Urteil vom Landgericht Aachen - 12 O 413/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz wegen mangelhafter sowie verzögerter Tragwerksplanung. Die Klägerin errichtete 54 Miet- und 14 Eigentumswohnungen in insgesamt acht Häusern auf zwei Baufeldern in Göttingen. Dem Beklagten wurde mit Vertrag vom 20.10.#####/####.11.2008 die Tragwerkplanung im Umfang der Leistungsphasen 1-5 gemäß § 64 HOAI a.F. übertragen. Nach § 7 des Vertrages sollten die Termine für die Leistungserbringung in Absprache mit dem mit der Projekt- und Objektüberwachung beauftragten Architekten Neuhaus festgelegt werden. In § 14 Ziffer 14.3, 14.4 des Vertrages vereinbarten die Parteien als Erfüllungsort und Gerichtsstand Geilenkirchen. Für den weiteren Inhalt wird auf den „Ingenieurvertrag U (Anlage K1) Bezug genommen. Im Jahr 2009 begann die Ausführung des Bauvorhabens. Dabei wurden zunächst die vier Häuser A bis D des Baufeldes 1 errichtet. Das auf dem Baufeld 2 geplante Objekt unterschied sich von dem auf dem Baufeld 1 errichteten bzw. zu errichtenden Objekts lediglich darin, dass es über eine zusätzliche Etage verfügen sollte. Da die Statik ausgehend vom Dachgeschoss bis zur Gründung eines Objektes zu berechnen ist, war für das Baufeld 2 eine Neuberechnung bzw. Anpassung erforderlich, wobei die Veränderung im oberen Geschoss nach unten abzutragen war. Der Beklagte legte der Klägerin im September 2009 statische Berechnungen für das Baufeld 2 mit der Bitte um Weiterleitung an den Prüfstatiker vor. Für das Baufeld 2 wurde von der Bauaufsichtsbehörde der Prüfstatiker und Zeuge T beauftragt. Der Zeuge T beanstandete wiederholt die Berechnungen des Beklagten. Im Hinblick auf die jeweiligen Beanstandungen und Rügen des Prüfstatikers wird auf die Prüfberichte 1-9 (Anlagen K7 – K16) Bezug genommen. Aufgrund der wiederholten Beanstandungen und hierdurch nicht erfolgten Freigabe der Planung durch den Prüfstatiker, kam es zu Verzögerungen im Bauablauf. Entgegen den ursprünglichen und zwischenzeitlich überarbeiteten Bauzeitplänen wurde das Untergeschoss am 25.01.2011 fertiggestellt und der Rohbau für die Häuser im Juli/August 2011. Der Bezug der Häuser erfolgte sodann im Januar 2012. Die Firma E stellte der Klägerin Mehrkosten wegen der Bauverzögerung in Höhe von insgesamt 186.517,99 € in Rechnung. Im Hinblick auf die Einzelpositionen, aus denen sich der vorgenannte Betrag zusammensetzt, wird auf Anlage K25 Bezug genommen.
3Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich bereits aus den beklagtenseits durchgeführten Abhilfemaßnahmen, die auf die Rügen des Prüfstatikers erfolgten, ein Anerkenntnis betreffend die beanstandeten Mängeln ergebe. Der Beklagte trage aus diesem Grund die Beweislast für die Mangelfreiheit. Die Klägerin behauptet, dass sich der bereits verschobene Baubeginn durch die mangelhaften Berechnungen des Beklagten um 3 Monate verzögert habe. Der Zeuge T habe die ihm vorgelegten Berechnungen stets innerhalb einer angemessenen Frist geprüft. Soweit möglich, habe er auch konkrete Angaben zur erforderlichen Nachbesserung gemacht, obwohl er hierzu nicht verpflichtet gewesen sei. Hinsichtlich der behaupteten Mängel gibt die Klägerin die Ausführungen und Beanstandungen der Prüfberichte (Anlagen K7 – K 16) wieder. Aufgrund der mangelhaften und verzögerten Planung des Beklagten seien ihr die durch die Firma E abgerechneten Mehrkosten in Höhe von 186.617,99 € (netto) zzgl. hierauf entfallender Mehrwertsteuer in Höhe von 35.457,42 €, ferner erhöhte Prüfgebühren der Stadt Göttingen in Höhe von 36.876,00 €, entgangene Mieteinnahmen in Höhe von 117.324,29 € sowie erhöhte Bauleitungsaufwendungen in Höhe von 14.280,00 € entstanden. Hieraus ergibt sich der klägerseits insgesamt geltend gemachte Schaden in Höhe von 390.555,69 €.
4Die Klägerin beantragt,
5den Beklagten zu verurteilen, an sie 390.555,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.10.2013 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 5.054,17 € zu zahlen.
6Der Beklagte beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Der Beklagte behauptet, der Prüfstatiker und Zeuge T habe Aspekte der Statik beanstandet, die mangelfrei gewesen seien. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Berechnungen unter Berücksichtigung der notwendigen Änderungen im Kern auf der Statik des Baufeldes 1 basierten, die mit dem für dieses Baufeld zuständigen Prüfstatiker abgestimmt und durch diesen freigegeben worden seien. Die Tatsache, dass der Prüfstatiker Änderungen der Planung verlangt habe, bedeute nicht zugleich, dass die Planung des Beklagten mangelhaft gewesen sei. Die durchgeführten Änderungen der Planung stellten keine Mängelbeseitigung dar. Zudem sei eine genehmigungsfähige Planung geschuldet gewesen, keine genehmigte Planung. Sofern der Prüfstatiker also Leistungen beanstandet habe, die bereits nicht mangelhaft sind, beruhten die Verzögerungen eben nicht auf der Werksleistung des Beklagten.
9Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die von den Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen.
10Die Kammer hat zur Frage der Mangelhaftigkeit der klägerischen Tragwerksplanung und den hieraus ggf. entstandenen Schäden Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Kern. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 04.12.2015 (Bl. 152 ff. GA) Bezug genommen. Der Sachverständige hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 07.06.2016 sein schriftliches Gutachten mündlich erläutert. Insoweit wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 07.06.2016 (Bl. 220 ff. GA).
11Entscheidungsgründe:
12Die zulässige Klage ist unbegründet.
13Ein Anspruch der Klägerin kommt weder aus 280 Abs. 1 BGB, noch aus § 286 BGB oder aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
14Aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Kern ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Beanstandungen des Prüfstatikers teils bereits keinen Mangel des Beklagten zum Gegenstand haben, teils auf veralteten Planungen basieren und im Übrigen ein gemäß § 280 Abs. 1 S. 1 BGB vermutetes Verschulden des Beklagten widerlegt ist. Der Sachverständige hat seine schriftlichen Feststellungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt und vertiefend dargestellt. Verwirklicht hat sich vielmehr das typische Bauherrenrisiko bei der vom Gesetzgeber verlangten doppelten Berechnung der Tragwerksplanung durch einen zusätzlichen Prüfstatiker.
15Im Hinblick auf die Prüfberichte Nr. 3, 4, 5, 7, 8 und 9 hat der Sachverständige bereits keine Fehler der Tragwerksplanung des Beklagten festgestellt.
16Sofern der Sachverständige ausführt, die im 1. Prüfbericht unter Ziffer 2 dargelegte Rüge betreffend die Auflagekräfte und Lastzusammenstellung nicht nachvollziehen zu können, geht dies zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin. Betreffend Ziffer 6 des 1. Prüfberichtes wird eine ursprünglich mangelhafte Berechnung durch den Sachverständigen zwar bestätigt, jedoch ist insoweit schon nicht vorgetragen, für welchen konkreten Schaden dieser konkrete Mangel ursächlich gewesen sein soll.
17Im Zusammenhang mit dem 2. Prüfbericht hat der Sachverständige zu den Beanstandungen unter Punkt 5, 6, 7 festgestellt, dass die Rügen des Prüfstatikers unzutreffend gewesen wären, wenn er die ihm zum Zeitpunkt seiner Prüfung bereits vorliegenden korrigierten Unterlagen und Berechnungen des Beklagten zu Grunde gelegt hätte. Insoweit liegt bereits keine Kausalität zwischen der ursprünglich nicht vertragsgemäßen Leistung des Beklagten und den entstandenen Schäden, die aufgrund der verspäteten Freigabe durch den Prüfstatiker entstanden sind, vor. Sofern der Prüfstatiker seinem Bericht nicht die ihm aktuell zur Verfügung stehenden Berechnungen zugrundelegt, sondern ursprünglich fehlerhafte, zwischenzeitlich überholte Berechnungen, ist die ursprüngliche mangelhafte Leistung des Beklagten nicht mehr kausal für die hieraus entstandene Verzögerung und die daraus resultierenden Schäden.
18Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, die Beanstandung des Prüfstatikers im 5. Prüfbericht entspreche zwar der Theorie, dennoch könne nicht auf eine Fehlerhaftigkeit der Tragwerksplanung des Beklagten insoweit geschlossen werden. Vielmehr handele es sich bei den Rügen des Prüfstatikers, die sich auf die statischen Nachweise für die Stützen in der Tiefgarage bzw. im Keller beziehen, um Wertungsfragen. Ferner könnten auch im Rahmen der späteren Bauausführung noch zusätzliche Stahlmengen eingeführt werden, die die Absicherung des Bauvorhabens sodann gewährleisteten. Ein Mangel liegt danach nicht vor.
19Sofern der Sachverständige die Rügen des Prüfstatikers betreffend die Mangelhaftigkeit der Mauerwerksnachweise im 6. Prüfbericht bestätigt hat, trifft den Beklagten kein Verschulden. Das nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutete Verschulden wurde zur Überzeugung der Kammer widerlegt. Gemäß § 276 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Aufgrund der schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Kern ist im Hinblick auf durch diesen festgestellte Mängel hinsichtlich der Mauerwerksnachweise jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der Beklagte diese und damit die nicht vertragsgemäße Leistung vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Der Beklagte hat weder mit Wissen und Wollen des pflichtwidrigen Erfolges gehandelt, noch hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Differenz zwischen der Tragwerksplanung des Beklagten und derjenigen des Prüfstatikers auf der Nutzung unterschiedlicher Softwareprogramme beruhe. Auch wenn die Mauerwerksnachweise wie durch den Beklagten geführt auch von ihm nicht nachvollzogen werden konnten, habe der Beklagte jedoch sämtliche Eingaben in das Softwareprogramm, durch das die Nachweise berechnet worden seien, zutreffend vorgenommen. Die Aufgabe des Tragwerksplaners beinhalte die korrekte Eingabe der Geometrie und der Randbedingungen. Ferner sei das Softwareprogramm des Beklagten auch ein für die Tragwerksplanung übliches Programm. Nach den Gegebenheiten des Bauingenieurwesens sei des weiteren von einer Tragwerksplanung nicht zu verlangen, dass diese nach unterschiedlichen Softwareprogrammen berechnet werde. Sofern der Beklagte sämtliche erforderlichen Eingaben vorgenommen hat, ist ihm kein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen. Insbesondere durfte er auch davon ausgehen, dass die Berechnungen über das von ihm verwandte Softwareprogramm zutreffend ausgeführt werden. Für die Erkennbarkeit einer Fehlerhaftigkeit des Softwareprogramms bestehen keine Anhaltspunkte. Der Sachverständige hat hierzu weiter ausgeführt, dass insoweit auch die Einwände des Prüfstatikers, er vermisse die Wandlasten, nicht verfangen. Die Wandlasten würden über das Softwareprogramm automatisch eingestellt. Erforderlich hierfür sei lediglich die zutreffende Eingabe des Beklagten, die erfolgt sei. Demzufolge trifft den Beklagten auch hinsichtlich der Rüge unter Ziffer 8 des 2. Prüfberichts kein Verschulden. Auch hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Lastübernahme intern durch die verwendete Software durchgeführt werde und der Beklagte hierauf keinen Einfluss habe nehmen können. Insofern sei die Prüfung durch den Prüfstatiker mit einer anderen Software erforderlich gewesen. Insbesondere hat der Sachverständige weiter ausgeführt, er könne den Beanstandungen des Prüfstatikers hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der Berechnungen der Aufzugswände nicht folgen. Die Tragwerksplanung des Beklagten sei insoweit nicht mangelhaft. Vielmehr setze der Prüfstatiker zu hohe Lasten an.
20Die nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen werden auch nicht durch die Bekundungen des Zeugen T entkräftet. Der Zeuge T wies erhebliche Belastungstendenzen auf, die bereits erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Aussage begründen. Der Zeuge T war ersichtlich von der Zusammenarbeit mit dem Beklagten „genervt“, was Zweifel an der Objektivität seiner Aussage zulässt. Dagegen war an der Objektivität der Feststellungen des Sachverständigen nicht zu zweifeln. Überdies stehen die Bekundungen des Zeugen T den Feststellungen des Sachverständigen auch nicht entgegen. Insbesondere konnte er nicht ausschließen, dass die Abweichung der Berechnungen des Beklagten von den seinerseits vorgenommenen Berechnungen auf der Verwendung unterschiedlicher Computerprogramme basiere. Damit stehen seine Bekundungen der Annahme eines fehlenden Verschuldens jedenfalls nicht entgegen.
21Der Schriftsatz der Klägerin vom 13.06.2016 lag vor und hat keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben.
22Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
23Der Streitwert wird gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 ZPO auf 390.555,69 € festgesetzt.
24Prof. Dr. N2 |
Dr. I |
I2 |
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
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- BGB § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 2x
- ZPO § 4 Wertberechnung; Nebenforderungen 1x
- ZPO § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen 1x