Urteil vom Landgericht Aachen - 2 S 364/14
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 05.11.2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Heinsberg (18 C 115/14) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Dieses Urteil ist wie auch das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
1
G r ü n d e
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß den §§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung bleibt ohne Erfolg.
6Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender, überzeugender Begründung hat das Amtsgericht die auf Wildschadensersatz gerichtete Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
7Der Zugang des Schreibens der Stadt X vom 16.05.2013 an den Kläger (entspricht inhaltlich unstreitig dem Schreiben gleichen Datums an den Vertreter des Beklagten, Bl.45 d.A.), dem Kläger unbestritten spätestens zugegangen am 18.05.2013, einem Samstag, hat die zweiwöchige Klage-Notfrist des § 41 Landesjagdgesetz Nordrhein-Westfalen (LJG-NRW) ausgelöst. Die erst 2014 erhobene Klage ist damit wegen Nichteinhaltung dieser „materiellen Ausschlussfrist“ (Landgericht Aachen 6 T 86/08, Beschluss vom 04.11.2008) unzulässig (vgl. auch § 35 Abs.1 LJG-NRW).
8Ein etwa in der Klage zu sehender Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist ist seinerseits verfristet, weil er nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs.1 S.1, Abs.2 ZPO erfolgte, die ausgelöst wurde durch das mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Schreiben der Stadt X vom 12.06.2013 an den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers (Bl.129 d.A.).
9Zur Berufungsbegründung im Einzelnen:
10a)
11Die „Niederschrift über das Scheitern des Vorverfahrens“ (§ 39 Abs.3, 2.Halbsatz LJG-NRW) muss – entgegen der Auffassung des Klägers – weder eine Schadensbeschreibung noch eine Schadensschätzung durch einen Wildschadensschätzer im Sinne von § 39 Abs.1 S.4 Nr.1 bis 4 LJG-NRW enthalten, derartiges muss dieser Niederschrift auch nicht tatsächlich vorausgegangen sein.
12Das Gesetz sieht dies nicht vor und es ist auch von der Sache her nicht naheliegend oder gar zwingend. Im Gegenteil: Sind – wie hier – die Verhandlungen gescheitert, so könnten solche Feststellungen bestenfalls beweissichernden Charakter haben. Das Vorverfahren hat aber eine Einigung zum Ziel oder eine schnelle Klage; bei gescheiterter Einigung bleibt der Hinweis auf ein selbständiges gerichtliches Beweisverfahren gemäß § 485 ff ZPO mit allen damit verbundenen Verfahrensgarantien für alle Beteiligten (Landgericht Aachen a.a.O.). Keinesfalls wäre der Kläger gezwungen gewesen, eine Klage „ins Blaue“ zu erheben, er hätte auch z.B. innerhalb der Klagefrist ein Privatgutachten einholen können (Landgericht Aachen a.a.O.) oder Feststellungsklage erheben können.
13Im vorliegenden Fall hat zunächst der „Termin am Schadensort“ (§ 37 LJG-NRW) am 09.01.2013 stattgefunden (Protokoll Bl.23 d.A.); eine gütliche Einigung (§ 38 LJG-NRW) gab es dabei nicht.
14Daraufhin fand – genau wie im LJG-NRW vorgesehen – ein „neuer Termin“ (§ 39 Abs.1 S.2 LJG-NRW) am 16.05.2013 statt, an dem ein Vertreter des Beklagten jedoch gar nicht erst nicht teilnahm, sondern nur – unter ausdrücklichem, überobligatorischen Hinweis auf Klagefristen – mitteilen ließ, „jeglicher Wildschadensersatz“ werde abgelehnt (Bl.24/25 d.A.).
15Noch am gleichen Tag verfasste die Stadt X die Mitteilung über das Scheitern des Vorverfahrens. Mit dem Zugang dieser Mitteilung war klar: das Vorverfahren war gescheitert, die Klagefrist begann zu laufen.
16Soweit sich in diesem Zusammenhang der Kläger auf das Landgericht Mönchengladbach (2 S 155/13, Urteil vom 04.06.2014) beruft, hilft ihm das nicht weiter. Das Gericht hat dort lediglich – auch nach Auffassung der Kammer zutreffend – festgestellt, dass „das vollständige Fehlen des Termins am Schadensort“ dem „zentralen gesetzgeberischen Anliegen des Feststellungsverfahrens“ nach §§ 36 bis 41 LJG-NRW widerspricht, so dass ein Vorverfahren im dort zu entscheidenden Fall gar nicht stattgefunden hat.
17Im hier zu entscheidenden Fall hat es sogar zwei Einigungsversuche nach Maßgabe des LJG-NRW vor Ort gegeben, letztlich ist eine Einigung am Beklagten gescheitert und das ist dem Kläger mitgeteilt worden. Von einem fehlenden Vorverfahren kann keine Rede sein.
18b)
19Eine entgegen § 39 Abs.3, 2.Halbsatz LJG-NRW fehlende Rechtsmittelbelehrung machte die „Niederschrift über das Scheitern des Vorverfahrens“ nicht unwirksam (vgl. BGH III ZR 360/12, Urteil vom 06.06.2013, zu § 37 des Hessischen Jagdgesetzes, der § 41 LJG-NRW entspricht).
20Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung hat „lediglich“ Bedeutung für ein rechtzeitiges Wiedereinsetzungsgesuch (so genannte „Wiedereinsetzungslösung“, vgl. BGH a.a.O. Rn.20, 25), insoweit entspricht die Rechtslage der ZPO-Novelle vom 05.12.2012 zur Rechtsmittelbelehrung bei angreifbaren Zivilurteilen.
21Ein Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von zwei Wochen ab Beseitigung des Hindernisses (Kenntnis von der Klagefrist) ist – wie eingangs dargelegt – nicht gestellt worden.
22c)
23Die Stadt X war nicht gehalten, die „Niederschrift über das Scheitern des Vorverfahrens“ an den bestellten Vertreter des Klägers, also seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten, zuzustellen. Eine entsprechende Norm fehlt.
24Der BGH bezeichnet Vorverfahren wie das vorliegende als „originär zivilrechtliche Materie“, nicht als eine „öffentlich-rechtliche Streitigkeit“ (BGH a.a.O.). Vor einem Zivilprozess ist aber grundsätzlich die Zustellung an den Vertretenen persönlich wie auch an den Bevollmächtigten zulässig.
25Selbst wenn man entsprechend § 7 Abs.1 S.2 VwZG-NRW bei Vollmachtvorlage eine Zustellung an den Bevollmächtigten fordern wollte, so wäre hier diese Zustellung mit Schreiben vom 12.06.2013 (Bl.129 d.A.) erfolgt, ohne dass fristgemäß Klage erhoben oder ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt worden wäre.
26d)
27Die rechtlich kaum einzuordnenden Schreiben der Stadt X vom 24.06.2013 (Bl.63 an den damaligen Vertreter des Beklagten; Bl.130 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers) und vom 01.04.2014 (Bl.31 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers) – sieht doch das LJG-NRW eine Vorbescheid „gemäß §§ 35 ff LJG-NRW“ nicht vor – konnten an der laufenden bzw. abgelaufenen Klagefrist nichts mehr ändern, insbesondere aber nicht die „alte“ Klagefrist beseitigen oder eine neue, zweite Klagefrist in Gang setzen.
28Mit der Mitteilung des „Scheiterns des Vorverfahrens“ war die Stadt X nicht mehr Herr des Verfahrens; einen Vollstreckungstitel nach §§ 38 Abs.2, 39 Abs.3, 1.Halbsatz LJG-NRW konnte sie nicht mehr schaffen.
29Eine Wiederaufnahme des Vorverfahrens – aus welchem Grund auch immer – sieht das LJG-NRW nicht vor, sondern nur die Klage.
30Andernfalls könnte beispielsweise einer zulässig innerhalb von zwei Wochen erhobenen Klage die Verwaltungsbehörde den Boden unter den Füssen entziehen, indem sie das Vorverfahren mit dem Ziel eines Vollstreckungstitels wieder aufnimmt. Andernfalls hätte es die Verwaltungsbehörde beispielsweise auch in der Hand, durch mehrere sukzessive Vorverfahren mehrere Klagefristen für denselben Streitgegenstand in Gang zu setzen oder gar einen eigenen Vollstreckungstitel während des parallel laufenden Klageverfahrens in die Welt zu setzen.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO.
32Für die beantragte Zulassung der Revision liegen die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 S.1 ZPO nicht vor.
33Berufungsstreitwert: 1.200,74 EUR
34Cr |
Dr. Q |
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Referenzen
- ZPO § 485 Zulässigkeit 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- Urteil vom Landgericht Mönchengladbach - 2 S 155/13 1x
- 18 C 115/14 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- III ZR 360/12 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 234 Wiedereinsetzungsfrist 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- ZPO § 313a Weglassen von Tatbestand und Entscheidungsgründen 1x
- 6 T 86/08 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x