Urteil vom Landgericht Dessau-Roßlau (2. Zivilkammer) - 2 O 294/14

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar;

Beschluss:

Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:

Antrag zu 1.:      

129,38 €,

Antrag zu 2.:

67.583,00 €,

Antrag zu 3.:

5.000,00 €,

Gesamt:

72.712,38 €.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung in Anspruch.

2

Aufgrund eines gegen den Kläger bestehenden Anfangsverdachts einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil eines Kindes fand in den Nachmittagsstunden des 09.05.2013 im P Park ein Polizeieinsatz statt, an dem unter anderem die Polizeibeamten H und P beteiligt waren. Eine am Einsatzort durchgeführte Atemalkoholprobe ergab bei dem Kläger einen Atemalkoholwert von 2,37 Promille und führte zur Anordnung einer Blutalkoholkontrolle, in die der Kläger einwilligte und die später einen Wert von 1,97 Promille ergab. Hierzu sollte der Kläger mit einem Einsatzfahrzeug der Polizei ins Klinikum verbracht werden. In der Folge saß der Kläger im Fond des Einsatzfahrzeugs, dessen Abfahrt vom Einsatzort sich infolge der Aufnahme der Strafanzeige zunächst verzögerte. Weil der Kläger über die Hitze im Einsatzfahrzeug klagte, öffneten die Polizeibeamten die vordere rechte und die hintere linke Tür. Als der Kläger aus zwischen den Parteien streitigen Gründen den Versuch unternahm, das Fahrzeug durch die hintere linke Tür zu verlassen, versuchten ihn die Beamten daran zu hindern. Im Zuge des weiteren Geschehens drängten sie den Kläger zu Boden, wobei er sich eine Luxation der rechten Schulter, eine vollständige Ruptur der Supraspinatussehne sowie der Infraspinatussehne zuzog, die eine notärztliche Behandlung im Klinikum am 09.05.2013 und eine anschließende ambulante Weiterbehandlung bis zum 26.08.2013 erforderten. Bis zum 07.06.2013 war der Kläger arbeitsfähig. Ihm entstanden Kosten für die Zuzahlung zu den Heilbehandlungen in Höhe von 104,38 €, neben denen der Kläger eine Nebenkostenpauschale von 25,00 € fordert.

3

Der Kläger behauptet, ihm sei aufgrund seiner Alkoholisierung sowie der Enge und den hohen Temperaturen im Einsatzfahrzeug übel geworden. Hierauf sowie auf einen aufkommenden Brechreiz habe er die Polizeibeamten mehrfach hingewiesen. Diese hätten daraufhin lediglich die Fahrzeugtüren geöffnet, was jedoch unzureichend gewesen sei. Als der Kläger den Brechreiz nicht länger habe unterdrücken können, sei er ausgestiegen, um sich nicht in das Fahrzeuginnere übergeben zu müssen. Keinesfalls habe er sich der Blutentnahme entziehen wollen, mit er sich zuvor ausdrücklich einverstanden erklärt habe. Angesichts der personellen polizeilichen Übermacht sei jeder Fluchtversuch ohnehin von vornherein aussichtslos gewesen. Die Beamten hätten sofort überreagiert und ihm einen Arm brutal auf den Rücken gedreht, sodass er zu Boden gegangen sei. Dabei habe er sich die Verletzungen zugezogen, aufgrund derer eine erhebliche Bewegungseinschränkung mit ständiger Schmerzsymptomatik als Dauerschaden verbleibe. Seit Oktober 2010 sei ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt.

4

Der Kläger beantragt,

5

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 129,38 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.07.2014 zu zahlen;

6

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in die Entscheidung des Gerichts gestellt wird und welches einen Betrag in Höhe von 67.583,00 € nicht unterschreiten sollte, zu zahlen;

7

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus der Körperverletzung vom 09.05.2013 zu erstatten;

8

4. den Beklagten zu verurteilen, ihm seine außergerichtlichen Vertretungskosten in Höhe von 2.127,77 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.07.2014 zu erstatten.

9

Der Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Er behauptet, der Kläger habe im Einsatzfahrzeug lediglich über die Wärme, aber nicht über Übelkeit geklagt. Tatsächlich habe er sich auch nicht übergeben müssen. Im Ermittlungsverfahren habe er als Grund für das Verlassen des Einsatzfahrzeugs angegeben, er habe mit seiner Ehefrau sprechen wollen, die neben dem Einsatzfahrzeug gestanden habe. Der Kläger sei plötzlich aus dem Einsatzfahrzeug gestürmt und von den Beamten zunächst an den Armen festgehalten worden, die versucht hätten, beruhigend auf ihn einzuwirken. Als der Kläger versucht habe, sich aktiv aus dem Haltegriff zu lösen, hätten sich die Beamten entschlossen, ihn zu Boden zu bringen. Diese Maßnahme sei angesichts der Gegenwehr des Klägers verhältnismäßig gewesen. Die erlittenen Verletzungen seien nicht allein auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Mitursächlich seien bereits zuvor vorhandene, ärztlich attestierte degenerative Veränderungen im Schultergelenk, die bei der Anerkennung des Grades der Behinderung ausdrücklich Erwähnung gefunden hätten. Im Übrigen sei das Schmerzensgeld deutlich übersetzt, zumal ein erhebliches Mitverschulden zu berücksichtigen sei.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

13

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Hergang des schädigenden Ereignisses durch Vernehmung der Zeugen G, P, H und K. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.02.2015 Bezug genommen.

14

Ferner sind die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau zu den Az. 507 Js 15120/13 und 292 Js 16095/13 beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Das gegen den Kläger gerichtete Ermittlungsverfahren ist gem. § 153a StPO nach Erfüllung einer Geldauflage endgültig eingestellt worden. Das gegen die Zeugen P und H gerichtete Ermittlungsverfahren ist gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Klage ist unbegründet.

16

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Er hat eine Amtspflichtverletzung der Zeugen P und H nicht nachzuweisen vermocht. Die Anwendung und Durchführung unmittelbaren Zwanges durch die Polizeibeamten war rechtmäßig.

17

Gegen den Kläger bestand der Anfangsverdacht einer Straftat gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Nach den von den Beamten am Einsatzort getroffenen Feststellungen war er verdächtig, nach einer vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung ein Kind mit einem Schippenstiel geschlagen zu haben. Da die Atemalkoholprobe einen Wert ergeben hatte, bei dem die Prüfung nahe lag, der Kläger könnte die Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen haben, lagen die Voraussetzungen für die Entnahme einer Blutprobe gem. § 81a Abs. 1 StPO vor. Einer bereitschaftsrichterlichen Entscheidung gem. § 81a Abs. 2 StPO bedurfte es dabei nicht, weil sich der Kläger mit der Blutentnahme einverstanden erklärt hatte (Trück in MK-StPO, § 81a Rn. 24 m.w.N.).

18

Ungeachtet der anfänglichen Einwilligung des Klägers waren die Polizeibeamten darüber hinaus berechtigt, den Kläger auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 StPO vorläufig festzunehmen, sobald sich ihnen Anhaltspunkte für die Annahme boten, der Kläger rücke von seiner Einwilligung ab, sodass sich nunmehr eine Anordnung gem. § 81a Abs. 2 StPO erforderlich mache. Im Rahmen dieses Festnahmerechts waren sie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Anwendung unmittelbaren Zwanges berechtigt, um einen entgegenstehenden Willen des Klägers zu brechen (vgl. Krause in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., Rn. 73 ff. insbes. Rdn. 77; ferner Beukelmann in Radtke/Hohmann, StPO, Rn. 18 zu § 81a jeweils m.w.N.). Dies gilt erst recht dann, wenn es einer richterlichen Anordnung nicht bedurfte, weil Gefahr im Verzug vorlag.

19

Das Festnahmerecht umfasst in den Grenzen des Übermaßverbotes alle diejenigen Maßnahmen, die notwendig sind, um den entgegenstehen Willen des Beschuldigten zu brechen und ihn daran zu hindern, sich der Ermittlungsmaßnahme zu entziehen. Dabei sind die Polizeibeamten auch zu Maßnahmen mit vorübergehend freiheitsentziehendem Charakter berechtigt. Der Versuch den Kläger am Verlassen des Einsatzfahrzeugs zu hindern, war deshalb grundsätzlich zulässig. Für die Einzelheiten zur Anwendung des unmittelbaren Zwanges ist auf die landesrechtlichen Regelungen abzustellen (Böhm/Werner in MK-StPO, § 127 Rn. 28).

20

Danach lagen gem. § 58 Abs. 2, Abs. 6 SOG die Voraussetzungen für eine körperliche Einwirkung auf den Kläger vor. Zwar schließt die Zulässigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges die Annahme amtspflichtwidrigen Verhaltens bei der Durchführung der Zwangsmaßnahme nicht schlechthin aus, weil insoweit eine unterschiedliche Beurteilung geboten sein kann (BGH, VersR 1984, 68). Im Ergebnis der Beweisaufnahme verbleiben zumindest aber nachhaltige Zweifel daran, dass die Zeugen P und H einer unvertretbaren Fehleinschätzung unterlagen, als sie den Versuch des Klägers das Einsatzfahrzeug zu verlassen sowie seine anschließende aktive Gegenwehr als Versuch werteten, sich der Blutentnahme zu entziehen. Die Zweifel gehen zu Lasten des beweispflichtigen Klägers. Dieser trägt ferner die Beweislast dafür, dass die Polizeibeamten bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges im Rahmen ihrer rechtmäßigen Diensthandlung den aus § 5 Abs. 1 SOG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des eingesetzten Zwangsmittels außer Acht gelassen haben (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 22).

21

Insoweit hat die Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Kläger gegenüber den Zeugen P und H zuvor die Befürchtung geäußert hat sich übergeben zu müssen. Die Zeugin G, die Ehefrau des Klägers, die sich einige Zeit nach der dem Kläger vorgeworfenen Tat zum Einsatzfahrzeug begeben hat, hat geschildert, sie selbst habe vorübergehend auf den Beifahrersitz des Dienstfahrzeugs gesessen und mit ihrem Mann geredet. Dieser habe ihr gegenüber zwar über Übelkeit geklagt. Hieraus habe sie selbst aber lediglich für sich den Schluss gezogen, der Kläger werde sich gegebenenfalls übergeben müssen. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich die Polizeibeamten nicht im, sondern neben dem Fahrzeug befunden. Der Kläger habe auch sie auf die einsetzende Übelkeit hingewiesen, was die Beamten zum Anlass genommen hätten, neben der bereits geöffneten Beifahrertür zusätzlich die hintere linke Fahrzeugtür zu öffnen. Bereits kurz darauf habe der Kläger auszusteigen versucht. Die Beamten hätten sodann zunächst versucht, ihn in das Dienstfahrzeug zurückzudrängen, wobei der Kläger allerdings Gegenwehr geleistet habe. Als der Kläger einen Schritt nach vorn getan habe, hätten die Beamten ihn jeweils an einem Arm ergriffen, die Arme hinter den Körper gedreht und den Kläger auf diese Weise zu Boden gedrückt. Der Aussage der Zeugin G ist weder zu entnehmen, dass der Kläger die Beamten darauf hingewiesen hat, sich übergeben zu müssen, noch, dass er darum gebeten hat aussteigen zu dürfen.

22

Der Zeuge K, der als Rettungssanitäter am Einsatzort war, hat das eigentliche, zur Verletzung des Klägers führende Geschehen selbst nicht wahrgenommen. Er hat den Kläger allerdings als noch im Nachgang unkooperativ, erregt und aggressiv beschrieben. Der Kläger habe sich trotz seiner Schmerzen nicht behandeln lassen, eine Untersuchung seiner Schulter sei nur unter seiner Gegenwehr möglich gewesen. Aufgrund seines Verhaltens sei vorsorglich die Entscheidung getroffen worden, den Transport des Klägers in das Klinikum im Rettungsfahrzeug durch Polizeibeamte begleiten zu lassen.

23

Die Schilderungen der Zeugen P und H bestätigen im Kern die Angaben der Zeugin G. Auch die Zeugen haben die Behauptung des Klägers, er habe auf einen Brechreiz hingewiesen, nicht bestätigt. Er habe lediglich über die Wärme in Dienstfahrzeug geklagt, woraufhin zwei Fahrzeugtüren geöffnet worden seien. Als der Kläger sodann versucht habe, das Fahrzeug durch die hintere linke Tür zu verlassen, habe ihn zunächst der Zeuge H allein daran zu hindern versucht. Dabei habe der Zeuge mehrfach versucht, verbal beruhigend auf ihn einzuwirken, was ohne Erfolg geblieben sei. Aufgrund der aktiven Gegenwehr des Klägers sei der Zeuge P dem Zeugen H zu Hilfe gekommen. Gemeinsam hätten dann beide Zeugen jeweils einen Armhebel angesetzt und den Kläger dabei gezielt aus dem Gleichgewicht gebracht und zu Boden gedrückt. Zumindest der Zeuge H hat darüber hinaus geschildert, der Kläger habe noch am Boden liegend versucht sich aus dem Haltegriff zu winden. Der unmittelbare Zwang sei mit dem ursprünglichen Ziel der Anlegung von Handfesseln ausgeübt worden.

24

Das Ergebnis der Beweisaufnahme spricht deshalb für einen unvermittelten, den Zeugen P und H nicht angekündigten Versuch des Klägers das Dienstfahrzeug zu verlassen. Dieses Verhalten durften die Zeugen dahin deuten, dieser habe seine Einwilligung in eine Blutalkoholüberprüfung aufgegeben und wolle sich vom Tatort entfernen. Aufgrund der Gegenwehr des Klägers bei dem Versuch, ihn in das Einsatzfahrzeug zurückzudrängen, war die Entscheidung der Zeugen P und H, einen Haltegriff anzuwenden und den Kläger zur Deeskalation der Situation zu Fall zu bringen, erforderlich und verhältnismäßig. Gleiches gilt für die nicht mehr umgesetzte Absicht der Zeugen, dem Kläger gem. § 64 SOG Handfesseln anzulegen.

25

Es bedarf damit keiner weiteren Aufklärung, ob sich der Kläger die Verletzungen unmittelbar durch die Gewalteinwirkung durch die Beamten, oder gegebenenfalls infolge der von ihm geleisteten Gegenwehr zugezogen hat.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen