Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 9 O 17/20
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung von Beiträgen zu einem Rentenversicherungsvertrag sowie zur Herausgabe von Nutzungen nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.
3Der Zedent X unterhielt bei der Beklagten mit Versicherungsbeginn am 01.12.2004 eine kapitalbildende Lebensversicherung. Auf den Versicherungsschein vom 28.12.2004 (Anlage K 1, B 2) wird Bezug genommen.
4Voraus ging eine „Anfrage auf Abgabe eines Angebots“ vom 28.12.2004 (Anlage B 1).
5In dem Anfrageformular heißt es zu den Punkten „Widerspruchsrecht/ Rücktrittsrecht“ sowie „Fristwahrung“:
6„Der Vertrag gilt mir Aushändigung des Angebots und der gesetzlichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn ich (wir) dem Vertragsabschluss nicht innerhalb eines Monats nach Aushändigung widerspreche(n) und ich (wir) auf diese Folge noch einmal gesondert im Versicherungsschein schriftlich hingewiesen wurde(n). Nach Vertragsabschluss, also spätestens nach Ablauf der Monatsfrist, kann ich (können wir) innerhalb einer weiteren Frist von 14 Tagen vom Vertrag zurücktreten.
7Für das vorgenannte Widerspruchs- und Rücktrittsrecht gilt gemeinsam: Die Frist wird durch rechtzeitige Absendung meiner (unserer) Erklärung gewahrt.“
8Im Versicherungsschein (S. 5, Anlage K 1,) heißt es:
9„Rücktrittsrecht
10Nach Abschluß dieses Versicherungsvertrages können Sie innerhalb einer Frist von 30 Tagen davon zurücktreten. Die Frist wird durch rechtzeitige Absendung der Erklärung gewahrt. Über dieses Rücktrittsrecht hatten wir Sie im Antrag belehrt.“
11Im Jahr 2007 beantragte der Versicherungsnehmer einer Beitragsreduzierung (Anlage B 5).
12Auf Antrag des Versicherungsnehmers vom 26.01.2010 wurde die Versicherung beitragsfrei gestellt (Anlage B 6).
13Zum 01.08.2013 (vgl. Anlage B 8) kündigte der Versicherungsnehmer den Vertrag. Die Beklagte rechnete mit Schreiben vom 24.07.2013 ab (Anlage B 8) und zahlte 15.675,46 Euro (S. 5 der Klageerwiderung) bzw. 14.849,38 Euro (Anlage B 8) an den Versicherungsnehmer aus. Im Jahre 2016 zahlte die Beklagte weitere 3.576,13 Euro (S. 5 der Klageerwiderung) bzw. 3.464,99 Euro (Anlage B 9) an den Versicherungsnehmer aus.
14Die Einzahlungen des Versicherungsnehmers betrugen insgesamt 23.033,16 Euro (Bl. 3 d.A.).
15Mit Schreiben vom 23.08.2016 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch, Widerruf bzw. Rücktritt (Anlage K 2).
16Der Versicherungsnehmer trat seine vermeintlichen Rückabwicklungsansprüche mit Vereinbarung vom 05.03.2019 an die Klägerin ab (Anlage K 3), was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet (S. 5 der Klageerwiderung).
17Die Klägerin ist der Ansicht, der Vertrag sei nach dem Policenmodell zustande gekommen (Bl. 4 d.A.). Es sei keine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht erfolgt (Bl. 4 d.A.). Ihm stünden daher Ansprüche aus den §§ 812, 818 BGB nach Widerspruch bzw. nach erklärtem Rücktritt zu (Bl. 16 d.A.). Unter anderem sei die Belehrung nicht hinreichend drucktechnisch hervorgehoben.
18Hinsichtlich der Berechnung der Klageforderung wird auf die Klageschrift vom 16.12.2019 (Bl. 8 f. d.A.) sowie auf die Anlage K 4 Bezug genommen.
19Die Klägerin beantragt,
20die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.898,94 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Sie ist der Ansicht, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert. Der Vertrag sei im Wege des sog. Invitatio-Modells zustande gekommen. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei jedenfalls verwirkt. Die Nutzungsberechnung sei unzutreffend (S. 20 ff. der Klageerwiderung).
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26I.
27Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
281. Die Klägerin hat keinen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte aus den §§ 812, 818 BGB oder aus den §§ 346 ff. BGB.
29Es kann dahinstehen, ob der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über Vertragslösungsrechte belehrt worden ist, denn einem Anspruch der Klägerin steht jedenfalls die Einwendung der Verwirkung entgegen (§ 242 BGB).
30Die Antragstellung erfolgte im Jahr 2004. Der Vertrag ist im Jahr 2013 nach Kündigung des Versicherungsnehmers endgültig abgewickelt worden (Anlage B 8). Im Jahr 2016 erfolgte lediglich noch eine Nachzahlung (Anlage B 9). Erst am 23.08.2016 – mehr als 11 Jahre nach Antragstellung und mehr als drei Jahre nach Vertragsabwicklung infolge Kündigung des Versicherungsnehmers – erfolgte der Widerspruch.
31Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.2015 – IV ZR 117/15, juris, Rn. 16). Nach den hierzu heranzuziehenden Kriterien ist der Anspruch im vorliegenden Fall nach Auffassung des Gerichts jedenfalls verwirkt.
32a) Das Zeitmoment liegt bei einem Zeitraum von mehr als 11 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch vor.
33b) Auch das erforderliche Umstandsmoment ist gegeben. Das ergibt sich insbesondere aus dem langen Zeitraum zwischen der Vertragsabwicklung nach Kündigung des Klägers und dem Widerspruch.
34Zur Frage der Verwirkung bei Ausübung eines vermeintlichen Widerspruchsrechts Jahre nach vollständiger Vertragsabwicklung hat das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss vom 17. April 2018 (Az. 25 U 373/18) Folgendes ausgeführt (a.a.O., S. 7 f.):
35„Die Kündigung als solche steht zwar grundsätzlich der Ausübung eines aus europarechtlichen Gründen fortbestehenden, sog. „ewigen“ Widerspruchsrechts nicht entgegen. Die bereits erfolgte einvernehmliche vollständige Abwicklung des Versicherungsvertragsverhältnisses im Jahr 2006 aufgrund Kündigung des Klägers führt aber dazu, dass spätestens mit Ablauf der Verjährungsfrist für Ansprüche aus der Abrechnung (Ende 2009) die Beklagte von einer vollständigen, beiderseitigen Erfüllung sämtlicher Vertragspflichten aus dem streitgegenständlichen Versicherungsverhältnis ausgehen sowie darauf vertrauen durfte; spätestens ab Verjährungseintritt mussten weder sie noch die Gemeinschaft der Versicherten damit rechnen, dass das Vermögen des Versicherers viele Jahre später – 2015 – mit etwaigen Nachforderungen daraus wegen eines dann erst erklärten Widerspruchs belastet werden würde. Daher geht der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 23.01.2018, Az. XI ZR 298/17, WM 2018, 614… zutreffend davon aus, dass der Zeitraum zwischen Vertragsbeendigung und dem Widerruf nicht (nur) das Zeitmoment betrifft, sondern bei der Prüfung des Umstandsmoments zu berücksichtigen ist… Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, dies im hier betroffenen Bereich des Widerspruchs gegen einen Lebensversicherungsvertrag grundsätzlich anders zu beurteilen.“
36In seinem Urteil vom 31.08.2018 (25 U 607/18) hat das Oberlandesgericht München seine Rechtsauffassung bestätigt und ausgeführt (a.a.O., juris, Rn. 24):
37„Die Klägerin hat den Vertrag im September 2010 gekündigt und sich den Rückkaufswert auszahlen lassen und dann noch über fünf Jahre bis November 2015 gewartet, bis sie den Widerspruch erklärt hat. Zwar schließt die Kündigung und darauf folgende einvernehmliche Auszahlung des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung… den späteren Widerspruch/Widerruf des Vertrages nicht aus (BGH…). Das verbietet aber nicht, die Kündigung und die mit dieser verbundene Vertragsabwicklung bei der Würdigung, ob die Ausübung des Widerspruchsrechts im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist, zu berücksichtigen. Der Zeitablauf zwischen Kündigung und Widerspruch ist in die Bewertung miteinzubeziehen… Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin konnte insbesondere auch nach Ablauf der regulären Verjährungsfrist erwarten, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.“
38Das Gericht schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Aus dem Umstand, dass im Zeitpunkt des Widerspruchs die Verjährungsfrist von Ansprüchen auf Auszahlung nach Kündigung noch nicht vollständig abgelaufen war, ergibt sich nichts anderes. Wie das OLG München ausgeführt hat, musste der Versicherer „spätestens“ ab Verjährungseintritt nicht mehr damit rechnen, danach noch in Anspruch genommen zu werden. Das bedeutet aber nicht, dass eine Verwirkung nicht vorläge, wenn der Widerspruch – wie hier – wenige Monate vor Verjährungseintritt erfolgt, aber gleichwohl mehr als drei Jahre (somit mehr als die Dauer der Verjährungsfrist) zwischen Vertragsabwicklung und Widerspruch verstrichen sind.
39Auch das OLG Brandenburg hat in seinem Urteil vom 12.08.2019 – 11 U 95/18, NJW-RR 2019, 1443, Rn. 25, sowie in seinem Urteil vom 15.04.2020 - 11 U 75/18, BeckRS 2020, 7594, auf die Bedeutung des Verstreichens eines langen Zeitraums zwischen der Abwicklung des Vertrags und dem Zeitpunkt des Widerspruchs im Rahmen des Umstandsmoments der Verwirkung hingewiesen.
40Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EuGH vom 19.12.2019, NJW 2020, 667. Der EuGH hat in diesem Urteil u.a. entschieden, dass das europäische Recht so auszulegen ist, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag ausüben kann.
41Diese Aussage wurde indes schon durch die bisherige deutsche Rechtsprechung und insbesondere die vorzitierten Entscheidungen nicht in Frage gestellt (vgl. Ebers, NJW 2020, 674, unter Bezugnahme auf BGH, NJW 2014, 2646 Rn. 36).
42Hier geht es indes nicht um die Frage, ob eine Kündigung und Vertragsabwicklung einem danach erklärten Widerspruch entgegensteht, sondern darum, ob ein langer Zeitraum zwischen endgültiger Vertragsabwicklung und Widerspruch zur Verwirkung des Anspruchs führen kann.
432. Mangels Verzugs mit einem Zahlungsanspruch besteht auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht.
44Die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.
45II.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, 2 ZPO.
47Der Streitwert wird auf 9.898,94 Euro festgesetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.06.2019 - I-4 W 20/19).
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- IV ZR 117/15 1x (nicht zugeordnet)
- 25 U 607/18 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- 11 U 75/18 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Bundesgerichtshof (11. Zivilsenat) - XI ZR 298/17 1x
- § 5a VVG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- 25 U 373/18 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 812 Herausgabeanspruch 1x
- §§ 346 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- 11 U 95/18 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs 1x
- 4 W 20/19 1x (nicht zugeordnet)