Beschluss vom Landgericht Aachen - 6 S 152/13
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.09.2013 verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen (120 C 107/12) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf 3.672,00 EUR festgesetzt.
1
Gründe
2Die Berufung war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
3Die zulässige Berufung hat nach einstimmiger Überzeugung der Kammer aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Berufungsvorbringen nicht entkräftet werden, offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung der Kammer auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des Kammerbeschlusses vom 28.01.2014 Bezug genommen.
4Ergänzend gilt Folgendes:
5Auch unter Berücksichtigung der klägerseits erst mit Schriftsatz vom 27.2.2014 eingereichten Kauf- und Abtretungsvereinbarungen vom 30.1.2014 betreffend die Lebensversicherungsverträge der Eheleute K. und J. N. bei der Beklagten, Nummern #####/####, #####/#### und #####/####, geht die Kammer nicht von der Wirksamkeit der dort erklärten Abtretungen der Rechte und Ansprüche aus den Versicherungsverträgen an die Klägerin aus. Die Klägerin ist daher weiterhin hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche nicht aktivlegitimiert.
6Zwar mag der mit Vorlegung der neuen Kauf- und Abtretungsvereinbarungen vom 30.1.2014 auf einen neuen Sachverhalt gestützte Vortrag zur fraglichen Aktivlegitimation der Klägerin als Klageänderung auch ohne Einwilligung der Beklagten wegen Sachdienlichkeit zur Vermeidung eines Folgeprozesses gem. § 533 ZPO zuzulassen seien; die Klägerin ist auch nicht hinsichtlich der erst nach dem Ende des erstinstanzlichen Verfahrens mit dem Abschluss der Kauf- und Abtretungsvereinbarungen vom 30.1.2014 geschaffenen neuen Tatsachen präkludiert, gemäß §§ 533 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO (vergleiche Zöller-Heßler, ZPO, 30. Auflage 2014, § 131 Rn. 30).
7Jedoch sind die Kauf- und Abtretungsvereinbarungen vom 30.1.2014 nach Ansicht der Kammer wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB und wegen Umgehung eines gesetzlichen Verbotes gemäß § 134 BGB nichtig.
8Ein Rechtsgeschäft ist als sittenwidrig anzusehen, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vergleiche Palandt-Ellenberger, BGB, 73. Auflage 2014, § 138 Rn. 2, mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Die Regelung des § 138 BGB verweist vor allem auf die der Rechtsordnung immanenten rechtsethischen Werte und Prinzipien (vergleiche Palandt-Ellenberger, aaO.). Dabei können sowohl Inhalt als auch der Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts die Sittenwidrigkeit begründen. Demnach ist ein Rechtsgeschäft sittenwidrig, wenn sein Inhalt mit grundlegenden Werten der Rechts- oder Sittenordnung unvereinbar ist; die Sittenwidrigkeit kann sich auch aus einer Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts ergeben, in die Inhalt, Beweggründe und Zweck des Geschäfts einzubeziehen sind (vergleiche BGHZ 86, 88, zitiert nach juris).
9Betrachtet man hier den Inhalt der Kauf- und Abtretungsvereinbarungen vom 30.4.2014 unabhängig von den früheren Vereinbarungen der Klägerin mit den Zedenten, ist nach Ansicht der Kammer von einem wucherähnlichen Rechtsgeschäft auszugehen, da sich einerseits die Eheleute N. mit den vorgenannten Verträgen vom 30.1.2014 zur Übertragung aller Rechte aus den Lebensversicherungsverträgen mit den Rückkaufswerten i.H.v. 513,26 €, 1530,30 € und 1628,44 € verpflichtet haben und andererseits als Gegenleistung lediglich pauschal 1,00 € pro Lebensversicherungsvertrag als Kaufpreis erhalten sollen. Den ausgefüllten Formularen zu den Kauf- und Abtretungsvereinbarungen vom 30.1.2014 zufolge sind die fondgebundenen Lebensversicherungen bei der Beklagten bereits am 17.8.2011 gekündigt gewesen. Die Regelung in den vorgenannten Formularverträgen zum Kaufpreis lautet hierzu wie folgt: „Bei bereits gekündigten Verträgen beträgt der Kaufpreis pauschal 1,- €.“ Dies entspricht im Übrigen auch der Regelung in § 3 Abs. 1 S. 3 der auf der Rückseite des Formulars abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin. Da nach dem eigenen Sachvortrag der Klägerin noch keinerlei Zahlungen der Beklagten auf die Rückkaufswerte erbracht worden sind, wären die zumindest in dieser Höhe anzunehmenden Zahlungsansprüche der Versicherungsnehmer gegen die Beklagte als Versicherer von den Abtretungen umfasst. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt in der Regel dann vor, wenn der Wert der Leistung den Wert der Gegenleistung um 100 % übersteigt (vergleiche Palandt-Ellenberger, aaO., § 138 Rn. 34a mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH). Das ist hier hinsichtlich jedes der drei Kauf- und Abtretungsvereinbarungen der Fall. In derartigen Fällen eines besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung besteht eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung, die eine weitere Prüfung subjektiver Voraussetzungen entbehrlich macht und die Sittenwidrigkeit des Vertrags begründet (vergleiche BGH, NJW 2001,1127, zitiert nach juris). Im Fall des Wuchers oder wucherähnlichen Geschäfts – wie hier – erstreckt sich die Nichtigkeit auch auf das Verfügungsgeschäft des Bewucherten (vergleiche Palandt-Ellenberger, aaO., § 138 Rn. 20), so dass hier nicht nur der Forderungskauf vom 30.1.2014, sondern auch die Abtretung der Rechte aus den Versicherungsverträgen jeweils gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.
10Auch aus dem Gesamtcharakter der Kauf- und Abtretungsvereinbarung vom 30.1.2014 folgt hier deren Nichtigkeit, gemäß § 134 BGB als lex specialis zu § 138 Abs. 1 BGB, und zwar wegen Umgehung des Verbots der Forderungseinziehung auf fremde Rechnung ohne Registrierung gemäß § 2 Abs. 2 S. 1, 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG. Betrachtet man die Vereinbarung vom 30.1.2014 im Kontext mit den früher abgeschlossenen Vereinbarungen der Klägerin mit den Eheleuten N. vom 8.8.2011, ist nach Ansicht der Kammer davon auszugehen, dass die neu abgeschlossenen Kauf- und Abtretungsvereinbarungen letztlich lediglich bezwecken, in dem vorliegenden Rechtsstreit die Aktivlegitimation der Klägerin herzustellen, nachdem die ursprünglichen Abtretungen vom 8.8.2011 wegen Verstoßes gegen §§ 2 Abs. 2 S. 1,3 RDG nichtig sind, gemäß § 134 BGB. Hierzu wird auf den Hinweisbeschluss der Kammer vom 28.1.2014 Bezug. Dafür, dass mit den nunmehr abgeschlossenen Verträgen vom 30.1.2014 letztlich eine Umgehung des Verbots der Inkassozession ohne Registrierung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG beabsichtigt ist, spricht neben dem Gesamtzusammenhang auch der Umstand, dass in dem Formular zur Kauf- und Abtretungsvereinbarung von einer „Bearbeitungsgebühr“ die Rede ist, die ausdrücklich zur „Deckung der mit der Abwicklung dieses Vertrages entstehenden Verwaltungs- und Servicekosten“ erhoben wird. Dies spricht weiterhin deutlich gegen das Vorliegen eines echten Forderungskaufs, hingegen für die Durchführung einer entgeltlichen Inkassodienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 S. 1 RDG.
11Mangels Wirksamkeit der vorgelegten Abtretungen hinsichtlich der Ansprüche der Eheleute N. als Versicherungsnehmer aus den vorgenannten Lebensversicherungsverträgen ist die Klägerin nicht zur Geltendmachung der Zahlungsansprüche aktivlegitimiert. Entsprechend hat die Klage auch hinsichtlich der auf Auskunft und Versicherung an Eides statt gerichteten Klageanträge keinen Erfolg.
12Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 Satz 2, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.
13Dr. X |
W1 |
Dr. W2 |
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Referenzen
- RDG § 2 Begriff der Rechtsdienstleistung 3x
- RDG § 10 Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde 1x
- 120 C 107/12 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 134 Gesetzliches Verbot 3x
- ZPO § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel 1x
- RDG § 3 Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen 1x
- ZPO § 533 Klageänderung; Aufrechnungserklärung; Widerklage 2x
- ZPO § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss 1x
- BGB § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher 4x