Urteil vom Landgericht Hamburg - 303 O 364/14

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin ist Rechtsanwältin. Sie streitet als Darlehensnehmerin mit ihrer Bank um die Wirksamkeit ihres Widerrufs und die Ordnungsmäßigkeit der formularmäßig erteilten Widerrufsbelehrung.

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Die Klägerin schloss als Verbraucherin mit der Beklagten am 18. Dezember 2007 zwei Darlehensverträge über zusammen netto € 600.000,- mit Widerrufsbelehrung, für deren Inhalt auf die jeweils vierte Seite der Anlagen K 1 und K 2 Bezug genommen wird. Die Darlehen dienten der Finanzierung eines im November 2007 erworbenen Hausgrundstücks und enthielten verschiedene „Besondere Vereinbarungen“ über vor Auszahlung bzw. regelmäßig zu erbringende Nachweise. Der vereinbarte Zinssatz von 4,88% p.a. war bis zum 31.1.2018 festgeschrieben.

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Die Belehrung über das Widerrufsrecht war überschrieben mit „Widerrufsbelehrung zu ...“ mit Fußnote 1 (“Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z.B. Darlehensvertrag vom ...“), enthielt im ersten Satz des Absatzes „Widerrufsrecht“ eine Fußnote 2 (“Bitte Frist im Einzelfall prüfen“), weiter Ausfüllhinweise (“Name, Firma und ladungsfähige Anschrift des Kreditinstituts, ggf. Fax-Nr., E-Mail-Adresse und /oder, wenn der Verbraucher eine Bestätigung seiner Widerrufserklärung erhält, auch eine Internetadresse“), den Hinweis „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.“ und eine gegenüber der Musterwiderrufsbelehrung sprachlich veränderten Absatz „Finanziertes Geschäft“.

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Die Klägerin erfuhr im Sommer 2014 zufällig von der Unwirksamkeit zahlreicher Widerrufsbelehrungen. Da sie bisher an einen Widerruf nicht gedacht hatte und von geringeren Zinsen profitieren wollte, beauftragte sie ihren Anwalt. Mit Anwaltsschreiben vom 18.8.2014, der Beklagten am 19.8.2014 zugegangen, erklärte sie den Widerruf beider Verträge, Anlage K 3, und regte die Neufinanzierung zu aktuellen Zinskonditionen an.

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Die Klägerin ist der Auffassung, die Widerrufsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß, so dass das Widerrufsrecht gem. § 355 Abs. 3 S. 3 BGB a.F. noch nicht erloschen sei. Insbesondere könne die Widerufsbelehrung keinen Musterschutz nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoV beanspruchen, da sie der Musterwiderrufsbelehrung nicht vollständig entspreche. Sie genüge auch nicht dem Deutlichkeitsgebot des § 355 Abs. 2 BGB, da weder Fristbeginn noch Fristlänge klar seien und der Absatz über das finanzierte Geschäft missverständlich sei. Sie beruft sich zur Untermauerung ihrer überwiegend abstrakten Argumentation auf eine Vielzahl von Rechtsprechungsnachweisen.

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Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

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festzustellen, dass sich die Darlehensverträge Nr. ..., Nennbetrag € 300.000,-, und ..., Nennbetrag € 300.000,- in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt haben, nachdem die Klägerin ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen mit Schreiben vom 18.8.2014 wirksam widerrufen hat.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verweist inhaltlich auf die ordnungsgemäß erteilte Belehrung, auf den Musterschutz nach §§ 14, 16 BGB-InfoV und die Rechtsmissbräuchlichkeit des Widerrufsrechts bzw. die unzulässige Rechtsausübung.

Entscheidungsgründe

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Die - wohl mangels Feststellungsinteresse - unzulässige Klage ist jedenfalls unbegründet.

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Der mit Schreiben vom 18.8.2014 erklärte Widerruf war infolge wirksam erteilter Widerrufsbelehrung bereits verfristet, jedenfalls aber treuwidrig, so dass die beiden streitgegenständlichen Darlehensverhältnisse unverändert fortbestehen.

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I. Die Widerrufsfrist begann mit Mitteilung der Widerrufsbelehrung und Erhalt der Vertragsunterlagen am 18.12.2007 und endete zwei Wochen danach. Dies ergibt sich aus § 355 Abs. 2 Satz 1 und 3 i.V.m. Abs. 3 BGB in der Fassung vom 2.12.2004 (a.F.), denn die der Klägerin ausgehändigte Widerrufsbelehrung entsprach den gesetzlichen Anforderungen aus § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F., da die ihr in Textform mitgeteilten Belehrungen gem. Anlage K 1 und 2, jeweils auf Seite 4, deutlich gestaltet sind, ihr ihre Rechte deutlich machen und mit der Wendung „Die Frist beginnt frühestens...“ auch einen Hinweis auf den Fristbeginn enthalten, der nicht zu beanstanden ist.

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Die deutliche Gestaltung ergibt sich ohne Weiteres aus einem Blick auf die genannten Anlagen, ohne dass es eigentlich weiterer Erörterungen bedürfte. Insbesondere machen wenige Fußnoten und in Klammern gesetzte Ausfüllungshinweise die deutlich abgesetzte und umrandete Belehrung nicht unübersichtlich. Gleichzeitig kann auch nicht nachvollzogen werden, aus welchem Grund die Fußnote 1 „Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z.B. Darlehensvertrag vom ...“ aus Deutlichkeitsgesichtspunkten zu bemängeln sein könnte. Ganz im Gegenteil erleichtert dies abstrakt die Zuordnung zu am gleichen Tag geschlossenen Darlehens- oder anderen Verträgen und damit die Prüfung, ob denn in allen Verträgen ein gleichlautendes Widerrufsrecht besteht. Ebenso wenig verwirrt die Fußnote 2, die sich in dem abgesetzten Teil ersichtlich nicht an den Verbraucher richtet. Jede andere Auslegung ist künstlich.

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Die Belehrung macht dem Verbraucher auch seine Rechte deutlich. Er weiß bereits nach oberflächlicher Lektüre, dass er binnen zwei Wochen widerrufen kann, dass dies ohne Begründung möglich ist und er weiß auch, wohin er sich mit seinem Widerruf wenden muss. Die Aufnahme des Zusatzes zum verbundenen Geschäft hindert ihn an der Ausübung seines Rechtes nicht. Ganz im Gegenteil ist die Aufnahme der Erläuterungen zum finanzierten Erwerb eines Grundstücks im dritten Satz unter „Finanzierte Geschäfte“ besondern leicht verständlich, da die Rechtslage für die Parteien hier besonders klar ist und jeder - auch nicht so gewandte - Vertragspartner weiß, dass die Bank das Grundstück nicht verkauft hat und der Absatz daher für diese Vertragsbeziehung keine Gültigkeit hat. Das ist auch unproblematisch, entspricht es doch einer generellen Üblichkeit, dass Formulare verwandt werden, die verschiedene Fallgestaltungen abbilden, ohne dass deren Anwendungsvoraussetzungen immer und für jeden Fall erfüllt sein müssen, was ohne jeden Zweifel allen Teilnehmern am Rechtsverkehr geläufig ist.

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Ferner sind auch die Anforderungen des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. im zweiten Teil erfüllt, da Name und Anschrift enthalten sind, die Regelung des Absatzes 1 Satz 2 enthalten ist und ein Hinweis auf den Fristbeginn mitgeteilt worden ist. Soweit der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung das Ziel dieser Vorschrift dahingehend formuliert, den regelmäßig rechtsunkundigen Verbraucher über den Beginn der Widerrufsfrist eindeutig zu informieren, damit der Verbraucher über die sich daraus ergebende Berechnung ihres Ablaufs nicht im Unklaren ist und für den mit der Einräumung des befristeten Widerrufsrechts beabsichtigten Schutz des Verbrauchers eine möglichst umfassende, unmissverständliche und aus dem Verständnis der Verbraucher eindeutige Belehrung (BGHZ 172, 58, Tz. 13 BGH, Urteil vom 10. März 2009 - XI ZR 33/08, WM 2009, 932, Tz. 14 jeweils m.w.N.) fordert, mit der die Wendung betreffend den Fristbeginn „frühestens ...“ nicht zu vereinbaren sei, kann dieser Rechtsprechung für den hiesigen Fall nicht gefolgt werden.

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Denn soweit sich für den Verbraucher daraus als nicht eben naheliegende, aber mögliche Auslegung ergeben könnte, dass die Berechnung der Frist auch noch von anderen Voraussetzungen abhängt und er darüber in Verwirrung gerät, ist dies hier aufgrund der vertraglichen Gestaltung schon nicht relevant, denn es gab nach Vertragsschluss keinen das „frühestens“ relativierenden Anknüpfungsumstand, und die Klägerin hatte nach den Umständen und auch im Übrigen keinen Anlass so zu denken, sich also über den Text der Belehrung hinaus abstrakte und sie deshalb verwirrende Möglichkeiten hinzuzudenken. Beides, Vertragsumstände und klägerisches Verständnis, ist aber für die Frage der Klarheit und Deutlichkeit maßgeblich, da sich aus den Bestimmungen der „ordnungsgemäßen“ Belehrung in Abs. 3 Satz 2, die dem Verbraucher „seine Rechte deutlich macht“ und einen „Hinweis auf den Fristbeginn“ enthält, ein objektiv-konkreter Maßstab herleiten lässt, der es dem informierten Verbraucher verwehrt, sich schwerfälliger darzustellen, als er ist. Auch der von der Klägerin - nach gerichtlichem Hinweis - in ihrer Anhörung angeführte Gesichtspunkt der verschiedenen noch einzureichenden Unterlagen stehen dem nicht entgegen. Denn auch die Klägerin ging nach eigenen Bekundungen von einem fortbestehenden Widerrufsrecht nicht aus, während sie als Rechtsanwältin durchaus einschätzen konnte, dass sie einen Vertrag - wie am 18.12.2007 durch ihre Unterschrift - bereits geschlossen hatte, während lediglich seine Durchführung von weiteren einzureichenden Unterlagen abhing.

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Soweit der BGH demgegenüber in ständiger Rechtsprechung auf den unbefangenen durchschnittlichen Verbraucher abstellt (vgl. statt aller BGH, Urteil vom 9.12.2009 zum Az. VIII ZR 219/08, Rn. 13 - juris), kann dem nicht ohne Weiteres gefolgt werden. Nach dem Wortlaut besteht nämlich schon kein Anhaltspunkt dafür, dass immer eine Durchschnittsperson gemeint ist, sondern es geht auch nach dem Gesetzeswortlaut um ein konkretes Geschäft und um „den“ Verbraucher, nämlich genau die hiesige - rechtskundige - Klägerin in ihrer konkreten Geschäftssituation. Es ist auch im Übrigen weder aus dem Wortlaut noch aus dem Kontext noch aus dem Sinn und Zweck der alten und neuen Belehrungsvorschriften herzuleiten, dass ein informierter Verbraucher, der in der Belehrung alles verstanden hat, deshalb geschützt werden soll, weil Dritte meinen, dass jemand weniger Verständiges - im Formular angelegte oder andere Fälle betreffende - Verständnisprobleme hätte, während gleichzeitig ein nur etwas „unterdurchschnittlicher“ Verbraucher, vielleicht ein Bauarbeiter, Gärtner oder Verkäufer ohne höheren Schulabschluss sich auf durch die Formulierung bei ihm nachvollziehbar hervorgerufene Verständnisprobleme nicht berufen können soll, weil Maßstab der Durchschnitt ist. Es wäre mit dem BGH daher ein erstaunliches Auslegungsergebnis, dass gerade die besonders schützenswerte - und auf Kredite angewiesene - Gruppe derjenigen, die in jeder Hinsicht nicht dem Durchschnitt entspricht, von der geforderten Klarheit und Deutlichkeit nicht profitieren können, während sich die der besonders Verständigen auf das von Dritten nur unterstellte Unverständnis der anderen berufen können soll.

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Auch das Gesetz kennt Fälle, in denen Klarheit, Deutlichkeit oder Offenkundigkeit zu bewerten sind, etwa in § 319 ZPO. Auch hier ist es selbstverständlich, etwa bei der „offenkundigen“ Verwechslung von Kläger und Beklagtem im Tenor, auf den Kontext, auf die Zusammenhänge und den Blick der Beteiligten abzustellen. Das bloße Textverständnis aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters, der die Zusammenhänge nicht kennt, ist überhaupt nicht hilfreich, und wird deshalb zu Recht auch nicht herangezogen.

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Auch die vom BGH in ständiger Rechtsprechung herangezogene Auslegung nach den Grundsätzen über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. Urteil vom 13. Januar 2009 - XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 16, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - XI ZR 141/09, juris Rn. 13, s. auch schon BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 - VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027) hilft hierzu nicht weiter. Denn entgegen der in Bezug genommenen Rechtsprechung liegt es nicht eben nahe, dass es sich bei der Widerrufsbelehrung um Allgemeine Geschäftsbedingungen handeln könnte, weil es am Merkmal der einseitig gestellten Vertragsbedingungen fehlen dürfte. Für jeden erkennbar erfüllt die Bank nämlich ihre in § 355 BGB a.F. angelegte gesetzliche Pflicht - dies wohl in vorformulierter Form -, aber verfolgt keine eigenen Zwecke. Die oben in Bezug genommene höchstrichterliche Rechtsprechung geht über die genaue Subsumtion dann auch ohne detaillierte Begründung hinweg und verweist lediglich an einer Stelle (Rn. 13 im Beschluss vom 15. Dezember 2009) auf eigene (ältere) Rechtsprechung zu vorformulierten Kundenerklärungen, die mit der Erfüllung einer vom Gesetzgeber zugewiesenen Aufgabe aber nicht vergleichbar ist. Selbst wenn man daher den offensichtlichen Wunsch des 11. Senates zur breiten und vielleicht auch generellen Anwendung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen berücksichtigt, bleibt doch offen, wie sich dieses zum vorgegebenen Gesetzeswortlaut in § 355 BGB a.F. verhalten soll, dem die Einschränkung auf den Durchschnittsverbraucher, die zu einer Verkürzung des Rechts (und in anderen Fällen zu dessen ungerechtfertigter Überbeanspruchung) führt, jedenfalls nicht zwingend innewohnt. Daher hat es bei der allgemeinen Auslegungsregel der §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont in der Person des Erklärungsempfängers zu verbleiben, die - naturgemäß und in sinnvoller Weise - die Berücksichtigung der konkreten Vertragsumstände erlaubt und wünscht und damit die stattgehabte Begegnung der Parteien auf Augenhöhe widerspiegelt.

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Der danach zugrunde gelegte konkrete Maßstab, also der des - der Beklagten vermittelten - klägerischen Horizontes und Verständnisses und derjenige der Beurteilung einer konkreten Fallgestaltung, nämlich der hiesigen mit einheitlichem Fristbeginn mit Aushändigung der Vertragsdokumente, findet wegen der Anknüpfung in § 355 a.F. BGB an die „Mitteilung“ der textlichen Belehrung jedoch ihre Grenze in einer abstrakten bzw. objektiven Verständlichkeitsprüfung des Textes aus sich heraus, die in § 355 Abs. 2 BGB a.F. angelegt ist. Danach ist die Angabe zum Fristbeginn jedoch in jeder Hinsicht zutreffend, da die Frist früher nicht beginnt, und auch nicht missverständlich, da bei unvoreingenommenem Verständnis, also einem solchen ohne die gesetzlich vorgegebene Differenzierung oder die spätere strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die Frist vor Aushändigung nicht zu laufen beginnt (“frühestens“), tatsächlich aber „mit“ Aushändigung beginnt, ohne dass im hiesigen Fall andere mögliche Fallgestaltungen relevant wären. Über nicht bestehende Optionen muss nicht belehrt werden; demgegenüber hat der Verbraucher die Belehrung auch nicht im Hinblick auf nicht bestehende Optionen zu hinterfragen, nur weil dies für andere Fälle oder abstrakt relevant sein könnte. Wartet der konkrete Verbraucher nach dieser Belehrung also länger als zwei Wochen zu, verhält er sich - auch auf Basis der erteilten Belehrung - spekulativ. Diese - der Lebenserfahrung entsprechende - Bewertung konnte auch die Klägerin in ihrer Anhörung jedenfalls zum Teil nachvollziehen.

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Und am Ende deckt sich diese Auslegung mit dem Befund, der sich nach allgemeiner Einschätzung und objektiviert durch Suche in anerkannten Suchmaschinen dahingehend darstellt, dass man Fälle, in denen der Verbraucher durch die vermeintlich falsche Belehrung „frühestens ...“ tatsächlich in die Irre geleitet wurde, weil er ggfls. jahrelang untätig auf weitere ungewisse Ereignisse betreffend seinen Fristbeginn glaubte warten zu dürfen, vergeblich sucht.

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II. Ohnehin aber steht der Geltendmachung des Widerrufsrechts der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen, § 242 BGB. Zur weiteren Begründung wird auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Frankfurt am Main zum Az. 2-21 O 139/14, hier eingereicht als Anlage B 2, unter 1) verwiesen, die genauso auf den hiesigen Fall zutreffen, da die Klägerin vorgerichtlich - unstreitig - die gleichen dort in Bezug genommenen vertragsfremden Zwecke, nämlich kostengünstige Umschuldung ohne Vorfälligkeitsentschädigung, verfolgt hat und ihr Interesse am Widerruf allein aufgrund besserer Zinsen in der Anhörung unumwunden eingeräumt hat. Diesen Umstand auszunutzen, ist den Klägern aber nach § 242 BGB verwehrt.

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Die Beklagte ist insoweit besonders schutzbedürftig (vgl. BGH Urteil vom 25. November 2009 - VIII 318/08, Rn. 20 - juris). Sie hat ersichtlich eine mit dem Gesetzestext konforme Belehrung geschaffen, jedenfalls aber schaffen wollen, und dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Musterwiderrufsbelehrung lange in der Welt war, die Frage zum Fristbeginn mit der Formulierung „frühestens“ längst nicht höchstrichterlich entschieden war und aus der Entscheidung vom 12.4.2007 zum Az. VII ZR 122/06 aufgrund der Inbezugnahme unter II. 3 d) jedenfalls zwischen den Zeilen ein Bekenntnis des Bundesgerichtshofs zur Musterwiderrufsbelehrung herausgelesen wurde - sonst hätte man wohl damit nicht argumentieren dürfen.

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Der Beklagten kann ihrerseits nicht entgegengehalten werden, dass sie es mittels Nachbelehrung in der Hand hatte, später für Rechtssicherheit zu sorgen. Denn einerseits ist in Anbetracht der facettenreichen Rechtsprechung und lange und bis heute ungeklärter Rechtsfragen völlig ungewiss, wie denn eigentlich - und dann nach jeder Entscheidung immer wieder - „richtig“ zu belehren wäre, andererseits ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn eine Bank auch ohne Nachbelehrung ins Blaue bei einem Formular wie diesem davon ausgeht, dass ihre Vertragspartnerin, eine Rechtsanwältin, weiß, welche Rechte sich aus dem Vertrag ergeben, den sie da Monat für Monat bedient. Der Nachbelehrungsansatz verschiebt daher die Risikosphäre in unzulässiger Weise auf die Beklagtenseite, da es eine nachträgliche, die Schutzbedürftigkeit ausschließende vertragliche Optimierungspflicht nicht gibt.

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Dieser Auslegung des § 355 Abs. 2 BGB a.F. steht auch nicht der Schutzzweck des § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a.F. entgegen. Für ein vom Gesetzgeber bewusst sanktionierend ausgestaltetes ewiges Widerrufsrecht, das den Grundsätzen von Treu und Glauben vorginge, gibt es keine Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber hat die heutige - durch eine besonders strenge und nicht immer der Lebenswirklichkeit entsprechende Interpretation der Anforderungen an die Widerrufsbelehrung hervorgerufene - Situation weder gesehen noch absehen können. Trotz der Fülle manchmal auch weniger nachvollziehbarer Wertentscheidungen des Gesetzgebers lässt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte kein Hinweis darauf entnehmen, dass so weitgehende, letztlich lebensfremde Risikoverschiebungen zu Lasten von Banken und Unternehmern gewünscht waren. Warum auch. Das Gegenteil ist der Fall, denn der Gesetzgeber hat angesichts der wildgewachsenen Vorgaben aus Brüssel die Risikoverschiebung auf die Banken ebenso ohnmächtig wie innovativ begrenzen und Rechtssicherheit schaffen wollen (BT-Drs. 14/7052, S. 208).

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Aus einem „ewigen Widerrufsrecht“ ergäbe sich weiter auch kein effektiver Verbraucherschutz (anders: Müggenborg / Horbach in NJW 2015, 2148 m.w.N.), da die Unternehmen infolge der Risikoverschiebung einer unabwägbaren Rechtsunsicherheit ausgesetzt wären, die sich nur durch erhebliche Risikoaufschläge begrenzen ließe. Diese gingen dann kalkulatorisch zu Lasten aller Verbraucher, auch derjenigen, die die Diskussion um die Widerrufsbelehrungen nur mit Befremden zur Kenntnis nehmen und im Sinne eines „Das tut man nicht!“ auf ihr - zutreffendes - Anstandsgefühl und ihr einmal gegebenes Wort verweisen. Verbraucherschutz - auch im Sinne des Gesetzgebers von 2004 - ist aber auf den Schutz aller Verbraucher angelegt. Der aktuelle Gesetzesentwurf zur Begrenzung des Widerrufsrechts belegt das.

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III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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