Urteil vom Landgericht Freiburg - 63/17 10 Ns 130 Js 3000/17

Tenor

Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts X vom 20.09.2017 im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts X vom 07.11.2018, Aktenzeichen (...), zu der

Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen à 10,00 EUR

verurteilt wird.

Dem Angeklagten wird gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Raten zu je 30,00 EUR zu zahlen.

Von der verhängten Gesamtgeldstrafe gelten 15 Tagessätze zur Kompensation der Verfahrensverzögerung als vollstreckt.

Die weitergehende Berufung des Angeklagten wird verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und die im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Angewendete Vorschriften:

§§ 223 Abs. 1 , 224 Abs. 1 Nr. 2, 46 a Ziff. 1, 42 StGB

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht X verhängte gegen den Angeklagten durch Strafbefehl vom 27.07.2017 wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten mit Bewährung. Gegen diesen Strafbefehl legte der Angeklagte über seine Verteidigerin rechtzeitig Einspruch ein, den er im Termin zur Hauptverhandlung beim Amtsgericht X. am 20.09.2017 am Ende der Beweisaufnahme auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte.
Die Berufung beschränkte der Angeklagte ebenfalls auf die Rechtsfolgen.
Ziel der Berufung war eine Strafrahmenreduzierung auch über § 46a StGB und die Verhängung einer moderaten Geldstrafe oder ein Absehen von Strafe.
Die Berufung des Angeklagten hatte im Wesentlichen Erfolg.
(...)
III.
Durch die Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch stand der Schuldspruch des Strafbefehls seit dem 20.09.2017 wie folgt rechtskräftig fest:
„Am 01.01.2017 gegen 0.15 Uhr schlugen Sie an der Kreuzung der K. -Straße und der B.-Straße in X. dem A. eine Glasflasche mit solcher Wucht auf den Kopf, dass die Flasche zerbrach. Durch den Schlag erlitt der Geschädigte - wie von Ihnen zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen - eine mehrere Zentimeter lange, blutende Kopfwunde.“
Als Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme traf das Amtsgericht in seinem Urteil vom 20.09.2017 folgende ergänzende Feststellungen zu den Beweggründen und dem tatauslösenden Moment:
Insgesamt stellt sich die Tathandlung als typische gefährliche Körperverletzung dar, bei der sowohl Alkohol im Spiel war als auch der Täter zuvor aufgrund der vorangegangenen Körperverletzung gegenüber dem Bruder des Angeklagten provoziert wurde. (...) So war beispielsweise aufgrund der Angaben des Angeklagten deutlich geworden, dass es sich unter keinen Umständen um eine Nothilfehandlung gehandelt hatte. Zugunsten des Angeklagten ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass er alkoholisiert war und der Tat eine Körperverletzung des Geschädigten gegenüber dem jüngeren Bruder des Angeklagten vorangegangen war. Nachvollziehbar fühlte sich der Angeklagte, der sich auch für den noch minderjährigen Bruder verantwortlich fühlt, dadurch herausgefordert, zumal der Bruder ihm wiederum im Rahmen eines verbalen Streits mit dem Geschädigten zu Hilfe gekommen war.
Auch diese Feststellungen waren für das Berufungsgericht bindend, da es sich insofern um doppeltrelevante Tatumstände handelt (BGHSt 62, 202 ff., bei juris Rn. 19).
10 
Ergänzend traf die Strafkammer zum Tatgeschehen noch folgende Feststellungen:
11 
Eine Atemalkoholkontrolle um 0.51 Uhr in der Silvesternacht ergab eine Atemalkoholkonzentration des Angeklagten von 0,31 mg/l, was bei dem nicht Alkohol gewöhnten Angeklagten zu einer Enthemmung geführt haben dürfte. Anhaltspunkte für eine erhebliche Reduzierung der Steuerungsfähigkeit oder eine Aufhebung der Fähigkeit, das Unrecht des Verhaltens zu erkennen, lagen nicht vor.
12 
Zum Nachtatverhalten traf die Strafkammer aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme die folgenden Feststellungen:
13 
Einige Zeit nach dem Vorfall, ca. Mitte oder Ende Januar 2017, wurde der Angeklagte von einem „W.“ angesprochen, dass der Geschädigte A. den Angeklagten wegen des Vorfalls zu Silvester mit einem Messer stechen wolle. Unklar blieb, ob die Drohung verbunden war mit der Aufforderung, an den Geschädigten 500,00 EUR zu zahlen, oder ob sie eine reine Rachedrohung war. Jedenfalls erfuhren hiervon andere Geflüchtete, die sowohl den Angeklagten als auch den Geschädigten kannten. Diese beschlossen, den Konflikt durch eine Schlichtung zu beenden. Sie wandten sich hierfür an den Onkel des Geschädigten. Der Geschädigte hatte im Jahr 2015 als 20-Jähriger mit Einverständnis seiner Eltern die Flucht von Syrien nach Deutschland gemeinsam mit seinem Onkel und dessen Sohn unternommen. Sein Onkel ist daher für ihn eine Autoritätsperson.
14 
Im Zeitraum bis ca. Mitte Februar 2017 kam es insgesamt zu zwei Treffen zwischen den drei Vermittlern und dem Onkel des Geschädigten. Bei einem dieser Treffen waren auch der Angeklagte und der Geschädigte anwesend. Es wurde vereinbart, dass der Angeklagte dem Geschädigten 500,00 EUR zahlt und sich bei ihm per Handschlag entschuldigt. Letzteres tat der Angeklagte bei dem gemeinsamen Treffen; die 500,- EUR lieh er sich bei Bekannten und übergab sie über die Vermittler an den Onkel des Geschädigten, der sie dem Geschädigten weitergab. Die drei Vermittler und der Onkel des Geschädigten gingen davon aus, dass hiermit der Konflikt beendet war, und erwarteten ein entsprechendes Verhalten auch vom Angeklagten und dem Geschädigten. Tatsächlich hat der Geschädigte sich seitdem nicht mehr mit dem Angeklagten in Verbindung gesetzt. Allerdings befindet der Geschädigte sich seit dem 17.02.2017 bis heute in Untersuchungs- und Strafhaft wegen diverser schwerer Körperverletzungsdelikte zum Nachteil von anderen Geflüchteten bzw. von Wachpersonal in Flüchtlingsheimen. Der Angeklagte hat Sorge, dass der Konflikt wieder aufkeimen könnte, wenn der Geschädigte aus der Haft entlassen wird.
(...)
V.
15 
Bei der Strafzumessung legte die Strafkammer einen Strafrahmen von 1 Monat bzw. 30 Tagessätzen bis zu 3 Jahren und 9 Monaten zugrunde. Innerhalb dieses Strafrahmens hielt sie im Ergebnis eine Einzelstrafe von 60 Tagessätzen à 10,00 EUR für tat- und schuldangemessen. Hieraus bildete sie zusammen mit der noch nicht vollstreckten Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Staufen vom 07.11.2018 eine Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu jeweils 10,00 EUR.
1.
16 
Die Strafkammer ging bereits ohne Berücksichtigung des Nachtatverhaltens von einem minderschweren Fall im Sinne des § 224 Abs. 1, zweiter Halbsatz, StGB aus. Dies beruhte auf folgenden Erwägungen:
17 
Zwar war zu Lasten des Angeklagten zu sehen, dass der Schlag mit der Glasflasche auf den Kopf eines Kontrahenten ausgesprochen gefährlich ist und tatsächlich auch zu einer nicht unerheblichen Verletzung des Geschädigten geführt hat.
18 
Die Alkoholisierung des Angeklagten hat die Strafkammer nicht strafmildernd berücksichtigt. Es ist nämlich allgemein und auch dem Angeklagten bekannt, dass übermäßiger Alkoholkonsum zu einer Enthemmung führt. Wird dennoch Alkohol in einem Maße konsumiert, das diese allseits bekannten Auswirkungen hat, ist dies als straferschwerender Umstand anzusehen, der die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit aufwiegt.
19 
Insgesamt überwogen aber die mildernden Umstände in einem Maße, das die Anwendung des Normalstrafrahmens als nicht mehr angemessen erscheinen ließ:
20 
- Der gefährlichen Körperverletzung durch den Angeklagten vorausgegangen war eine Auseinandersetzung zwischen dem 4 ½ Jahre jüngeren Bruder des Angeklagten und dem später Geschädigten, in deren Zusammenhang der später Geschädigte dem jüngeren Bruder gegenüber eine Körperverletzung begangen hatte; der jüngere Bruder kam dem Angeklagten in der sich anschließenden verbalen Auseinandersetzung mit dem Geschädigten dann wieder zu Hilfe. Dass der Angeklagte in dieser Situation emotional besonders aufgebracht war, ist nachzuvollziehen.
21 
- Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt noch nicht vorbestraft und hat auch seitdem keine Aggressionsdelikte begangen.
22 
- Die Tat liegt mittlerweile zweieinhalb Jahre zurück.
23 
- Der Angeklagte war umfänglich geständig. Das Geständnis hat besonderes Gewicht, da die Polizeibeamten erst nach der Tat eintrafen und in dem turbulenten Geschehen eine Aufklärung des Sachverhalts schwierig geworden wäre.
2.
24 
Die wie festgestellt durchgeführte Schlichtung erfüllt die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46 a, Ziff. 1 StGB.
25 
Der Anwendungsbereich des § 46 a Ziff. 1 StGB ist eröffnet, da es sich um den Ersatz immaterieller Schäden handelt.
26 
Es hat ein kommunikativer Prozess zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten stattgefunden, in dessen Rahmen der Angeklagte sich beim Geschädigten entschuldigt hat und die beiden jungen Männer sich anschließend die Hand gegeben haben.
27 
Der Angeklagte hat bei dem Schlichtungsverfahren die Verantwortung für die Tat übernommen. Zwar ist er der Auffassung, dass der Geschädigte durch sein Verhalten zur Tatentstehung beigetragen hat und möglicherweise die Reaktion des Angeklagten auch verdient hat. Gerade im Kulturkreis des Angeklagten und des Geschädigten hat es aber die auch symbolisch starke Bedeutung des Anerkennens eigener Schuld, dass der Angeklagte dennoch vor Zeugen sich beim Geschädigten entschuldigt und diesem die Hand gegeben hat.
28 
Dies hat der Angeklagte zwar nicht freiwillig getan, sondern unter dem Druck der Drohung des Geschädigten, er werde ihn mit dem Messer verletzen, sei es aus Rache, sei es als Erpressungsversuch. Die Freiwilligkeit des Täters ist aber auch nach herrschender und zutreffender Meinung keine Voraussetzung für die Bejahung eines Täter-Opfer-Ausgleichs im Sinne des § 46 a Ziff. 1 StGB (vgl. Fischer, StGB, § 46 a, Rd.nr. 12).
29 
Mit dieser Versöhnungsgeste und der Zahlung von 500,00 EUR hat der Angeklagte auch die Opferrolle des Geschädigten anerkannt. Dass er hierbei innere Vorbehalte hatte, spielt für die friedensstiftende Wirkung keine Rolle.
30 
Das Schlichtungsgeschehen hat eine friedensstiftende Wirkung entfaltet. Seitdem ist es zu keinen weiteren Zusammenstößen zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten mehr gekommen. Ob dies anders gewesen wäre, wenn der Geschädigte nicht Mitte Februar 2017 in Haft gekommen wäre, wie dies auch der Angeklagte befürchtet, kann dahinstehen. Erforderlich ist nämlich nicht, dass eine tatsächliche Versöhnung erfolgt, sondern lediglich, dass der Konflikt mit dem Ziel der Friedensstiftung bearbeitet wurde. Dies war hier der Fall. Hätte der Geschädigte trotz der durchgeführten Schlichtung seine Rachebedürfnisse gegenüber dem Angeklagten umgesetzt, hätte er sich auch innerhalb seines eigenen sozialen Umfelds eines Tadels ausgesetzt. Außerdem ist auch insofern zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass der Geschädigte auch dann, wenn er nicht in Haft gekommen wäre, sich an die Vereinbarungen der Schlichtung gehalten hätte.
31 
Der Geschädigte hat auch freiwillig an diesem Täter-Opfer-Ausgleich mitgewirkt. Dass sein Onkel als Autoritätsperson in diesem Sinne auf ihn eingewirkt haben dürfte, ändert daran nichts. Der Geschädigte ist volljährig und hat sich in Kenntnis der Folgen auf den Schlichtungsvorgang eingelassen. Anhaltspunkte für das Gegenteil sind nicht bekannt.
32 
Das Schlichtungsgeschehen erfüllt somit sämtliche Voraussetzungen für einen Täter-Opfer-Ausgleich gemäß § 46 a Ziff. 1 StGB. Dass er nicht durch eine Täter-Opfer-Ausgleichs-Stelle durchgeführt wurde, sondern durch andere Geflüchtete des arabischen Kulturkreises und in Übereinstimmung mit ihren Schlichtungsvorstellungen, ändert hieran nichts. Insbesondere ist hierin keine Form von Paralleljustiz zu sehen.
3.
33 
Die Strafkammer hat sodann geprüft, ob sie gemäß § 46 a, letzter Halbsatz, StGB von Strafe absehen kann, und dies verneint. Die Tatausführung war in besonderem Maß gefährlich und hat auch eine nicht unerhebliche Verletzung am Kopf des Geschädigten und somit an einer vitalen Stelle hervorgerufen. Ein Absehen von Strafe wäre trotz des langen Zeitablaufs nach Auffassung der Kammer ein falsches Signal.
34 
Die Strafkammer war aber der Auffassung, dass die Strafe im unteren Bereich des eröffneten, doppelt gemilderten Strafrahmens angesiedelt werden kann und hielt letztlich unter Berücksichtigung sämtlicher, insbesondere der genannten Strafzumessungsgesichtspunkte eine Geldstrafe von
35 
60 Tagessätzen
36 
für tat- und schuldangemessen.
(...)

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