsste Herr A. weiter beschäftigt werden. Der Bereich 3 signalisiert, dass er dort nicht eingesetzt werden kann, da er eine andere Mitarbeiterin belastet hat, um unbestraft zu bleiben. Die Mitarbeiterinnen im Bereich 3 weigern sich, mit Herrn A. zusammen zu arbeiten. Falls es daher durch das Arbeitsgericht zu einer für die Stadt A-Stadt negativen Entscheidung kommen sollte, müsste er in einem anderen Fachbereich beschäftigt werden. Daher bittet Herr F. um die Bereitschaft der anderen Bereiche bei der Lösung des Problems behilflich zu sein. Übereinstimmend erklären die Bereichsleitungen, dass die Vorgänge um Herrn A. im Haus detailliert bekannt sind. Keine der Bereichsleitungen wäre im Falle der Wiederbeschäftigung von Herrn A. bereit, ihn einzusetzen, da die Ablehnung der Mitarbeiterinnen ihm gegenüber in allen Fachbereichen formuliert wird."
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Hinsichtlich des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf dessen Wiedergabe im Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 29.02.2012, Az: 4 Ca 2145/11 (Bl. 160 ff. d. A.).
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Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse hat das Arbeitsgericht durch das genannte Urteil die Klage hinsichtlich des Antrags festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2011 beendet wird, abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt:
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Das Arbeitsverhältnis habe infolge der außerordentlichen, fristlosen Kündigung seine Beendigung gefunden. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 BGB sei gewahrt. Es käme auf die Kenntnis des Oberbürgermeisters an, so dass unerheblich sei, dass der zuständige Sachbearbeiter, der bei der Verkündung des strafgerichtlichen Berufungsurteils anwesend war, in der Lage gewesen wäre, den Ablauf der Revisionsfrist selbst zu errechnen und ggf. durch telefonische Rückfrage hätte abklären können, ob der Kläger Revision eingelegt habe oder nicht. Die Kündigung sei auch nicht wegen unzureichender Anhörung des Personalrats unwirksam. Dieser sei über die Auffassung der Beklagten informiert worden, dass es Frau S. nicht zumutbar sei, dass der Kläger weiterbeschäftigt werde. Die Stellungnahme des Personalrats verdeutliche, dass dieser über den Kündigungsgrund - den rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens - informiert worden sei. Über den der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt sei der Personalrat bereits aufgrund der vorangegangenen Kündigung und der dortigen Personalratsanhörung informiert gewesen.
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Es bestehe auch ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Die rechtskräftige Verurteilung des Klägers stelle für sich allein betrachtet einen wichtigen Grund dar, weil hierdurch nicht nur eine Dienstpflichtverletzung geahndet wurde, sondern hinzutrete, dass der Kläger nach den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils die Sachbearbeiterin Frau S. benutzte, um Herrn L. zu begünstigen und anschließend diese Zeugin der Lüge bzw. Intrige bezichtigt habe. Auch nach der Rechtsprechung des BAG sei eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen einer in Betrieb begangenen Straftat als neue Tatsache an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen, weil sie den Betriebsfrieden ernsthaft gefährden könne. Die vom Kläger gegen die Richtigkeit seiner strafrechtlichen Verurteilung vorgebrachten Argumente stellten keinen substantiierten Sachvortrag zur Darlegung der Unschuld dar. Wenn die Beklagte vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Verurteilung, der Bezichtigung der Sachbearbeiterin S. der Lüge auch um sich schützend vor die durch das bisherige Geschehen psychisch geschädigte Sachbearbeiterin Frau S. zu stellen und im Hinblick darauf, dass eine weitere Beschäftigung des Klägers aufgrund der im ganzen Haus bekannten Vorkommnisse von anderen Abteilungen ebenfalls abgelehnt werde, eine weitere Beschäftigung für unzumutbar ansehe, sei dies nachvollziehbar. Hinzu komme, dass der Kläger im Vorprozess die Behauptung erhoben habe, die Zeugin sei zu ihrer ihn belastenden Aussage seitens der Führung bestimmt worden. Nach den vorangegangenen Geschehnissen könne die Beklagte nicht mehr das notwendige Vertrauen in eine gewissenhafte Amtsführung des Klägers haben. Dem stehe auch die zwischenzeitliche Beschäftigung des Klägers nicht entgegen, da diese aufgrund der Niederlage im ersten Kündigungsschutzprozess erfolgt sei. Die Mitarbeiter, welche mit dem Kläger zusammenarbeiten müssten, verfügten im Regelfall über keine juristische Ausbildung. Aus ihrer Sicht habe der Kläger im ersten Kündigungsschutzprozess gewonnen, weil zwei Bekannte des Klägers zu dessen Gunsten ausgesagt hätten, die deswegen inzwischen wegen falscher Aussage ebenfalls strafrechtlich belangt sind. Für die übrigen Mitarbeiter stehe aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung fest, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten Verfehlung begangen habe.
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Das genannte Urteil ist dem Kläger am 15.03.2012 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 11.04.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 15.05.2012 bis zum 06.06.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 06.06.2012, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.
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Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 195 ff. d. A.), macht der Kläger zur Begründung seines Rechtsmittels im Wesentlichen geltend:
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Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Angesichts der Stellung des mit der Kündigung befassten Sachbearbeiters und dessen Teilnahme an der Hauptverhandlung im Strafverfahren vor dem Landgericht M. sei zu erwarten gewesen, dass der Sachbearbeiter den Oberbürgermeister unverzüglich über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung unterrichten werde. Auch die Anhörung des Personalrats sei nicht ordnungsgemäß. Aus der schriftlichen Anhörung ergäben sich nicht die Tatsachen, aus denen sich der Beginn des Laufs der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nachvollziehen lasse. Ebenso wenig sei der Kündigungssachverhalt ausreichend konkret dargelegt worden. So werde weder ausgeführt, inwieweit tatsächlich eine wahrheitswidrige Bezichtigung vorliegen solle und wann diese erfolgt sei. Auch fehlte die Angaben von Tatsachen, aus denen sich die befürchtete ernsthafte Gefährdung des Betriebsfriedens ergeben solle. Ebenfalls fehle die Mitteilung der Sozialdaten. Das Arbeitsgericht habe auch nicht auf eine Vorkenntnis des Personalrats aufgrund des vorangegangenen Kündigungsschutzverfahrens abstellen dürfen. Auch im seinerzeitigen Verfahren sei die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats bestritten worden.
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Es fehle auch an einem wichtigen Grund im Sinne des § 34 Abs. 2 TVöD, § 626 Abs.1 BGB. Wenn die rechtskräftige Verurteilung wegen einer im Betrieb begangenen Straftat einen Kündigungsgrund unter dem Gesichtspunkt einer ernsthaften Gefährdung des Betriebsfriedens darstellen solle, müsse jedenfalls festgestellt werden, ob tatsächlich derartige Tatsachen vorlägen. Derartige Tatsachen aber habe die Beklagte schon deshalb nicht wirksam in den Rechtsstreit einführen können, da sie insoweit den Personalrat nur schlagwortartig unterrichtet habe. Soweit das Arbeitsgericht darauf abgestellt habe, Kolleginnen und Kollegen des Klägers könnten angeblich nicht zwischen einer rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen und einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung unterscheiden, handele es sich um Mutmaßungen, denen die erforderliche Tatsachengrundlage fehle. Hierauf habe sich auch die Beklagte selbst nicht berufen. Soweit das Arbeitsgericht darauf abstelle, der Kläger habe die Sachbearbeiterin S. im Vorprozess als Lügnerin dargestellt, sei zu berücksichtigen, dass es sich um zulässiges Verteidigungsvorbringen in einem gerichtlichen Verfahren gehandelt habe. Soweit sich die Beklagte darauf berufe, Frau S. habe durch ihre Situation als Zeugin gegen den Kläger in den verschiedenen Gerichtsverfahren psychischen Schaden erlitten, sei nicht erkennbar, was damit konkret gemeint sei und inwieweit ein entsprechender Zusammenhang hergestellt werden könne. Ohne nähere Aufklärung hätte das Arbeitsgericht dies nicht zu Lasten des Klägers verwerten dürfen. Soweit das Arbeitsgericht zu seinen Lasten gewertet habe, dass geltend gemacht worden sei, die Zeugin sei von der "Führung" angestiftet worden, habe er dies bereits erstinstanzlich bestritten. Auch hier gelte, dass es sich um Verteidigungsvorbringen in einem gerichtlichen Verfahren gehandelt habe. Die Beklagte selbst habe klargestellt, dass nicht der Kläger, sondern dessen damaliger Prozessbevollmächtigter sich in der seinerzeitigen mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht dahingehend geäußert habe. Soweit die Beklagte behauptet habe, andere Mitarbeiter sowie keiner der Bereichsleiter sei dazu bereit, den Kläger im eigenen Bereich einzusetzen, werde dies bestritten. Auf die Bereichsleitersitzung vom 12.01.2012 könne es nicht ankommen, da diese Sitzung erst nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung stattfand und zu dem hierzu dem Personalrat im Rahmen seiner Anhörung nichts mitgeteilt worden sei. Entsprechendes gelte für die weitere Begründung des Arbeitsgerichts, die Unzumutbarkeit folge auch daraus, dass die Beklagte sich schützend vor die psychisch geschädigte Mitarbeiterin S. habe stellen müssen. Der Kläger habe auch bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 10.02.2012 mit substantiiertem Vortrag die Unrichtigkeit seiner strafrechtlichen Verurteilung geltend gemacht. Wie die Tatsache der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung einer anderen Mitarbeiterin wegen Untreue belege, sehe die Beklagte selbst eine Weiterbeschäftigung allein aufgrund der Tatsache einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung wegen einer im Dienst begangenen Straftat nicht als Grund an, der zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung führe. Auch seien die bestehenden Unterhaltspflichten des Klägers seien im Rahmen der Interessenabwägung nicht ausreichend berücksichtigt.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 29.02.2012 - 4 Ca 2145/11 -abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfs-weise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.11.2011 aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil mit ihrem Schriftsatz vom 20.07.2012, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 233 ff. d. A.), als zutreffend und macht im Wesentlichen geltend:
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Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei im Hinblick auf die Regelung des § 14 Abs. 1 Nr. 5 b GVGEG und Nr. 16 MiStra gewahrt. Es habe eine Mitteilungspflicht nach MiStra bestanden. Diese Mitteilung habe abgewartet werden können. Im Übrigen habe der Kläger die Zustellung der Kündigung zunächst treuwidrig vereitelt und müsse sich so behandeln lassen, als sei die Zustellung bereits am 21.11.2011 erfolgt.
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Ebenso sei die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß. Dem Personalrat sei die Tatsache der Verurteilung und die Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung mitgeteilt worden. Des Weiteren habe sie auch mitgeteilt, dass unter diesen Umständen, nämlich der rechtskräftigen Verurteilung wegen falscher Verdächtigung der Mitarbeiterin S. eine Weiterbeschäftigung wegen ernsthafter Gefährdung des Betriebsfriedens nicht mehr zumutbar sei. Damit seien die aus Sicht des Arbeitgebers wesentlichen Tatsachen mitgeteilt worden. Die Mitteilung der Einzelheiten, wie sich die Kündigungserklärungsfrist berechne, gehöre nicht zu den zwingenden Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung habe die Beklagte den Betriebsfrieden als so gestört angesehen, dass eine weitere Beschäftigung nicht weiter zumutbar gewesen sei. Die weiteren Einzelheiten seien dem Personalrat bekannt gewesen, da er in das erste Kündigungsverfahren, in dem es um die Frage der wahrheitsgemäßen Aussage der Mitarbeiterin S. ging, eingebunden gewesen sei. Diese Vorkenntnisse müsse sich der Personalrat zurechnen lassen. Auch aus der Stellungnahme des Personalrats ergebe sich, dass dieser umfassend informiert gewesen sei. Die Sozialdaten des Klägers seien dem Personalrat ebenfalls bekannt gewesen. Im seinerzeitigen Kündigungsverfahren sei der Personalrat über den Sachverhalt umfänglich unter Vorlage der entsprechenden Unterlagen informiert worden.
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Das Arbeitsgericht habe auch zutreffend erkannt, dass die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung vorliegend die außerordentliche Kündigung rechtfertige. Die vom Kläger als bloße Mutmaßungen des Arbeitsgerichts dargestellten Erwägungen hinsichtlich der Gefährdung und Störung des Betriebsfriedens seien zutreffend. Er könne nicht damit gehört werden, dass es sich um zulässiges Verteidigungsvorbringen in einem gerichtlichen Verfahren gehandelt habe, vielmehr wäre es seitens des Klägers angezeigt gewesen, das Fehlverhalten einzuräumen. Die seinerzeitigen Ausführungen der Berufungskammer im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren zur Glaubwürdigkeit der Zeugen S. seien nicht entscheidungserheblich. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei als neue Tatsache die rechtskräftige Verurteilung des Klägers bezüglich seines Verhaltens gegenüber Frau S. und der Beklagten. Das Strafgericht habe rechtskräftig entschieden, dass der Kläger sich diesbezüglich der falschen Verdächtigung strafbar gemacht habe. Frau S. habe durch die belastende Situation als Zeugin in dem arbeits- und strafrechtlichen Gerichtsverfahren bereits psychischen Schaden mit physischen Auswirkungen erlitten. Der erste Kündigungsschutzprozess sei sehr emotional geführt worden. Die Äußerungen des seinerzeitigen Prozessvertreters des Klägers sei nicht dazu geeignet, das bereits belastete Verhältnis zu befrieden und seien weit über zulässiges Verteidigungsvorbringen hinaus gegangen. Die seinerzeitigen Äußerungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten das Arbeitsverhältnis belastet. Der Kläger habe sich auch von diesen Äußerungen nicht distanziert. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers stehe fest, dass die Ausführungen der Frau S. als Zeugin im seinerzeitigen arbeitsgerichtlichen Verfahren zutreffend gewesen seien. Es frage sich auch, warum der Kläger vom Rechtsmittel der Revision keinen Gebrauch gemacht habe. Zu keiner anderen Beurteilung führe auch der Vorwurf, dass in anderen Fällen von rechtskräftigen Verurteilungen anders gehandelt wurde. Eine Gleichbehandlung im Unrecht gebe es nicht. Die seinerzeit betroffenen Mitarbeiterin habe anders als der Kläger ihr Fehlverhalten eingeräumt und keine Kollegen in ihr unrechtmäßiges Verhalten mit hinein gezogen.
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Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgereicht eingelegt und begründet.
II.
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Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Tatsachen, die im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, liegen nicht vor.
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1. Gemäß § 34 Abs. 2 TVöD konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers, der im Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr vollendet hatte und länger als 15 Jahre bei ihr beschäftigt war, nur aus einem wichtigen Grund kündigen. Mit dem Begriff des "wichtigen Grundes" knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, die das Vorliegen eines solchen Grundes voraussetzt (BAG 26.11.2009 - 2 AZR 272/08 -EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr 16). Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob der betreffende Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Grund "an sich" geeignet ist. Ist dies der Fall, ist sodann zu prüfen, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., vgl. etwa BAG 26.11.2009, aaO.). Fristlos kann aber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer nach § 626 BGB nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar wäre (BAG 12.8.1999 - 2 AZR 923/98 - EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr 8; 27.4.2006 - 2 AZR 386/05- EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr 11). Ist danach eine fristlose Kündigung gegenüber dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer ausgeschlossen, so ist in den Fällen, in denen bei einem kündbaren Arbeitnehmer nur eine ordentliche Kündigung in Betracht käme, weiter zu prüfen, ob bei dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die lange Bindungsdauer die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer Auslauffrist vorliegen. Stellt sich bei dieser Prüfung heraus, dass dem Arbeitgeber wegen der "Unkündbarkeit" des Arbeitnehmers dessen Weiterbeschäftigung bis zum Pensionsalter unzumutbar ist, bei unterstellter Kündbarkeit dagegen nur eine fristgerechte Kündigung zulässig wäre, muss dem Arbeitnehmer eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingeräumt werden. Es würde dem Sinn und Zweck des tariflichen Alterskündigungsschutzes widersprechen, dem altersgesicherten Arbeitnehmer eine der fiktiven Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist zu verweigern, wenn einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne gesteigerten Kündigungsschutz bei (theoretisch) gleichem Kündigungssachverhalt - und Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - nur fristgerecht gekündigt werden könnte.
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2. Die Kündigung ist nicht als außerordentliche fristlose Verdachts- oder Druckkündigung gerechtfertigt.
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a) Die Arbeitsgerichte dürfen eine Kündigung nur unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung beurteilen, wenn der Arbeitgeber die Kündigung - zumindest hilfsweise - auf den entsprechenden Verdacht stützt (BAG 23.6.2009 -2 AZR 474/07- EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr 8).
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Eine Verdachtskündigung hat die Beklagte vorliegend nicht ausgesprochen. Sie stützt die Kündigung nicht auf einen Verdacht, sondern vielmehr auf die Tatsache rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung.
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b) Auch als Druckkündigung ist die Kündigung nicht gerechtfertigt. Dazu müssten Dritte von der Arbeitgeberin unter Androhung von Nachteilen die Entlassung des Klägers verlangt haben (vgl. nur KR-KSchG/Fischermeyer, 9. Aufl., § 626 BGB Rz. 204 ; BAG 31.1.1996 -2 AZR 158/95- EzA § 626 BGB Druckkündigung Nr 3). Dies hat die Beklagte nicht dargelegt. Eine derartige Drucksituation ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten auszugsweise vorgelegten Protokoll der Bereichsleitersitzung vom 12.1.2012 (Bl. 158 d.A.). Ausweislich dessen haben die Bereichsleiter zwar einen Einsatz des Klägers in ihren Bereichen abgelehnt, ohne allerdings hiermit die Androhung von Nachteilen zu verbinden. Im Übrigen fand diese Sitzung erst nach Zugang der Kündigung statt, so dass diese Äußerung der Bereichsleiter nicht ursächlich für den Kündigungsentschluss gewesen sein konnte.
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3. Ein Grund, der die Beklagte zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen würde, ergibt sich auch nicht aus der Tatsache der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers wegen falscher Verdächtigung zu Lasten des Herrn H.
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a) Die Berufungskammer folgt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 16.9.1999 -2 ABR 68/98- EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 40; Beschluss vom 8.6.2000 -2 ABR 1/00- EzA § 15 KSchG nF Nr. 50) hinsichtlich der Frage, wie sich eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung auswirkt, wenn der der vorangegangenen Kündigung zugrunde gelegte Tatvorwurf im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht nachgewiesen werden konnte.
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Danach stützt der Arbeitgeber die Kündigung, wenn er nun auch auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung abstellt, nicht mehr allein auf die vorgeworfene Tat, sondern zusätzlich auf das mit der diesbezüglichen strafrechtlichen Verurteilung verbundene Unwerturteil als neue Tatsache. Die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen einer im Betrieb begangenen Straftat ist als neue Tatsache auch an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen, weil sie den Betriebsfrieden ernsthaft gefährden kann. Sollte sie im Einzelfall für sich genommen nicht ausreichen, eine Kündigung zu begründen, etwa weil der Arbeitnehmer ungeachtet der Rechtskraft des Strafurteils weiterhin mit substantiiertem Vortrag seine Unschuld beteuert, kann im Zusammenhang damit auf die eigentlichen Tatvorwürfe zurückgegriffen werden.
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b) Ausgehend hiervon stellt die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Klägers keinen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grund dar. Die strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen vermag die außerordentliche Kündigung deshalb nicht zu rechtfertigen, weil von der Beklagten nicht dargelegt werden konnte, inwieweit es hierdurch zu einer ernsthaften Gefährdung des Betriebsfriedens gekommen oder eine solche zu befürchten ist bzw. in anderer Weise betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt worden sind.
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aa) Soweit die Beklagte eine Störung des Betriebsfriedens im Hinblick darauf geltend macht, der Kläger habe Frau S. der Lüge und Falschaussage bezichtigt –so das Anhörungsschreiben an den Personalrat- geht auch die Berufungskammer davon aus, dass durch die unzutreffende Bezichtigung anderer Mitarbeiter zur Verdeckung eigener Fehlleistungen der Betriebsfrieden empfindlich gestört werden kann und auch andere Mitarbeiter befürchten müssen, bei einer Zusammenarbeit bezichtigt zu werden, um sich der Verantwortlichkeit für eigene Fehler zu entziehen.
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Hierüber verhalten sich aber die strafgerichtlichen Urteile nicht. Gegenstand der strafgerichtlichen Verurteilung war nicht eine falsche Verdächtigung zu Lasten der Mitarbeiterin S., sondern zu Lasten des Herrn H., der nicht bei der Beklagten beschäftigt ist. Auch aus der Begründung des strafgerichtlichen Urteils ergibt sich nicht, dass der Kläger die Mitarbeiterin S. in unzulässiger Weise der Lüge bzw. Falschaussage bezichtigt hätte. Ausweislich des strafgerichtlichen Urteils des Amtsgerichts A-Stadt hat dieses der Aussage der als Zeugin vernommenen Mitarbeiterin S. Glauben geschenkt, während die Berufungskammer im Verfahren hinsichtlich der vorangegangenen Kündigung (Urteil vom 21.5.2010, 9 Sa 705/09) keine ausreichende Überzeugung von der Wahrheit der Bekundungen der dort ebenfalls vernommenen Zeugin S. gewinnen konnte. Da im strafgerichtlichen Verfahren hinsichtlich der Frage, ob der Kläger Frau S. im Interesse des ebenfalls vernommenen Zeugen L. manipuliert hat, keine neuen oder andere Beweismittel verwendet wurden, ergibt sich aus dem rechtskräftigen Strafurteil nur, dass das Strafgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugin S. anders beurteilt hat als die Berufungskammer im genannten Verfahren. Ein „Bezichtigen“ kann hieraus nicht abgeleitet werden. Dass der Kläger im Strafverfahren die Zeugin der Lüge bezichtigt hätte, ist nicht feststellbar. Auch im genannten Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger dies nicht getan, sondern dort zulässigerweise die kündigungsbegründenden Vorwürfe seinerseits substantiiert bestritten und auf Widersprüchlichkeiten bezüglich der Bekundungen der Zeugin S. hingewiesen, wobei ausweislich des Urteils im Berufungsverfahren auch die Berufungskammer aufgrund von Widersprüchlichkeiten in der seinerzeitigen Aussage der Zeugin keine Überzeugung von der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen gewinnen konnte. In dem prozessualen Verhalten des Klägers liegt kein Bezichtigen, sondern die Wahrnehmung berechtigter Interessen und Verwendung prozessual zulässiger Mittel im Rahmen eines Rechtsstreits.
- 48
bb) Auch eine anderweitige erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher bzw. dienstlicher Interessen lässt sich nicht feststellen, wobei die Beklagte derartige in der Anhörung des Personalrats auch nicht konkret dargelegt sondern lediglich darauf verwiesen hat, eine Weiterbeschäftigung sei unzumutbar.
- 49
Eine Kündigung, zumal eine außerordentliche, setzt generell die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher (dienstlicher) oder vertraglicher Interessen voraus. Wird ein Arbeitnehmer jedoch von einem Strafgericht rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt und wird dadurch wegen der Auswirkungen der Verurteilung auf Kollegen oder den Arbeitgeber selbst ein regulärer Einsatz des Arbeitnehmers auf unabsehbare Zeit unmöglich, liegt bereits in dieser Störung eine Beeinträchtigung erheblicher betrieblicher Interessen, ohne dass dazu weitere Umstände hinzutreten müssen. Je nach Art der Straftat wegen derer eine Verurteilung erfolgt, kann hiervon auch ohne Darlegung konkreter Beeinträchtigungen ausgegangen werden (BAG 8.6.2000 aaO.).
- 50
Zwar wird durch die erfolgte rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung das Vertrauen der Beklagten in eine korrekte Wahrnehmung von Dienstgeschäften erschüttert. Dass dies aber zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers führt, macht die Beklagte nicht geltend, sondern stützt die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung gerade darauf, dass der Kläger die Mitarbeiterin S. belogen und diffamiert“ haben soll, was sich aber aus der Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung gerade nicht ergibt. Gegen eine Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung spricht auch, dass die Beklagte in einem anderen Fall der Verurteilung einer Mitarbeiterin wegen Untreuestraftaten anlässlich der Wahrnehmung von Dienstgeschäften von einer Kündigung abgesehen hat.
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c) Auch wenn entsprechend der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts nicht allein auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abgestellt wird, sondern davon auszugehen ist, dass in einer derartigen Konstellation der kündigende Arbeitgeber nicht allein hierauf, sondern ergänzend auch auf die eigentlichen Tatvorwürfe abstellt, ergibt sich keine andere rechtliche Beurteilung. Da keine Bindung der Arbeitsgerichte an das Strafurteil und die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen besteht (§ 14 Abs. 2 Ziff. 1 EGZPO; BAG 16.9.1999 aaO.), kann der Arbeitgeber ergänzend auf die eigentlichen Tatvorwürfe Bezug nehmen. Umgekehrt kann der Arbeitnehmer im arbeitsgerichtlichen Verfahren seine Unschuld geltend machen, was er allerdings substantiiert tun muss. GGfs. muss sodann eine erneute Beweisaufnahme durchgeführt werden (vgl. BAG 8.6.2000, aaO.).
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Der Kläger hat in seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 10.2.2012 ausführlich die Gesichtspunkte aufgezeigt, die aus seiner Sicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Frau S. sprechen. Er hat des Weiteren Bezug genommen auf das Urteil der Berufungskammer im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren, in welchem im Einzelnen ausgeführt wurde, aufgrund welcher Widersprüchlichkeiten die Berufungskammer nicht vom Erwiesen-Sein der Kündigungsvorwürfe ausgehen konnte. Die Beklagte ihrerseits hat Bezug genommen auf das strafgerichtliche Urteil und die dortige Wertung der Zeugenaussage der Frau S., aber bewusst davon abgesehen, diese im jetzigen Verfahren erneut als Zeugin zu benennen.
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4. Auch die von der Beklagten ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung (Kündigung mit sozialer Auslauffrist) hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Voraussetzung der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist, dass einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne gesteigerten Kündigungsschutz bei gleichem Kündigungssachverhalt - und Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - fristgerecht hätte gekündigt werden können, was das Bestehen eines Kündigungsgrundes voraussetzt.
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Vorliegend scheitert die außerordentliche Kündigung -wie ausgeführt- nicht daran, dass zwar eine schuldhafte Pflichtverletzung, also ein verhaltensbedingter Grund oder ein personenbedingter Kündigungsgrund vorläge, der aber im Rahmen der Interessenabwägung nicht zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist führt, sondern wie ausgeführt daran, dass die Beklagte eine erhebliche Beeinträchtigung dienstlicher Interessen bzw. eine ernsthafte Gefährdung bzw. Störung des Betriebsfriedens nicht ausreichend hat darlegen können.
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5. Die Kündigungen sind aber auch unter dem Gesichtspunkt nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats rechtsunwirksam.
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a) Gemäß § 82 Abs. 3 Landespersonalvertretungsgesetz (LPersVG) ist der Personalrat zu fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Die Leiterin oder der Leiter der Dienststelle hat die beabsichtige Maßnahme zu begründen. Es besteht für den Personalrat eine Stellungnahmefrist von 4 Werktagen. Ebenfalls besteht ein Mitwirkungsrecht des Personalrats bei ordentlichen Kündigungen nach § 83 Abs. 1 iVm. § 82 LPersVG. Gemäß § 82 Abs. 4 LPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist.
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Ebenso wie bei der Betriebsratsanhörung tritt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung nicht nur ein, wenn der der Personalrat überhaupt nicht beteiligt wurde, sondern auch dann, wenn der Personalrat nur unzureichend unterrichtet wurde. Es gelten die zu § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze (KR-KSchG/Etzel, 9. Aufl. §§ 72, 79, 108 Abs. 2 BPersVG Rz. 54, 15).
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An die Unterrichtung des Personalrats sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Eine ordnungsgemäße Unterrichtung liegt dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Personalrat die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Der aus Sicht des Arbeitgebers für die Kündigung maßgebende Sachverhalt muss dabei so genau und umfassend beschrieben werden, dass der Personalrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen (vgl. etwa zu § 102 BetrVG BAG 22.04.2010 - 2 AZR 991/08 -, EzA § 102 BetrVG 2001 Nr. 26).
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b) Die Beklagte hat dem Personalrat gegenüber die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nach rechtskräftiger Verurteilung mit einer ernsthaften Gefährdung des Betriebsfriedens begründet, ohne allerdings hierzu nähere Tatsachen mitzuteilen, auf die sie diese Einschätzung stützt. Ohne die Mitteilung derartiger Tatsachen ist es für den Personalrat nicht möglich, diese Einschätzung nachzuvollziehen, worauf der Personalrat auch in seiner Stellungnahme hingewiesen hat. Auch eine sachgerechte Stellungnahme kann allein aufgrund dieser Information nicht erfolgen. Ohne Kenntnis dessen, wodurch in Folge der strafgerichtlichen Verurteilung genau eine Störung des Betriebsfriedens zu befürchten sein soll, kann der Personalrat sachgerecht Bedenken im Sinne des § 83 Abs. 3 LPersVG, etwa in Form des Vorschlags alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, bei denen keine Gefährdung des Betriebsfriedens zu erwarten sei, nicht äußern oder auch nur sachgerecht eine Entscheidung darüber treffen, ob er Bedenken äußern will.
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Ebenso wenig führt die Beklagte näher aus, wann und in welcher Weise der Kläger Frau S. der Lüge und Falschaussage bezichtigt haben soll, worauf sie in der Personalratsanhörung und im vorliegenden Verfahren ebenfalls abstellt. Dem Personalrat wird schon nicht mitgeteilt, ob und auf welches Verhalten des Klägers im Strafverfahren und/oder im vorangegangenen Kündigungsschutzprozess bezieht und aufgrund welcher Tatsachen von einer Bezichtigung der Lüge und Falschaussage auszugehen ist. Die gewählte Formulierung impliziert, dass der Kläger die Zeugin einer Straftat der Falschaussage vor Gericht bezichtigt hat.
III.
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Auf die Berufung des Klägers war daher das angefochtene Urteil wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.
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