Urteil vom Landgericht Aachen - 12 O 559/19
Tenor
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 3.350 € nebst Zinsen aus 350 ,- € in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.12.2016 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen
Die Kosten des Rechtsstreites tragen das beklagte Land zu 64 % und der Kläger zu 36 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um den Polizeieinsatz vom 3.12.2016 in dem Waldgebiet Hambacher Forst zwischen Aachen und Köln, einem vormals zum Braunkohlenabbau vorgesehenen Gebiet, in dem Rodungen sattfanden bzw. noch stattfinden sollten. Der Kläger ist Filmemacher und nahm an verschiedenen Aktionen gegen die Rodungen teil.
3Am 3.12.2016 kam es zu einer körperlich geführten Auseinandersetzung des Klägers mit Polizeieinsatzkräften des beklagten Landes, insbesondere mit dem Zeugen XXX, der als Einsatzleiter fungierte. Der Kläger wurde schließlich festgehalten und gegen seinen Willen abtransportiert. Die Szene wurde von beiden Parteien gefilmt. Die Videos sind Gegenstand der beigezogenen Ermittlungsakte und wurden in der Beweisaufnahme von der Kammer in Augenschein genommen. Gegen Kläger und die polizeilichen Einsatzbeamten wurden Ermittlungsverfahren geführt, die nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt wurden.
4Der Kläger behauptet, die Demonstration sei friedlich gewesen. Die Einsatzbeamten hätten ihm weder mitteilen können, wo ein Rodungsbereich sei, aus dem er sich habe raushalten sollen, noch sei ein solcher Bereich gekennzeichnet oder erkennbar gewesen. Ein polizeilicher Platzverweis gegen ihn sei nicht erfolgt. Der gegen ihn gerichtete unmittelbare Zwang sei auch nicht angedroht worden. Plötzlich und unerwartet sei der Polizeibeamte XXX über eine Strecke von rund 10 Meter auf ihn – den Kläger zugelaufen – habe ihn umgerissen und zu Boden geworfen. Die weiteren Beamten seien hinzugekommen und hätten auf den auf dem Boden liegenden Kläger mit dem Einsatzstock bäuchlings eingeschlagen. Nach Fesselung sei der Kläger gefesselt worden im Langsitz abtransportiert worden und dabei am Jochbein geschlagen worden. Der Einsatz sei für den Kläger schmerzhaft gewesen. Weiter sei seine Filmkamera nebst Stativ beschädigt worden. Seine Verletzungen seien erheblich gewesen, insbesondere Schädelhirntraumata, posttraumatische Sehschwäche, Prellungen und HWS-Distorsion. Infolge einer akuten Belastungsstörung sei er 3,5 Monate arbeitsunfähig gewesen. Dafür sei er unter Orientierung am Existenzminimum zu entschädigen.
5Der Kläger beantragt,
6das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 2.250 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3.12.2016 sowie ein in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeld, das 3.000,- € nicht unterschreiten sollte, zu zahlen.
7Das beklagte Land beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Das beklagte Land behauptet, der Kläger sei polizeilicher Störer gewesen und habe sich insbesondere nicht an einen ihm erteilten Platzverweis gehalten. Insbesondere wird schriftsätzlich bestritten, dass ein Polizeibeamter auf den Kläger zu gerannt sei und ihn zu Boden gerissen habe. Die Beklagtenseite beruft sich noch auf Verjährung.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat umfangreichst ganztätig Beweis erhoben durch Vernehmung eine Vielzahl von beteiligten Zeugen und vor allem die Inaugenscheinnahme von drei Videos der Parteien, die unstreitig das Geschehen betreffen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 3.8.2021, Bl. 232 GA, aber auch auf die Datenscheibe aus dem Ermittlungsverfahren, Bl. 48 f. EA Bezug genommen.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
12Die zulässige Klage hat auch in der Sache weitgehend Erfolg. Der Kläger hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG in Höhe von insgesamt 3.350,- €. Die beteiligten Polizeibeamten haben zulasten des Klägers in Ausübung des ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes schuldhafte Amtspflichtverletzungen begangen. Die Verletzungen des Klägers erfolgten ohne rechtfertigenden Grund. Die Forderung unterliegt auch nicht der Verjährung. Verdienstausfall des Klägers ist nicht dargelegt.
131.
14Polizeibeamten sind Beamte im haftungsrechtlichen Sinne von § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. Die jeweiligen Polizeibeamten befanden sich aufgrund ihres übertragenen Amtes und zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im Hambacher Forst.
15Das beklagte Land hat eine drittbezogene Amtspflicht verletzt, indem es die Pflicht zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln verletzte. Auf den zur Akte der Staatsanwaltschaft gereichten und in Augenschein genommenen Videos ist zu sehen, dass sich der Kläger in einem zum Teil schon gerodeten Bereich des Hambacher Forstes aufhielt. Dabei fertigte der Kläger, der eine farbige Clownsperücke trug, aber auch ein polizeilicher Mitarbeiter Videos. Der Polizeibeamte XXX läuft im anschließenden Geschehen aus einer nicht unbeachtlichen Entfernung auf den Kläger zu, der sich daraufhin rückwärts in den Bereich bewegte, aus dem er kam. Schließlich drückte der Polizeibeamte XXX den Kläger zu Boden, der von weiteren Kräften ersichtlich gegen den Willen des Klägers festgehalten und schließlich abtransportiert wurde.
16Nach den auf den Videos erkennbaren Geschehnissen, aber auch nach den Bekundungen der Zeugen ist das Handeln der Polizeibeamten als rechtswidrig zu bewerten. Das Zu-Boden-Bringen des Klägers ist als unmittelbarer Zwang im Sinne von § 55 Abs. 1 PolG NRW zu bewerten. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges setzt das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des PolG NRW sowie eine Störereigenschaft des in Anspruch genommenen Klägers nach §§ 4 ff. PolG NRW voraus. Diese Voraussetzungen lagen bei den Verletzungshandlungen durch den Polizeibeamten XXX ersichtlich nicht vor.
172.
18Eine Rechtfertigung aus §§ 22, 23 KunstUrhG scheidet aus.
19Ersichtlich ging es dem einschreitenden Polizeibeamten nicht um die Beendigung von Filmaufnahmen. Der Kläger wurde unstreitig nicht aufgefordert, Filmaufnahmen zu beenden oder zu unterlassen. Weiter dürften auch nur Nahaufnahmen von Polizeibeamten einen Verstoß §§ 22, 23 KunstUrhG darstellen und einen Straftatbestand nach § 33 KunstUrhG begründen (vgl. Engels, in: BeckOK Urheberrecht, 30. Ed., Stand 15.01.2021, § 23 KUG Rn. 17). Der Kläger fertigte Bilder der Örtlichkeit, auf der lediglich nicht näher zu identifizierende Polizeibeamten zu sehen sind.
203.
21Soweit der Zeuge XXX einschritt, um einen Platzverweis durchzusetzen, war das Vorgehen der Polizeibeamten ebenfalls rechtswidrig. Einen Platzverweis gegen den Kläger konnte die Kammer trotz ausführlicher Beweisaufnahme zum prozessualen Nachteil des beklagten Landes nicht feststellen. Die Ingewahrsamnahme des Klägers wäre zur Vollstreckung eines Platzverweises nicht unerlässlich gewesen. § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW erlaubt es der Polizei nur dann eine Person in Gewahrsam zu nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 34 PolG NRW durchzusetzen. Die Androhung des unmittelbaren Zwanges ist nicht erfolgt, wäre aber nach § 61 PolG NRW erforderlich gewesen.
22Dabei brauchte die Kammer nicht zu beurteilen, ob es sich um eine Versammlung nach Art. 8 GG Art. handelte, bei der möglicherweise nach der einschränkenden Auslegung des BVerfG erst nach Auflösung der Versammlung ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht kommt (vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 ff.).
23Unklar geblieben ist es nach der Beweisaufnahme, ob ein Platzverweis gegen den Kläger erfolgte, etwa um die Rodungsarbeiten der RWE sicherzustellen. Auf den Videos ist als Tatort ein bereits weitgehend gerodeter Waldbereich ohne Anhaltspunkte für weitere Rodungsmaßnahmen, zu erkennen. Weder erscheinen Rodungsarbeiter auf dem Video noch sind Maschinen für Rodungen zu sehen. Die Zeugen XXX und XXX sind dem pauschalen Vortrag des beklagten Landes entgegen getreten und haben bekundet, einen bestimmten Bereich, den sie nicht betreten sollen, nicht erkannt zu haben. Insbesondere hat der Zeuge XXX in der mündlichen Verhandlung mit Hilfe einer genauen Skizze (Anlage 2 des Protokolls vom 3.8.2021, Bl. 212 GA) bekundet, dass am Einsatzort die Bäume schon auf dem Boden lagen und der aktive Rodungsbereich vom Tatort durch einen Waldweg getrennt war. Skizze und Bekundung des Zeugen waren ohne Belastungstendenz. Dass der Zeuge auch nach Jahren noch in der Lage war, der Kammer darzustellen, dass eine zum Platzverweis ggfs. erforderliche Gefährdungslage einen anderen Bereich betraf, ist offenbar auf den Beruf des Zeugen (XXX) zurückzuführen. Erfahrungsgemäß beschäftigen sich Mitglieder dieser Berufsgruppe gerne und genau mit örtlichen Zusammenhängen.
24Die beteiligten Polizeibeamten sprachen ebenfalls nur ganz pauschal von einem Platzverweis, ohne nachvollziehbar angeben zu können, für welchen Bereich gegen den Kläger etwa ein Betretungsverbot wegen etwaiger Gefahren durch etwaige Rodungsarbeiten bestanden.
25Überdies hätte zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger zu Boden gerissen wurde, keine Gefahrenlage mehr fortbestanden. Jedenfalls ist nicht davon auszugehen, dass eine Ingewahrsamnahme des Klägers zur Durchsetzung eines Platzverweises unerlässlich im Sinne des § 35 PolG NRW war. Die Zeugen und insbesondere die Videos bekundeten völlig übereinstimmend, dass der Polizeibeamte XXX auf den rückwärts flüchtenden Kläger zulief und zwar aus dem Gebiet heraus, wo ggfs. Rodungsarbeiten stattfinden sollten.
26Weiter lagen die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 PolG NW nicht vor. Rechtsprechung und Schrifttum gehen davon aus, dass zur zwangsweisen Durchsetzung eines Platzverweises die besonderen Voraussetzungen des unmittelbaren Zwangs vorliegen müssen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, LKRZ 2014, 363, 365 m. w. Nachw., VG Koblenz, LKRZ 2013, 528; VG Neustadt, Urt. vom 6.9.2017, 5 K 783/16.NW).
27Der von dem Polizeibeamten XXX eingesetzte unmittelbare Zwang war weder angedroht noch war er zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig. Zeuge XXX hat eingeräumt, den unmittelbaren Zwang zur Vollstreckung eines Platzverweises gegen den Kläger nicht angedroht zu haben. Der unmittelbare Zwang des Zeugen XXX war keineswegs notwendig. Den Videos wie auch den Bekundungen der Zeugen ist ohne weiteres zu entnehmen, dass der Kläger auf ernsthafte Ansprache einen etwaigen Gefahrenbereich verlassen hätte. Bei dem Zulaufen des Polizeibeamten XXX bewegte sich der Kläger sofort und in erheblichem Tempo nach hinten von einem etwaigen geschützten Gefahrenbereich weg. Nach Einschätzung der Kammer hätte sich der Kläger auch weiter nach hinten, aus der Richtung, aus der er kam, bewegt, wenn nicht die Polizeibeamten den Kläger ergriffen hätten. Die Erklärung des Zeugen XXX, den Kläger als Gallionsfigur angesehen zu haben, nach dessen Ingewahrsamnahme die Lage sich beruhigt hätte, ist nach Einschätzung der Amtshaftungskammer keine Rechtfertigung, die Androhung des unmittelbaren Zwangs zu unterlassen, sondern nur eine emotionale Erklärung des Zeugen. Andere Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgehende Gefahr im Sinne des § 61 PolG oder der Annahme einer Unerlässlichkeit nach § 35 PolG NW sind der Amtshaftungskammer nicht ersichtlich.
284.
29Eine Rechtfertigung der Verletzungshandlungen aufgrund der StPO scheidet ebenfalls aus. Der Zeuge XXX gab insofern im Rahmen seiner Vernehmung an, keinen strafrechtlichen Vorwurf mitbekommen zu haben. Nach seiner Willensrichtung lag der Zweck der Maßnahme demnach allein auf einem präventiven Einschreiten nach dem PolG NRW.
30Es kommt auch keine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB in Betracht. Eine Notwehrlage bestand zum Zeitpunkt der Verletzungshandlungen nicht. § 32 StGB erfordert das Vorliegen eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs.
31Weiterhin ist dem Zeugen XXX auch ein Verschulden vorzuwerfen. XXX konnte jedenfalls das Ende der Gefahrenlage ohne weiteres erkennen. Bei der Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte er somit erkennen müssen, dass zum Zeitpunkt der Verletzungshandlungen eine etwaige Störereigenschaft des Klägers nicht vorlag bzw. schon beendet war.
32Die Kammer erachtet einen Schmerzensgeldbetrag von 3.000,00 € für angemessen und ausreichend. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs ist zu berücksichtigen, dass der Kläger als Adressat einer rechtswidrigen polizeilichen Maßnahme in besonderem Maße der Handlungsweise des beklagten Landes ausgesetzt war und sich aufgrund der Anwendung von unmittelbarem Zwang sich der Handlungsweise nicht entziehen konnte. Er wurde rechtswidrig zu Boden gerissen und im Anschluss mit Handschellen fixiert. (...) Die Bemessung des Schmerzensgeldes orientierte sich die Kammer auch an Rechtsprechung zu ähnlichen Verletzungsbildern (bspw. OLG Berlin, Urt. vom 15.3.2004, OLG Saarbrücken Urt. vom 24,4,2006; AG Köln, Urt. v. 08.06.2012 – 274 C 308/11; AG Köln, Urt. v. 08.06.2012 274 C 308/11). Der klägerische Vorwurf, die Polizeibeamten hätten den Kläger mit Schlagstöcken und Tritten traktiert, ließ sich dagegen in der Beweisaufnahme nicht bestätigen.
33Der Kläger erlitt infolge dieser rechtswidrigen Maßnahme eine Kopfprellung, eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule sowie eine Prellung der Schulter und des Oberarms. Ferner litt er zeitweilig an einer Angststörung. Dies ergibt sich aus den Bekundungen der Zeugen XXX und XXX. Die Zeugen konnte nachvollziehbar ohne jede Belastungstendenz angeben, welche Folgen der Polizeieinsatz auf den Kläger hatte, insbesondere zeitweise Schlafstörungen und Wesensveränderung. Soweit das beklagte Land den Zusammenhang zwischen dem Polizeieinsatz und den erlittenen Verletzungen bestreitet, greift dieser Einwand nach der Überzeugung der Kammer nicht durch. Der Kläger trägt die Beweislast für die Darlegung des erforderlichen Kausalzusammenhanges zwischen den Tätlichkeiten der Beamten und seinen Verletzungen. Es genügt jedoch, wenn die Amtspflichtverletzung und der nachfolgende Schaden bewiesen werden, soweit nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für den tatsächlichen Zusammenhang besteht (BGH, Urt. v. 03.03.1983 – III ZR 34/82, NJW 1983, 2241 (2242)). Aufgrund der Inaugenscheinnahme des Videos erachtet die Kammer die erlittenen Verletzungen als logische Konsequenz des polizeilichen Vorgehens. Insofern ist die Kammer in einem hinreichenden Grad davon überzeugt, dass die Verletzungen insgesamt auf dem rechtswidrigen Vorgehen der Polizeibeamten beruhen.
34Schmerzensgeldmindernd hat sich ausgewirkt, dass der Kläger das rechtwidrige Polizeiverhalten durch sein Verhalten letztlich mitverursacht hat, was er ausweislich seiner Klageschrift auch nicht in Frage stellt. Mehrmals titulierte er die Polizeibeamten als „RWE-Werkschutz“. Auch wenn die Kammer im Anschluss an die Einschätzungen der Polizeibeamten solche Äußerungen als Wahrnehmung berechtigter Interessen bei einer Demonstration noch als gerechtfertigt ansieht, hat der Kläger die Polizeibeamten mit Gleichstellung zu einem einfachen Werkschutz unter Missachtung der polizeilichen Neutralität provozieren wollen.
35Hinzuzurechnen sind die Sachschäden in Höhe von 350,- € für die Kamera mit Stativ. Nach den Aussagen der Zeugen und den Videos führte der Kläger Kamera und Stativ mit sich. Eine Zerstörung ist nachgewiesen. Der Zeitwert ist auf 350,- € zu schätzen, § 287 ZPO.
36Ein Verdienstausfall war dem Kläger nicht zuzubilligen. Die Voraussetzungen des § 842 BGB liegen zum prozessualen Nachteil des Klägers nicht vor. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass einem Geschädigten nur dann ein Verdienstausfallschaden zusteht, wenn sich der Wegfall oder die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sichtbar in dem Erwerbsergebnis niedergeschlagen hat (BGH, NJW 1995, 1023; Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 842 Rd. 2 m. w. Nachw.). Der Kläger hat weder angegeben, selbstständig oder unselbstständig in einem bestimmten Beruf oder Gewerbe tätig zu sein oder wirtschaftliche Nachteile durch Lohneinbußen oder Verlust von Aufträgen als Filmemacher erlitten zu haben. Eine von Klägerseite vorgeschlagene Berechnung am Existenzminimum erscheint der Kammer aus Rechtsgründen auch unter Berücksichtigung des § 287 ZPO nicht möglich. Dass etwa existenzsichernde Zahlungen oder Einkünfte des Kläger verletzungsbedingt ausgefallen sind, ist werden vorgetragen noch ersichtlich.
375.
38Die Forderung ist nicht verjährt. Zum einen sieht § 197 Abs. 1 Zif. 1 BGB für vorsätzliche Körperverletzungen eine dreißigjährige Verjährungsfrist vor. Aber auch die kurze, dreijährige Verjährungsfrist wäre gewahrt. Der Kläger kannte zum einen die Umstände und die beteiligten Polizeibeamte erst ab der Akteneinsicht im Jahre 2017. Zum anderen wurde die am 31.12.2019 bei dem Landgericht eingegangene Klage dem beklagten Land demnächst zugestellt, § 167 ZPO. Dabei ist nach Ansicht des Gerichts auf die Zustellung an den Ministerpräsidenten des Landes vom 5.2.2020 abzustellen. Nach der behördlichen Mitteilung des Ministerpräsidenten wurde die Klage an den Innenminister weitergeleitet, Bl. 26 f. GA und erst auf den Einwand des Innenministers an den Polizeipräsidenten Aachen erneut zugestellt, Bl. 33 ff. GA.
39Die ordnungsgemäß geschlossene mündliche Verhandlung war auch nicht auf den Schriftsatz des beklagten Landes vom 16.8.2021 wieder zu eröffnen, § 156 ZPO. Die Rechtsausführungen des beklagten Land, die allerdings lediglich in Form eines vorgelegten Aktenvermerkes eines nicht in der mündlichen Verhandlung anwesenden „Regierungsbeschäftigten“ vom 16.8.2021, Bl. 253 ff. GA vorgelegt werden, sind nicht geeignet, die rechtlichen Darlegungen der Amtshaftungskammer in Zweifel zu setzen. Ausdrückliche Platzverweise gegen den Kläger sind in der mündlichen Verhaltung nicht zu Tage getreten, wie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erörtert. Im übrigen übersieht der Aktenvermerk in § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW und § 61 Abs. 1 PolG NW wichtige gesetzliche Vorschriften. Platzverweise dürfen durch Ingewahrsamnahme nur durchgesetzt werden, wenn dies unerlässlich ist. Rechtsprechung und Schrifttum gehen davon weiter aus, dass zur zwangsweisen Durchsetzung eines Platzverweises die besonderen Voraussetzungen des unmittelbaren Zwangs vorliegen müssen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, LKRZ 2014, 363, 365 m. w. Nachw., VG Koblenz, LKRZ 2013, 528; VG Neustadt, Urt. vom 6.9.2017, 5 K 783/16.NW). Das kann das beklagte Land zu ihrem prozessualen Nachteil weder darlegen noch beweisen und ist auch in der mündlichen Verhandlung nicht hervorgetreten. Der Kläger bewegte sich nach der Beweisaufnahme rückwärts von dem auf ihn zustürmenden Zeugen XXX, so dass ein Zu-Boden-Reißen und die nachfolgenden körperlichen Attacken zu Lasten des Klägers nicht unerlässlich, sondern im Gegenteil unverhältnismäßig waren.
40Das Verfahren war insbesondere nicht durch eine weitere Beweisaufnahme fortzusetzen. Die vom beklagten Land benannten Zeugen wurden vernommen, insbesondere auch der vom beklagten Land im Schriftsatz vom 29.6.2020, Bl. 70, 71 GA, benannte Zeuge (...). Der in der Verhandlung anwesende Zeuge XXX hat dann angegeben, bei dem Vorfall nicht anwesend gewesen zu sein. Ein anderer Zeuge mit dem Namen XXX wurde dann jedenfalls von der Beklagtenseite nicht mehr benannt.
416.
42Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 709 ZPO. § 708 Nr.11 ZPO war bei der Vollstreckung durch das beklagte Land nicht anzuwenden. Die angefallenen Verfahrenskosten überschreiten nach Schätzung der Kammer den dort genannten Betrag.
43Streitwert: 5.250,- €, § 3 ZPO
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