Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 104/17

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 31. Januar 2017, Az. 11 Ca 2025/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Erhöhung einer Abfindung um einen Aufstockungsbetrag.

2

Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall). Er war bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilzulieferindustrie, am Standort Sch. beschäftigt. Die Beklagte und die IG Metall schlossen am 1. Juli 2013 einen Sozialtarifvertrag (TV 2013). Dieser hat ua. folgenden Wortlaut:

3

"§ 1Geltungsbereich

4

...
3. Alle Beschäftigten, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallen, erhalten eine Abfindung als sozialen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes aus dringenden betrieblichen Erfordernissen nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.

5

§ 2 Berechnung der Abfindung

6

1. ...
2. Der Bruttoabfindungsbetrag errechnet sich nach folgender Formel:

7

Bruttomonatsentgelt x Betriebszugehörigkeit x Faktor

8

...
5. Der Faktor wird für die Jahre in der Laufzeit des Tarifvertrages wie folgt gestaffelt, für die Höhe des Faktors ist Stichtag der Tag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

9

a. 2013

Faktor = 1,50

b. 2014

Faktor = 1,45

c. 2015

Faktor = 1,40

d. 2016

Faktor = 1,30

10

6. Falls das Zusatzgeschäft O. I. (Instrumententafel und Handschuhkasten) nicht nach Sch. kommt, werden die so zu berechnenden Abfindungen wie folgt durch einen Aufstockungsbetrag erhöht. Für die Höhe des Aufstockungsbetrages ist Stichtag der Tag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses:

11

a. 2013

keine Aufstockung

b. 2014

Aufstockungsbetrag = 15.000 €

c. 2015

Aufstockungsbetrag = 15.000 €

d. 2016

Aufstockungsbetrag = 15.000 €

...

12

§ 3 Transfergesellschaft

13

1. Für den Wechsel in eine Transfergesellschaft (TG) entsprechend dem zeitgleich vereinbarten Zukunftstarifvertrag zur Beschäftigungs- und Standortsicherung, der Betriebsvereinbarung zum Interessenausgleich und dem Transfersozialplan verpflichtet sich F. sicherzustellen:

14

...
d) Dass für jeden Beschäftigten, der in die TG wechselt, der Abfindungsanspruch zu 100 % bestehen bleibt und im Monat vor dem Wechsel in die TG zur Auszahlung kommt.“

15

Am 19. Januar 2016 schlossen die Beklagte und die IG Metall einen neuen Zukunfts- und Sozialtarifvertrag (TV 2016). Dieser lautet - auszugsweise wie folgt:

16

"Präambel

17

...
Mit diesem Zukunfts- und Sozialtarifvertrag werden der Zukunftstarifvertrag zur Beschäftigungs- und Standortsicherung sowie der Sozialtarifvertrag vom 01.07.2013 abgelöst. ..."

18

§ 8 des TV 2016 enthält in Ziff. 1.2 eine Abfindungsregelung nach folgender Formel:

19

"Bruttomonatsentgelt x Betriebszugehörigkeit x 1,3"

20

Eine Verpflichtung der Beklagten, einen Aufstockungsbetrag zu zahlen, enthält der TV 2016 nicht. Er trat nach seiner Unterzeichnung am 19. Januar 2016 zum 9. November 2015 in Kraft.

21

Zum 1. April 2016 wechselte der Kläger befristet bis zum 31. März 2017 in eine Transfergesellschaft. Das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten wurde mit Ablauf des 31. März 2016 beendet. Am 10./11. März 2016 schlossen der Kläger, die Transfergesellschaft und die Beklagte einen dreiseitigen Vertrag. Der für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragstext hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

22

"§ 2 Aufhebungsvereinbarung

23

1. Mit Abschluss dieses Vertrages endet das zwischen F. und dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 31.03.2016.

2. ...

24

3. F. verpflichtet sich, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß zum 31.03.2016 abzurechnen, die Arbeitspapiere herauszugeben und ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis auszustellen.

25

4. Der Arbeitnehmer verzichtet ausdrücklich darauf, gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtlich vorzugehen. ...

26

5. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zwischen F. und dem Arbeitnehmer sowie seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt.

27

6. Der Arbeitnehmer erhält aufgrund des Sozialtarifvertrages vom 01.07.2013 die vereinbarten Leistungen.

28

§ 3 Abfindung

29

Aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält der Mitarbeiter für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß den Bedingungen des Sozialtarifvertrages § 2 Abs. 2 in Höhe von 77.771,00 Euro brutto sowie eine Abfindung zum Ausgleich der Differenz des 80-prozentigen IST-Nettos und dem Nettolohn der Transfergesellschaft (gem. § 5 Abs. 4 dieses Vertrages) in Höhe von 2.392,00 Euro netto.

30

Die Zahlung der Abfindung erfolgt im Monat seines Ausscheidens durch F..

31

Der Abfindungsanspruch ist vererbbar und bereits mit Unterzeichnung dieses Vertrages entstanden.
..."

32

Der Kläger begehrt nach vergeblicher außergerichtlicher Geltendmachung mit seiner am 30. Juni 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Zahlung eines Aufstockungsbetrags iHv. 15.000 EUR.

33

Er hat erstinstanzlich gemeint, die Geltung des TV 2013 sei aufgrund der in § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags erfolgten Bezugnahme umfassend vereinbart worden, so dass auch der Aufstockungsbetrag gem. § 2 Ziff. 6 TV 2013 zu zahlen sei. Der TV 2013 sei eindeutig als zur Anwendung kommende Vertragsgrundlage bestimmt worden, weil er datumsmäßig genau bezeichnet worden sei. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Bezugnahme infolge der Ablösung des TV 2013 durch den TV 2016 hinfällig sei. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen, unter denen nach § 2 Ziff. 6 TV 2013 der Aufstockungsbetrag zu zahlen sei, vor. Das Zusatzgeschäft O. I. sei jedenfalls nicht in Gänze nach Sch. gekommen.

34

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

35

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.000 EUR nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2016 zu zahlen.

36

Die Beklagte hat beantragt,

37

die Klage abzuweisen.

38

Sie hat vorgetragen, der dreiseitige Vertrag sei von der Transfergesellschaft getextet worden. Aufgrund eines Redaktionsversehens sei offensichtlich in § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags der Verweis auf den TV 2013 noch enthalten. Der TV 2013 sei jedoch nicht anwendbar, weil er durch den TV 2016 abgelöst worden sei. Im Übrigen widerspreche auch die Auslegung des dreiseitigen Vertrags der Anwendbarkeit des TV 2013. Im dreiseitigen Vertrag komme unmissverständlich zum Ausdruck, dass - abgesehen von der bezifferten Abfindungssumme - weitere Zahlungen nicht erfolgen sollen. Dies folge auch aus der Abgeltungsklausel in § 2 Ziff. 5 des dreiseitigen Vertrags. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für die Zahlung des Aufstockungsbetrags gem. § 2 Ziff. 6 TV 2013 nicht vor. Insofern sei erforderlich, dass für das Zusatzgeschäft O. weder die Instrumententafel noch der Handschuhkasten in Sch. produziert würden. Die Produktion des Handschuhkastens erfolge indes in Sch., nur die Instrumententafel werde nicht dort produziert. Dementsprechend bestehe kein Anspruch, eine Teilzahlung sei ausdrücklich nicht vereinbart worden.

39

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 31. Januar 2017 Bezug genommen.

40

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 31. Januar 2017 abgewiesen. Der Kläger hat gegen das am 15. Februar 2017 zugestellte Urteil mit am 14. März 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 18. Mai 2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 17. Mai 2017 eingegangenem Schriftsatz begründet.

41

Er macht geltend, die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei in sich nicht schlüssig. Einerseits habe das Arbeitsgericht anerkannt, dass der dreiseitige Vertrag Regelungen des TV 2013 aufgreife, andererseits solle dies jedoch nur punktuell gelten. Dies überzeuge nicht. Die Argumentation, aus der Abgeltungsklausel in § 2 Ziff. 5 des dreiseitigen Vertrags sei zu folgern, dass § 2 Ziff. 6 TV 2013 nicht in Bezug genommen worden sei, laufe auf einen Zirkelschluss hinaus. Die Abgeltungsklausel besage, dass mit Erfüllung des Vertrags alle Ansprüche erledigt sein sollen, sie gebe aber keine nähere Auskunft darüber, was alles "zur Erfüllung" zähle. Dafür könne es letztlich allein auf die Auslegung von § 2 Ziff. 6 und § 3 des dreiseitigen Vertrags ankommen. Es gebe zwei klare Anknüpfungspunkte dafür, dass Regelungen des TV 2013 in Bezug genommen worden seien. Zum einen sei das Datum des TV 2013 in § 2 Ziff. 6 genannt worden, zum anderen verweise § 3 des dreiseitigen Vertrags zur Höhe der Abfindung auf "§ 2 Abs. 2" des TV 2013. Im TV 2016 sei die Abfindung an anderer Stelle geregelt worden. Wortlaut und Grammatik des dreiseitigen Vertrags ließen nicht die Auslegung zu, dass nur § 2 Ziff. 2 TV 2013 in Bezug genommen werde, § 2 Ziff. 6 TV 2013 hingegen nicht. Das Arbeitsgericht führe dazu aus, das Wort "aufgrund" in § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags verdeutliche, dass der TV 2013 nur deklaratorisch genannt werde. Dagegen spreche klar, dass der TV 2013 nicht normativ gelte, weshalb ein deklaratorischer Hinweis auf seine Geltung - gerade vor dem Hintergrund eines 2016 abgeschlossenen neuen Sozialtarifvertrags - unsinnig sei. Sinn ergebe die Inbezugnahme des TV 2013 im dreiseitigen Vertrag nur dann, wenn seine Geltung konstitutiv vereinbart werden sollte. Dass § 3 des dreiseitigen Vertrags nur "§ 2 Abs. 2" des TV 2013 benenne, spreche nicht zwingend dagegen, dass auch weitere Regelungen des TV 2013 gelten sollen. Die vertragliche Regelung zeige lediglich auf, dass die Beklagte der Ansicht sei, nur die Abfindung nach § 2 Ziff. 2 TV 2013 zu schulden. Es lasse sich jedoch nicht begründen, dass damit zugleich ein Ausschluss sonstiger Ansprüche verbunden sein solle.

42

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

43

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 31.01.2017, Az. 11 Ca 2025/16, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.000 EUR brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2016 zu zahlen.

44

Die Beklagte beantragt,

45

die Berufung zurückzuweisen.

46

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

47

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden.

II.

48

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Aufstockungsbetrags iHv. 15.000 EUR.

49

1. Der Kläger hat keinen tarifvertraglichen Anspruch.

50

Der TV 2013, der in § 2 Ziff. 6 - unter den dort geregelten Voraussetzungen - die Erhöhung der Abfindung um einen Aufstockungsbetrag regelte, ist durch den TV 2016 abgelöst worden. Der TV 2016 wurde am 19. Januar 2016 abgeschlossen und trat nach Unterzeichnung rückwirkend zum 9. November 2015 in Kraft. Im Verhältnis zweier zeitlich aufeinanderfolgender Normen derselben Normgeber gilt, soweit das beabsichtigt ist, das Ablösungsprinzip. Die Tarifvertragsparteien können einen von ihnen selbst früher geschlossenen Tarifvertrag grundsätzlich jederzeit abändern, einschränken oder aufheben (sog. Zeitkollisionsregel). Die spätere Regelung löst die frühere ab. Eine solche Ablösung können die Tarifvertragsparteien - wie hier in der Präambel des TV 2016 geschehen - auch ausdrücklich normieren (vgl. BAG 17.07.2007 - 9 AZR 1089/06 - Rn. 14 mwN). Aus dem Ablösungsprinzip, nach dem die jüngere tarifliche Regelung der älteren vorgeht, ergibt sich, dass eine Tarifnorm immer unter dem Vorbehalt steht, durch eine tarifliche Folgeregelung verschlechtert oder aufgehoben zu werden. Im Zeitpunkt des Abschlusses des dreiseitigen Vertrags zwischen dem Kläger, der Beklagten und der Transfergesellschaft in der ersten Märzhälfte 2016 galt der TV 2013 nicht mehr. Der neue TV 2016 sieht keine Erhöhung der Abfindung um einen Aufstockungsbetrag vor.

51

2. Der Kläger hat keinen einzelvertraglichen Anspruch auf Zahlung eines Aufstockungsbetrags iHv. 15.000 EUR aus dem dreiseitigen Vertrag vom 10./11. März 2016.

52

a) Das Arbeitsgericht Koblenz hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der TV 2013 sei im dreiseitigen Vertrag nicht vollumfänglich hinsichtlich sämtlicher Regelungen in Bezug genommen worden. Der dreiseitige Vertrag enthalte eine abschließende Regelung bezüglich der Abfindungszahlung. Für zusätzliche Ansprüche aus dem TV 2013 sei kein Raum. Mit der unter § 2 Ziff. 5 des dreiseitigen Vertrags vereinbarten Abgeltungsklausel sei abschließend geregelt worden, dass mit Ausnahme der in der Vereinbarung genannten Zahlungen keine weiteren Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis mehr bestehen. Der Aufstockungsbetrag gem. § 2 Ziff. 6 TV 2013 sei im dreiseitigen Vertrag nicht als dem Kläger zustehende Leistung genannt. Damit sei seine Geltendmachung ausgeschlossen. Im dreiseitigen Vertrag sei ausdrücklich bestätigt worden, dass mit Erfüllung desselben "alle Ansprüche" aus dem Arbeitsverhältnis der Parteien "gleich aus welchem Rechtsgrund" erledigt sein sollen. Eine derartige Abgeltungsklausel sei im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen. Bei Unterzeichnung des dreiseitigen Vertrags habe ein umfassender Erledigungswille vorgelegen. Dafür spreche zunächst der eindeutige Wortlaut der Abgeltungsklausel in § 2 Ziff. 5 selbst. Außerdem seien in § 3 des dreiseitigen Vertrags die Abfindungsansprüche konkret beziffert worden. Darüber hinaus sei auch der Rechtsgrund eindeutig auf "§ 2 Abs. 2" bestimmt worden. Die Bezugnahme sei punktuell auf die Berechnungsformel in § 2 Ziff. 2 des TV 2013 und nicht etwa - globaler - auf den die Abfindung insgesamt regelnden § 2 TV 2013 insgesamt erfolgt. Für den umfassenden Regelungscharakter spreche weiter, dass der Aufstockungsbetrag keine von der Abfindung unabhängige Forderung sei, sondern Teil derselben. § 2 Ziff. 6 TV 2013 sehe vor, dass sich die Abfindung ggf. um den Aufstockungsbetrag erhöhe. Wenn im dreiseitigen Vertrag eine konkrete Abfindungszahlung in Anwendung von § 2 Ziff. 2 TV 2013 beziffert worden sei, komme hierin zum Ausdruck, dass die Abfindungszahlung - und damit auch der Aufstockungsbetrag als Teil derselben - umfassend und endgültig geregelt sein solle. Damit sei auch in Anlegung der für die Auslegung vorformulierter Vertragsbedingungen geltenden Grundsätze eindeutig, dass der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung auf den im dreiseitigen Vertrag bezifferten Betrag beschränkt sei. Nach dem Verständnis eines objektiven, rechtlich nicht vorgebildeten, durchschnittlichen Arbeitnehmers seien neben der bezifferten Abfindungssumme keine weiteren Zahlungen zu erwarten.

53

Diesem Auslegungsergebnis stehe nicht entgegen, dass es in § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags heiße, der Arbeitnehmer erhalte "aufgrund des Sozialtarifvertrages vom 01.07.2013 die vereinbarten Leistungen". Zwar sei es rechtlich möglich, die Geltung des TV 2013 einzelvertraglich zu vereinbaren (sog. statische Bezugnahmeklausel), obwohl der TV 2013 durch den TV 2016 abgelöst worden sei. Der TV 2013 sei jedoch nicht umfassend in Bezug genommen worden. Seine Erwähnung in § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags begründe nicht dessen verbindliche Anwendbarkeit, sondern stelle nur - deklaratorisch und nicht rechtsverbindlich - fest, dass die im dreiseitigen Vertrag abschließend festgeschriebenen Leistungen an den Kläger aufgrund des Sozialtarifvertrags erfolgen. Dies ergebe die Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen des dreiseitigen Vertrags. Bereits der Wortlaut spreche dafür, dass es sich bei § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags um eine deklaratorische Erklärung, nicht aber um eine den Anspruch auf Zahlung des Aufstockungsbetrags begründende Bezugnahme auf den TV 2013 insgesamt handele. Die Bestimmung sei aus Sicht eines objektiven, durchschnittlichen Arbeitnehmers so zu verstehen, dass „vereinbarte Leistungen“ in diesem Sinne die im dreiseitigen Vertrag festgelegten Leistungen seien. Eine überschießende, die Abgeltungsklausel überwindende Bezugnahme hätte einer eindeutigen Festlegung bedurft, dass es sich bei den vereinbarten Leistungen um solche „gemäß" dem TV 2013 handeln solle. Es sei jedoch lediglich festgehalten worden, dass die im dreiseitigen Vertrag abschließend festgelegten Leistungen „aufgrund“ des TV 2013 erfolgen sollen. Hierfür spreche unterstützend, dass die Vertragsparteien grammatikalisch zwischen „gemäß“ im Rahmen der (punktuellen) Bezugnahme auf die Berechnungsformel zur Abfindung (§ 3 des dreiseitigen Vertrags) und „aufgrund“ unterschieden. „Aufgrund“ bedeute „begründet", „veranlasst durch", „wegen" wohingegen mit „gemäß“ zum Ausdruck komme, dass einer Sache zufolge oder entsprechend gehandelt werde oder werden solle (vgl. Duden Die deutsche Rechtschreibung Bd. 1 8. Aufl. 2014). Erstere Wendung stelle - ausschließlich - den Bezug zum Anlass der Leistung her, wohingegen letztere die Verbindlichkeit der in Bezug genommenen Bestimmung festschreibe. Für die Anwendbarkeit der Zweifelsregelung des § 305c Abs. 2 BGB bleibe aufgrund des eindeutigen Auslegungsergebnisses kein Raum.

54

b) Die Berufungskammer folgt den sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts im Ergebnis und der Begründung. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Das Arbeitsgericht hat den dreiseitigen Vertrag vom 10./11. März 2016 gründlich und überzeugend ausgelegt. Es kommt zutreffend zu dem Schluss, dass der Kläger aus diesem Vertrag keinen Aufstockungsbetrag iHv. 15.000 EUR beanspruchen kann. Seine Abfindung wurde in § 3 des Vertrags auf einen bestimmten Bruttobetrag (77.771 EUR) festgelegt, den ihm die Beklagte gezahlt hat. Das Berufungsvorbringen des Klägers gibt zu einer abweichenden Entscheidung keine Veranlassung.

55

aa) Entgegen der Ansicht der Berufung kann der Kläger eine Erhöhung der in § 3 des dreiseitigen Vertrags vereinbarten konkreten Abfindungssumme nicht mit dem Argument beanspruchen, in § 2 Ziff. 6 sei konstitutiv geregelt worden, der Arbeitsnehmer "erhält aufgrund des Sozialtarifvertrages vom 01.07.2013 die vereinbarten Leistungen". Diese Formulierung, die nach dem Vortrag der Beklagten auf einem Redaktionsversehen beruht, ist nicht isoliert zu betrachten und insbesondere nicht als konstitutive Bezugnahmeklausel auf den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits durch den TV 2016 abgelösten TV 2013 zu verstehen.

56

bb) Der dreiseitige Vertrag vom 10./11. März 2016 enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. §§ 305 ff. BGB. Dabei ist gleichgültig, ob er von der Beklagten oder der Transfergesellschaft formuliert worden ist. Der Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Sie sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (vgl. BAG 23.03.2017 - 6 AZR 705/15 - Rn. 14 mwN). Abzustellen ist dabei auf den typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden nicht rechtskundigen Arbeitnehmer. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten (vgl. BAG 23.01.2014 - 8 AZR 130/13 - Rn. 18 mwN).

57

cc) Das Arbeitsgericht hat die Klauseln des dreiseitigen Vertrags, den die Parteien (und weitere 10 Arbeitnehmer) sowie die Transfergesellschaft in der ersten Märzhälfte 2016 abgeschlossen haben, nach diesen Grundsätzen rechtsfehlerfrei ausgelegt und geprüft.

58

Aus Sicht eines verständigen, nicht rechtskundigen durchschnittlichen Arbeitnehmers wird im dreiseitigen Vertrag eine Abfindungssumme vereinbart, die in § 3 beziffert worden ist. Es wird unmissverständlich deutlich, dass die Beklagte für den Verlust des Arbeitsplatzes zum 31. März 2016 eine Abfindung in der konkret genannten Höhe zahlt, das Arbeitsverhältnis bis dahin ordnungsgemäß abrechnet, die Arbeitspapiere herausgibt und ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis ausstellt. Mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sollen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis "gleich aus welchem Rechtsgrund" erledigt sein. Die Formulierung in § 2 Ziff. 6 des dreiseitigen Vertrags kann angesichts des weiteren Vertragsinhalts von einem nicht rechtskundigen Arbeitnehmer nicht so verstanden werden, dass für den Verlust des Arbeitsplatzes noch ein Rechtsanspruch auf zusätzliche 15.000 EUR begründet werden soll.

59

dd) Das Arbeitsgericht hat außerdem zutreffend erkannt, dass die vertraglichen Regelungen nicht mehrdeutig iSd. § 305c Abs. 2 BGB sind. Bei Berücksichtigung der anerkannten Auslegungsmethoden bestehen im Entscheidungsfall keine erheblichen Zweifel. Auch insoweit schließt sich die Berufungskammer dem Arbeitsgericht an.

60

3. Selbst wenn man der hier vertretenen Auslegung des dreiseitigen Vertrags aus der ersten Märzhälfte 2016 nicht folgen wollte, lägen die Voraussetzungen nach § 2 Ziff. 6 TV 2013 für eine Erhöhung der Abfindung um einen Aufstockungsbetrag von 15.000 EUR nicht vor.

61

Das Zusatzgeschäft O. I. ist teilweise nach Sch. gekommen, weil der Handschuhkasten an diesem Standort produziert wird. In § 2 Ziff. 6 TV 2013 ist geregelt worden, dass der Aufstockungsbetrag zu zahlen ist, falls das Zusatzgeschäft O. I. nicht nach Sch. kommt. In einem Klammerzusatz ist ausdrücklich angefügt worden: "Instrumententafel und Handschuhkasten". Aufgrund dieser "Und"-Verknüpfung müssen die Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Dies ist aber unstreitig nicht der Fall.

III.

62

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

63

Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

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