Beschluss vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (2. Kammer) - 2 Ta 25/15
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 15.12.2014 wird der Beschluss des Rechtspflegers bei dem Arbeitsgericht Magdeburg vom 07.11.2014 in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 26.02.2015 – 11 Ca 526/13 HBS (PKH) – aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Rechtspfleger bei dem Arbeitsgericht Magdeburg zurückgereicht.
Das Beschwerdeverfahren ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet.
Gründe
I.
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Mit Beschluss vom 04.04.2013 ist dem Beschwerdeführer unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus H. Prozesskostenhilfe in vollem Umfange mit der Maßgabe, dass kein eigener Beitrag zu den Prozesskosten zu leisten sei, mit Wirkung vom 23.02.2013 für die erste Instanz bewilligt worden. Der damalige Prozesskostenhilfeantrag wurde vom Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers eingereicht.
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Mit Schreiben vom 25.06.2013 sowie Erinnerungsschreiben vom 31.07.2014 ist der Beschwerdeführer gemäß § 120 Abs. 4 ZPO a. F. i. V. m. § 40 EG ZPO aufgefordert worden, seine aktuelle wirtschaftliche und persönliche Lage darzulegen. Sein vorheriger Prozessbevollmächtigter erhielt eine solche Aufforderung nicht.
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Mit weiterem Schreiben vom 22.09.2014 wurde der Beschwerdeführer erneut zur Darlegung der aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufgefordert. Von diesem Schreiben erhielt der Prozessbevollmächtigte eine Abschrift.
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Als ein Eingang nicht erfolgte, hob der Rechtspfleger bei dem Arbeitsgericht Magdeburg die mit Beschluss vom 04.04.2013 bewilligte Prozesskostenhilfe auf. Dieser Beschluss wurde sowohl dem Beschwerdeführer am 12. 11. 2014 gegen Postzustellungsurkunde als auch seinem Prozessbevollmächtigten am 14.11.2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
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Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte mit am 15.12.2014 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Beschwerde namens des Beschwerdeführers ein. Er rügte insbesondere, dass Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gemäß § 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hätten, wenn dieser die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren – wie vorliegend – vertreten habe. Insbesondere sei ihm die Aufforderung zur Mitteilung der aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht gemäß § 172 Abs. 1 ZPO zugestellt worden.
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Der Rechtspfleger bei dem Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde des Beschwerdeführers ausweislich des weiteren Beschlusses vom 26.02.2015 nicht ab.
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Die Landeskasse ist beteiligt worden und vertritt die Auffassung, dass die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung i. S. d. § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO a. F. i. V. m. § 40 EG ZPO an den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers hätte erfolgen müssen.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
1.
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Die sofortige Beschwerde ist statthaft, § 127 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 1 ArbGG.
2.
- 10
Die sofortige Beschwerde ist statthaft. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Obgleich der Ausgangsbeschluss dem Beschwerdeführer persönlich bereits am 12.11.2014 zugegangen war und somit die einmonatige Beschwerdefrist am 12.12.2014 abgelaufen wäre, was zur Verfristung der sofortigen Beschwerde geführt hätte, kommt es hierauf nicht an, denn Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren sind an den Prozessbevollmächtigten, sofern dieser den Beschwerdeführer im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat, zuzustellen, vgl. LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.02.2015 – 2 Ta 5/15.
- 11
Dieser hat die Beschwerdefrist gewahrt, da sich die Beschwerdefrist gem. § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO wegen § 222 Abs. 2 ZPO auf Montag, den 15.12.2014, verlängerte.
3.
- 12
Die sofortige Beschwerde ist begründet.
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a) Zwar ist vorliegend der Ausgangsbeschluss über die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Nr. 2 ZPO a. F. i. V. m. § 40 EG ZPO auch dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt worden. Insoweit liegt kein Zustellungsfehler vor.
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b) Dies trifft allerdings auf die vorherigen Anhörungsschreiben gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a. F. nicht zu.
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Das erste Anhörungsschreiben vom 25.06.2014 und die Erinnerung vom 31.07.2014 sind lediglich an den Beschwerdeführer gesandt worden. Dies war nicht zulässig. Auch nach dem formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens haben Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren nach §§ 120 Abs. 4 S. 2, 124 ZPO a. F. jedenfalls dann gemäß § 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten der Partei zu erfolgen, wenn dieser die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat.
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aa) Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehört zum Rechtszug i. S. d. § 172 Abs. 1 ZPO. Hierzu hat der BGH in seinem Beschluss vom 08.12.2010 – XII ZP 38/09 - ausgeführt:
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aa) Zweck der Vorschrift ist, im Interesse der Prozessökonomie und der Privatautonomie sicher zu stellen, dass der von der Partei bestellte Prozessbevollmächtigte, in dessen Verantwortung die Prozessführung liegt, über den gesamten Prozessstoff informiert wird und sich somit in dessen Hand alle Fäden des Prozesses vereinigen (BGH Urteile vom 19. September 2007 – VIII ZB 44/07 – FamRZ 2008, 141 – Rn. 10 und vom 17. Januar 2002 – IX ZR 100/99 – NJW 2002, 1728, 1729; Musielak/Wolst ZPO 7. Aufl. § 172 Rn. 1; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 172 Rn. 1; Hartmann/Lauterbach/Albers ZPO 69. Aufl. § 172 Rn. 2). Für den Gesetzgeber lag der Grund für die obligatorische Zustellung an den Prozessbevollmächtigten in der Annahme, dass die Partei durch die Erteilung der Prozessvollmacht das Betreiben des Prozesses aus der Hand gegeben hat und deshalb der Prozessbevollmächtigte und nicht das Gericht die Partei über den jeweiligen Stand des Prozesses auf dem Laufenden zu halten habe. Dem Interesse der Partei sei im Falle der Zustellung an ihren Anwalt mehr gedient, als wenn an sie selbst zugestellt werden. Denn in den meisten Fällen werde sich die Partei ohnehin an ihren Anwalt wenden müssen, weil sie außer Stande sei, die Angemessenheit oder Notwendigkeit der weiteren Schritte beurteilen zu können (Hahn/Stegemann Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Bd. 2 Materialien zur Zivilprozessordnung Abteilung 1 2. Aufl. 1983 S. 227 f.).
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Im Übrigen hängt die Prozesskostenhilfe eng mit dem Hauptsacheverfahren zusammen. Ihre Bewilligung setzt gemäß § 114 ZPO die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung voraus. Entsprechend besteht ein Interesse der Partei daran, dass das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammengeführt und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, die Partei über den jeweiligen Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die notwendigen Schritte zu unternehmen. Diese Interessenlage ändert sich durch den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht. Hat die Partei ihren Prozessbevollmächtigten für das Prozesskostenhilfeverfahren beauftragt, rechnet sie nicht damit, in diesem Verfahren selbst tätig werden zu müssen. Dafür, dass das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren auch über den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus zur Instanz gehört, ist auch heranzuziehen, dass das Aktenzeichen des Hauptsacheverfahrens weiterhin die Aktenführung bestimmt.
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Dieser Auffassung haben sich u. a. das Landesarbeitsgericht Hamm im Beschluss vom 02.12.2014 – 14 Ta 546/14 und das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 18.01.2012 – L 7 AF 1162/10 B sowie das Landesarbeitsgericht Hamm im Beschluss vom 02.12.2014 – 14 Ta 546/14 sowie das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 03.08.2011 – 1 Ta 127/11 aber auch das Bundesarbeitsgericht im Beschluss vom 19.07.2006 – 3 AZB 18/06 angeschlossen.
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bb) Die erkennende Kammer des Beschwerdegerichts teilt diese Auffassung ebenfalls. Jedenfalls ist an den Prozessbevollmächtigten im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren zuzustellen, wenn für dieses Verfahren ein Prozessbevollmächtigter bestellt war.
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Dies ist vorliegend der Fall.
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Der ursprüngliche Prozesskostenhilfeantrag war von dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers eingereicht worden. Damit liegt die weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 172 Abs. 1 ZPO – die fortdauernde Bestellung des Prozessbevollmächtigten der Partei für das in Rede stehende Verfahren – vor. Denn der Beschwerdeführer hatte den Prozessbevollmächtigten bereits für das Prozesskostenhilfebeantragungsverfahren bestellt. Das Prozesskostenhilfeverfahren umfasst nämlich nicht nur das Verfahren bis zur Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung, sondern auch das sich anschließende Verfahren zur Überprüfung der Prozesskostenhilfebewilligung gemäß § 120 Abs. 4, 124 ZPO a. F. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass das Hauptsacheverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits formell abgeschlossen war, vgl. BGH, aaO. Denn das Gesetz trennt nicht zwischen dem Verfahren bis zur Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe einerseits und dem Verfahren über die Abwicklung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe andererseits. Dies folgt zum einen aus der gesetzlichen Systematik der §§ 114 ff. ZPO, die das Verfahren gemäß § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO a. F. nicht als eigenständiges Verfahren erfasst, und zum anderen aus der Beschwerderegelung des § 127 ZPO, die lediglich das Verfahren über die Prozesskostenhilfe kennt und damit keine Differenzierung zwischen verschieden selbständigen Verfahren zulässt.
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cc) Zwar ist dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers die zweite Erinnerung zur Einreichung einer aktuellen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 22.09.20014 ausweislich Blatt 31 PKH-Heft übersandt worden, allerdings lediglich als Abschrift.
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Dies heilt jedoch den vorherigen Zustellungsmangel des Anhörungsschreibens über die Notwendigkeit der Vorlage einer aktuellen Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht.
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Eine ordnungsgemäße Zustellung der Aufforderung zur Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a. F. liegt nicht vor, wenn der Prozessbevollmächtigte durch ein ihm zugestelltes Schreiben lediglich über den gerichtlichen Schriftverkehr mit der Partei informiert wird. Die Übermittlung einer bloßen Abschrift eines an den Beschwerdeführer direkt übersandten Schreibens an den Prozessbevollmächtigten, reicht als bloße Übersendung zur Kenntnisnahme nicht aus, um die Aufforderung zur Vorlage der aktuellen Einkommenssituation im Rahmen des PKH-Überprüfungsverfahrens wirksam werden zu lassen.
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Für den Prozessbevollmächtigten wird nicht hinreichend deutlich, dass er in dieser Funktion am Nachprüfungsverfahren beteiligt und für seinen Mandanten tätig werden soll. Dem Zweck des Zustellungserfordernisses des § 172 Abs. 1 ZPO, nämlich das Interesse der Partei zu wahren, das gesamte Verfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zusammenzuführen und diesen dadurch in die Lage zu versetzen, die Partei über den Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die notwendigen Schritte zu unternehmen, wird nicht dadurch Rechnung getragen, dass der Prozessbevollmächtigte lediglich über den gerichtlichen Schriftverkehr mit der Partei informiert oder ihm dieser Schriftverkehr kommentarlos als Abschrift übersandt wird. Dadurch wird er nicht konkret an die Abgabe einer Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a. F. für seine Mandantschaft erinnert, vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2012, a. a. O. sowie LAG Hamm, Beschluss vom 23.06.2014, 14 Ta 330/14.
4.
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Das Verfahren war zur erneuten Entscheidung an den Rechtspfleger bei dem Arbeitsgericht Magdeburg zurückzugeben. § 68 ArbGG sperrt insoweit nicht, vgl. Germelmann in: Germelmann u. a., ArbGG, 8. Auflage, § 68 Rz. 2 m. w. N.
III.
- 28
Das Beschwerdeverfahren ergeht gebührenfrei.
IV.
- 29
Diese Entscheidung ergeht durch Beschluss, ohne mündliche Verhandlung und ohne Heranziehung der ehrenamtlichen Richter, §§ 572 Abs. 4, 127 Abs. 1 ZPO, 78 Satz 3 ArbGG.
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