Beschluss vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (5. Kammer) - 5 Ta 28/18

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.01.2018, Az. 6 Ca 2122/17, aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Der Antrag zu 1) wird abgetrennt.

Für den Antrag zu 1) wird der Rechtsweg der Gerichte für Arbeitssachen für zulässig erklärt.

Im Übrigen verbleibt es im Hinblick auf den Antrag zu 2) bei der Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Lübeck.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Im Beschwerdeverfahren wendet sich die Klägerin gegen die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Lübeck, wobei die Beschwerde beschränkt ist auf die mit dem Antrag zu 1) geltend gemachten Vergütungsansprüche.

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Im Hauptsacheverfahren streiten die Parteien um Ansprüche der Klägerin auf Zahlung von Vergütung und Zahlungsansprüchen aus Miet-/Pachtverträgen. Die Klägerin war von November 2009 bis zum 28.03.2017 Fremdgeschäftsführerin der Beklagten. Eine Vergütung für die Geschäftsführertätigkeit erhielt die Klägerin unstreitig nicht. Bei der Beklagten war bis zum 31.03.2015 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses eine Bürokraft, die Zeugin O., angestellt. Am 01.04.2015 schloss die Klägerin als Geschäftsführerin der Beklagten mit sich selbst einen Arbeitsvertrag über die Anstellung als Bürokraft zu einer monatlichen Vergütung von 400,00 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von acht Stunden. Zur geschuldeten Tätigkeit enthält der „Arbeitsvertrag“ folgende Regelung:

3

§ 3 Tätigkeit

4

Die Arbeitnehmerin wird als Bürokraft, in Nebentätigkeit, eingestellt. Sie verpflichtet sich, auch andere Arbeiten auszuführen, die ihren Vorkenntnissen und Fähigkeiten entsprechen. Dies gilt, soweit dies bei Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zumutbar und nicht mit einer Lohnminderung verbunden ist.

5

Unabhängig davon ist die Tätigkeit als Geschäftsführerin der T. H. GmbH zur Vertretung der T. H. GmbH im Außenverhältnis.“

6

Bis einschließlich März 2017 erhielt die Klägerin von der Beklagten monatlich 400,00 €. Am 28.03.2017 legte die Klägerin das Amt der Geschäftsführerin der Beklagten nieder.

7

Mit ihrer am 12.10.2017 vor dem Arbeitsgericht erhobenen Zahlungsklage hat die Klägerin u. a. die Vergütungsansprüche für die Zeit von April bis September 2017 (Antrag zu 1) geltend gemacht und folgende Anträge angekündigt:

8

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.400,00 € netto nebst Zinsen i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszins auf jeweils 400,00 € netto ab dem 02.05.2017, 01.06.2017, 01.07.2017, 01.08.2017, 01.09.2017 und 01.10.2017 zu zahlen.

9

2. die Beklagte zu verurteilen an die Klägerin 10.567,20 € zzgl. Zinsen i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszins auf jeweils 1.509,60 € ab dem 04.02.2017, 05.04.2017, 05.05.2017, 05.06.2017, 05.07.2017, 04.08.2017, 05.09.2017 zu zahlen.

10

Soweit für das Beschwerdeverfahren von Belang, hat die Klägerin zur Begründung der Vergütungsklage (Antrag zu 1) vorgetragen, dass sie die Stelle der ausgeschiedenen Mitarbeiterin O. übernommen habe. Ihr Arbeitsverhältnis sei zu keinem Zeitpunkt gekündigt worden.

11

Die Beklagte hat eingewandt, dass der vorgelegte Arbeitsvertrag unwirksam sei. Für den Abschluss eines Anstellungsvertrages mit einem Geschäftsführer sei - als Annex zur Bestellungs- und Abberufungsbefugnis nach § 46 Nr. 5 GmbH - ausschließlich die Gesellschafterversammlung zuständig. Jeder Verstoß gegen diese Zuständigkeit führe zur Unwirksamkeit des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages. Ungeachtet dessen habe sie, die Beklagte, ihre Geschäftstätigkeit im Januar 2017 vollständig eingestellt, sodass auch keine Bürotätigkeiten mehr angefallen seien. Zwischenzeitlich sei der Sitz der Beklagten nach B. verlegt worden.

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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30.01.2018 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen insgesamt für unzulässig erklärt und an das Landgericht Lübeck - Kammer für Handelssachen - verwiesen. Hinsichtlich des Antrages zu 2), d. h. die Zahlungsansprüche aufgrund der behaupteten Vermietung eines PKWs mit Anhänger und Geschäftsräumen sowie einer Halle, sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es sich hierbei um Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis handele. Dies gelte auch für die mit dem Antrag zu 1) geltend gemachten Vergütungsansprüche. Die Klägerin, die Geschäftsführerin der Beklagten gewesen sei, habe lediglich behauptet, einen Arbeitsvertrag abgeschlossen zu haben. Dieser sei jedoch nichtig. Er hätte auf Seiten der Beklagten von der Gesellschafterversammlung und nicht von der Klägerin als Geschäftsführerin unterzeichnet werden müssen. Dem Vertrag sei auch nicht zu entnehmen, dass es sich um Tätigkeiten außerhalb der Geschäftsführertätigkeit gehandelt habe. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass sie weisungsgebundene Tätigkeiten ausgeübt habe. Gerade bei kleineren GmbHs würden Geschäftsführer auch selbst Bürotätigkeiten erledigen. Als Geschäftsführerin habe die Klägerin zudem vielfältige Verpflichtungen im Innenverhältnis gehabt. Die Klägerin habe das Vorliegen ihrer Arbeitnehmereigenschaft nicht substantiiert darzulegen vermocht.

13

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 06.02.2018 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie sei Fremdgeschäftsführerin gewesen und habe hierfür keine Vergütung erhalten. Sie habe dann nach Ausscheiden der Zeugin O. deren Stelle als Bürohilfskraft übernommen und die gleiche Vergütung erhalten wie diese. Die geschuldete Vergütung stehe mithin nicht in Zusammenhang mit der Geschäftsführertätigkeit.

14

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 13.03.2018 nicht abgeholfen. Die Klägerin habe ihre persönliche Abhängigkeit (nicht nur von sich selbst als Geschäftsführerin) nicht näher dargelegt.

15

Die Klägerin trägt weiter vor, dass sie sämtliche Weisungen betreffend ihre Bürotätigkeit von ihrem Ehemann erhalten habe, der für die Beklagte als Vertriebsmitarbeiter tätig gewesen sei. Dieser habe die vollständige Kommunikation mit dem Treuhandgesellschafter, dem Gesellschafter und dem Steuerberater der Beklagten geführt.

II.

16

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, sie ist an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt, §§ 17a Abs. 2 u. 4 S. 3 GVG, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569, Abs. 1 u. 2 ZPO.

17

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache selbst Erfolg.

18

1. Unstreitig handelt es sich bei den streitigen Vergütungsansprüchen um einen sogenannten aut-aut-Fall. Als Anspruchsgrundlage kommen vorliegend sowohl § 611 Abs. 1 BGB, i. V. m. § 4 des Arbeitsvertrages vom 01.04.2015 als auch ein freier Dienstvertrag in Betracht. Nur bei Vorliegen eines Arbeitsvertrages sind die Gerichte für Arbeitssachen sachlich zuständig. In einem aut-aut-Fall reicht es - anders als in dem sic-non-Fall - für die Begründung der sachlichen Zuständigkeit nicht aus, dass die Klägerin schlicht behauptet, Arbeitnehmerin gewesen zu sein. Vielmehr muss sie die anspruchsbegründenden Tatsachen substantiiert darlegen und ggf. auch beweisen. Sie muss - bezogen auf den vorliegenden Fall - mithin im Einzelnen darlegen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände sie als Arbeitnehmerin zu qualifizieren war/ist (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08. Juni 2016 - 5 Ta 47/16 -, Rn. 15, juris).

19

2. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) und b) ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich sachlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

20

a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (BAG, Urt. v. 15.02.2012 - 10 AZR 301/10 - Rn. 13, juris). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HGB). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Ob ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis besteht, zeigt der wirkliche Geschäftsinhalt. Zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Welches Rechtsverhältnis vorliegt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgebend (BAG, Urt. v. 21.07. 2015 - 9 AZR 484/14 - Rn. 20, juris; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 08.06. 2016 - 5 Ta 47/16 –, Rn. 16, juris).

21

b) In Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit gelten jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrundeliegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Sie soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen (BAG, Beschl. v. 20.08.2003 - 5 AZB 79/02 -, Rn. 14, juris). Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Fiktion Wirkung entfaltet (BAG, Beschl. v. 03.12.2014 - 10 AZB 98/14 -, Rn. 15, juris; BAG, Beschl. v. 23.08.2011 - 10 AZB 51/10 - Rn. 15).

22

3. Hieran gemessen greift vorliegend nicht die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, obgleich die Klägerin den strittigen Arbeitsvertrag mit der Beklagten als sogenanntes In-Sich-Geschäft während der Zeit ihrer Geschäftsführertätigkeit geschlossen hat.

23

a) Die Klägerin macht vorliegend keine Ansprüche aus dem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag, sondern Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag geltend. Dies ist dann der Fall, wenn und soweit der Rechtsstreit nicht das der Organstellung zugrundeliegende Rechtsverhältnis betrifft, sondern eine weitere Rechtsbeziehung besteht. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Organvertreter Rechte mit der Begründung geltend macht, nach der Abberufung als Geschäftsführer habe sich das nicht gekündigte Anstellungsverhältnis - wieder in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt (BAG, Beschluss v. 04.02.2013 - 10 AZB 78/12 -, Rn. 10, juris).

24

b) Streitgegenständlich sind Vergütungsansprüche der Klägerin für den Zeitraum von April 2017 bis Juni 2017. Die Klägerin hat nicht nur pauschal behauptet, sondern substantiiert und unbestritten vorgetragen, dass sie neben ihrer Geschäftsführertätigkeit nach dem Ausscheiden der Arbeitnehmerin O. deren Stelle als Bürokraft mit Abschluss des Arbeitsvertrages übernommen habe. Sie habe die Arbeitsaufträge und Weisungen von ihrem Ehemann, der die Funktion eines Vertriebsmitarbeiters innegehabt habe, erhalten. Zudem ist unstreitig, dass die Klägerin aufgrund ihrer Geschäftsführertätigkeit keine Vergütungsansprüche gegenüber der Beklagten hatte. Ein Geschäftsführer-Anstellungsvertrag existierte nicht oder ist zumindest von keiner der Parteien zur Akte gereicht worden. Die Organbestellung setzt auch nicht notwendigerweise den Abschluss eines Anstellungsvertrages voraus. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass der Klägerin als Geschäftsführerin neben der gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der GmbH auch die innerbetriebliche Führung des Betriebs oblag. Nicht jeder Geschäftsführer ist zugleich Betriebsleiter der GmbH.

25

Die streitgegenständlichen Ansprüche betreffen nicht das Geschäftsführer-Anstellungsverhältnis, sondern ein daneben begründetes Arbeitsverhältnis, welches unstreitig zu keinem Zeitpunkt gekündigt worden ist. Zudem war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum (Juni bis September 2017) unstreitig nicht mehr Geschäftsführerin der beklagten GmbH. Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag können mithin nach Niederlegung der Organschaft durch die Klägerin und damit nach dem Wegfall der Fiktion des § 5 Abs.  1 Satz 3 ArbGG vor den Gerichten für Arbeitssachen geltend gemacht werden.

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c) Für die Frage der Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit kommt es auch nicht darauf an, ob der strittige Arbeitsvertrag gemäß §§ 46 Nr. 5 GmbHG, 134 BGB nichtig war. Dies ist eine Frage der materiellen Begründetheit der streitgegenständlichen Vergütungsansprüche. Es kann vorliegend mithin dahingestellt bleiben, ob der von der Klägerin während ihrer Zeit als Geschäftsführerin begründete Arbeitsvertrag de facto ein Geschäftsführer-Anstellungsvertrag war und damit gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG als sogenanntes Annex-Geschäft zur Geschäftsführerbestellung in die alleinige Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fiel.

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4. Nach alledem war für den Antrag zu 1) der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben.

28

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte, § 91 ZPO.

29

Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde liegt nicht vor, § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG.

30

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.


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