Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 TaBV 9/18

Tenor

1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22. März 2018, Az. 10 BV 51/17, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zustimmung des Betriebsrats zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3) entbehrlich ist.

2

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1), die zur H.-Gruppe gehört, betreibt in A-Stadt eine Reha-Klinik, sie beschäftigt 102 Arbeitnehmer. Beteiligter zu 2) ist der bei ihr gebildete Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3) war Mitglied des alten Betriebsrats, dessen Amtszeit am 05.05.2018 geendet hat. In der turnusgemäßen Neuwahl wurde die Beteiligte zu 3) zum Ersatzmitglied gewählt. Die Arbeitgeberin bestreitet den - im zweitinstanzlichen Anhörungstermin nicht näher konkretisierten -Vortrag des Betriebsrats mit Nichtwissen, dass die Beteiligte zu 3) für ein ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied (Frau Z.) inzwischen in den Betriebsrat nachgerückt sei. Der Betriebsrat konnte das Datum des bestrittenen Nachrückens auf Nachfrage nicht angeben; die Beteiligte zu 3) ist zum Termin nicht erschienen.

3

Die Beteiligte zu 3) wird bei der Arbeitgeberin seit dem 05.10.2006 als Servicemitarbeiterin zu einer Bruttomonatsvergütung von € 1.700,00 beschäftigt. Sie wurde in der Abteilung Speisenversorgung (Küche, Cafeteria und Speisenservice) eingesetzt. Die Arbeitgeberin hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Aufgaben der Abteilung Speisenversorgung, Hauswirtschaft und Ernährungsberatung mit Wirkung zum 01.01.2018 der H.-Catering-Reha-Süd-West GmbH (Servicegesellschaft) zu übertragen. Mit Schreiben vom 06.09.2017 informierte sie die betroffenen Mitarbeiter, zu denen auch die Beteiligte zu 3) zählt, über diesen Betriebsübergang. Mit Schreiben vom 29.09.2017, der Arbeitgeberin am 04.10.2017 zugegangen, widersprach die Beteiligte zu 3) dem Betriebsübergang.

4

Die Arbeitgeberin wandte sich am 11.10.2017 mit folgendem Schreiben an den Betriebsrat:

5

"Anhörung zur außerordentlichen Beendigungskündigung eines Betriebsratsmitglieds mit Verlust des Arbeitsplatzes und Antrag auf Zustimmung zur Kündigung

6

Es ist beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit folgender Arbeitnehmerin, welche zugleich ordentliches Mitglied des Betriebsrates ist, außerordentlich zu kündigen:

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Name: 

[Beteiligte zu 3]

Anschrift:

...     

Betriebszugehörigkeit seit dem:

05.10.2006

ausgeübte Tätigkeit:

Servicemitarbeiterin

Bruttovergütung monatlich:

mtl. 1.7000,00 EUR

Schwerbehinderung/anerkannte Gleichstellung:

nein. 

8

Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

9

[Die Beteiligte zu 3] wird bei der [Arbeitgeberin] in der Abteilung Speisenversorgung (...) als Servicemitarbeiterin beschäftigt. Sie verfügt über keine entsprechende Qualifikation. Sie gehört dem Betriebsrat an.

10

Mit Datum vom 29.09.2017, der Geschäftsführung zugegangen am 04.10.2017, widersprach [die Beteiligte zu 3] dem Betriebsübergang in Kenntnis der Tatsache, dass die Abteilungen Speisenversorgung (...), Hauswirtschaft sowie Ernährungsberatung zum 01.01.2018 von der [Arbeitgeberin] auf die [Servicegesellschaft] übergehen. Die Arbeitsplätze in diesen Betriebsteilen fallen ab dem Zeitpunkt des Übergangs in der [Arbeitgeberin] ersatzlos weg. Insofern besteht keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung der Mitarbeiterin in einer dieser Abteilungen.

11

Ferner haben wir geprüft, ob eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit in der [Arbeitgeberin] in Betracht kommt. Eine solche Möglichkeit besteht nicht. Die Mitarbeiterin besitzt keine fachliche Qualifikation. Nach dem Betriebsübergang werden in der [Arbeitgeberin] lediglich noch Beschäftigungsmöglichkeiten in den folgenden Bereichen bestehen:

12

- Pflegedienst
- Verwaltung
- Ärzte
- Patienten Fahrdienst
- Rezeption
- Physikalische Abteilung

13

Die Mitarbeiterin verfügt nicht über die notwendige Qualifikation, eine dieser Beschäftigungsmöglichkeiten zu besetzen. Diese Qualifikationen sind auch nicht durch Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zu erreichen. Aufgrund der Sozialdaten weiterer Beschäftigter und unter Berücksichtigung deren Interessen kommt eine "Freikündigung" eines Arbeitsplatzes ebenfalls nicht in Betracht, so dass eine weitere Beschäftigung in der [Arbeitgeberin] nicht möglich ist.

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Es wird hiermit die

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Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Beendigungskündigung mit Verlust des Arbeitsplatzes zum Ablauf des 31.03.2018 beantragt.

16

Hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt."

17

Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung mit Schreiben vom 13.10.2017. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin mit einem am 18.10.2017 nach 22:00 Uhr an die Telefaxnummer des Amtsgerichts Koblenz übermittelten Schriftsatz das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ein. Das Telefax wurde vom Amtsgericht als Irrläufer weitergeleitet; es ging am 19.10.2017 beim Arbeitsgericht Koblenz ein.

18

Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

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1. die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beteiligten zu 3) zu ersetzen,

20

2. hilfsweise für den Fall der Zurückweisung dieses Antrags festzustellen, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung der Beteiligten zu 3) entbehrlich ist.

21

Der Betriebsrat hat beantragt,

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die Anträge zurückzuweisen.

23

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beteiligte zu 3) könne von der Arbeitgeberin nach dem Widerspruch gegen den Teilbetriebsübergang als Rezeptionsmitarbeiterin oder als Pflegehilfskraft beschäftigt werden. Für beide Tätigkeiten sei keine Ausbildung, sondern allenfalls eine kurze Einarbeitungszeit erforderlich. Außerdem bestehe eine Einsatzmöglichkeit im Fahrdienst.

24

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 22.03.2018 den Hauptantrag der Arbeitgeberin abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die Arbeitgeberin benötige keine Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) mit sozialer Auslauffrist. Nach § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG sei die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig, ohne dass es einer Zustimmung des Betriebsrats bedürfe. Die Beteiligte zu 3) sei nicht ordentlich unkündbar. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung der Beteiligten zu 3) entbehrlich ist, sei zulässig und begründet. Die Frage, ob die Beteiligte zu 3) in der Reha-Klinik der Arbeitgeberin anderweitig eingesetzt werden könne, müsse offen bleiben. Auf diese Problematik sei in einem eventuellen Kündigungsschutzverfahren einzugehen (vgl. BAG 18.09.1997 - 2 ABR 15/97).

25

Die Arbeitgeberin hat mit Schreiben vom 04.04.2018 das Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 3) ordentlich zum 31.08.2018, hilfsweise zum nächsten Termin, gekündigt. Gegen diese Kündigung hat die Beteiligte zu 3) vor dem Arbeitsgericht Koblenz (Az. 10 Ca 1123/18) eine Kündigungsschutzklage erhoben, über die bislang noch nicht entschieden wurde.

26

Der Betriebsrat hat gegen den ihm am 13.04.2018 zugestellten Beschluss mit einem am 09.05.2018 eingegangenen Schriftsatz beim Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 08.06.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.

27

Er macht geltend, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einem "Globalantrag" entsprochen. Nach der Tenorierung des Arbeitsgerichts sei jede Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3) ohne seine Zustimmung zulässig. Eine derartige "Globalentscheidung" sei unbegründet. Es gebe selbstverständlich Fallkonstellationen, in denen seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Beteiligten zu 3) erforderlich sei. Im Rahmen des § 103 BetrVG verstehe sich dies von selbst; aber auch im Rahmen von § 102 BetrVG gebe es Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Zustimmung vor Ausspruch der Kündigung benötige. Soweit das Arbeitsgericht angenommen habe, die Arbeitgeberin beabsichtige eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist, finde sich dieses Begehren weder in der Antragstellung noch in der Betriebsratsanhörung. Gleichwohl sei das Arbeitsgericht in seiner Tenorierung noch über ein derartiges etwaiges Begehren hinausgegangen und habe festgestellt, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung der Beteiligten zu 3) entbehrlich sei. Dies sei nicht nachvollziehbar. Weil die Beteiligte zu 3) dem Betriebsteilübergang widersprochen habe, bestehe das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin fort. Diese sei durchaus in der Lage die Beteiligte zu 3) im verbliebenen Hauptbetrieb zu beschäftigen, zum Beispiel an der Rezeption.

28

Der Betriebsrat beantragt zweitinstanzlich,

29

den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 22.03.2018, Az. 10 BV 51/17, abzuändern und die Anträge der Arbeitgeberin insgesamt abzuweisen.

30

Die Arbeitgeberin beantragt,

31

die Beschwerde zurückzuweisen.

32

Sie hat sich im Beschwerdeverfahren ebenso wie die Beteiligte zu 3) nicht schriftsätzlich geäußert.

B.

33

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte sowie form- und fristgerecht (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1,89 Abs. 2 ArbGG) eingelegte Beschwerde des Betriebsrats hat in der Sache keinen Erfolg.

34

Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3) mit sozialer Auslauffrist - rechtskräftig - zurückgewiesen. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist lediglich die auf den Hilfsantrag der Arbeitgeberin tenorierte Feststellung, dass die Zustimmung des Betriebsrats "zur Kündigung der Beteiligten zu 3) entbehrlich" ist.

35

Der Tenor des angefochtenen Beschlusses ist - unter Hinzuziehung der Entscheidungsbegründung - des Arbeitsgerichts dahin zu verstehen, dass sich die Entbehrlichkeit der Zustimmung des Betriebsrats auf eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3) bezieht, die auf dem Lebenssachverhalt beruht, den die Arbeitgeberin in ihrem Schreiben vom 11.10.2017 dem Betriebsrat als Kündigungsgrund mitgeteilt hat. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats folgt aus der Tenorierung des Arbeitsgerichts nicht, dass "jede Kündigung" des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3) ohne seine Zustimmung zulässig sei. Der Tenor bezieht sich auf den zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalt, dh. hier auf den von der Arbeitgeberin geltend gemachten Kündigungsgrund, und stellt entgegen der Ansicht des Betriebsrats keine "Globalentscheidung" dar. Als Kündigungsgrund hat die Arbeitgeberin den Widerspruch der Beteiligten zu 3) gegen den Teilbetriebsübergang und fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in den verbliebenen Betriebsabteilungen genannt.

36

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der auch die Beschwerdekammer folgt, kann dem Arbeitgeber, der seiner gesetzlichen Verpflichtung genügen will und einen Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats stellt, das Risiko divergierender Entscheidungen im Verfahren nach § 103 BetrVG und im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess nicht auferlegt werden, nur weil er - wie hier - nicht erkennt, dass die Zustimmung des Betriebsrats im konkreten Fall ausnahmsweise entbehrlich ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit, der Verfahrensökonomie und aufgrund des Zwecks des § 103 Abs. 2 BetrVG, Klarheit über die Zulässigkeit des Ausspruchs einer Kündigung gegenüber einem Mandatsträger zu schaffen, war es daher geboten, dass das Arbeitsgericht die Feststellung ausspricht, dass eine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung entbehrlich ist (vgl. BAG 18.09.1997 - 2 ABR 15/97 - Rn. 21 mwN). Zumindest in Fällen, in denen der Arbeitnehmer - wie hier die Beteiligte zu 3) - am Beschlussverfahren beteiligt wird, kommt dieser Entscheidung präjudizielle Wirkung für den Kündigungsschutzprozess zu, da die Feststellung der Entbehrlichkeit der Zustimmung im Kündigungsschutzprozess als Vorfrage erheblich ist (vgl. BAG 18.09.1997 - 2 ABR 15/97 - Rn. 21 mwN).

37

Der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung eines seiner Mitglieder als Wirksamkeitsvoraussetzung nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf es dann nicht, wenn der Kündigung ein von § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG umfasster Sachverhalt zugrunde liegt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die nach § 15 KSchG geschützten Personen bei einer Betriebsstilllegung oder Stilllegung einer Betriebsabteilung in gleicher Weise gekündigt werden können wie andere von der unternehmerischen Entscheidung betroffene Arbeitnehmer (vgl. BAG 15.02.2007 - 8 AZR 310/06 - Rn. 39 mwN). Gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, dass der Kündigung im Streitfall ein von § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG umfasster Sachverhalt zugrunde liegt, wendet sich die Beschwerde nicht.

38

§ 15 Abs. 4 KSchG findet entsprechende Anwendung auf den Fall des Betriebsübergangs, wenn der geschützte Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht. Für den Übergang einer Betriebsabteilung gilt § 15 Abs. 5 KSchG entsprechend, wenn der dort beschäftigte Arbeitnehmer widerspricht. Auch in diesem Fall entfällt auf Dauer jede Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer in der betreffenden Betriebsabteilung. Der Arbeitnehmer ist vorrangig in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, ist eine ordentliche Kündigung entsprechend § 15 Abs. 4 KSchG zulässig (vgl. BAG 25.05.2000 - 8 AZR 416/99 - Rn. 76 mwN). Die Frage, ob im verbliebenen Betrieb der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Beteiligte zu 3) besteht, ist - wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat - im Kündigungsschutzverfahren zu klären (vgl. BAG 18.09.1997 - 2 ABR 15/97 - Rn. 40 mwN). Dieses Verfahren ist erstinstanzlich unter dem Aktenzeichen 10 Ca 1123/18 vor dem Arbeitsgericht Koblenz rechtshängig.

C.

39

Die Voraussetzungen einer Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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