Urteil vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (4. Zivilkammer) - 4 O 383/15

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 94.797,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.01.2015 aus einem Betrag von 93.429,45 € und seit 03.09.2015 aus einem Betrag von 1.368,50 € sowie weitere 2.217,45 € (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.01.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den Beklagten mit der am 02.09.2015 zugestellten Klage auf Ersatz eines Ernteschadens in Anspruch.

2

Der Kläger, ein Landwirt, der am sog. „A“ der A GmbH teilnimmt und mit seiner Ware Großkunden wie B bedient, baute im Frühjahr 2014 auf dem Feld in der Gemarkung Ort, Gewanne „Mittlere Lüssen“, Flustück-Nr. ..., Rucola (Diplotaxis tenuifolia) an. Am 20. und 24.03.2014 fand eine entsprechende Aussaht statt. Das Feld verfügte über 5 Leitungen, jede Leitung bestand aus 10 Beeten, die jeweils 2 m breit waren. Die Gesamtanbaufläche betrug 23.280 m².

3

Der Beklagte baute auf einem in nordöstlicher Richtung zum o. g. Grundstück angrenzenden Grundstück Kartoffeln an. Am 25.04.2014 gegen Abend führte der Beklagte auf seinem Kartoffelfeld eine Pflanzenschutzmaßnahme durch, bei der er zumindest auch das Pflanzenschutzmittel „Boxer“ ausbrachte, das den Wirkstoff Prosulfocarb enthält. Bei dieser Pflanzenschutzmaßnahme verwendete er eine nicht in der Liste des Julius Kühn-Instituts für abdriftmindernde Düsen aufgeführte Düse.

4

Als der Kläger Anfang Mai 2014 mit der Ernte des Rucola-Salates beginnen wollte, ließ er im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben oder solche der Discounter, an die der Rucola vertrieben werden sollte, eine Rückstandsanalyse bezüglich nicht für Rucola zugelassene Wirkstoffe durch ein unabhängiges Labor durchführen, zwecks dessen am 06.05.2014 eine Probenentnahme durch einen Mitarbeiter der C GmbH im Bereich der 1. Leitung des Feldes stattfand. Die Rückstandsanalyse wurde sodann bei der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt (E) in Speyer durchgeführt. Es wurden Rückstände von 0,081 mg/kg Prosulfocarb festgestellt. Die diesbezügliche gesetzliche Höchstgrenze liegt bei 0,01 mg/kg.

5

Im Anschluss daran ließ der Kläger am Morgen des 08.05.2014 noch vier weitere Proben durch die C GmbH im Bereich der Leitungen 2-5 entnehmen und vereinbarte außerdem mit der Sachverständigen Dr. D einen Ortstermin auf den Nachmittag des 08.05.2014. Die Analyse der übrigen Proben ergab Rückstände im Bereich von 0,018 bis 0,624 mg/kg Prosulfocarb.

6

Bei einem weiteren Ortstermin unter Beteiligung des Klägers und der Sachverständigen Dr. D am 14.05.2014 waren die betroffenen Leitungen des Feldes bereits gemulcht worden.

7

Eine Vermarktung des Rucolas fand nicht statt.

8

Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.01.2015 forderte der Kläger den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 98.935,27 € sowie von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.348,94 € auf bis zum 16.01.2015. Eine Zahlung seitens des Beklagten erfolgte nicht.

9

Der Kläger trägt vor
die gesamte Ernte sei nicht vermarktungsfähig gewesen. Der Kläger weist insbesondere auf die Richtlinien des QS-Zertifizierungssystems zur lückenlosen Kontrolle über die gelieferte Ware (im Folgenden: „A“) hin, an dem eine Teilnahme Grundlage sei, um den Handel beliefern zu können. Dies betreffe alle größeren Abnehmer, auch diese, die der Kläger beliefere. Nach diesen Richtlinien sei nach festgestellter Grenzwertüberschreitung eine weitere Vermarktung des gesamten Feldes im A und somit für den Verkauf gesperrt, dies auch, wenn in einem anderen Bereich Rückstände unterhalb der zulässigen Höchstmenge festgestellt werden. Eine Beerntung des Feldes komme nur dann ausnahmsweise noch in Betracht, wenn mittels Rückstandsanalyse nachgewiesen würde, dass die Überschreitung der Grenzwerte nicht die gesamte Feldfläche betrifft, ein Teil also frei von Prosulfocarb ist, was aufgrund der hohen Werte aber nicht nachgewiesen worden sei.

10

Auch habe keine alternative Vermarktungsmöglichkeit bestanden. Zum einen stünde einer solchen die Andienungspflicht beim Pfalzmarkt eG entgegen, zum anderen käme auch eine Vermarktung im Ausland nicht in Betracht, da auch dort der Wirkstoff Prosulfocarb für Rucola nicht zugelassen sei. Ein „Auswachsenlassen“ der Kontamination aus den Pflanzen sei nicht möglich, da sich nach kurzer Zeit, spätestens bei der Auslieferung eine Blütenbildung gezeigt hätte, was den Rucola verkaufsunfähig mache.

11

Die Art und Weise, in der der Beklagte das Pflanzenschutzmittel ausbrachte habe den Regeln einer guten fachlichen Praxis nicht entsprochen. Der Beklagte habe durch diverse Fachinformationen und die regelmäßige Beratung durch die C vor der Verwendung von „Boxer“ in Nachbarschaft von Gemüsekulturen gewarnt sein müssen. Auch in den Produktinformationen und Anwendungshinweisen werde vor Abdrift gewarnt.

12

Ursache der Belastung mit dem Wirkstoff sei dessen Ausbringung durch den Beklagten gewesen, der ihn als einziger in der Umgebung angewandt habe, eine von anderen Feldern herrührende Kontamination komme nicht in Betracht. Die Ausbreitung des Wirkstoffs Prosulfocarb sei erfolgt über direkte Abdrift, Verfrachtung von Bodenteilchen und eine atmosphärische Deposition. Die Wind- und Wetterverhältnisse seien dazu geeignet gewesen.

13

Bei der Entnahme, Verpackung, Versendung und Begutachtung der Proben durch C und E seien keine Fehler, insbesondere keine Verwechslung der Proben geschehen.

14

Der vermarktungsfähige Ertrag habe bei 2,2 kg/m² bei einer Fläche von 23.280 m² (2 m Beetbreite x 10 Beete pro Leitung x 4 Leitungen x 291 m Länge) bei 51.216 kg gelegen. Bei einem Bruttopreis von 2,44 € pro kg, der ortsüblich und angemessen sei, ergäbe sich ein Ernteschaden in Höhe von 124.968,04 €. Von diesen abzuziehen seien nicht angefallene Erntekosten (Lohnkosten), Maschinenkosten, Transportkosten, Kosten für Waschen, Aufbereiten und Sortieren und Vermarktungskosten. Weiter seien zu ersetzen die Kosten für die vier Rückstandsanalysen und die Schadensermittlung durch die Sachverständige Dr. D, sodass ein Gesamtschaden in Höhe von 100.303,77 € bestehe (s. Bl. 26 d. A.).

15

Er beantragt:

16

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100.303,77 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p. a. über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 98.935,27 € ab dem 17.01.2015 und aus einem Betrag in Höhe von 1.368,50 € ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

17

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.348,94 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p. a. über dem Basiszinssatz ab dem 17.01.2015 zu bezahlen.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Er trägt vor,
der Kläger habe seiner Schadensminderungspflicht nicht genügt. Zum einen hätte er sich um eine ausländische Vermarktung bemühen können. Nach einigem Zuwarten hätte der älter gewordene Rucola aufgrund der abnehmenden Konzentration des Wirkstoffes Prosulfocarb wieder vermarktet werden können. Außerdem habe der Kläger nicht ausreichend weiter untersucht, ob doch noch Prosulfocarb-freie Pflanzen vorhanden waren. Ferner habe eine direkte Abdrift nicht stattfinden können, da im Zeitpunkt des Ausbringens des Pflanzenschutzmittels Windstille, zumindest lediglich minimale Luftbewegungen stattgefunden hätten, die nicht in der Lage seien, den Wirkstoff in dem behaupteten Maße zu verbreiten. Eine atmosphärische Deposition sei nicht möglich, da der Wirkstoff gerade nicht leicht flüchtig sei. Schließlich kämen auch andere, weiter entfernte Felder als Quelle in Betracht, da der Wirkstoff Prosulfocarb über „erhebliche Strecken hinweg durch die Luft transportiert“ werden könne.

21

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

22

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen und Sachverständigengutachtens des Sachverständigen F sowie dessen mündliche Ergänzung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 01.04.2016 (Bl. 318 ff. d. A.) und auf die Ergänzungsgutachten vom 14.07.2016 und 29.11.2016 (Bl. 405 ff, 506 ff. d. A.) und die ergänzende schriftliche Stellungnahme vom 11.04.2017 (Bl. 551 ff. d. A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 27.02.2018 (Bl. 687 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Die Klage ist zulässig und überwiegend auch begründet.

24

Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz seines Ernteschadens nebst Rechtsverfolgungskosten aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe.

1.

25

Die Vorschrift ist direkt anwendbar, wenn der Gebrauch des Spritzmittels „Boxer“ einen ortsüblichen Gebrauch des Beklagtengrundstückes darstellt und der Beklagte die erwiesene Beeinträchtigung nicht in zumutbarer Weise verhindern konnte, also die Regeln einer guten fachlichen Praxis eingehalten hat. Sie ist aber – analog – ebenso anwendbar, wenn der Beklagte dies nicht getan hat, die Einwirkung also rechtswidrig war und deshalb nicht geduldet werden musste, der Kläger aber als Eigentümer des benachbarten Grundstücks gehindert war, sie zu verhindern (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 02.03.1984, Az. V ZR 54/83, Rn. 17, 18; BGH, Urteil vom 23.02.2001, Az. V ZR 389/99, Rn. 12, 13; zitiert nach Juris). Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass der Kläger von dem bevorstehenden Einsatz des Spritzmittels wusste oder wie er die Einwirkung auf sein Feld hätte verhindern können, ist Letzteres der Fall (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1984, a.a.O., Rn. 19, zitiert nach Juris).

26

Der Verlust der gesamten Ernte beeinträchtigt den Ertrag des Grundbesitzes in einem unzumutbaren Maße, so dass der Kläger dies nicht entschädigungslos hinnehmen muss (BGH, Urteil vom 02.03.1984, a.a.O., Rn. 19 a.E., zitiert nach Juris; BGH, LM § 906 BGB Nr. 29 Ziffer II. 4.).

27

Der § 906 Abs. 2 S. 2 BGB trägt sämtliche geltend gemachten Ansprüche. Auf die Frage einer deliktischen Haftung, insbesondere der von der Einhaltung der Regeln einer guten fachlichen Praxis abhängenden Rechtswidrigkeit des Tuns des Beklagten und dessen Verschulden kommt es somit nicht an. Inhalt und Umfang des Anspruchs nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB bemessen sich unter Abwägung aller Umstände nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung und können je nach Art und Weise der Einwirkung bis zum vollen Schadensersatz gehen (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.1997, Az. V ZR 48/96, Rn. 10, zitiert nach Juris). Sie umfassen insbesondere auch einwirkungsbedingte Rechtsverfolgungskosten (BGH, Urteil vom 04.07.1997, a.a.O., Rn. 10). In der Hauptsache erstrecken sie sich auf den Ausgleich der durch die Störung aufgetretenen Vermögenseinbuße, bei Störungen eines Gewerbebetriebes insbesondere des Ertragsverlustes bzw. des ausgebliebenen Gewinnes (BGH, Urteil vom 23.02.2001, a.a.O., Rn. 21, zitiert nach Juris), wozu bei Schädigung der Erzeugnisse eines Grundstücks der dadurch entgangene Gewinn zählt (BGH, LM § 906 BGB Nr. 29 Ziffer II. 5.; Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl. 2016, § 906 Rn. 29). Da die Vernichtung des Ernteertrages durch die zur Verkehrsunfähigkeit führende Kontaminierung der Pflanzen die Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung begründet, kommt die Abschichtung eines zumutbaren, nicht zu entschädigenden Teils vorliegend nicht in Betracht. Auch kommen dem Beklagten insoweit keine Billigkeitserwägungen zugute. Ihm standen alternative Pflanzenschutzmittel zur Verfügung, die Klägerseite hat solche ausdrücklich und konkret benannt; der Beklagte hat nichts dazu ausgeführt, warum diese nicht einsetzbar gewesen sein sollen. Auch die von Klägerseite angeführten und belegten warnenden Äußerungen des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Rheinland-Pfalz bzw. der C (Bl. 82 ff., 86 ff. d. A.) bestreitet der Beklagte für sich genommen nicht.

2.

28

Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Rucolapflanzen auf dem Feld des Klägers mit dem Wirkstoff Prosulfocarb belastet waren. Dies ergibt sich aus den von der E durchgeführten Rückstandsanalysen der von der Firma C entnommenen Proben. Für eine Verwechslung oder sonstige Fehler, die sowohl am 06. als auch am 08.05.2014 aufgetreten hätten sein müssen, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Dass die streitgegenständlichen Proben einen Prosulfocarbgehalt oberhalb des noch zulässigen Grenzwertes aufwiesen ist unstreitig.

29

Es steht weiter zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die gesamte Ernte nicht vermarktungsfähig war. Zwar konnte der gerichtlich bestellte Sachverständige F nicht mit abschließender Sicherheit feststellen, dass nicht doch noch wirkstofffreie Pflanzen vorhanden gewesen sein könnten, da für eine diesbezügliche Feststellung eine weitere, engmaschigere Probenentnahme hätte durchgeführt werden müssen.

30

Jedoch war der Kläger nach Feststellung der Überschreitung des nach der EG Verordnung 396/2005 (EU-Höchstmengen VO) gesetzlich noch zulässigen Höchstgehaltes an Prosulfocarb als Erzeuger für die weitere Vermarktung der betroffenen Kultur im sog. „A“ durch „QS“ gesperrt. Bei dem A handelt es sich um ein von der A GmbH organisiertes System zur Qualitätssicherung im Bereich der Futtermittel- und Landwirtschaft, der Schlacht- und Zerlegebetriebe, der Verarbeitungsindustrie und des Lebensmitteleinzelhandels. Der Kläger nimmt an diesem System teil. Alle Systempartner, die Pflanzenschutzmittel bzw. Nacherntebehandlungsmittel einsetzen, sind verpflichtet, die jeweiligen gesetzlichen Anforderungen bezüglich Höchstgehalten und zugelassenen Wirkstoffen/Pflanzenschutzmitteln des Produktions- und Bestimmungslandes einzuhalten (Verordnung (EG) Nr. 396/2005 bzw. analoge Bestimmungen). Nach Feststellung einer Beanstandung wird, wie oben bereits erläutert, die gesamte betroffene Kultur für eine Vermarktung im A gesperrt. Eine Vermarktung an den vom Kläger hauptsächlich belieferten Großkunden B oder einen anderen Großkunden im Lebensmitteleinzelhandelsbereich war somit nicht möglich. Eine Wiedererlangung der Lieferberechtigung im A ist dann möglich, wenn ein Rückstandsanalysebericht einer Probe aus der gleichen Kultur ohne Beanstandung vorgelegt werden kann (sog. „Freiprobe“). (Siehe zum Vorstehenden: „QS-Verfahren – Leitfaden – Rückstandsmonitoring Obst, Gemüse, Kartoffeln“, Version 01.01.2018; abrufbar unter https://www.q-s.de/dokumentencenter/dc-rueckstandsmonitoring-labore.html Stand 16.04.2018 dort insbesondere Ziff. 7.1 und 7.4, Seite 13/34.) Da eine Freiprobe nicht ermittelt und vorgelegt wurde, konnte die Ware nicht vermarktet werden.

31

Unabhängig davon, ob der Kläger, wie er vorträgt, einer Andienungspflicht unterlag oder die Ware auch frei hätte vertreiben können, ist nicht ersichtlich, wie der nicht nur nach den strengen Höchstwerten des Einzelhandels, sondern auch nach den gesetzlichen Höchstwerten in keinem Fall verkehrsfähige Rucola gewinnbringend hätte vermarktet werden können. Eine spätere Ernte wäre nicht möglich gewesen. Rucola wird nach den Angaben des Sachverständigen F im „Jungpflanzenstadium“ geerntet, da eine Beerntung dann, wenn die Pflanzen bereits Blüten treiben, nicht mehr möglich ist, da die Pflanzen dann bereits Bitterstoffe entwickeln. Eine Vermarktung im Ausland wäre nicht in Betracht gekommen, da auch im EU-Ausland die gleichen Grenzwerte gelten. Auch eine Vermarktung von Ernteware im Direktverkauf auf Wochenmärkten, Hofläden etc. wäre, unterstellt, es hätten sich noch Rucolakulturen finden lassen, die keinen höchstengrenzenüberschreitenden Prosulfocarbgehalt beinhalteten, vorliegend nicht möglich gewesen, da ein Absatz von derartigen Erntemengen nur über Vertragsabnehmer im großen Stil gelinge (siehe Gutachten Seite 19, Bl. 336 d. A.).

3.

32

Zur Überzeugung des Gerichts steht weiter fest, dass die Kontaminierung ihre Ursache in der unstreitigen Ausbringung des Wirkstoffes durch den Beklagten auf dem benachbarten Kartoffelfeld hat.

33

Ein Eintrag von einer anderen Anbaufläche als alternative Ursache kommt nicht in Betracht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Kontaminierung nach den Feststellungen im Gutachten des Sachverständigen F mit wachsendem Abstand von der Nachbarfläche abnimmt (zum Schluss aus einem solchen Befund auf die Herkunft der Beeinträchtigung vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 27.10.1999 zum Az. 9 U 1045/98, Rn. 21, zitiert nach Juris). In Anbetracht derart deutlicher Hinweise noch dazu in Zusammenschau mit den zur Akte gelangten Erklärungen der im Umkreis tätigen Anbauer, den Wirkstoff nicht eingesetzt zu haben (Anlagen K 19-22, Bl. 199 ff. d. A.), wären alternative Ursachen nur in Betracht zu ziehen gewesen, wenn der Beklagte konkret dafür in Betracht kommende Flächen begründet hätte bezeichnen können; der bloße Hinweis auf die abstrakte Möglichkeit eines Eintrages von anderen Flächen genügt indes nicht (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 20.07.2006 zum Az. 7 U 117/04, Rnr 24, 25, zitiert nach Juris).

34

Zudem sprechen die vom Sachverständigen ausgewerteten Wetterdaten zum Zeitpunkt der Spritzung durch den Beklagten, die unter Verwendung nicht abdriftmindernder Düsen stattfand, was zur Folge hatte, dass auch geringere Windgeschwindigkeiten aufgrund des großen Feintropfenanteils zur Verdriftung von Wirkstoffteilchen beitragen konnten, aus sachverständiger Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für eine Kontamination der Rucolakultur durch die o. g. Spritzung (s. Seite 24 des Gutachtens vom 01.04.2016, Bl. 341 d. A.). Die Windverhältnisse seien auch geeignet gewesen, das gesamte Feld des Klägers durch Abdrift mit dem Wirkstoff zu kontaminieren.

35

Der Sachverständige zog für seine Begutachtung die Daten der Wetterstationen Bad Dürkheim, Speyer und Weinbiet hinzu. Hinsichtlich der Wetterstation Weinbiet wurden lediglich die Windrichtungen berücksichtigt, da die Windgeschwindigkeiten aufgrund der größeren Meereshöhe der Station nicht ansetzbar gewesen seien. Im Stundenmittel betrugen die berücksichtigten Windgeschwindigkeiten zwar lediglich 1,02 bis 2,05 m/s. Nach den Anwendungsbestimmungen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelrecht zum Pflanzenschutzmittel „Boxer“ dürfen Behandlungen von „Boxer“ bis Windgeschwindigkeiten von bis zu 3 m/s durchgeführt werden. Im Zeitraum zwischen 19:00 und 20:59 Uhr wurden jedoch Böen zwischen 4,11 m/s und 10,80 m/s verzeichnet. Auch in den auf die Spritzung folgenden Tagen (bis 29.04.2014, 22:00 Uhr) gab es einzelne Zeitfenster, in denen der Wind vom Kartoffelfeld des Beklagten in Richtung Rucolafeld des Klägers wehte. Eine Verdriftung des prosulfocarbhaltigen Pflanzenschutzmittels im Zeitraum während der Ausbringung bzw. direkt danach in Richtung des Rucolafeldes des Klägers sei sehr wahrscheinlich. In seinem Ergänzungsgutachten vom 14.07.2016 führt der Sachverständige weiter aus, aufgrund der hohen Volatilität des Stoffes Prosulfocarb könnten bereits Verwirbelungen oder drehende Winde bzw. Turbulenzen bei Winden aus östlicher Richtung aufgrund von Schrägwirbeln eine Kontamination des südlich vom Kartoffelfeld gelegenen Rucolafeldes verursachen. In seinem Ergänzungsgutachten vom 29.11.2016 legt er weiter dar, welche instabilen Windrichtungsverhältnisse vorlagen, und dass verdriftende Pflanzenschutzmittel wie das extrem versible Prosulfocarb in dem Fall nicht kontrollierbar sind und auch hinsichtlich einer späteren Verfrachtung von Wirkstoffteilchen infolge thermischer Ausdampfung bestehe eine erhebliche Gefährdung (s. Bl. 517 f. d. A.). Zu solchen thermischen Ausdampfungen und somit zu atmosphärischer Deposition von Wirkstoffteilchen könne es auch schon bei einer Temperatur von 15 °C kommen (siehe Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2018, Bl. 689 d. A.).

36

Ferner seien die vorgefundenen Konzentrationen des Wirkstoffes im Rucolafeld des Klägers typisch für das Konzentrationsgefälle nach direkter Verdriftung. Mit zunehmenden Abstand zum Feld des Beklagten sinkt auch die Konzentration des Wirkstoffes in den Pflanzen.

4.

37

Der Höhe nach ist der geltend gemachte Anspruch in der Hauptsache in Höhe von 94.797,95 € begründet und hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.217,45 €.

a)

38

Die im Wege des Schadensersatzes zu ersetzenden wirtschaftlichen Einbußen des Klägers belaufen sich nach der Überzeugung des Gerichts auf 93.429,45 € (Ertrag bei vermarktungsfähiger Ware abzüglich eingesparter Erntekosten zuzüglich Kosten für zusätzliche vier Rückstandsanalysen). Diese Schadenssumme ergibt sich aus den Angaben der Sachverständigen Dr. D im Privatgutachten vom (Anlage K 1, Bl. 35 ff, 43 f. d. A.) und deren Überprüfung und teilweisen Abänderung durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen F, dessen durchweg nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen (Bl. 342 f. d. A.) sich das Gericht zu Eigen macht und die von der Beklagtenseite auch nicht substantiiert angegriffen worden sind. Bei der Ermittlung der Höhe der zu ersetzenden Einbußen findet § 287 ZPO Anwendung (Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl. 2016, § 906 Rn. 29 a.E.; BGH, Urteil vom 23.02.2001, a.a.O., Rn. 22 a.E.).

b)

39

Der zu ersetzende Schaden ist auch nicht aufgrund eines Mitverschuldens des Klägers wegen Verletzung seiner Schadensgeringhaltungspflicht zu reduzieren gemäß § 254 Abs. 1 BGB, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch im Rahmen einer verschuldensunabhängigen Haftung anwendbar ist (BGH, Urteil vom 18. September 1987, Az. V ZR 219/85, Rn. 39, zitiert nach Juris). Zwar hat der Kläger es unterlassen, engmaschigere Proben zu entnehmen, um ggf. doch noch schadstofffreie, vermarktungsfähige Rucolapflanzen aufzufinden, was nach den Angaben des Sachverständigen F nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Jedoch hat der im Rahmen des Mitverschuldenseinwands beweisbelastete Beklagte nicht den Beweis zu erbringen vermocht, dass tatsächlich noch vermarktungsfähiger Rucola vorhanden war und in welcher Menge. Die bloße Vermutung, dass ggf. noch vermarktungsfähiger Rucola vorhanden gewesen sein könnte, und der Kläger somit seinen Schaden durch weitere Beprobungen bzw. durch eine Vermarktung schadstofffreier Ware hätte verringern können, genügt nicht. Zudem sprechen die vom Julius Kühn-Institut (Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen) mittels einer Reihe von Versuchen im Ackerbau entwickelten Abdrifteckwerte eher dafür, dass das gesamte Feld von dem Wirkstoff Prosulfocarb beeinträchtigt war, auch wenn diese Werte eben nur Eckwerte sind und die tatsächlich vorhandenen Rückstandsgehalte von dieser Berechnungstabelle stark differieren können (siehe Ausführungen des Sachverständigen F in seinem Ergänzungsgutachten vom 30.11.2016, Bl. 519 d. A.). Nach den Abdrifteckwerten wäre selbst an der weitest von dem Feld des Beklagten entfernten Stelle auf dem Feld der Klägers noch eine Überschreitung des zulässigen Höchstwertes an Prosulfocarb zu verzeichnen gewesen. Die tatsächlich vorgefundenen, anhand von Probenentnahmen ermittelten Werte waren zudem besonders hoch.

40

Maßnahmen zur Feststellung eines geringeren Schadens durch den Beklagten wurden klägerseits auch nicht vereitelt, sodass ggf. eine Beweislastumkehr im Rahmen des Mitverschuldens hätte angenommen werden können. Unbestritten wurde der Beklagte selbst bereits am 07.05.2014 über die Einwirkungen auf dem Feld des Klägers informiert. Bis zur Mulchung des Feldes hatte der Beklagte eine Woche Zeit, Maßnahmen zur Beweissicherung zu ergreifen. Daran ändert auch der Vortrag des Beklagten nichts, nach dem eine Schadensmeldung des Klägers gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Beklagten erst am 12.05.2014 erfolgte und ein Ortstermin mit dem Außenregulierer der Haftpflichtversicherung und dessen Sachverständigen am 14.05.2014 stattfinden sollte. Nicht vorgetragen ist, dass gegenüber dem Kläger geäußert worden war, dass weitere Proben entnommen werden sollten. Ein Ortstermin mit Sachverständigen könnte bspw. auch zu dem Zweck erfolgen, die Größe des Feldes zu prüfen oder die Lage der streitgegenständlichen Felder o. ä. Auch ist nicht nachgewiesen, dass eine gewinnbringende Vermarktung des nur in einem kleinen Zeitfenster zu erntenden Rucolas bei Feststellung von wirkstofffreien Pflanzen am 14.05.2014 noch möglich gewesen wäre.

c)

41

Ferner hat der Kläger gegen den Beklagten nach den eingangs geschilderten Grundsätzen auch einen Anspruch auf Ersatz der als Rechtsverfolgungskosten zu erstattenden Sachverständigenkosten, die sich nach dem unbestrittenen Klägervortrag auf 1.368,50 € belaufen.

42

Zusammen mit dem oben näher dargelegten Ernteschaden ergibt sich eine Summe von 94.797,95 €.

d)

43

Die Rechtsanwaltskosten sind ebenfalls einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geschuldet, dies allerdings nur insoweit die Forderung berechtigt ist. Bei einer 1,3er Gebühr aus einem Streitwert bis 95.000,00 € zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer ergibt sich ein Betrag von 2.217,45 €.

44

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288, 291 BGB. Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.01.2015 forderte der Kläger den Beklagten zur Zahlung des Schadensersatzes inklusive der Rechtsanwaltskosten bis zum 16.01.2015 auf. Ausgenommen waren die Kosten für das Gutachten der Sachverständigen Dr. D. Mit Ausnahme dieser Kosten befand sich der Beklagte seit dem 17.01.2015 in Verzug.

5.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

46

Beschluss

47

Der Streitwert wird auf 100.303,77 € festgesetzt.

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