Urteil vom Landgericht Dortmund - 25 O 37/13
Tenor
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 23.500,00 € zzgl Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.02.2012 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu einem Drittel und das beklagte Land zu zwei Dritteln.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des beklagten Landes gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Tatbestand:
2Der Kläger wurde am 09.01.1989 durch das Landgericht P (Az Kls 7 Js #####/#### (## #/##)) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
3Nachdem das Strafurteil des Landgerichts P vom 09.01.1989 rechtskräftig geworden war, verbüßte der Kläger zunächst die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe. Danach begann der Vollzug der Sicherungsverwahrung, wobei 10 Jahre der angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung am 05.06.2005 vollzogen waren.
4Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht B vom 22.04.2009 (Az StVK B ###/##) wurde die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB für erledigt erklärt. Die Entlassung aus der Sicherungsverwahrung erfolgte am 05.05.2009. Der Kläger befand sich demnach ca. 13 Jahre und elf Monate im Vollzug der Sicherungsverwahrung.
5Sowohl zum Zeitpunkt der Begehung der Taten als auch zum Zeitpunkt der Verurteilung war nach der damals geltenden Fassung des § 67d StGB die Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung nur für eine Höchstdauer von 10 Jahren zulässig. Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31. Januar 1998, geändert. Auf Grundlage des ab diesem Zeitpunkt geltenden § 67d Abs. 3 StGB war die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren Vollzug nur dann für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr bestand, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen würde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden.
6Entsprechend war der Kläger drei Jahre und elf Monate (1.430 Tage) länger untergebracht, als die in § 67d Abs. 2 StGB alter Fassung vorgesehene Höchstfrist währte.
7Außergerichtlich forderte der Kläger mit Schreiben vom 21.06.2010 den Bundesminister für Justiz, N-Straße in Berlin zur Zahlung einer Entschädigungssumme in Höhe von 50.000,00 € auf. Darüber hinaus begehrte der Kläger vor dem Landgericht Berlin Prozesskostenhilfe für ein gegen die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigtes Klageverfahren.
8Die damaligen Prozessbevollmächtigten machten mit Schreiben vom 29.09.2011 außerdem Entschädigungsansprüche gegen den Justizminister des Landes Nordrhein- Westfalen geltend. Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm wies die Ansprüche mit Schreiben vom 07.02.2012 mit der Begründung zurück, dass sich aus nach Art. 5 Abs. 5 EMRK bestehenden Ansprüchen keine „Rückabwicklung für die Vergangenheit“ ergibt.
9Der Kläger ist der Ansicht, der Vollzug der Sicherungsverwahrung gegen ihn über einen Zeitraum von 10 Jahren hinaus sei rechts-, verfassungs- und vor allem konventionswidrig gewesen, so dass ihm aus Art. 5 Abs. 5 EMRK ein Schadenersatzanspruch zustehe. In Betracht komme ein entschädigungspflichtiger Zeitraum von 1420 Tagen. Somit sei unter Berücksichtigung des § 7 Abs. 3 StrEG ein Betrag von 25,00 € pro Tag, somit insgesamt 35.750,00 € angemessen.
10Der Kläger beantragt,
11das Land Nordrhein-Westfalen zu verurteilen, an ihn 35.750,00 € zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.02.2012 zu zahlen.
12Ursprünglich hat das beklagte Land beantragt, die beiden Verfahren 15 O ###/## LG Berlin und 25 O ##/## LG Dortmund zu verbinden und sodann einen einheitlichen Gerichtsstand festzulegen. Des Weiteren hat das beklagte Land Klageabweisung beantragt.
13Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das beklagte Land den in der Klageerwiderung gestellten Verbindungsantrag zurückgenommen und beantragt nunmehr,
14die Klage abzuweisen.
15Das beklagte Land ist der Ansicht, dass dem Kläger der geltend gemachte Schadenersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht.
16Darüber hinaus ist das beklagte Land der Ansicht, dass es bereits an der Passivlegitimation fehle, da nicht das beklagte Land, sondern allenfalls die Bundesrepublik Deutschland anspruchsverpflichtet sei. Als allein entscheidender und zugleich tauglicher Anknüpfungspunkt für eine anspruchsbegründende Verletzung der Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 1 EMRK könne im vorliegenden Fall nur das vom Kläger beanstandet Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 herangezogen werden. Maßgeblicher Rechtsakt für den nach dem 05.06.2005 andauernden Vollzug der Sicherungsverwahrung sei die Gesetzesänderung durch eben jenes Gesetz gewesen. Es könne auch kein Zweifel darüber bestehen, dass eine Haftung der Bundesrepublik für legislatives Unrecht außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 BGB grundsätzlich denkbar sei.
17Insbesondere macht es geltend, dass ein solcher Anspruch jedenfalls für den Zeitraum vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausscheide, da bei festgestellten Konventionsverstößen grundsätzlich keine Rückabwicklung für die Vergangenheit stattfinde.
18Ferner bestreitet das in Anspruch genommene Land den Anspruch der Höhe nach. Das beklagte Land ist der Ansicht, die Einschätzung des Klägers, wonach bei der Bemessung des dem Kläger zuzubilligenden Geldentschädigungsanspruch in analoger Anwendung des § 7 StrEG ein kalendertäglicher Geldentschädigungsanspruch von 25,00 € in Ansatz zu bringen und eine Unterschreitung dieses Tagessatzes sei nicht gerechtfertigt, nicht zutreffend ist. Diese Einschätzung stimme nicht mit der Bemessungspraxis des EGMR in vergleichbaren Fällen überein.
19Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Die Klage ist zulässig, jedoch nur im tenorierten Umfang begründet.
22Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von 23.500,- € zu, da in der gegen ihn nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK zu sehen ist.
23Der hieraus resultierende Anspruch auf Schadensersatz richtet sich auch gegen das beklagte Land. Zweifel an dessen Passivlegitimation sind nicht deshalb begründet, weil die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften erfolgt ist. Zwar haben diese Normen den Freiheitsentzug nach Ablauf der Höchstfrist erst ermöglicht. Der unmittelbare Eingriff in das Freiheitsrecht des Klägers ergibt sich jedoch aus der gerichtlichen Anordnung der Verlängerung sowie dem Vollzug der Sicherungsverwahrung, die durch die Vollstreckungsbehörden des beklagten Landes erfolgten (vgl. BGH, Urt. v. 19.09.2013 – III ZR 405/12).
24Gemäß Art. 5 Abs. 5 EMRK hat jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den in Art. 5Abs. 1 a Satz 2 a – f EMRK aufgeführten Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden. Jede Person, die unter Verletzung von Art. 5 EMRK von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, hat gemäß Art. 5 Abs. 5 EMRK Anspruch auf Schadensersatz. Dieser Anspruch ist vom Verschulden der handelnden Amtsträger unabhängig.
25Die EMRK gilt innerstaatlich mit Gesetzeskraft und gewährt in Art. 5 Abs. 5 dem Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch, wenn seine Freiheit dem Art. 5 Abs. 1 EMRK zuwider beschränkt wurde (vgl. BGHZ 45, 58; BGHZ 122, 268).
26In der Vollziehung der Sicherungsverwahrung des Klägers vom 06.06.2005 bis zum 05.05.2009 liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 EMRK, denn der Kläger wurde in seinem Recht auf Freiheit beschränkt, ohne dass hierfür ein gesetzlich geregelter Rechtfertigungsgrund vorlag.
27Die Sicherungsverwahrung stellt eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 EMRK dar.
28Eine Rechtfertigung dieser Freiheitsentziehung des Klägers im genannten Zeitraum liegt nicht vor. Die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe der Art. 5 Abs. 1 S. 2 a – f EMRK sind vorliegend nicht erfüllt. In Betracht kommt ohnehin nur eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 a, c und e EMRK:
29Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 a EMRK ist eine rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht möglich.
30Die Anordnung der Fortdauer der Sicherheitsverwahrung durch das Vollstreckungsgericht erfüllt in Fällen wie dem vorliegenden die Voraussetzungen jedoch nicht:
31Durch das am 31.01.1998 in Kraft getretene Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (BGBL. I 160) wurde § 67 d StGB geändert. Zuvor sah dieser vor, dass die erste Unterbringung der Sicherheitsverwahrung zehn Jahre nicht überschreiten darf (§ 67 d Abs.1 StGB a.F.) und der Untergebrachte zu entlassen ist, wenn die Höchstfrist abgelaufen ist (§ 67 d Abs. 3 StGB a.F.). Nach der Änderung war keine Höchstfrist für die Sicherheitsverwahrung mehr vorgesehen.
32Nach der Änderung war keine Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung mehr vorgesehen. § 67d Abs 3 StGB n. F. sah vielmehr vor, dass das Gericht, wenn zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden sind, die Maßregel für erledigt erklärt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Gemäß Art. 1. a Abs. 3 EGStGB sollte § 67d StGB n. F. uneingeschränkt Anwendung finden, gemäß § 2 Abs. 6 StGB ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
33Bei dem Kläger liegen sowohl der Zeitpunkt der Tatbegehung als auch der Verurteilung, in der die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, im Zeitraum der Geltung von § 67d StGB a. F., so dass bei dessen unveränderter Fortgeltung der Kläger zum 06.06.2005 ohne weitere Prüfung hätte entlassen werden müssen. Wegen der vor Ablauf der Zehnjahresfrist geänderten Neufassung des § 67d StGB und dessen Anwendbarkeit auch auf Altfälle nahmen die Vollstreckungsgerichte nach Ablauf der Zehnjahresfrist ab 31.01.1998 jedoch eine individuelle Prüfung der Voraussetzungen des § 67d Abs. 3 StGB vor. Diese Prüfung führte bei dem Kläger dazu, dass das Vollstreckungsgericht jeweils die Fortdauer der Unterbringung anordnete.
34In dieser Konstellation liegt keine rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht i. S. v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2. a EMRK.
35Die Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts stellt selbst keine Verurteilung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 Satz 2. a EGMR dar, da sie keine - hierfür als erforderlich angesehene - Schuldfeststellung mehr beinhalten (vgl. EGMR, Urt. vom 17.12.2009, 19359/04 - zitiert nach juris, Rn. 96). Zwischen der ursprünglichen Verurteilung und der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Ablauf von zehn Jahren in der Sicherungsverwahrung besteht hingegen kein hinreichender Kausalzusammenhang mehr. Denn nach der im Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Rechtslage wäre der Kläger nach zehn Jahren ohne weitere Prüfung entlassen worden. Die anderslautenden Entscheidungen der Vollstreckungsgerichte wurden hingegen allein durch die nachträgliche Gesetzesänderung im Jahr 1998 möglich (vgl. EGMR, a. a. O. - zitiert nach juris, Rn. 100).
36Angesichts dieser Rechtsprechung des EGMR ist in diesen sog. Altfällen, in denen die Betroffenen wegen ihrer Anlasstaten bereits vor Inkrafttreten der jeweils einschlägigen Neuregelungen verurteilt waren, eine Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2. a EMRK als generell ausgeschlossen anzusehen (vgl. BVerfG, Urt. vom 04.05.2011, 2 BvR 2333/08 u. a. - zitiert nach juris, Rn. 145, 148).
37Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2. c EMRK ist eine Freiheitsentziehung unter anderem zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde möglich, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, die betreffende Person an der Begehung einer Straftat zu hindern.
38Dieser Rechtfertigungsgrund ist jedoch nur bei hinreichend konkreten und spezifischen potentiellen Taten gegeben, aufgrund derer der Betroffene dem Richter vorzuführen ist. Potentielle künftige Straftaten, die hinsichtlich ihres Ortes und der Zeit der Begehung nicht hinreichend bestimmt sind, erfüllen diese Voraussetzungen jedoch nicht.
39Darüber hinaus liegt auch ein Rechtfertigungsgrund nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit.e nicht vor. Dieser ermöglicht eine rechtmäßige Freiheitsentziehung bei psychisch Kranken. Allerdings setzt dies voraus, dass es sich um eine zuverlässig nachgewiesene Störung handelt, die eine zwangsweise Unterbringung erfordert und die fortdauert, wobei die Mitgliedstaaten hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzungen einen Beurteilungsspielraum besitzen (vgl. BVerfG, Urt. v. 04.05.2011, 2 BvR 2333/08, zitiert nach juris, Rn. 152 m.w.N.). Zudem verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2. e EMRK, dass die gesetzlichen Regelungen des betreffenden Anordnungs- oder Überprüfungsverfahrens die Feststellung einer psychischen Störung im Sinne einer ausdrücklichen Tatbestandsvoraussetzung vorsehen, und zudem die sonstige Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung (vgl. BVerfG a. a. O. - zitiert nach juris, Rn. 153f.). Letzteres beinhaltet auch die Frage, ob die Freiheitsentziehung „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“ erfolgt ist. Dabei verweist die EMRK im Wesentlichen auf das innerstaatliche Recht und erlegt die Verpflichtung auf, dessen materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen einzuhalten (vgl. EGMR, a. a. O. - zitiert nach juris, Rn. 90; Urt. vom 24.11.2011, Az. 48038/06 - zitiert nach juris, Rn. 81).
40Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch durch Urteil vom 04.05.2011 (2 BvR 2333/08 u. a.) festgestellt, dass § 67d Abs. 3 Satz 1 n. F. i. V. m. § 2 Abs. 6 StGB - auf denen auch im vorliegenden Fall die Anordnung der weiteren Sicherungsverwahrung beruhte - mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar sind, da der mit diesen Vorschriften verbundene Eingriff in das Vertrauen des betroffenen Personenkreises auf ein Ende der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von zehn Jahren angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsrechts verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig ist und das Gewicht dieser Vertrauensschutzbelange durch die Wertungen der EMRK noch verstärkt wird (vgl. BVerfG a. a. O. - zitiert nach juris, Rn. 131f.). Daher kann eine rückwirkend angeordnete oder verlängerte Freiheitsentziehung durch Sicherungsverwahrung nur noch als verhältnismäßig angesehen werden, wenn der gebotene Abstand zur Strafe gewahrt wird, eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2. e EMRK in der zugrunde gelegten Auslegung erfüllt sind (vgl. BVerfG, a. a. O. - zitiert nach juris, Rn. 156).
41Nur nach Maßgabe, dass eine solche hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten abzuleiten ist und der Sicherungsverwahrte an einer psychischen Störung i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet, ist § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB während einer Übergangsfrist noch weiter anwendbar (vgl. BVerfG, Urt. vom 04.05.2011, III. des Urteilstenors; BGHSt 56, 248 - zitiert nach juris (Ls.)). Aufgrund dieser vom Bundesverfassungsgericht geforderten strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung ist gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung - ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl. BGH NStZ 2011, 692 - zitiert nach juris, Rn. 18ff., BGH NStZ-RR 2012, 9 - zitiert nach juris Rn. 7).
42Es ist nicht dargelegt, dass diese engen Ausnahmevoraussetzungen bei dem Kläger in dem maßgeblichen Zeitraum seiner Sicherungsverwahrung vorgelegen hätten. Auch vermögen die Entscheidungen, durch die die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet wurden, keine hinreichende Grundlage für die Feststellung einer zuverlässig nachgewiesenen Störung beim Kläger zu bilden, da sie, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, auf der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes beruhen.
43Der Anspruch auf Schadensersatz erfasst auch den hier begehrten Ersatz eines immateriellen Schadens.
44Soweit der Kläger von dem beklagten Land Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 37.500 € verlangt, hält die Kammer unter Berücksichtigung des Zeitraums der Freiheitsentziehung in Form der Sicherungsverwahrung vom 06.06.2005 bis zum 05.05.2009 eine Entschädigung in Höhe von 23.500,00 € für angemessen.
45Eine höhere Entschädigung kommt nicht in Betracht. Insbesondere hält die Kammer eine Anwendung des § 7 Abs. 3 StrEG, der einen Tagessatz in Höhe von 25,00 € vorsieht, nicht für geboten. Eine direkte Anwendung des § 7 Abs. 3 StrEG scheidet bereits aus, da die Anspruchsvoraussetzungen nach dem StrEG nicht vorliegen. Nach der Auffassung der Kammer kann die Vorschrift hier auch keine analoge Anwendung finden.
46Voraussetzung für eine Analogie ist das Bestehen einer Regelungslücke, die hier jedoch nicht gegeben ist. Denn der Gesetzgeber hat sich nur im Rahmen des StrEG und damit ausnahmsweise für eine Pauschalierung des Betrages der (immateriellen) Entschädigung entschieden; die Ermittlung der Höhe des immateriellen Schadens liegt aber grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters (§ 287 Abs. 1 ZPO). Das bedeutet, die Höhe der Entschädigung richtet sich insbesondere nach Art, Schwere und Umfang der Beeinträchtigung und orientiert sich an vergleichbaren Fällen. Damit ist grundsätzlich geregelt, wie eine immaterielle Entschädigung zu bemessen ist.
47Da ein solch geregelter gesetzlicher Ausnahmefall wie im StrEG hier nicht vorliegt, fällt die Bewertung der Entschädigungshöhe nach dem allgemeinen Grundsatz in das tatrichterliche Ermessen unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls. Gegen eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 StrEG spricht zudem, dass das Gericht im konkreten Einzelfall an einer Erhöhung der Entschädigung zu Gunsten des Betroffenen gehindert wäre, etwa wenn es über den bloßen Freiheitsentzug hinaus zu Unzulänglichkeiten für den Betroffenen gekommen wäre. Dann wäre das Gericht an die Pauschale gebunden (vgl. Meyer, StrEG, § 7 Rn. 70).
48Die Kammer hält den vorstehend genannten Betrag unter Berücksichtigung der Art, Schwere und des Umfangs der Beeinträchtigung für angemessen. Dabei fallen insbesondere der Freiheitsentzug an sich und die Länge des Freiheitsentzuges ins Gewicht. Der Entschädigungsbetrag in Höhe von 23.500,00 € entspricht einem Betrag von etwa 500,00 € pro Monat und ist damit vergleichbar mit denjenigen Beträgen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ähnlichen Fällen zuspricht.
49Der Zinsanspruch ergibt sich §§ 280, 286 Abs. 2, 288 BGB. Das beklagte Land hat mit Schreiben vom 07.03.2013 die Zahlung von Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert, so dass Verzugszinsen gemäß § 187 BGB ab dem 08.03.2013 begründet sind.
50Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung 1x
- § 7 Abs. 3 StrEG 4x (nicht zugeordnet)
- StGB § 67d Dauer der Unterbringung 13x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- StGB § 2 Zeitliche Geltung 2x
- Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren vom Bundesverfassungsgericht (2. Senat) - 2 BvR 2333/08 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- III ZR 405/12 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 1x
- 2 BvR 2333/08 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- § 7 StrEG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 2333/08 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- BGB § 187 Fristbeginn 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG 1x (nicht zugeordnet)