Urteil vom Landgericht Flensburg (8. Zivilkammer) - 8 O 37/21

Tenor

Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 25.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu zwei Wochen, untersagt, das Kunstwerk „Edelblüte“ ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen, insbesondere wie folgt

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Die Kosten des Verfügungsverfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Verfügungsklägerin begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung Verurteilung der Verfügungsbeklagten zur Unterlassung urheberrechtsverletzender Handlungen.

2

Die Verfügungsklägerin fertigte die von ihr „Edelblüte“ genannte Arbeit, wobei wegen der Einzelheiten deren Erscheinungsbildes auf die Lichtbilder, Blatt 7 der Akten, das obere linke und das untere linke Lichtbild, Blatt 12 der Akten, sowie das linke Lichtbild, Blatt 13 der Akten, Bezug genommen wird.

3

Die Verfügungsbeklagte betreibt seit etwa 20 Jahren ein Kosmetik- und Nagelstudio in K. Nachdem sie ab November 2020 aufgrund des durch die Pandemie des SARS-CoV-2-Virus bedingten „Lockdowns“ das Studio vorübergehend schließen musste, ging sie einer schon bestehenden künstlerischen Neigung nach, wobei sie sich im Internet inspirieren ließ. Die Arbeit „Edelblüte“ war ihr bekannt, sie hatte ein Exemplar bei einer Bekannten gesehen, die es über ihre Schwester von der Verfügungsklägerin erworben hatte.

4

Die Verfügungsbeklagte fertigte im Zeitraum ab frühestens November 2020 in Kenntnis der Arbeit „Edelblüte“ ihrerseits Stücke, wegen deren äußeren Erscheinungsbildes auf die Lichtbilder Blatt 4 der Akten, Blatt 9-11 der Akten, das obere rechte und das untere rechte Lichtbild, Blatt 12 der Akten, sowie das rechte Lichtbild, Blatt 13 der Akten, verwiesen wird. Die Verfügungsbeklagte ließ sich von einem als Tischler tätigen Familienmitglied Holzplatten anfertigen, auf welche sie zur Anfertigung ihrer Arbeiten Alabastergips aufbrachte und diesen modellierte. Die nachfolgenden beiden Bilder auf der linken Seite zeigen die Arbeit „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin, die nachfolgenden beiden Bilder auf der rechten Seite die Arbeit der Verfügungsbeklagten.

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5

Die Verfügungsbeklagte stellte die von ihr gefertigten Stücke nach Wiederaufnahme des Betriebes in ihrem Kosmetik- und Nagelstudio in K aus und verkaufte diese dort. Am 3. März 2021 war auf dem Instagram-Profil der Verfügungsbeklagten unter dem Benutzernamen „s…“, von dem Screenshots auf Blatt 27-28, 30-32 der Akten zu sehen sind, ein Video unter dem Titel „Ablauf im Studio“ mit einer Gesamtlänge von 2 Minuten und 37 Sekunden zu sehen. In diesem waren von der Verfügungsbeklagten gefertigte Stücke - wie auf den auf Blatt 9 der Akten sowie im Tenor, dort die unteren vier Bilder, abgebildeten Screenshots aus dem Video erkennbar - etwa in Kopfhöhe an der Wand von Minute 01:02 bis Minute 02:28 im Video mit kurzen Unterbrechungen, insgesamt für etwas mehr als 50 % der Dauer des Videos, zu sehen. Das Instagram-Profil hatte am 9. April 2021 371 Abonnenten (Blatt 30 der Akten).

6

Die Verfügungsklägerin erfuhr am 9. März 2021 durch eine Bekannte davon, dass die Verfügungsbeklagte in ihrem Kosmetik- und Nagelstudio Objekte, wie sie in den eben genannten Screenshots bzw. den obigen beiden, auf der rechten Seite abgebildeten Lichtbildern erkennbar sind, ausstellte und feilbot, worauf hin die Verfügungsklägerin sich am selben Tag das Video vom 3. März 2021 auf dem Instagram-Profil der Verfügungsbeklagten ansah.

7

Auf Bitte der Verfügungsklägerin vom 12. März 2021 vereinbarte eine Bekannte der Verfügungsklägerin am 17. März 2021 einen Termin bei der Verfügungsbeklagten und erwarb bei diesem zu einem Preis von 300 € das auf den obigen beiden, auf der rechten Seite dargestellten Lichtbildern abgebildete Objekt von der Verfügungsbeklagten in deren Kosmetik- und Nagelstudio in K. In der Woche vor dem Testkauf hatte die Verfügungsbeklagte drei solche Werkstücke verkauft.

8

Nachdem die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 24. März 2021 (Blatt 33-41 der Akten) abgemahnt und insbesondere zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung bis 31. März 2021 aufgefordert hatte, erklärte die Verfügungsbeklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 7. April 2021, nachdem die Stellungnahmefrist auf ihre Bitte hin bis zu diesem Datum verlängert worden war (Blatt 45 der Akten), dass die von der Verfügungsklägerin hergestellte Arbeit „Edelblüte“ nicht urheberrechtlich geschützt sei, daher keine Urheberrechtsverletzung vorliege.

9

Die Verfügungsklägerin behauptet, sie habe das Werk „Edelblüte“, die sowohl in Silber als auch in Gold erhältlich sei, im Jahr 2010 selbst kreiert und in Handarbeit gestaltet, zu diesem Zeitpunkt sei ihr ein dem Werk „Edelblüte“ ähnlich gestaltetes Werk nicht bekannt gewesen, ihres Wissens habe ein solches Werk vorher nicht existiert. Sie gestalte die Werke so, dass sie auf eine Holzplatte Modelliermasse aufbringe, welche sie dann bearbeite. Sie, die Verfügungsklägerin, sei seit mehr als 20 Jahren als Künstlerin tätig und kreiere Kunstwerke im oberen Preissegment, das Werk „Edelblüte“ sei ein seit vielen Jahren beliebtes Kunstwerk. Dazu verweist die Verfügungsklägerin auf die von ihr vorgelegte eidesstattliche Versicherung vom 14. April 2021, Blatt 21-24 der Akten.

10

Die Verfügungsklägerin beantragt mit Antragsschrift vom 19. April 2021, bei Gericht per Fax eingegangen am selben Tag,

11

1. der Verfügungsbeklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft von bis zu 2 Jahren, zu untersagen, das Kunstwerk „Edelblüte“ ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen, insbesondere wie folgt

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12

2. hilfsweise der Verfügungsklägerin bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft von bis zu 2 Jahren, zu untersagen, das Kunstwerk „Edelblüte“ ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin zu vervielfältigen, zu bearbeiten, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen, insbesondere wie im Antrag zu Ziff. 1. wiedergegeben.

13

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

14

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

15

Die Verfügungsbeklagte meint, die Arbeit „Edelblüte“ genieße bereits deswegen keinen Schutz als persönliche geistige Schöpfung im Sinne des Urheberrechtsgesetzes, weil, so behauptet sie, derartige Kunstwerke oder Abbildungen von zahlreichen Künstlern geschaffen worden seien. Insoweit verweist die Verfügungsbeklagte exemplarisch auf die von ihr vorgelegten Anlagen AG1 bis AG5 (Blatt 73-97 der Akten) und die dortigen Abbildungen von Arbeiten anderer Künstler, wobei auf die Abbildungen Bezug genommen wird. Die Arbeit „Edelblüte“ weise keinen genügenden Abstand von diesen, auf den Anlagen AG1 bis AG5 erkennbaren Lichtbildern auf. Wann die auf den Lichtbildern in den Anlagen AG1 bis AG5 erkennbaren Stücke der jeweiligen anderen Künstler von diesen geschaffen wurden, wisse sie, die Verfügungsbeklagte, nicht. Das Werk, welches Gegenstand des Testkaufs - der als solcher unstreitig ist - war, weise, so meint die Verfügungsbeklagte, nicht sämtliche Gestaltungsmerkmale des Werkes „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin auf. Dazu behauptet die Verfügungsbeklagte, man erkenne eine erhebliche Farbabweichung und zudem eine erhebliche strukturelle Unterscheidbarkeit der beiden Werke, ihnen sei lediglich gemeinsam, dass sie kreisförmig seien.

Entscheidungsgründe

16

Der Antrag der Verfügungsklägerin ist zulässig und hat in der Sache mit dem Hauptantrag Erfolg.

I.

17

Die Verfügungsklägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 19a UrhG einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte darauf, dass diese es unterlässt, das Werk „Edelblüte“ ohne Zustimmung der Verfügungsklägerin zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen.

1.

18

Die Verfügungsklägerin ist Urheberin des Werks „Edelblüte“ im Sinne der § 7, § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG.

19

Bei dem Werk „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin handelt es sich um ein Werk der bildenden Künste im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG.

20

Ein Werk in diesem Sinne ist eine eigenpersönliche Schöpfung, die mit den Darstellungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht und vorzugsweise für die ästhetische Anregung des Gefühls durch Anschauung bestimmt ist (Dreier/Schulze/Schulze, 6. Aufl. 2018, UrhG § 2 Rn. 150). Nicht jede aus Formen und Farben bestehende Gestalt ist schutzfähig, sondern nur diejenige, welche ein Mindestmaß an Individualität und in diesem Sinne eine künstlerische Gestaltungshöhe aufweist, so dass sie aus dem bereits bekannten Formenschatz herausragt und als hinreichend individuell bezeichnet werden kann (Schulze, a. a. O., UrhG § 2 Rn. 150). Maßgeblich sind nach der Rechtsprechung die für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise, also das Urteil des Durchschnittsbetrachters (Schulze, a. a. O., UrhG § 2 Rn. 150 m. w. N.). Zeichnungen, Gemälde, Stiche, Plastiken, Skulpturen und sonstige Kunstwerke sind in der Regel urheberrechtlich geschützt (Schulze, a. a. O., UrhG § 2 Rn. 151), es gelten dieselben geringen Anforderungen wie bei der „kleinen Münze“ im Bereich der Literatur und der Musik (Schulze, a. a. O., UrhG § 2 Rn. 152 m. w. N.). Dabei gelten nach heutiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die gleichen Anforderungen - nämlich der Grundsatz der „kleinen Münze“ - unabhängig davon, ob es sich um ein Werk der „reinen“ (zweckfreien) bildenden Kunst oder ein solches der angewandten Kunst handelt (BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 26, 33 ff. - Geburtstagszug). Allerdings ist, auch wenn bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst, bei der Beurteilung, ob ein Werk der angewandten Kunst - also ein künstlerisch gestalteter Gegenstand mit Gebrauchszweck (Schulze, a. a. O., UrhG § 2 Rn. 160) - die für einen Urheberrechtsschutz erforderliche Gestaltungshöhe erreicht, zu berücksichtigen, dass die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen kann, soweit sie nicht dem Gebrauchszweck geschuldet ist, sondern auf einer künstlerischen Leistung beruht (BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 41 m. w. N.). Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen müssen, ist der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deswegen stellt sich bei ihnen in besonderem Maß die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 41 m. w. N.). Überdies ist zu beachten, dass eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werkes führt (BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 41 m. w. N.).

21

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es sich bei dem Werk „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin um eine persönliche geistige Schöpfung, nämlich ein Werk der bildenden Künste im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG.

22

Wenngleich das Werk „Edelblüte“, wie sich anhand der Lichtbilder, insbesondere Blatt 7 der Akten, oberes linkes Lichtbild und unteres rechtes Lichtbild, Blatt 12 der Akten, oberes linkes Lichtbild und Blatt 13 der Akten, linkes Lichtbild, erkennen lässt, durch die verdeckt hinter dem Werk ringförmig angeordnete Leiste von Glühbirnen bzw. Leuchtdioden auch als Lichtquelle, also letztlich als Lampe fungiert, dominiert im Gesamteindruck nicht der Zweck des Werkes „Edelblüte“, Lichtquelle zu sein, sondern dessen Funktion als Kunstwerk. Selbst, wenn man dies anders beurteilt, ist aufgrund der Vielfalt der Möglichkeiten, Lichtquellen in oder an Kunstwerken anzuordnen, insoweit jedenfalls der Spielraum für eine schöpferische Gestaltung lediglich in geringem Maße eingeengt.

23

Die Oberfläche, die durch die in den Werkstoff eingebrachten kreis- bzw. spiralförmigen Furchen eine Tiefe erhält, also dreidimensional wird und dem Werk zusammen mit seiner runden Form eine Erscheinung gibt, die man etwa als blütenähnlich beschreiben kann, die glänzende, silberne bzw. goldene Oberfläche und die hinten, von vorne nicht sichtbar, kreisförmig angeordneten Glühbirnen bzw. Leuchtdioden, die gewissermaßen einen Lichtkranz um das Werk bilden und dessen leuchtenden Eindruck noch verstärken, wie auf dem oberen linken Lichtbild, Blatt 7 der Akten, erkennbar, geben dem Werk nach Ansicht des Gerichts sein Gepräge. Dieses ist - aufgrund der genannten Merkmale - durchaus individuell und von anderen Gestaltungen - jedenfalls nach dem Grundsatz der „kleinen Münze“ - hinreichend abgesetzt.

24

Die Verfügungsklägerin ist Urheberin des Kunstwerkes „Edelblüte“ im Sinne des § 7 UrhG, nämlich dessen Schöpferin.

25

Die Verfügungsklägerin hat dargelegt und durch Vorlage ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 14. April 2021 glaubhaft gemacht, dass sie das Werk „Edelblüte“, das sowohl in Silber als auch in Gold erhältlich ist, im Jahr 2010 selbst kreiert und in Handarbeit gestaltet hat, wobei ein dem Werk „Edelblüte“ ähnlich gestaltetes Werk ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen war, ihres Wissens existierte ein solches Werk nicht.

26

Dabei kommt es auf die von der Verfügungsbeklagten im Verhandlungstermin am 3. Mai 2021 aufgestellte Behauptung, sämtliche in den von ihr eingereichten Anlagen AG1 bis AG 5 abgebildeten Werke seien von den jeweiligen Künstlern vor dem Jahr 2010 geschaffen worden, nicht an.

27

Das Beweisangebot, zum Beweis dieser Behauptung die Künstler als Zeugen zu vernehmen, ist nach Ansicht des Gerichts auf Ausforschung gerichtet. Denn der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten hat für diese im Termin am 3. Mai 2021, wie sich aus dem Protokoll ergibt, ausdrücklich erklärt, ihm bzw. der Verfügungsbeklagten sei nicht bekannt, wann die jeweiligen Werke, die in den von ihr eingereichten Anlagen erkennbar seien, von den jeweiligen Künstlern angefertigt wurden. Überdies ergeben sich aus den vorgelegten Anlagen keinerlei Anhaltspunkte für eine Anfertigung der dort abgebildeten Exemplare vor dem Jahr 2010. Letztlich kann diese Frage jedoch dahinstehen; dies nicht nur deshalb, weil im Verhandlungstermin keine Zeugen sistiert wurden.

28

Denn der Verfügungsklägerin waren, wie aufgrund der Glaubhaftmachung dieses Vortrags durch eidesstattliche Versicherung in diesem Verfügungsverfahren der Entscheidung zugrunde zu legen ist, solche Werke nicht bekannt, ihres Wissens existierten sie nicht.

29

In diesem – hier anzunehmenden – Fall erfüllte selbst dann, wenn die in den Anlagen AG1 bis AG5 abgebildeten Werke bereits vor 2010 geschaffen wurden, die Schöpfung des Werkes „Edelblüte“ durch die Verfügungsklägerin nicht den Tatbestand der Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung oder öffentlichen Zugänglichmachung eines (älteren) Werks.

30

Haben zwei Urheber unabhängig voneinander zwei gleiche oder ähnliche Werke geschaffen, liegt eine Doppelschöpfung vor (BeckOK UrhR/Ahlberg, 30. Ed. 20. 4. 2018, UrhG § 3 Rn. 42 m. w. N.). In diesem Fall erfüllt die jüngere Schöpfung weder den Tatbestand der Vervielfältigung noch den der Bearbeitung (Ahlberg, a. a. O., UrhG § 3 Rn. 42) und verletzt auch keine sonstigen Verwertungsrechte. Das ist eine Folge des das Urheberrecht beherrschenden Prinzips der subjektiven Neuheit und führt zu einem Urheberrechtsschutz ohne Rücksicht auf das an dem anderen Werk bestehende Urheberrecht (Ahlberg, a. a. O., UrhG § 3 Rn. 42 m. w. N.; Schulze, a. a. O., UrhG § 2 Rn. 17 m. w. N.).

31

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, welche der in AG1 bis AG 5 abgebildeten Arbeiten hinreichende Übereinstimmung mit dem Werk „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin aufweisen.

2.

32

Die Verfügungsbeklagte hat, indem sie ohne Gestattung der Verfügungsklägerin die Stücke schuf, das Vervielfältigungsrecht der Verfügungsklägerin (§ 16 Abs. 1 UrhG), indem sie diese Stücke feilbot, das Verbreitungsrecht der Verfügungsklägerin (§ 17 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz), und indem sie ihre Stücke in dem von ihr veröffentlichten Video zeigte, dass Recht der Verfügungsklägerin auf Vervielfältigung und auf öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) widerrechtlich verletzt.

a)

33

Die Verfügungsbeklagte hat, indem sie ohne Gestattung der Verfügungsklägerin die Stücke schuf, das Vervielfältigungsrecht der Verfügungsklägerin, also das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl (§ 16 Abs. 1 UrhG), widerrechtlich verletzt. Das von der Verfügungsbeklagten geschaffene Stück, wie es auf Seite 3 und 4 des Urteils, jeweils auf dem rechten Lichtbild, erkennbar ist, stellt deshalb eine Vervielfältigung des Werkes „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin im Sinne des § 16 Abs. 1 UrhG dar, weil es in den wesentlichen, dass Werk prägenden Merkmalen mit diesem identisch ist.

34

Die Oberfläche des Vervielfältigungsstücks der Verfügungsbeklagten weist, ebenso wie diejenige des Werkes der Verfügungsklägerin, die in die Modelliermasse eingebrachten charakteristischen kreis- bzw. spiralförmigen Furchen auf, welche dem Werkstoff eine Dreidimensionalität verleihen, auch ihr Werk ist rund, so dass eine blütenähnliche Erscheinung entsteht, wobei - worauf es letztlich nicht ankommt - selbst der Durchmesser mit ca. 80 cm einem der angebotenen Durchmesser des Werkes der Verfügungsklägerin (nahezu) identisch ist. Auch die Oberfläche des Vervielfältigungsstücks der Verfügungsbeklagten glänzt - je nach Ausführung - silbern bzw. golden, auch das Stück der Verfügungsbeklagten weist die hinten, von vorne nicht sichtbar, kreisförmig angeordneten Glühbirnen bzw. Leuchtdioden auf, die, wenn eingeschaltet, einen Lichtkranz um das Werk bilden und dessen leuchtenden Eindruck noch verstärken. Der einzige, erkennbare Unterschied, nämlich der Umstand, dass die kreis- bzw. spiralförmig angeordneten Rillen oder Furchen beim Werk der Verfügungsklägerin schmaler bzw. filigraner wirken als beim Stück der Verfügungsbeklagten, verblasst angesichts dieser dominierenden Gemeinsamkeiten.

35

Die Vervielfältigungsstücke der Verfügungsbeklagten stellen keine Doppelschöpfung dar. Die Verfügungsbeklagte kannte das Werk „Edelblüte“ der Verfügungsklägerin, als sie ihre Stücke zu fertigen begann. In Anbetracht der, wie dargelegt, den Eindruck vollkommen dominierenden Gemeinsamkeiten liegt – jedenfalls - eine unbewusste Entlehnung (vgl. zu dem Begriff Ahlberg, a. a. O., UrhG § 3 Rn. 43f.) vor.

b)

36

Die Verfügungsbeklagte hat, indem sie ohne Gestattung der Verfügungsklägerin die von ihr geschaffenen Vervielfältigungsstücke zum Verkauf feilbot - und, wie der Testkauf zeigt, jedenfalls in einigen Fällen auch veräußerte - das Verbreitungsrecht der Verfügungsklägerin, also das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen (§ 17 Abs. 1 UrhG), widerrechtlich verletzt.

c)

37

Die Verfügungsbeklagte hat, indem sie ohne Gestattung der Verfügungsklägerin am 3. März 2021 auf ihrem Instagram-Profil das Video mit dem Titel „Ablauf im Studio“ veröffentlichte, in dem von der Verfügungsbeklagten geschaffene Vervielfältigungsstücke - wie auf den auf Blatt 9 der Akten abgebildeten Screenshots und im Tenor, dort auf den unteren 4 Lichtbildern abgebildet - etwa in Kopfhöhe an der Wand von Minute 01:02 bis Minute 02:28 mit kurzen Unterbrechungen, insgesamt für etwas mehr als 50 % der Dauer des Videos, erkennbar waren, das Recht der Verfügungsklägerin auf Vervielfältigung (§ 16 Abs. 1 UrhG) und auf öffentliche Zugänglichmachung  (§ 19a UrhG) des Kunstwerks „Edelblüte“ widerrechtlich verletzt.

38

Das Video wurde im Internet veröffentlicht, also öffentlich zugänglich gemacht im Sinne der   § 19a, § 15 Abs. 3 UrhG.

39

Aufgrund der Dauer, für die die Vervielfältigungen des Werks „Edelblüte“ im Video zu sehen sind, und aufgrund der Art und Weise, in der diese im Video dargeboten werden, handelt es sich nicht um eine gemäß § 57 UrhG erlaubte Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung.

40

Nach § 57 UrhG ist die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe von Werken zulässig, wenn sie als unwesentliches Beiwerk neben dem eigentlichen Gegenstand der Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe anzusehen sind.

41

Von einer Unwesentlichkeit in diesem Sinn ist auszugehen, wenn das Werk weggelassen oder ausgetauscht werden könnte, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffiele oder ohne dass die Gesamtwirkung des Hauptgegenstands in irgendeiner Weise beeinflusst wird (BGH, GRUR 2015, 667 (669f. m. w. N.) - Möbelkatalog). Aber auch ein bei der Betrachtung des Hauptgegenstands der Verwertung vom Betrachter als solches tatsächlich wahrgenommenes Werk kann als unwesentliches Beiwerk anzusehen sein, wenn ihm nach den Umständen des Einzelfalls keine noch so geringfügige inhaltliche Beziehung zum Hauptgegenstand der Verwertung zuzubilligen ist, sondern es durch seine Zufälligkeit und Beliebigkeit für diesen ohne jede Bedeutung ist (BGH, GRUR 2015, 667 (670 m. w. N.)). Hierzu reicht eine bloß untergeordnete Beziehung nicht aus. Bei der gebotenen engen Auslegung der Schrankenbestimmung ist unwesentlich im Sinne von § 57 UrhG vielmehr nur ein Werk, das neben dem Gegenstand der eigentlichen Verwertung selbst eine geringe oder nebensächliche Bedeutung nicht erreicht. Eine derart untergeordnete Bedeutung kann dem mit verwerteten Werk regelmäßig nicht mehr zugewiesen werden, sobald es erkennbar stil- oder stimmungsbildend oder eine bestimmte Wirkung oder Aussage unterstreichend in den eigentlichen Gegenstand der Verwertung einbezogen wird, einen dramaturgischen Zweck erfüllt oder sonst charakteristisch ist (BGH, GRUR 2015, 667 (670 m. w. N.)).

42

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es sich bei den Vervielfältigungen des Werks „Edelblüte“ im Video nicht lediglich um ein unwesentliches Beiwerk im Sinne der Vorschrift.

43

Denn die Vervielfältigungsstücke sind sowohl für eine erhebliche Dauer, als auch in den Screenshots - wobei das Gericht mangels abweichender Anhaltspunkte davon ausgeht, dass diese repräsentativ für das Video sind – neben dem Kopf der Verfügungsbeklagten, die – offenbar - den Ablauf im Studio erklärt und auf die der Betrachter des Videos daher vor allem schauen wird, und damit hervorgehoben sowie in erheblicher Größe sichtbar. Damit prägen sie jedenfalls den ästhetischen Eindruck, den der Betrachter des Videos vom Studio der Verfügungsbeklagten beim Betrachten des Videos unvermeidbar gewinnt, mit.

3.

44

Die Wiederholungsgefahr i. S. d. § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG ergibt sich bereits daraus, dass die Verfügungsbeklagte auf die Aufforderung der Verfügungsklägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 24. März 2021 keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hat.

II.

45

Der Verfügungsklägerin steht ein Verfügungsgrund zur Seite. Die Eilbedürftigkeit folgt hier daraus, dass der Verfügungsklägerin ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist. Dies ergibt sich daraus, dass die Verfügungsbeklagte, wie dargelegt, die von ihr gefertigten Stücke feilbietet und öffentlich zugänglich macht, mithin andauernde Rechtsverletzungen stattfinden.

46

Der Verfügungsgrund ist auch nicht dadurch entfallen, dass die Verfügungsklägerin, nachdem sie am 9. März 2021 erstmals von der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt hat, (erst) am 19. April 2021 die Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat. Dieser Zeitraum von knapp sechs Wochen genügt noch nicht, um die hier aufgrund der genannten Umstände gegebene Dringlichkeit zu entkräften (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 29. Dezember 1995, 6 U 53/95, Rn. 7, zitiert nach juris).

III.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

IV.

48

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, § 3 ZPO. Das Gericht hat bei der Bemessung des Streitwerts nach freiem Ermessen (§ 3 ZPO) berücksichtigt, dass die Verfügungsklägerin dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass es sich beim Werk „Edelblüte“ um ein seit vielen Jahren beliebtes Kunstwerk handelt und die Verfügungsbeklagte im Zeitraum von einer Woche (vor dem Testkauf) immerhin drei Vervielfältigungsstücke verkauft hat. Auch hat das Gericht berücksichtigt, dass die Verfügungsklägerin dargelegt und glaubhaft gemacht hat, Kunstwerke „im oberen Preissegment“ zu kreieren, wobei mangels näherer Angaben offengeblieben ist, was dies genau heißt, insbesondere zu welchem Preis bzw. in welcher Preisspanne die Verfügungsklägerin das Werk „Edelblüte“ verkauft. Aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung im Verfügungsverfahren hat das Gericht gegenüber dem angenommenen Wert des Hauptanspruchs einen Abschlag von 1/3 vorgenommen.


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