Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (3. Kammer) - 3 TaBVGa 5/14

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Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 10.09.2014 - 5 BVGa 5/14 - wird zurückgewiesen.

2. Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

Gründe

I.

1

Der Betriebsrat als Antragsteller begehrt zur Sicherung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Damit soll der Antragsgegnerin untersagt werden, die Schließung eines Betriebsteils bzw. den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen ohne Verhandlungsabschluss vorzunehmen.

2

Die Antragsgegnerin ist Teil eines international tätigen Unternehmenskonzerns. Sie produziert am Standort A-Stadt mit etwa 160 Arbeitnehmern Unterwassermotoren. Am 26.06.2014 traf die amerikanische Muttergesellschaft die Entscheidung, den Standort A-Stadt zu schließen und die dort bislang vorgenommene Produktion nach Tschechien zu verlagern. Nachdem die Antragsgegnerin selbst darüber informiert worden war, hat sie mit Schreiben vom 30.06.2014 dem Betriebsrat folgendes mitgeteilt:

3

„Sehr geehrte Damen und Herren,
wir überlegen auf Veranlassung unserer amerikanischen Muttergesellschaft, die Produktion von A-Stadt zu unserer tschechischen Schwestergesellschaft, der F. zu verlagern. Die Einzelheiten unserer Überlegungen können Sie dem anliegenden Entwurf eines Interessensausgleichs entnehmen.

4

Da in dieser Maßnahme eine Betriebsänderung gem. § 111 Satz 3 Ziffer 1 BetrVG liegen würde, bitten wir Sie hiermit, die geplanten Maßnahmen mit uns zu beraten und einen Interessenausgleich mit uns abzuschließen. Gleichzeitig wollen wir mit Ihnen über einen Sozialplan verhandeln. Als Verhandlungstage schlagen wir folgende Termine vor:

5

04.07.2014, 10 Uhr
08.07.2014, 10 Uhr
11.07.2014, 10 Uhr

6

Wir bitten um kurzfristige Rückäußerung, welcher der Termine für Sie in Betracht kommt.“

7

Als Anhang dieses Anschreibens übermittelte die Antragsgegnerin einen von ihr ausgefertigten Entwurf eines Interessenausgleichs. Nachdem der Betriebsrat den vorgeschlagenen ersten Termin am 04.07.2014 nicht wahrgenommen hatte, bat die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 07.07.2014 um Bestätigung eines Termins, wobei nunmehr der 10. bzw. der 11.07.2017 vorgeschlagen wurde. Der Betriebsrat wandte sich am 08.07.2014 seinerseits schriftlich an die Antragsgegnerin. Er teilte dieser mit, aufgrund der existenziellen Bedeutung der Betriebsänderung für die Beschäftigten bedürfe es einer sorgfältigen internen Beratung. Man betrachte die Heranziehung von Sachverständigen als notwendig und plane mit diesen eine zeitnahe Betriebsratssitzung sowie die Erarbeitung eines an die Antragsgegnerin gerichteten Fragenkatalogs. Am 22.07.2014 übergab der Betriebsrat der Arbeitgeberin einen Fragenkatalog. Mit Schreiben vom gleichen Tage forderte die Antragsgegnerin den Betriebsrat erneut zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich auf und bot dazu vier Termine im Zeitraum zwischen 24.07. und dem 30.07.2014 an. Sie teilte in diesem Schreiben des Weiteren mit, dass der Ausspruch von Kündigungen für den Monat August geplant sei. Ebenso teilte sie die von ihr in Erwägung gezogenen Kriterien und Punkte für eine Sozialauswahl mit. Den Fragenkatalog beantwortete die Arbeitgeberin am 31.07.2014, nach Auffassung des Betriebsrats jedoch unzureichend. Ein Gespräch fand am 07.08.2014 statt. Der Betriebsrat teilte weiteren Informationsbedarf mit und beantragte - auch im Hinblick auf die Betriebsferien - eine Weiterverhandlung nicht vor dem 03.09.2014.

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Am 21.08.2014 gab die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragssteller bekannt, dass sie die Verhandlungen über einen Interessenausgleich als gescheitert ansehe. Der Betriebsrat wurde nach § 102 BetrVG zu 94 - bzw. nach Angaben der Antragsgegnerin 86 - beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen angehört.

9

Die Antragsgegnerin erklärte am 28.08.2014 86 Kündigungen. In sechs weiteren Fällen wurde am 29.08.2014 Zustimmungsantrag zur Kündigung vor dem Integrationsamt gestellt, wobei der Betriebsrat durch die Behörde zur Stellungnahme aufgefordert wurde. Die Massenentlassungsanzeige an die Bundesagentur für Arbeit ging dort am 27.08.2014 ein.

10

Mit Vertrag vom 08.09.2014 veräußerte die Antragsgegnerin die in ihrer Produktion eingesetzten Maschinen an die F., Tschechien. Die Vertragsparteien befristeten das Nutzungsrecht der Antragsgegnerin.

11

Der Betriebsrat hat vorgetragen,
die Antragsgegnerin habe das Beratungsverfahren frühzeitig und unberechtigt abgebrochen, ohne mit dem Betriebsrat einen ernsthaften Einigungsversuch über einen Interessenausgleich anzustreben. Dieser einseitige Abbruch der Verhandlungen sei nicht gerechtfertigt. Nur durch den Ausspruch einer Unterlassungsverfügung sei eine Sicherung seiner Beratungsrechte möglich. Es drohten weitere Kündigungen, sodass auch eine Dringlichkeit des Antrags anzunehmen sei.

12

Der Antragsteller hat nach Ausspruch der Kündigungen durch die Antragsgegnerin im Laufe des vorliegenden Verfahrens seine Anträge angepasst und zuletzt beantragt,

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1. Der Beteiligten zu 2. zu untersagen, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes bzw. Zwangshaft gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin, die Schließung des Produktionsbetriebes insbesondere durch Verlagerung von Maschinen und Anlagen von A-Stadt nach B. vorzunehmen, bis ein Interessenausgleich abgeschlossen ist oder durch Spruch der Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs festgestellt wurde;

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2. der Beteiligten zu 2. zu untersagen, weitere betriebsbedingte Kündigungen/Änderungskündigungen im Zusammenhang mit der geplanten Betriebsänderung, d.h. der Schließung des Produktionsbetriebes bei der Antragsgegnerin in A-Stadt, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes bis zu 25.000,-€ bzw. Zwangshaft gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin auszusprechen, bis zwischen den Beteiligten ein Interessenausgleich hinsichtlich der geplanten Betriebsänderung zustande gekommen ist oder die Verhandlungen über diesen Interessenausgleich beendet sind.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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die Anträge zurückzuweisen.

17

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen,
nach ihrem Dafürhalten habe der Betriebsrat mit seiner konsequenten Ablehnung von Terminen die Konsultationen verzögert, sodass man das Verhandeln eines Interessenausgleichs als gescheitert ansehen müsse.

18

Zudem habe ein Betriebsrat grundsätzlich keinen im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber eine geplante Betriebsänderung und die dazu erforderlichen Maßnahmen unterlasse, bis die Betriebsänderung beraten und das Beratungsverfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs abgeschlossen worden sei. Aufgrund des bereits erfolgten Kündigungsausspruchs habe sich das Unterlassungsbegehren zudem nunmehr offensichtlich erledigt. Auf die örtliche Verlagerung der Maschinen habe sie - die Antragsgegnerin - nunmehr rechtlich keinen Einfluss mehr, da eine Übereignung der Maschinen bereits erfolgt sei und ihr nur noch ein befristetes Nutzungsrecht zustehe.

19

Das Arbeitsgericht Trier hat die Anträge daraufhin durch Beschluss vom 10.09.2014 - 5 BVGs 5/14 - zurückgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts der Gründe der Entscheidung wird auf Bl. 167-177 d. A. Bezug genommen.

20

In dem ihm am 12.09.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller durch am 22.09.2014 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und das Rechtsmittel zugleich begründet.

21

Der Beschwerdeführer wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, es gehe ihm im einstweiligen Verfügungsverfahren darum, dass mit ihm weiter über einen Interessenausgleich verhandelt werde und die Verhandlungen - entgegen der Vorstellung der Arbeitgeberin - keineswegs gescheitert oder derzeit in irgendeiner anderen Form verwirkt seien. Die Arbeitgeberin versuche, Fakten zu schaffen, um einer Diskussion um den Erhalt der Arbeitsplätze zu entgehen. Sie versuche, sich bewusst ihren Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz zu entziehen und befürchte als Konsequenz lediglich einen Nachteilsausgleich, der von der Höhe her mit dem unterbreiteten Sozialplanangebot identisch sei. Vorliegend sei auch ein Verfügungsgrund gegeben, weil sechs weitere Kündigungen unmittelbar zu erwarten seien, nämlich die der schwerbehinderten Menschen, hinsichtlich derer eine Zustimmung des Integrationsamtes nicht vorliege. Auch bestehe die Gefahr, dass die bereits erklärten Kündigungen aufgrund § 17 KSchG unwirksam seien, da die Arbeitgeberin nicht mit dem Betriebsrat darüber beraten habe, wie die Kündigungen vermieden werden könnten. Hinsichtlich der Betriebsanlagen, die bereits verkauft worden seien, sei zu berücksichtigen, dass die Kaufvertragsparteien zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Trier bezüglich der Maschinen einen Vertrag unterschrieben hätten, der offensichtlich nur dazu gedient habe, die Rechte des Betriebsrats faktisch auszuschließen. Dies könne nicht hingenommen werden.

22

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren wird auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 22.09.2014 (Bl. 208-217 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 218-220 d. A.) Bezug genommen.

23

Der Beschwerdeführer beantragt,

24

den Beschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 10.09.2014, Az.: 5 BVGa 5/14, aufzuheben und

25

1. es der Beteiligten zu 2. zu untersagen, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes bzw. Zwangshaft gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin, die Schließung des Produktionsbetriebes insbesondere durch Verlagerung von Maschinen und Anlagen von A-Stadt nach B. vorzunehmen, bis ein Interessenausgleich abgeschlossen ist oder durch Spruch der Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs festgestellt wurde;

26

2. es der Beteiligten zu 2. zu untersagen, weitere betriebsbedingte Kündigungen/Änderungskündigungen im Zusammenhang mit der geplanten Betriebsänderung, d.h. der Schließung des Produktionsbetriebes bei der Antragsgegnerin in A-Stadt, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes bis zu 25.000,-€ bzw. Zwangshaft gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin auszusprechen, bis zwischen den Beteiligten ein Interessenausgleich hinsichtlich der geplanten Betriebsänderung zustande gekommen ist oder die Verhandlungen über diesen Interessenausgleich beendet sind.

27

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

28

die Beschwerde zurückzuweisen.

29

Die Beschwerdegegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Berufung des Beschwerdeführers auf die Betriebsferien bzw. die Urlaubsabwesenheit eines beauftragten Rechtsanwalts belege, dass es dem Beschwerdeführer allein darum gehe, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Bereits mit Schreiben vom 28.07.2014 sei hinsichtlich der Sachverständigen Frau Dr. G. eine modifizierte Kostenzusage erteilt worden, die danach tatsächlich an dem Gespräch am 07.08.2014 ebenso wie Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. S. (ohne Vereinbarung gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG) teilgenommen habe. Es sei daher völlig unverständlich, warum der Beschwerdeführer Gespräche mit der Beschwerdegegnerin ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen ablehne. Die Betriebsferien in der Zeit vom 4. bis zum 15.08.2014 seien ebenfalls kein nachvollziehbarer Hinderungsgrund, weil auch außerhalb der Betriebsferien, und zwar vorher und nachher für den Beschwerdeführer genügend Zeit gewesen sei, mit der Beschwerdegegnerin Gespräche vor September 2014 zu führen.

30

Insgesamt sei vorliegend weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund gegeben.

31

Hinsichtlich des streitigen Vorbringens der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren wird auf die Beschwerdeerwiderungsschrift vom 26.09.2014 (Bl. 252-259 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 260-265 d. A.) Bezug genommen.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlussverfahrens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

33

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 02.10.2014.

II.

34

Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; die Beschwerde erweist sich im Übrigen als statthaft und insgesamt als zulässig.

35

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

36

Das Arbeitsgericht ist letztlich zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer im Wege der einstweiligen Verfügung weder die - einstweilige - Untersagung der Schließung des Produktionsbetriebes durch Verlagerung von Maschinen und Anlagen von A-Stadt nach B. noch die Untersagung des Ausspruchs weiterer betriebsbedingter Kündigungen/Änderungskündigungen im Zusammenhang mit der geplanten Betriebsänderung verlangen kann.

37

Der Betriebsrat kann folglich vorliegend weder das Unterlassen des Ausspruchs weiterer Kündigungen noch des Verlagerns der Maschinen im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. Insoweit fehlt es zwar nicht an einem entsprechenden Verfügungsanspruch, wohl aber an einem Verfügungsgrund.

38

Mit dem Arbeitsgericht ist zunächst davon auszugehen, dass die gestellten Anträge zulässig sind, insbesondere weil sie hinreichend bestimmt sind. Es ist erkennbar, bzgl. welcher einzelner Maßnahmen - erneute betriebsbedingte Kündigungen aufgrund der geplanten Betriebsänderung - der Betriebsrat eine Unterlassung bis zum Abschluss von Interessenausgleichsverhandlungen begehrt. Des Weiteren ist ersichtlich, dass die Verlagerung von Maschinen und Anlagen von A-Stadt nach B. umfasst ist. Auch insoweit ist der Antrag entsprechend bestimmt, d. h. es ist erkennbar, bzgl. welcher Maßnahmen im Einzelnen der Betriebsrat ein Unterlassen begehrt.

39

Vorliegend spricht alles dafür, im Streitfall einen Unterlassungsanspruch - beschränkt - d. h. befristet oder auflösend bedingt auf den Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen - anzunehmen.

40

Bei der Entscheidung der Antragsgegnerin, den Standort A-Stadt zu schließen, handele es sich um eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten nach Maßgabe ihres schriftsätzlichen Vorbringens in beiden Rechtszügen kein Streit. Die Antragsgegnerin hat dies vielmehr selbst bereits mit ihrem ersten Schreiben vom 30.06.2014 dem Betriebsrat mitgeteilt.

41

Mit dem Arbeitsgericht ist des Weiteren davon auszugehen, dass die Betriebspartner das Beratungsverfahren nach § 111 Satz 1 BetrVG nicht ordnungsgemäß durchgeführt bzw. vollendet haben. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (S. 7, 8 = Bl. 172, 173 d. A.) zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

42

Zwar ist grundsätzlich streitig, ob infolge eines nicht abgeschlossenen Beratungsverfahrens ein Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats bzgl. der Umsetzung der Betriebsänderung bis zum Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen nach §§ 111, 112 BetrVG besteht.

43

Dies wird insbesondere mit der Begründung verneint, im Hinblick auf die in § 113 Abs. 2 BetrVG enthaltene spezifische Sanktionsmöglichkeit zu Gunsten der betroffenen Arbeitnehmer sei eine weitergehende kollektivrechtliche Rechtsfolge vom Gesetzgeber bewusst nicht vorgesehen worden. Deshalb stehe dem Betriebsrat im Anwendungsbereich der §§ 111 ff. BetrVG gerade kein echtes Mitbestimmungsrecht im Sinne einer erzwingbaren Mitgestaltung zu, wie etwa im Rahmen des § 87 BetrVG. Daher sei auch kein Unterlassungsanspruch anzuerkennen. Auf die Ausgestaltung eines solchen Rechts habe der Gesetzgeber bei der Reformierung des Betriebsverfassungsgesetzes in Kenntnis des Streitstandes 2001 bewusst verzichtet (LAG Rheinland-Pfalz 24.11.2004 - 9 TaBV 29/04; 30.03.2006 - 11 Ta 53/05; LAG Baden Württemberg 21.10.2009 - 20 TaBVGa 1/09; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 12. Auflage 2015, Kapitel 13 Rn. 2305 ff. = 3000 f.).

44

Dem ist entgegenzuhalten, dass mit dieser Auffassung die Rechte des Betriebsrats leerlaufen würden. Deshalb muss es zulässig sein, zeitlich befristet (bzw. auflösend bedingt) durch die Beratungen über einen Interessenausgleich einen derartigen einstweiligen Unterlassungsanspruch zu bejahen (LAG Schleswig-Holstein 15.12.2010 LAGE § 111 BetrVG 2001 Nr. 11; LAG Hessen 19.01.2010 LAGE § 111 BetrVG 2001 Nr. 10; LAG Hamm 30.07.2007 - 10 TaBVGa 17/07, EzA - SD 20/2007, S. 11).

45

Für diese Auffassung spricht, dass das nationale Recht insoweit nach § 111 BetrVG für den Fall der Betriebsänderung nicht nur einen umfassenden Unterrichtungsanspruch, sondern darüber hinausgehend einen Beratungsanspruch des Betriebsrats vorsieht. Ziel ist nach Maßgabe des § 112 Abs. 3 BetrVG eine Einigung der Betriebspartner über einen Interessenausgleich, ggfls. unter Einschaltung einer Einigungsstelle. Dieses Mitwirkungsrecht, das zwar nicht zu einer erzwingbaren Einigungsstellenentscheidung gegen den Willen des Arbeitgebers führen kann, würde aber dann, wie vorliegend, letztlich leerlaufen, wenn der Arbeitgeber durch den Ausspruch von Kündigungen und die Veräußerung der Maschinenanlagen vor Abschluss entsprechender Beratungen vollendete Tatsachen schafft, mit der Maßgabe, dass damit das Verhandlungssubstrat letztlich entfällt. Insoweit erscheint der Hinweis auf § 113 Abs. 3 BetrVG unbehelflich, denn durch diese Norm wird lediglich den betroffenen einzelnen Arbeitnehmern ein Zahlungsanspruch eingeräumt; eine Sanktion betreffend die Missachtung des Mitwirkungsrechts des Betriebsrates ist damit aber nicht gegeben und sonst im Betriebsverfassungsgesetz auch nicht vorgesehen. Das ist im Rahmen systematischer Gesetzesauslegung auch deshalb unbefriedigend und inkonsequent, als § 102 Abs. 1 BetrVG für den Fall des Ausspruchs einer an sich wirksamen Kündigung, d. h. bei Vorliegen eines dem Gesetz genügenden Kündigungsgrundes für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Rechtsfolge für die fehlerhafte Beteiligung des Betriebsrats die Unwirksamkeit der individualrechtlichen Maßnahme Kündigung ausdrücklich vorsieht. Nicht anders verhält es sich bei formellen Mängeln im Rahmen der § 17 ff. KSchG im Zusammenhang mit der Beteiligung des Betriebsrats, die gleichfalls zur Rechtsunwirksamkeit der individualrechtlichen Maßnahme der Kündigung des Arbeitnehmers führen können. Für Einzelmaßnahmen wird also bei Mängeln in der Beteiligung des Betriebsrats und einem weniger weitgehenden Mitwirkungsrecht eine eindeutige sanktionierende Rechtsfolge angeordnet; im Rahmen der §§ 111 ff. BetrVG, die den Betriebsrat in seiner Funktion als demokratisch legitimierter Arbeitnehmervertretung wesentlich intensiver betreffen, soll demgegenüber keinerlei Sanktion, auch nicht nur vorübergehend und auch nicht nur befristet bzw. auflösend bedingt zur Wahrung der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Rechte eintreten. Das überzeugt nicht. Dies gilt erst recht im Hinblick auf Artikel 1, 3, 4 der Richtlinie 2002/14/EG vom 11.03.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft. Denn insoweit wird einerseits lediglich die Unterrichtung und Anhörung geregelt, andererseits aber sieht Artikel 8 ausdrücklich die Sanktionierung der Missachtung dieser Regelungen vor. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie sehen die Mitgliedsstaaten für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie durch den Arbeitgeber oder durch die Arbeitnehmervertreter geeignete Maßnahmen vor. Sie sorgen insbesondere dafür, dass es geeignete Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gibt, mit deren Hilfe die Erfüllung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann. Gemäß Art. 8 Abs. 2 RL 2003/14/EG sehen die Mitgliedsstaaten angemessene Sanktionen vor, die im Falle eines Verstoßes gegen diese Richtlinie durch den Arbeitgeber oder durch die Arbeitnehmervertreter Anwendung finden; Sanktionen müssen wirksam, angemessen und abschreckend sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht fernliegend, im Rahmen der §§ 111 ff. BetrVG im hier maßgeblichen Zusammenhang eine Regelungslücke zu sehen, die zumindest mit dem Ziel eines befristeten bzw. auflösend bedingten Unterlassungsanspruchs zu verstehen ist.

46

Selbst wenn man aber vorliegend vom Vorhandensein eines Verfügungsanspruchs ausgehend würde, fehlt es, insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis, letztlich an dem gemäß §§ 935, 940 ZPO erforderlichen Verfügungsgrund. Gemäß § 935 ZPO sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand nur zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Insoweit muss der Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendig sein. Für die Verfügung muss eine Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit bestehen. Daran fehlt es, wenn dem Verfügungskläger auch mit einer späteren Verwirklichung seines Rechts im ordentlichen Prozessweg gedient ist. Die Dringlichkeit entfällt, insbesondere nach den Grundsätzen der Selbstwiderlegung, auch dann, wenn der Verfügungskläger in Kenntnis der sie rechtfertigenden Umstände untätig bleibt und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst nach längerer Zeit stellt. Gleiches gilt, wenn der Antragsteller das Verfügungsverfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt. Ebenso ist die Verlängerung von prozessualen Fristen und deren Ausschöpfung ein Indiz für die mangelnde Dringlichkeit des Begehrens (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 20.03.2014, 5 SaGa 13/13, Jurion RS 2014, 14198; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 12. Auflage 2015, Kapitel 16, Rn. 51 = S. 3331).

47

Im hier maßgeblichen Zusammenhang liegt ein Verfügungsgrund zudem regelmäßig dann nicht vor, wenn der Arbeitgeber verhandlungsbereit ist (LAG Rheinland-Pfalz, 05.02.2010 - 6 TaBVGa 5/09). Davon war hier jedenfalls zunächst auszugehen, weil die Antragsgegnerin durch das Anbieten zahlreicher Termine ihre Verhandlungsbereitschaft über einen längeren Zeitraum eindeutig angezeigt hat. Allerdings hat sie diese ab dem 21.08.2014, also vor Eingang des Antrags, der hier streitgegenständlich ist, nicht mehr aufrechterhalten. Dieser Umstand allein steht dem Verfügungsgrund folglich mit dem Arbeitsgericht noch nicht entgegen.

48

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts fehlt es am Verfügungsgrund auch nicht deswegen, weil die Antragsgegnerin durch den Ausspruch der 86 Kündigungen die zu unterlassende Maßnahme bereits vollzogen hat. Dies schon deshalb nicht, weil es ausweislich der Antragsstellung des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren nicht um die bereits erklärten Kündigungen geht, sondern um weitere, nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen unmittelbar bevorstehende Kündigungen, nämlich die der schwerbehinderten Arbeitnehmer nach Zustimmung durch das Integrationsamt. Soweit das Arbeitsgericht insoweit darauf hinweist, dass die erklärten Kündigungen nicht mehr verhindert werden können, also dass ein Unterlassungsanspruch leerlaufen würde, überzeugt dies nicht. Zwar sind die bereits erklärten ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigungen nicht Gegenstand der Anträge des Beschwerdeführers; insoweit wäre allerdings gemäß § 139 ZPO ggfls. ein Hinweis angezeigt gewesen. Denn soweit es sich bereits um erklärte Kündigungen handelt, kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass ein Unterlassungsanspruch per se leerlaufen würde. Denn es erscheint keineswegs ausgeschlossen, einen Unterlassungsanspruch, der grundsätzlich nur deshalb leerläuft, weil der Arbeitgeber unter Verletzung seiner Pflichten gemäß § 111 ff. BetrVG und damit entgegen §§ 2 Abs. 1 BetrVG, 162 I, II BGB, 242 BGB einseitig vollendete Tatsachen schafft, anzunehmen, der von einem befristeten bzw. auflösend bedingtem "Folgenbeseitigungsanspruch" flankiert wird, der den Arbeitgeber zum einstweiligen Abstand nehmen von diesen Kündigungen zwingt. Zwar kann eine vorgegangene Kündigung aufgrund ihrer Rechtsnatur als einseitige, empfangsbedürftige und rechtsgestaltende Willenserklärung nicht einseitig "zurückgenommen" werden. Sehr wohl kann der Arbeitgeber aber von ihr Abstand nehmen und dem Arbeitnehmer die einstweilige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbieten, um sie sodann ggfls. erneut zu erklären, mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt endet. Insofern erscheint es auch nicht ausgeschlossen, auf Artikel 8 Abs. 2 der Richtlinie 2002/14/EG ergänzend zurückzugreifen. Nichts anderes gilt für die unmittelbar vor dem Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht erfolgte Veräußerung von Maschinen und Anlagen durch die Antragsgegnerin. Warum es insoweit generell ausgeschlossen sein soll, die von der Missachtung der gesetzlichen Mitwirkungsrechte des Beschwerdeführers geschaffenen Tatsachen unter Berücksichtigung von §§ 2 I BetrVG, 162 I, II, 242 BGB zumindest vorübergehend rückgängig zu machen, erschließt sich nicht. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass bereits nach nationalem Recht nach Maßgabe der Schuldrechtsreform seit dem 01.01.2002/01.01.2003 auch die Verurteilung einer Prozesspartei zu unmöglichen Leistungen nicht mehr ausgeschlossen ist.

49

Am Verfügungsgrund fehlt es vorliegend aber deshalb, weil der Beschwerdeführer vorliegend durch sein zögerliches Verhalten die Eilbedürftigkeit letztlich selbst herbeigeführt hat.

50

Gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG ergeben sich im hier maßgeblichen Zusammenhang Rechtspflichten für die Beteiligten:

51

Ebenso wie der Arbeitgeber einerseits verpflichtet ist, rechtzeitig und umfassend den Betriebsrat zu unterrichten, ist dieser verpflichtet, auf das Regelungsansinnen des Arbeitgebers zeitnah einzugehen. Insoweit lässt das Betriebsverfassungsgesetz ohne weiteres außerordentliche Betriebsratssitzungen aus konkretem Anlass zu, ist die Hinzuziehung von Sachverständigen unter Umständen möglich und haben sich die Betriebspartner insbesondere auf umfassende Gespräche einzulassen. Von daher ist in diesem Zusammenhang nicht zu verkennen, dass dem Betriebsrat insbesondere bei einer derart einschneidenden Maßnahme wie vorliegend, hinreichend Zeit zur internen Beratung, Meinungsbildung, Hinzuziehung eines Sachverständigen gegeben werden muss. Deshalb kann es auch nicht im hier maßgeblichen Zusammenhang als vorwerfbar angesehen werden, wenn der Betriebsrat sich zunächst unmittelbar nach direkter Konfrontation mit der beabsichtigten Teilbetriebsstilllegung nicht in der Lage gesehen hat, sofort in substantielle Verhandlungen über einen Interessenausgleich bzw. Sozialplan einzutreten. Allerdings ist aus dem Verhalten des Beschwerdeführers eine irgendwie geartete inhaltliche sachliche oder zeitliche Struktur nicht zu erkennen; sein Gesamtverhalten wirkt eher daraufhin gerichtet, eine gewisse Zeitverzögerung zu erreichen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Gesprächs- und Verhandlungsverweigerung für den Monat August 2014; der Hinweis auf die Betriebsferien befremdet. Zum einen ist nicht erkennbar, dass der Betriebsrat als Gremium im Rahmen der Betriebsferien insgesamt handlungs- und beschlussunfähig war; zum anderen hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass sowohl vor, als auch nach den Betriebsferien im August 2014 hinreichend Zeit für Verhandlungen war. Dies wurde vom Beschwerdeführer rundweg abgelehnt, der sich - aus welchen Gründen auch immer - erst im September 2014 zu Verhandlungen in der Lage sah. In Anwendung der zuvor dargestellten Grundsätze betreffend die Anforderungen an einen Verfügungsgrund ist deshalb davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer selbst schuldhaft zögerlich gehandelt hat, sodass eine einstweilige Verfügung nicht in Betracht kommt.

52

Nach alledem war die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zurückzuweisen.

53

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

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